Paris 1843

Der Kontrakt des Zeichners

Der Wettkampf Pierre Charles Fournier de Saint-Amant gegen Howard Staunton in Paris 1843

Mit dem Zweikampf zwischen dem Franzosen Saint-Amant und dem Engländer Howard Staunton 1843 in Paris und dem ersten großen internationalen Schachkongress 1851 in London fanden zwei herausragende Ereignisse der Schachgeschichte statt, die für uns deshalb den Zeitraum markieren, in dem es zur Ausbildung des modernen Schachs, wie wir es heute kennen, kam. Dies gilt weniger im Hinblick auf die späterhin zur Verfeinerung gelangenden Regularien der Turniere und Zweikämpfe, wie beispielsweise die Einführung einer Bedenkzeitregelung und die Einführung von Rundenturnieren, als vielmehr insbesondere im Hinblick auf den medialen Charakter, den diese Ereignisse erstmals entwickelten.

Das primordiale Ereignis der neueren Schachgeschichte, ohne das auch das internationale Turnier in London 1851 so nicht möglich gewesen wäre, stellt ohne Zweifel der am 14. November 1843 in Paris im Cercle des Echecs (Café de la Régence) begonnene Schachkampf zwischen Pierre-Charles Fournier de Saint-Amant (1800-1872) und Howard Staunton (1810?-1874) dar. Das Café de la Régence in Paris, in dem das Treffen arrangiert wurde, war seinerzeit der Treff der aufgeklärten Schachwelt. Der Weinhändler Saint-Amant und der angehende Shakespeare-Forscher Staunton galten als die jeweils stärksten Schachspieler ihrer Zeit, so daß der Kampf die gespannte Aufmerksamkeit der Schachwelt erfuhr und für erhebliches Aufsehen sorgte. Dabei gehört der Kampf aufgrund der Tatsache, daß beide Kontrahenten in ihren Ländern die ersten Schachzeitungen herausgaben – Saint-Amant hatte 1841 in Paris die von Méry und de la Bourdonnais im Jahre 1836 gegründete Schachzeitung Le Palamède wiederbelebt und Staunton führte seit 1841 den englischen Chess Player’s Chronicle – zu den am besten dokumentierten Zweikämpfen der Schachgeschichte.

Wenngleich, oder gerade weil seit dem Ende der Befreiungskriege und der Niederlage Napoleons gegen die europäische Koalition 1815 in der Schlacht bei Waterloo (Wellington) bzw. Belle-Alliance (Blücher) bereits nahezu 30 Jahre vergangen waren, wurde das Treffen der beiden Schachspieler insbesondere von der französischen Seite ganz im Stile der damals jedoch allgemein üblichen „Nationaltümelei“ zum Kampf zweier Nationen hochstilisiert. Dies wurde bereits von dem hellsichtigen van der Linde in dem ihm eigenen bissigen Stil kritisiert: „Trotzdem das Schachspiel, seiner Natur nach, einen durchaus kosmopolitischen Character besitzt und ebenso, wie z.B. Geografie, Arithmetik oder viele anderen Beschäftigungen des menschlichen Geistes, von individueller, nicht von nationaler Begabung abhängig ist, haben die Herren Matchspieler eine internationale Superioritätsfrage daraus gemacht“. „Als Staunton 1843 siegte, ahmte man in England, als Anderssen 1851 Staunton besiegte in Deutschland, als Morphy 1859 Anderssen besiegte in den Vereinigten Staaaten das abschreckende Beispiel nach“ und als Botwinnik 1948 in Holland und Moskau den Weltmeistertitel errang, wiederholte sich die propagandistisch überhöhte Ausbeutung des schachlichen Erfolges einmal mehr. Die Meinung, so wollen wir dabei lediglich en passant vermerken, Schach sei von nationalen und/oder gar anderen rassischen Eigenarten abhängig, ist auch in unserer Zeit noch anzutreffen. In einem erst kürzlich in der Rochade Europa erschienenen Text, versteigt sich der Autor in die abstruse und uns wahrlich erschütternde Vorstellung, nationale und andere, angeblich rassische Eigenarten als prädiktiv determinierend für das Schachspiel heranziehen zu können.

Der Kampf der beiden anerkannt stärksten Schachspieler der Zeit, Saint-Amant und Staunton, ging um einen Einsatz von 100 Pfund Sterling (2500 Francs). 21 Partien waren angesetzt. Der Gewinner von elf Partien sollte Sieger sein.

