Schachbund

Der Westdeutsche Schachbund als Vorläufer des Deutschen Schachbundes

Im Zusammenhang einer Betrachtung zur 125 jährigen Geschichte des Deutschen Schachbundes, der 1877 in Leipzig gegründet wurde, wird der Blick des Bearbeiters zwangsläufig auf den im September 1862 in Düsseldorf gegründeten Westdeutschen Schachbund, der als Vorläufer des organisierten Schachs in Deutschland angesehen werden kann, gelenkt. Es soll an dieser Stelle deshalb die Geschichte des Westdeutschen Schachbundes in einem Zeitraum von 16 Jahren von der Vorphase seiner Gründung im Jahre 1861 bis in die Zeit der Gründung des Deutschen Schachbundes im Jahre 1877 dargelegt werden. Zwar bestand der Westdeutsche Schachbund als Regionalorganisation im Deutschen Schachbund auch nach der Gründung des DSB weiter, doch kann diese Zeit einer anderweitigen Bearbeitung vorbehalten bleiben, zumal mit dem XIII. Kongress des Westdeutschen Schachbundes 1880 in Braunschweig die glanzvolle Phase des Bundes bedingt durch die in Deutschland einsetzende wirtschaftliche Rezession einen gewissen Abschluß fand.

Die Gründung eines Westdeutschen Schachbundes lag sozusagen „in der Luft“ als Georg Schnitzler, Düsseldorf, und Otto Wülfing, Elberfeld, 1861 in einem persönlichen Gespräch, die regelmäßige Zusammenkunft rheinischer Schachspieler erörterten. Als Ergebnis dieses Gespräches erfolgte seitens des Vorstandes des Elberfelder Schachclubs, Alfred Schlieper, mit Schreiben vom 23. August 1861 die Einladung, am „Sonntag, den 22. September dieses Jahres eine Zusammenkunft zu halten, um neben einzelnen Schachkämpfen das Project einer jährlich abzuhaltenen Versammlung der Schachspieler Rheinlands und Westphalens zu berathen. Zum Versammlungsort ist Düsseldorf festgesetzt worden … .“. Die Versammlung, die als der erste Deutsche Schachkongress bezeichnet werden kann, wurde hauptsächlich von Elberfelder und Düsseldorfer Schachspielern besucht. Die Düsseldorfer waren sozusagen zu Hause, während die Wuppertaler infolge der guten Eisenbahndirektverbindung nach Düsseldorf bis spät in den Abend noch die Heimreise antreten konnten. Der einst stärkste Düsseldorfer Schachspieler, der achtzigjährige Metzgermeister Frank, der sich rühmte gegen Marschall Vorwärts, Blücher, Schach gespielt zu haben, war anwesend. Aus Cöln waren nur der Musiklehrer Kufferath sowie die damals gerade erst 18 Jahre alten Kohtz und Kockelkorn dabei, während aus Crefeld ebenfalls nur einige wenige Schachspieler anwesend waren. P. Seelhoff aus Mülheim/Ruhr, Oberst Hanneken aus Wesel vom Niederrhein und Dr. Albert Lange aus Duisburg reisten mit einem Linienschiff der Düsseldorfer Schiffahrtsgesellschaft an. Aus weiterer Ferne war nur Graf Vitzthum aus Dresden erschienen. Dies sollte sich in den Folgejahren ändern. Schliepers Antrag „am ersten Sonntag des Monats September alljährlich eine Schachversammlung aller Schachspieler Rheinlands und Westphalens abzuhalten“ wurde begeistert aufgenommen und so traf man sich im folgenden Jahr am 7. und 8. September 1862 erneut in Düsseldorf.

Diesmal war die Beteiligung besser, denn um die hundert Schachfreunde besuchten die Veranstaltung und etwa 50 Personen nahmen an dem veranstalteten Festmahl teil. Auch ein Problemturnier wurde erstmals ausgerichtet, zu dem Graf Arnold Pongracz aus Presburg eine eigene Komposition sendete. Tassilo von Heydebrand und der Lasa, damals in Weimar als Preussischer Gesandter tätig, stellte dem Kongress eine erstmals von Chapais aufgeworfene Endspielfrage, König und zwei Springer gegen König und Bauer, als Preisfrage vor. Der 31 jährige Chefredakteur der Schachzeitung, Max Lange, wurde beauftragt, ein Jahrbuch zu erstellen und zur Veröffentlichung zu bringen. Lange entledigte sich dieser Aufgabe mit Bravour und das Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1862, das uns so vortrefflich von den nunmehr 140 Jahre zurückliegenden Ereignissen berichtet, gehört in unserer Zeit ebenso wie das 1863 erschienene Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1863 zu den gesuchtesten Raritäten der Schachliteratur.