Er begann nach umfangreichen und langwierigen Verhandlungen, die in extenso im Le Palamède und Chess Player’s Chronicle jener Jahre nachzulesen sind, am Dienstag, den 14. November 1843 und endete kurz vor Weihnachten am 20. Dezember 1843 mit dem Siege Stauntons.

Staunton war mit seinem „Sekundanten“ Worrell bereits am 9. November in Paris eingetroffen. Stauntons zweiter Helfer, Harry Wilson, traf erst später in Paris ein. Die Engländer bereiteten sich in der für sie fremden Umgebung generalstabsmäßig vor und vermieden es, psychologisch wichtige, das Befinden eventuell beeinträchtigende Zugeständnisse zu machen. Zur großen Überraschung der Franzosen lehnten sie eine Einladung zu einem gemeinsamen Bankett ab, das im Café de la Régence, dem Cercle des Echecs, im Palais Royal stattfinden sollte und blieben zunächst unter sich, was Saint-Amant zum Anlaß nahm, in dem von ihm redigierten Palamède etwas verschnupft zu schreiben: „A notre grande surprise, nos honorables adversaires ont refusé cette occasion de fraterniser avant le combat. Nous n’avons pu bien préciser encore le véritable motif de cette réserve. Probablement elle est dans les habitudes anglaises, comme la courtoisie de notre invitation appartient aux moeurs hospitalières de la France“.

Es wurde ohne Zeitbegrenzung und -kontrolle gespielt, wobei der Franzose insgesamt mehr Bedenkzeit als sein englischer Gegner verbrauchte. Die Angewohnheit, den Anzug der Partie jeweils mit den weißen Steinen vorzunehmen, war noch nicht zur allgemein gültigen Konvention geworden, so daß der Anzug zwar regelmäßig alternierend wechselte, Saint-Amant aber in der dritten, fünften, siebten, neunten und dreizehnten Partie und Staunton in der zwölften, vierzehnten, und achtzehnten mit den schwarzen Steinen spielend den ersten Zug machte. Staunton legte einen fulminanten Start hin und siegte in den ersten zwölf Partien neun mal (1., 2., 4., 5., 6., 7., 8., 10. und 12. Partie). Der Kampf schien bereits nach Beendigung der 12. Partie am 5. Dezember 1843 eine gewisse Vorentscheidung gefunden zu haben. Eine bedrückende Stille hatte im Café de la Régence unter den französischen Schachfreunden um sich gegriffen. Saint-Amant schildert recht anschaulich, wie er, niedergeschlagen und traurig, durch die Straßen von Paris nach Hause lief und dabei ängstlich zu vermeiden suchte, von gutmeinenden, anteilnehmenden Schachfreunden mit den allgegenwärtigen Worten „Na, wie steht’s denn im Kampf?“ angesprochen zu werden. Doch Saint-Amant bewies Stehvermögen. Es gelang ihm, in der zweiten Hälfte des Kampfes die Situation ausgeglichener zu gestalten und nach einem Rückstand von 9:2 beim Stande von zwölf Partien, noch auf 10:6 (nach der 20. Partie) heranzukommen. Die 21. Partie am 20. Dezember 1843 brachte schließlich einen erneuten Sieg Stauntons, der damit den Kampf für sich entscheiden konnte.

 

Der große Schachkampf zwischen Herrn Staunton (England) und  Saint-Amant (Frankreich)
XIX. Partie vom 16. Dezember 1843 (nach dem 66. Zug von Weiß)
Lithografie von Laemlein nach einem Gemälde von Marlet
 

Es spricht für die Organisation des Kampfes durch die Franzosen, daß der Wettkampf trotz der wegen der Primordialität des Ereignisses gänzlich fehlenden Erfahrungen und der rhetorisch von den Lagern beider Seiten angeheizten Atmosphäre, ohne größere Streitfälle oder Dissonanzen durchgeführt werden konnte. Diese überwogen jedoch nach dem Treffen, so daß ein Rückkampf zwischen den beiden Spielern nie mehr zustande kommen sollte. Staunton erkrankte während eines zweiten Besuches in Paris Ende des Jahres 1844, bei dem ein Rückkampf durchaus im Bereich des Möglichen gelegen zu haben scheint, an einer im prä-antibiotischen Zeitalter noch lebensgefährlichen Pneumonie und mußte nach England zurückkehren. Er scheint davon eine lebenslängliche Herzschädigung zurückbehalten zu haben.

Mit dem Zeichner und Maler Jean Henri Marlet (1770-1847), der ein alter Bekannter und Konsument der Weine von Saint-Amant war, schloß Saint-Amant einen Kontrakt, in dem Marlet sich verpflichtete, von dem Treffen der beiden Schachspieler im Cercle des Echecs ein Ölbild zu erstellen. Bereits 1841 hatte Marlet ein Gemälde von de la Bourdonnais erstellt. Nachdem ihm die Erlaubnis erteilt worden war, erschien Marlet zu diesem Zweck im Spielsaal und fertigte erste Studien und Skizzen sowohl von den Spielern als auch den anwesenden Zuschauern und Helfern an. Darüberhinaus hatte Marlet nach Beendigung des Kampfes sukzessive alle die zur Abbildung vorgesehenen Personen in Einzel-Seancen porträtiert, wodurch die allseits gerühmte Genauigkeit des Gemäldes erklärt wird. Alphonse Delannoy (1806-1883) hat das von Marlet gefertigte Ölgemälde und viele der darin abgebildeten Personen beschrieben. Delannoy lobt dabei die außerordentlich gelungene kompositorische Gestaltung des Gemäldes und teilt mit, daß die Darstellungen der Personen sehr treffend und gekonnt seien.

Marlet verhandelte zunächst mit mehreren Interessenten über einen Kauf des Gemäldes. Schließlich gelang es der Frau von Saint-Amant, einer resoluten Dame, die schon mal an regnerischen Club-Abenden mit dem Regenschirm an das Fenster des Pariser Cercle des Echecs klopfte, um ihren in’s Schachspiel versunkenen Ehegatten nach Hause zu zitieren, das Bild für 500 Francs zu kaufen, worüber am 19. Februar 1844 auch ein förmlicher Kaufvertrag abgeschlossen wurde. Es war die höchste Summe, die Marlet angeboten worden war. Marlet hatte das Bild etwa Mitte März fertiggestellt und schrieb mit Datum vom 22. März 1844 an Saint-Amant, um die ihm zustehenden 500 Francs zu reklamieren. Offensichtlich hatte Marlet jedoch vergessen, daß er noch eine über die Jahre hin aufgelaufene Weinrechnung an Saint-Amant in Höhe von 800 Francs zu begleichen hatte, weshalb dieser nun diese „Wein“-Schulden mit dem Preis des Gemäldes verrechnete.

Bereits vor Fertigstellung des in Öl gehaltenen Gemäldes war von vielen Pariser Schachspielern der Wunsch geäußert worden, eine Lithografie von dem Gemälde anzufertigen, damit jeder Interessierte eine Abbildung des großen Ereignisses erstehen könne. Saint-Amant erteilte deshalb in der Folgezeit dem Künstler und Kupferstecher Alexander Laemlein (1813-1871) den Auftrag, eine Kopie des Bildes in Stein zu gravieren. Laemlein war der Neffe des berühmten Alexandre, des Verfassers der Encyclopédie des Échecs, Paris 1837, und war im Alter von zehn Jahren aus Hohenfeld am Main per Fußmarsch (!) nach Paris zu seinem Onkel Alexandre gewandert. Dort war er bei dem bekannten Kupferstecher Regnault in die Lehre gegangen. Laemlein bestellte die abgebildeten Personen zwecks genauerer Darstellung der Physiognomie noch einmal zu Einzelsitzungen in sein Atelier, übernahm aber im wesentlichen die topografische und gestalterische Konzeption des Gemäldes von Marlet. Der Vergleich des Gemäldes von Marlet mittels der von Delannoy gegebenen, freilich groben Beschreibung mit der Gravur von Laemlein zeigt, daß auf Marlets Gemälde zumindest drei Personen abgebildet waren, die Laemlein in seinem Stich wegläßt. Dies sind Pluchonneau, Vielle, der schachbegeisterte Besitzer des Café de la Régence, und Alphonse Delannoy. Darüber hinaus hat Laemlein sich selbst zusätzlich in die linke Hälfte des Bildes plaziert, so daß diese sicherlich erheblich von der entsprechenden Hälfte des Marlet’schen Gemäldes abweichen dürfte. Die Identität zumindest einer Person auf der Laemlein-Abbildung, die in einem erläuternden Facsimilé lediglich mit K*** bezeichnet wird, bleibt auch heute noch geheimnisvoll im Dunkeln. Handelt es sich um den Dichter Alfred de Musset, wie Gaston Legrain glaubte oder um Kieseritzky oder gar um einen Unbekannten, dessen Identität zu lüften im Kontrakt des Zeichners nicht vorgesehen war? Vieles spricht dafür, daß Saint-Amant im Kontrakt mit dem Zeichner hatte festhalten lassen, die Person von Kieseritzky nicht zu benennen, denn Saint-Amant und Kieseritzky, der Ende der dreißiger Jahre aus Livland nach Paris gekommen war, hatten sich gestritten und verstanden sich nicht gut.