Es ist kein Zufall, daß gerade Max Lange (1832-1899) zum intellektuellen Mentor der aufstrebenden Schachvereinigung wurde. Lange, der ein Doppelstudium in Philosophie und den Rechtswissenschaften absolviert hatte und eine beachtliche schachliche Spielstärke aufwies, war wie kein anderer intellektuell in der Lage, dem regen Treffen rheinischer Schachfreunde, die sich zunächst aus purem „Associationstriebe“ und Freude am Schach zu größeren „Congressen“ vereinigten, eine allgemeingesellschaftliche Bedeutung und Sinnhaftigkeit zuzuschreiben und die Bemühungen der Schachfreunde in einen allgemeinen soziokulturellen Kontext zu stellen.

Schon früh begann Lange sich mit den Auswirkungen einer institutionellen Ausgestaltung der regelmäßig stattfindenden Schachtreffen zu beschäftigen und versuchte darüber hinaus institutionelle Rahmenbedingungen für einen allgemeinen Deutschen Schachbund, dessen Vorläufer er in regionalen Schachvereinigungen wie dem Westdeutschen Schachbunde gegeben sah, zu liefern. Er war Realist und keineswegs purer Romantiker, wenn er formulierte „Darf auch ein durchgreifender Anschluss aller bedeutenden Schachkräfte und Schachvereine Deutschlands an den neugeschaffenen Schachbund, welcher im Westen unseres Vaterlandes sein Hauptquartier aufgeschlagen hat, kaum erwartet werden, so liegt doch die Hoffnung nahe, dass das gegebene Beispiel zur Nachahmung anregen und vielleicht zur gruppenweisen Vereinigung der Schachfreunde in den verschiedenen Theilen unseres Vaterlandes führen werde“. Beispielhaft sei an dieser Stelle auch seine Arbeit Britische Schachassociation in den von ihm herausgegebenen Sonntags-Blättern für Schachfreunde angeführt.

Anläßlich des zweiten Kongresses zeigte Louis Paulsen aus Nassengrund seine großen Fähigkeiten zum Blindspiel, indem er gleichzeitig gegen zehn Gegner blind spielte. Es war dies die erste Blindlingsproduktion, die Paulsen in Deutschland vor einem größeren Publikum darbot. Paulsen eröffnete sämtliche Partien mit 1. e4 und beendete die zehn Partien gegen eine respektable Gegnerschaft, unter der sich auch der junge Johannes Kohtz aus Köln befand, mit einem Resultat von sechs Siegen und vier Remisen nach zwölf Stunden Kampf. Die Blindlingsproduktion erregte mächtiges Aufsehen und war sehr werbewirksam, weshalb diese Art von Blindlingsproduktion zur regelmäßigen Einrichtung der folgenden Kongresse werden sollte. Im durchgeführten Hauptturnier errang Max Lange den ersten Preis.

Lange war es auch, der gemeinsam mit H. Wittgenstein eine Depesche an Tassilo von Heydebrand und der Lasa, Königlich Preussischer Gesandter in Weimar, formulierte, in der dieser als Großmeister der deutschen Schachgemeinde bezeichnet wird. Unseres Wissens der erste Gebrauch des Wortes Großmeister im Schach, wobei die Entlehnung des Wortes aus den Kreisen der Freimaurer nahe zu liegen scheint, zumal die Schachspieler damals durchaus als ein Kreis Verschworener anzusehen waren.

Der dritte Kongress des Westdeutschen Schachbundes fand wiederum in Düsseldorf statt. Als auswärtige Besucher des Kongresses sind neben den Paulsen-Brüdern Max Lange, der erneut den ersten Preis im Hauptturnier errang und erstmals auch Victor Knorre aus Berlin zu erwähnen. Im Problemturnier erhielt Johann Berger aus Graz den ersten Preis und Baron von Guretzky-Cornitz, Berlin, erhielt für die Bearbeitung des Chapais’schen Endspiels einen Preis. Es entspann sich eine lange und ausführliche Diskussion um die Wahl des künftigen Turnierortes wobei die Tatsache, daß Düsseldorf mit der Eisenbahn von vielen Richtungen aus gut erreichbar war, den Ausschlag dafür gegeben haben dürfte, daß auch der vierte Kongress 1864 in Düsseldorf ausgerichtet wurde. Dieser sah wiederum Max Lange als Sieger des Hauptturniers. Johann Berger, Graz, und Johannes Minckwitz, Leipzig, errangen die ersten Preise im Problemturnier.