Das Bild zeigt die beiden Kämpfer am 16. Dezember 1843 während der 19. Partie.

In der französischen Zeitschrift L’Illustration und auch in ihrem deutschen Pendant der Illustrierten Zeitung erschien zu Beginn des Jahres 1846 ein Holzstich, in dem noch einmal eine Änderung des abgebildeten Geschehens vorgenommen ist. Die Anzahl der abgebildeten Personen hat deutlich abgenommen. Die Beleuchtung ist verändert und verbessert worden, indem die Gasbeleuchtung gegenüber der Lithografie weiter heruntergelassen worden ist. Laemlein hatte in seiner Intention, die Personen porträtmäßig zu erfassen, die Beleuchtung noch neutralisiert. Die Komposition der Marlet/Laemlein-Lithografie bleibt im Holzstich insgesamt zwar erhalten und zeigt im Zentrum des Bildes die beiden Schachspieler Saint-Amant und Staunton beim Spiel, wobei im Laemlein-Bild die Hand von Saint-Amant sich gerade über dem Brett befindet und zögernd in der Bewegung innezuhalten scheint, so als ob sie vor dem Schlagen des Bauern f7 signalisieren wolle: „Timeo Danaos et dona ferentes“.

 

Der Macher des Holzstiches aber verändert ganz entscheidend die Haltung und das „Comportement“ des im Bild links sitzenden Howard Staunton. Während Laemlein den englischen Vorkämpfer noch in gerader Haltung und zum Kampf bereit darstellt, ist der gleiche Staunton im Holzstich ein gebeugt auf seinen Arm sich stützender, resigniert den Zug des Gegners erwartender, gebrochen erscheinender Mann. Damit erlangt gleichzeitig die Haltung des Saint-Amant, wenngleich in den beiden Bildern nur nuanciert verschieden dargestellt, eine gänzlich andere Bedeutung! Die bei Laemlein über dem Brett schwebende, noch in der Bewegung zögerlich innehaltende Hand, wird im Holzstich zu der den letzten und entscheidenden Todesstoß versetzenden Faust des Saint-Amant. Uns scheint, daß der Illustrator der französischen Zeitung L’Illustration das wirkliche Ergebnis des Kampfes, das ja den Engländer Staunton als Sieger sah, ignorieren und für sein überwiegend französisches Publikum diese etwas schonendere, wenngleich die Wahrheit modifizierende Darstellung wählen wollte. Sozusagen ein erster Fall tendenziös verfälschter Berichterstattung im Schach. Tatsächlich lesen wir im von Delannoy verfassten Text zum Stich, Frankreich habe den Kampf gewonnen. „Man erinnert sich an den Kampf … zwischen Frankreich und England. … Es ist Frankreich, das zum Kampf herausforderte und es ist Frankreich, das triumphierte“. Delannoy schreibt pathetisch weiter: „Sie erkennen zunächst den berühmten Saint-Amant in seiner noblen und fast heroischen Haltung; … er spielt die Partie Frankreichs! Staunton, nicht weniger berühmt, zeigt eine weniger sichere Haltung; da ist eine Mutlosigkeit in seiner Haltung, und man meint, er sehe das schicksalgegebene Ende seines Landes voraus: Schach und Matt.“

Darüber hinaus führt der Holzstecher der L’Illustration wiederum eine Person (sich selbst?) neu in das Bild ein. Die Person schaut ziemlich desinteressiert und ostentativ vom eigentlichen Ort des Geschehens, dem Schachbrett, weg und erhält reichlich Licht. Es ist uns nicht bekannt, wer diesen Holzstich für die Illustrierte Zeitung erstellt hat.

Doch zurück zur Lithografie, die Laemlein für Saint-Amant fertigte. Saint-Amant verkaufte die 74,8 x 50 cm messende Lithografie mit der Unterschrift „Le cercle des échecs, à Paris//Pendant le grand défi aux Echecs entre MM. St. Amant et Staunton, les champions de France et d’Angleterre. C’est la séance du 16 Décembre 1843 (XIXe partie de cette memorable lutte) qui a été reproduite ici avec une fidélité scrupuleuse“ für 25 Francs im Büro der von ihm redigierten Zeitung Le Palamède. Am Bildunterrand war dabei vermerkt: A. Laemlein del., Imprimé par Lemercier à Paris, à la Dir.n du Palamède.

Daraufhin strengte Marlet jedoch eine Art Copyright-Prozess an und klagte auf Unterlassung des Lithografieverkaufes, da sein Bild unberechtigt vervielfältigt worden und sein Name auf dem Bild nicht vermerkt worden sei. Nach einer Prozeßdauer von fast zwei Jahren erhielt Saint-Amant am 31. Dezember 1845 zwar in erster Instanz von den Richtern der 4. Kammer des Pariser Tribunalgerichtes das Recht auf Reproduktion des Bildes zuerkannt, mußte jedoch für die an der Lithografie fehlende Namensangabe Marlets 200 Francs Strafe an diesen zahlen. Die Folge war, daß Saint-Amant eine zweite Auflage, diesmal aber in London und mit der Unterschrift: „The Great Chess Match, Between MM. Staunton (England) and Saint-Amant (France)//Won by the English Gentleman, in the Paris Chess Club, in December 1843″ verkaufen ließ. Am Bildunterrand hieß es noch immer: A. Laemlein del., Imprimé par Lemercier à Paris dann jedoch: 2 Tavistock Row Covent Garden, London. Dabei verwendete er, wie wir meinen sicher annehmen zu können, jedoch noch immer den gleichen Stein, denn sämtliche Abbildungen, die von Laemleins Gravur bekannt geworden sind, weisen in der rechten unteren Ecke des Bildes einen halbkreisförmigen, das Bild verdunkelnden Fleck auf. Das Bild sei nunmehr in zweiter Auflage für 15 statt 25 Francs zu haben, „damit“, so teilte Saint-Amant mit, „alle Klassen von Amateuren des Schachs das Bild erwerben könnten“. Insgesamt existierten also drei bzw. vier unterschiedliche Abbildungen bzw. Versionen des Ereignisses von Paris 1843: das Ölgemälde von Marlet, die Lithografie von Laemlein mit jeweils einem französischen bzw. englischen Untertitel und der Holzstich der Illustration bzw. der Illustrierten Zeitung.

Wir könnten damit die Schilderung der denkwürdigen Ereignisse um das erste Medienereignis der modernen Schachgeschichte eigentlich abschließen, wenn nicht noch ein Geheimnis zu lüften wäre. Was geschah mit dem Gemälde von Marlet? Seit dem Kauf des Gemäldes durch Madame Saint-Amant im März 1843 waren keine Nachrichten mehr bezüglich des in Öl gehaltenen Gemäldes von Marlet bekannt geworden und niemand hatte das Gemälde von Marlet jemals wieder gesehen. Saint-Amant hatte sich im Jahre 1861 zusammen mit seiner Frau an die Sonnenküste Algeriens nahe von Algier begeben. Dort starb er am 29. Oktober 1871 in seinem Schloß Hydra an den Folgen eines Sturzes aus seiner Kutsche im Alter von 72 Jahren. Hat Madame Saint-Amant das Bild nach seinem Tod zurück nach Frankreich gebracht oder war es erst garnicht mit nach Algerien genommen worden, sondern war in einem der Schlösser derer von und zu Saint-Amant geblieben?

Eine letzte Spur des Bildes läßt sich jedoch noch einmal in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts finden. Der Journalist und Schachliebhaber Gaston Legrain schildert in seinen Cahiers de l’Echiquier Français wie er zufällig im Jahre 1932 das bis dahin verschollene Ölgemälde von Marlet im Schaufenster eines Antiquares in Paris entdeckte. Leider versäumte Legrain die Gelegenheit, das Bild sofort sicherzustellen und in seinen Besitz zu bringen. Als er zurückkehrte, war das Bild bereits verkauft, ohne daß er jemals einen Hinweis auf das weitere Schicksal des Bildes hat erhalten können. Legrain starb im Jahre 1951.

Auch wir wissen nicht, wo sich das Gemälde von Marlet heute befindet. Vielleicht ist es noch immer im Besitz eines diskreten Pariser Amateurs oder hängt an den steinernen Wänden eines dunklen, verwinkelten Schlosses, wo es an den Kontrakt des Zeichners und die zwei Menschen erinnert, die in den Monaten des zu Ende gehenden Jahres 1843, vor nunmehr fast 155 Jahren, im Café de la Régence in Paris angetreten waren, ein einfaches Spiel zu spielen und dabei nichts oder als Kinder ihrer Zeit nur wenig dafür konnten, daß ein Teil ihrer Mitmenschen dieses einfache Spiel zum Kampfe zweier Nationen hochstilisierte.