Der fünfte Kongress fand Ende August 1865 erstmals nicht in Düsseldorf sondern in Elberfeld statt und G. R. Neumann, der Redakteur der 1864 gegründeten Neuen Berliner Schachzeitung, gewann das Meisterturnier. Die Beteiligung an dem Kongress hatte über die Jahre stetig zugenommen, so daß ab 1865 zwei Hauptturniere veranstaltet werden konnten. Das erste wurde Meister- bzw. Fremdenturnier später allgemeines Hauptturnier, während das zweite als rheinisches Hauptturnier bezeichnet wurde. Wieder sorgte Louis Paulsen mit einer Blindlingsproduktion gegen zehn starke Spieler für allgemeines Aufsehen. Im Jahr 1866 fand wegen des Deutsch-Österreichischen Krieges, in dem es vordergründig um Schleswig-Holstein, in Wahrheit jedoch um die Klärung der Deutschen Frage ging, kein Kongress statt, jedoch veranstalteten im Oktober 1866 Elberfelder und Barmer Schachfreunde in Unterbarmen ein als Wuppertaler Schachkränzchen in die Annalen eingegangene Veranstaltung, die überwiegend lokalen Charakter hatte.

So fand nach dieser kriegsbedingten Pause der sechste Kongress 1867 erstmals in Köln statt. Eduard Hammacher, der Präsident der Kölner Schachfreunde, leitete die Versammlungen in Köln im Domhotel und Gertrudenhof. Er konnte aufgrund der finanziellen Hilfe zahlreicher Gönner in Köln dem Kongreß einen weitaus größeren Rahmen als den früheren Kongressen geben. Max Lange fehlte erstmals wegen beruflicher Pflichten, sendete jedoch einen telegraphischen Festgruß, den die Festversammlung dankbar erwiderte. Auch sendeten Anderssen aus Breslau und von der Lasa aus Kopenhagen telegraphische Grüße. Wieder sorgte Louis Paulsen mit seiner nun schon Tradition gewordenen Blindlingsproduktion gegen zehn Spieler für werbeträchtiges Aufsehen, während sein Bruder Wilfried Paulsen das Fremdenturnier gewann. Etwa 80 Teilnehmer nahmen an der Festtafel im Gertrudenhof teil. Es war ein glänzender rheinischer Kongress mit zahlreichen Teilnehmern aus Aachen, Köln, Elberfeld, Barmen, Crefeld, Düsseldorf, Lennep, Ruhrort, Bonn, Eschweiler, Siegen und Schwelm. Zum Vorstand des Westdeutschen Schachbundes gehörten im Jahre 1867 Adolf Carstanjen, Eduard Hammacher, Karl Kockelkorn und Johannes Kohtz in Köln, Julius Asbeck jun. in Barmen, F. A. Hipp in Crefeld, Max Lange in Leipzig, R. Lichtenscheidt in Crefeld, G. R. Neumann in Berlin, L. Posse, Alfred Schlieper und A. Wolff in Elberfeld und Georg Schnitzler in Düsseldorf.

Der siebte Kongress des Westdeutschen Schachbundes begann am Samstag Nachmittag, dem 1. August 1868, in den Räumen der Gesellschaft Erholung in Aachen mit der Begrüßung der Kongressbesucher durch den ersten Vorsitzenden des Aachener Schachvereins E. Scheibler. Unter den Anwesenden waren die eingeladenen Meister Anderssen, der bereits seit dem 30. Juli in Köln bei seinem Freund Carstanjen weilte, Max Lange, die Gebrüder Paulsen, Emil Schallopp und der Redakteur der Neuen Berliner Schachzeitung, Johannes Zukertort. Es zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein des Vorstandes des Westdeutschen Schachbundes, daß die ausländischen Meister Paul Morphy, Arnous de Rivière und Howard Staunton ebenfalls eine Einladung erhalten hatten. Der Kongress war sehr gut besucht, so daß außer den zwei Hauptturnieren (Fremden- oder Meisterturnier sowie Rheinisches Turnier) noch zwei parallel verlaufende Nebenturniere veranstaltet werden konnten. Anderssen hob in einer Rede hervor, „dass er bereits vielen Schach-Congressen beigewohnt habe, dass ihnen aber die Gemüthlichkeit gefehlt, durch die nur ein deutscher Schach-Congress sich auszeichnen könne“.

Der achte Kongress des Westdeutschen Schachbundes fand vom 6. bis 9. August 1869 in Barmen statt. Wiederum war eine erlesene Meisterschar bestehend aus Adolf Anderssen, Breslau, Wilfrid Paulsen, Nassengrund, Johannes Minckwitz, Leipzig, Johannes Zukertort, Berlin, und Emil Schallopp, Anclam anwesend. Zukertort, gemeinsam mit Anderssen (A und Z) Redakteur der Neuen Berliner Schachzeitung hielt einen geistreichen Toast auf das rheinische Schach-ABC Aachen, Barmen, Cöln, Düsseldorf und Elberfeld. Sieger im Meisterturnier wurde Anderssen.

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß sämtliche Kongresse des Westdeutschen Schachbundes sich durch ein ausgesprochen geselliges Miteinander der Schachfreunde auszeichneten. Es wurde nicht gespart an Festtafeln, Festreden, Toasten und Schachbällen. Dabei fällt insbesondere bei den Kongressen der späten sechziger Jahre die außerordentliche Nähe berühmter und bekannter, sehr spielstarker Schachmeister zu dem allgemeinen Schachpublikum auf. Anderssen beispielsweise ließ es sich auf dem Schachball in Barmen 1869 nicht nehmen, die Polonaise anzuführen.

Und auch der als äußerst bescheiden, ja schüchtern geltende Louis Paulsen hielt sich gerne im Kreise interessierter Schachfreunde auf. Schallopp, Minckwitz, Lange und Zukertort waren sich nicht zu schade, freie Partien mit den angereisten Schachfreunden zu spielen. Zwar war das allgemeine Niveau niedriger und der schachpraktische Abstand zwischen starken und schwachen Schachspielern mag nicht so groß wie heute gewesen sein, doch mag man geneigt sein, diesen Teil der Schachgeschichte den heutigen Großmeistern und Internationalen Meistern besonders ans Herz zu legen.

Infolge des Deutsch-Französischen Krieges fand 1870 kein Kongress statt, so daß der neunte Kongress des Westdeutschen Schachbundes erst wieder 1871 in Crefeld zur Austragung kam. Minckwitz (1843-1901), seit 1865 Redakteur der Schachzeitung, war zum großen Propagator der Schachbundidee geworden.

Er schrieb im Turnierbuch: „Wenn diese neuen Schachassociationen dieselbe Lebensfähigkeit und Ausdauer bethätigen, wie der westdeutsche Schachbund, wenn es ferner dem Eifer mitteldeutscher Schachfreunde glückt, einen mitteldeutschen Schachbund zu gründen, dann hat der westdeutsche Schachbund seinen Zweck herrlich erfüllt, dann kann man daran denken, ihn aufgehen zu lassen in einem grossen Ganzen, ihn zu vereinigen mit den genannten übrigen Associationen zur Bildung eines allgemeinen Deutschen Schachbundes“.

Crefeld wies zahlreiche und wichtige Teilnehmer aus Mitteldeutschland auf, wie Pitschel aus Altenburg und Göring aus Gotha, so daß der Westdeutsche Schachbund in Crefeld erneut seine Signalwirkung auf die Schachbewegung in Deutschland nicht verfehlt haben dürfte. Dennoch sollte Crefeld 1871 für lange Zeit, nämlich bis 1876 der vorerst letzte Kongress des Westdeutschen Schachbundes bleiben. Hierfür waren wohl in erster Linie wirtschaftliche Schwierigkeiten die Ursache und so verwundert es nicht, daß auch der zuerst von Johannes Minckwitz unter dem Pseudonym Labourdonneltzky im Aprilheft der Deutschen Schachzeitung vorgetragene Versuch, eine Aktiengesellschaft zur Aufbringung der zur Gründung eines Allgemeinen Deutschen Schachbundes notwendigen Geldmittel zu gründen, völlig in’s Leere ging und keine weitere Resonanz fand.

1876 fand in Düsseldorf nach einer fünfjährigen Pause der zehnte Kongress des Westdeutschen Schachbundes statt, der sich jedoch hinsichtlich seiner Größe nicht mehr mit seinen Vorgängern messen konnte. Immerhin, so vermerkt der Chronist Minckwitz im Kongressbuch, verdient die Veranstaltung alleine schon deshalb in die Annalen des rheinischen Schachbundes aufgenommen zu werden, als es sich bei der Zehnjahresveranstaltung sozusagen um eine Wiederauferstehungsfeier handelte, in der wiederum die Stadt Düsseldorf, wie zur Gründerzeit, eine besondere Rolle spielte.

Die darauf folgenden 11. und 12. Kongresse des Westdeutschen Schachbundes in Frankfurt/M. und Braunschweig, gehören nicht mehr zu den Vorläufern der Kongresse des Deutschen Schachbundes, weshalb sie hier nur kurze Erwähnung finden. Immerhin war mit den Kongressorten Frankfurt am Main und Braunschweig auch geografisch die Bedeutung der überregionalen Schachversammlungen des Westdeutschen Schachbundes, die letztlich auch die politischen Verhältnisse in Deutschland widerspiegelten, deutlich geworden. Eine neue Generation von Schachspielern begann in Deutschland den Ton anzugeben. Die Zeit der gemütlichen Schachtreffen war vorbei. Fritz Riemann (1859-1932) aus Berlin später Erfurt errang in Braunschweig 1880 den zweiten Preis im Meisterturnier. Er sollte noch für mehrere Jahrzehnte gemeinsam mit seinem Freund Alexander Fritz (1857-1932) die Deutschen Schachkongresse besuchen.

In der Synopsis des bisher Dargelegten erscheinen im Hinblick auf die Geschichte des Westdeutschen Schachbundes insbesondere zwei Tatsachen von Bedeutung. Zunächst ist die anheimelnde Atmosphäre des im Gebiet von Rhein, Ruhr und Wupper nicht zuletzt wegen guter Eisenbahnverbindungen ermöglichten regen Schachlebens hervorzuheben. Dabei beförderte diese Atmosphäre im Zusammenspiel mit einem gutmütigen Nationalismus romantischer Prägung die Entwicklung des Schachspiels ganz außerordentlich. Zum anderen kann die Bedeutung des damaligen Herausgebers der Schachzeitung, Dr. Dr. Max Lange, für die institutionelle Entwicklung des Westdeutschen Schachbundes nicht hoch genug eingeschätzt werden. Max Lange erzielte seine erste, maßgebliche Wirkung in der Förderung des organisierten Schachs in Deutschland hier an Rhein, Ruhr und Wupper! Seine große Konzeption, eine Vereinigung aller deutschen Schachspieler unter dem Dach eines Allgemeinen Deutschen Schachbundes herbeizuführen, sollte in der von ihm angedachten Form nicht gelingen. Dennoch waren seine Hilfe und seine Bemühungen sowohl in schachpraktischer als auch institutionell-organisatorischer Hinsicht von unschätzbarem Wert für die Entwicklung des Westdeutschen Schachbundes und damit auch des Deutschen Schachbundes.

Geschichte des Deutschen Schachbundes

(Fassung erstellt im Jahre 2002)

Einleitung

Die hier vorgelegte Arbeit zur Geschichte des Deutschen Schachbundes (nicht des Schachs in Deutschland) umfasst in Abweichung von dem 125 Jahre (1877-2002) ausmachenden Jubiläumszeitraum lediglich eine Zeitspanne von etwa 85 Jahren und versucht diejenigen Vorgänge darzustellen, welche zwischen 1861, dem Jahr der Gründung des Westdeutschen Schachbundes, und 1945, in dem für eine kurze Zeit in Deutschland sämtliche Schachaktivitäten darniederlagen und auch der DSB zu Bestehen aufhörte, stattfanden. Diese Beschränkung musste einerseits im Hinblick auf die Komplexität des Gegenstandes erfolgen, denn schon die Vorgänge um den Großdeutschen Schachbund in den Jahren 1933 bis 1945 können nur schlaglichtartig beleuchtet werden, weil eine wirklich erschöpfende Bearbeitung des Schachs in der Zeit des Nationalsozialismus, auf die der Autor hätte zugreifen können, auch weiterhin noch aussteht. Die Vorgänge nach 1945, die durch den zweiten Wiederaufbau des Deutschen Schachbundes (nach dem 1. Wiederaufbau 1918) in der Bundesrepublik Deutschland, den Aufbau des Deutschen Schachverbandes in der Deutschen Demokratischen Republik und schließlich durch die Vereinigung von DSB und DSV am 29. September 1990 in Leipzig charakterisiert sind, können nicht hinreichend dargestellt werden. Hierfür sind andererseits auch Raum- und Zeitgründe verantwortlich gewesen, zumal dem Autor sowohl eine bloß chronologische Aufzählung von Daten zur DSB-Geschichte als auch eine bloß hagiographische Abhandlung nicht sinnvoll erschien. Der Interessierte mag hier an die vorzüglichen Chroniken der Landesverbände verwiesen werden, von denen beispielhaft die von Diel (Bayern), Herter (Württemberg) und Willeke (Niedersachsen), von dem auch eine posthum veröffentlichte, lesenswerte Abhandlung über das Arbeiterschach in Deutschland vorliegt, zu nennen sind.

  1. Die Zeit des Aufbaus bis zur Gründung des DSB (1861-1877)

Das Schachspiel stellt ein in die allgemeine Kulturentwicklung eingebettete Tätigkeit des Menschen dar und sie folgt deshalb den allgemeinen Linien der Kulturgeschichte. Schach wurde in Deutschland mit Sicherheit bereits im Mittelalter gespielt. Heinrich von Freiberg beispielsweise kannte das Schachspiel und seine Regeln. Er lebte als Hofdichter im Dienste von hohen böhmischen Adligen etwa in den Jahren 1285-1290 und schrieb eine Fortsetzung von Gottfrieds von Straßburg unvollendet gebliebenen Tristan, in der eine Schachstelle (Verse 4144 ff.) mit dem wohl ältesten verbürgten, wenn auch literarisch erhöhten Kreuzschach vorkommt. Auch im Ruodlieb, einem nach dem Titelhelden benannten mittellateinischen Epos, das im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts im Kloster Tegernsee verfasst wurde, wird das Schachspiel erwähnt.

Organisiertes Schach jedoch finden wir in Deutschland erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts als in den großen deutschen Städten Berlin, Breslau und Hamburg Schachvereine gegründet wurden. Im Zuge der allgemeinen soziokulturellen, technischen und ökonomischen Entwicklung kam es in Deutschland unter gelegentlicher Überbetonung eines gutmütigen Nationalismus romantischer Prägung in den Jahren 1860 bis 1880 zur Gründung von regionalen Schach-Organisationen, die den Weg für die Gründung eines Allgemeinen Deutschen Schachbundes ebneten. Maßgeblichen Einfluß hatte dabei Dr. Dr. Max Lange (1832-1899), der schon frühzeitig publizistisch und auch praktisch-organisatorisch auf die Errichtung eines Deutschen Schachbundes hingearbeitet und die allgemeinen Zeichen der Zeit erkannt hatte. In einer Arbeit über die britische Schachassoziationen schreibt er: „In den Associationen oder grösseren Vereinigungen, welche sich unter den Genossen derselben Arbeit oder Beschäftigung über lokale Grenzen hinaus erstrecken, liegt heutzutage der Schwerpunkt fast aller gesellschaftlichen Entwicklung“.

Lange schildert im weiteren die Entwicklung der Schachassoziationen in England, deren erstes regionales Treffen in der Yorkshire Chess Association bereits 1841 und deren erste landesweite Versammlung als British Chess Association am 5. August 1857 erfolgt war, und zieht sie als Vorbild für Deutschland heran.

Nicht zuletzt dank Langes unermüdlicher Aktivitäten kam es in Deutschland in den Jahren 1861 bis 1877 zu mehreren Gründungen regionaler Schachvereinigungen. Bereits 1861 war die Gründung des Westdeutschen Schachbundes in Düsseldorf erfolgt. In Hamburg wurde zu Pfingsten 1868 unter Anwesenheit von Lange der 1. Norddeutsche Schachkongress veranstaltet und Lange in den Vorstand des neu gegründeten Norddeutschen Schachbundes gewählt. Die Veranstaltungen fanden rasch die Unterstützung namhafter Schachmeister von denen insbesondere die Paulsen–Brüder, Louis (1833-1891) und Wilfried (1828-1901), sowie Adolf Anderssen (1818-1879) zu nennen sind. Sie nahmen auch am zweiten Congress des Norddeutschen Schachbundes in Hamburg 1869 teil.

Der 1. Congress des Mitteldeutschen Schachbundes fand vom 27. bis 31. Dezember 1871 in Leipzig statt. Initiatoren waren Schachfreunde aus Leipzig und Altenburg. Im Veranstaltercomité waren insbesondere Vertreter des traditionsreichen Leipziger Schachvereins Augustea wie Hofrat Rudolf v. Gottschall, Hermann Haugk, Albert Hartmann, R. Schurig, Johannes Minckwitz, Lulius Lewy, C. Schwede, aber auch C. Pitschel (Altenburg), Ed. Dornstein (Nordhausen), Paul Heppe (Buchholz) und Dr. Hanns von Weissenbach (Dresden). Auch hier war Anderssen unter den Teilnehmern sowie Samuel Mieses aus Bad Ems (Onkel von Jacques), Göring, Pitschel, der Problemkomponist Arthur Gehlert und andere. Bemerkenswert in vielerlei Hinsicht ist hier das Fehlen von Lange und Paulsen, deren Fehlen bedauert wird. Als Zweck des Kongresses wurde ausdrücklich genannt: „Gründung eines Allgemeinen Deutschen Schachbundes“. Die Gründer des mitteldeutschen Schachbundes in Leipzig und hier insbesondere die Vertreter des Leipziger Schachvereins Augustea um den Universitätsprofessor Carl Göring (1841-1879), den Hofrat Rudolf von Gottschall (1823-1909) und den Kassierer Hermann Zwanzig (1837-1894) hatten es zu ihrem 1873 stattfindenden 25 jährigen Vereinsjubiläum nicht fertig gebracht, den ursprünglich geplanten zweiten mitteldeutschen Kongress zu veranstalten. Es dauerte weitere fünf Jahre bis im Juli 1876 der zweite Kongress des Mitteldeutschen Schachbundes stattfand und erst auf diesem zweiten Kongress kam es auch formal zur Gründung eines Mitteldeutschen Schachbundes.

Die Süddeutschen Schachfreunde taten sich noch schwerer. Zwar wurde 1874 ein Süddeutscher Schachbund gegründet, dessen Vorsitzende Meusch und Schwarzschild aus Frankfurt/M. und Mitglieder Schachfreunde aus Mainz und Mannheim waren, doch konnte er keine größere Bedeutung entwickeln.

Zur Gründung eines Ostdeutschen Schachbundes kam es gar erst nach 1877 als nach einem Aufruf von G. Schaumburg in Königsberg i. Preußen in der Zeit vom 6. Juli bis 9. Juli 1878 der I. Ostdeutsche „Schach-Congress“ stattfand. Die große Entfernung wurde als „Hinderniss einer allgemeinen Betheiligung des östlichen Deutschlands“ am allgemeinen Schachleben in Deutschland bezeichnet. Johannes Kohtz (1843-1918) lebte zu dieser Zeit in Königsberg und dürfte sicherlich zur Gründung mit beigetragen haben. Die Teilnehmer kamen aus den Städten Graudenz, Bromberg, Bartenstein, Pakamohnen bei Tilsit und Memel. Unter ihnen war auch der später als Theoretiker bekannter gewordene Oskar Cordel (1843-1913).

Die regionalen Schachtreffen zeichneten sich insgesamt durch eine ausgesprochen gemütliche und gesellige Atmosphäre aus. Anderssen hob beispielsweise in einer Rede hervor, „dass er bereits vielen Schach-Congressen beigewohnt habe, dass ihnen aber die Gemüthlichkeit gefehlt, durch die nur ein deutscher Schach-Congress sich auszeichnen könne“. Die Versammlungen hatten auch das Ziel, das schachliche Können auf breiter, allgemeiner Basis zu stärken und es wurde darüber hinaus die Notwendigkeit der Ausformung eines festen Regelwerks deutlich. So begann die Partie Max Lange gegen Wilfried Paulsen (1:0) am 4. August 1868 um 10.00 Uhr morgens und endete erst nach mehr als 17 stündigem ununterbrochenen Kampf um 2.00 Uhr nachts. Die stärksten Meister der Zeit wie Paulsen, Anderssen und Lange unterstützten die Bestrebungen der Schachspieler nach Kräften durch ihre Teilnahme an den Kongressen, so daß die von den Schachbünden organisierten Schachveranstaltungen eine auf die Entwicklung des Schachs in Deutschland außerordentlich positive Wirkung ausüben konnten.

Dennoch sollte die erstmals von Lange entwickelte Konzeption, eine Vereinigung aller deutschen Schachspieler unter dem Dach eines Allgemeinen Deutschen Schachbundes durch die Zusammenfassung mehrerer regionaler Schachbünde herbeizuführen, nicht zur Realisierung gelangen. Und auch der von Johannes Minckwitz 1872 unter dem Pseudonym Labourdonneltzky im Aprilheft der Deutschen Schachzeitung vorgetragene Versuch, der Schachbundidee durch die Gründung einer Aktiengesellschaft zur Aufbringung der zur Gründung eines Allgemeinen Deutschen Schachbundes notwendigen Geldmittel wieder aufzuhelfen, fand keine weitere Resonanz.

Die Ursache dafür ist heute, im Jahre 2002, nur schwer auszumachen. Es fehlte sicher nicht an der notwendigen publizistischen Unterstützung, an der zunächst in der Schachzeitung durch Max Lange und später in der Deutschen Schachzeitung durch Johannes Minckwitz

kein Mangel war und es fehlte auch nicht an einzelnen tatkräftigen Persönlichkeiten, die für das Schach bereit waren Geld, Freizeit und Ideen zu opfern, und auch nicht an starken bekannten Meistern, wie Anderssen, Paulsen und Lange. Vielmehr fehlte es an der alle begeisternden, die unterschiedlichen Charaktere der Schachspieler vereinigenden Idee, die dazu hätte führen können, daß die Trägheit der Schachfreunde in ihrer Gesamtheit hätte überwunden werden können, denn an dem Scheitern der Schachbund-Idee waren die Schachfreunde selbst nicht ganz unschuldig und es lag sicher auch, wie ein unbekannter Autor launig formulierte „an der Flauheit (sic!) der näheren und entfernteren, grösseren und kleineren Schachvereine“. Eine weitere Ursache dürfte die damals noch nicht gut entwickelte Verkehrssituation im Deutschen Reich gewesen sein, das der industriellen Entwicklung insbesondere von England deutlich hinterherhinkte. Erst in den späten 1870er Jahren hatten alle größeren deutschen Städte einen Eisenbahnanschluß und die größte Dichte im Schienennetz der Deutschen Reichsbahn war gar erst 1914 erreicht. So sollte es bis 1876 dauern, daß in Leipzig die Idee eines Deutschen Schachbundes erneut auf die schachpolitische Tagesordnung gebracht wurde.

  1. Die Gründung des DSB im Jahre 1877

Vom 9. bis 13. Juli 1876 fand in Leipzig der zweite mitteldeutsche Kongress statt. Es war keineswegs vorhersehbar, daß von diesem Kongress die Anregung zur Gründung eines Deutschen Schachbundes erfolgreich ausgehen sollte. Ganz im Gegenteil verdeutlicht die Darstellung eines Autors W. in der Deutschen Schachzeitung von 1876, die wegen ihrer plastischen Deutlichkeit an dieser Stelle wörtlich wiedergegeben werden soll, daß hinsichtlich der Gründung eines Schachbundes eher Pessimismus angesagt war. W. schreibt: „Als nun die ideelle Schöpfung des Congresses einmal vollzogen war, da ging die Leitung der gesammten materiellen Angelegenheiten in die Hände des dermaligen Cassirers der ‚Augustea’, des Herrn H. Zwanzig über, dessen rührige, energische Weise für die thatsächliche Abhaltung und Durchführung des Congresses von höchster Erspriesslichkeit war. Würden alle ‚Bundesmitglieder’ diesen praktischen Eifer bewähren, solcher Mühe und Arbeitslast sich unterziehen, solche wirkliche Aufopferung an den Tag legen, wie würden die ‚mitteldeutschen’ Schachcongresse der Zukunft floriren!

Doch gehen wir zu dem eben dahingerauschten Congresse selbst über. Aus der Erde gestampft wie er plötzlich war, schienen die Auspicien desselben gleichwohl sehr günstige zu sein und Berichterstatter muss aller Skeptik ungeachtet, die er dem Unternehmen von vornherein entgegenbrachte, gestehen, dass ihm dieser Congress eine brillante Erscheinung zu werden versprach. Freilich dass ich es nur ebenfalls gestehe, die Enttäuschung hinterdrein war mir eine schmerzliche! Denn man höre und staune: Dresden hatte sich in pecuniärer Beziehung in sehr gentiler Weise betheiligt, Cassel, mit der imponirenden Zahl von angeblich 102 Mitgliedern, setzte sich mit dem Leipziger Comité behufs Constituirung eines grossen allgemeinen deutschen Schachbundes in Verbindung, selbst das südlich gelegene, aber, der ungemeinen Dehnbarkeit des Begriffes ‚Mitteldeutschland’ zufolge, zur Noth noch darunter zu befassende Nürnberg hatte sich noch angeschlossen – nun, was will man mehr von einem mitteldeutschen Schachbund mit Pleiss-Athen an der Spitze?

Jedoch – weder am Vorabende – so zu sagen am heiligen Abend des Schachcongressfestes – am 9. Juli, noch am 10., noch an einem der folgenden Tage bereitete uns Dresden die Freude, auch nur einen seiner starken Spieler nach Leipzig zu entsenden, während diesmal sogar ein Kleeblatt derselben gerüchtweise verheissen war; weder am 9. noch am 10., noch an einem der folgenden Tage bereitete uns Nürnberg, mit seinem ein halbes Hundert Köpfe zählenden Club dieselbe Freude, weder vom 9. bis zum 13. Juli endlich hatte Cassel etwas anderes gethan, als einen ‚Ueberbringer seiner Grüsse’ entsendet, welcher – ‚o Zartgefühl erröthe du für mich!’ – dem Leipziger Congresscomité sinnig anvertraute, dass der Casseler Schachclub vor jeder über das luftige Wort für die Vereinigung der ‚zersplitterten’ Schachvereine hinausreichende Unterstützung des Unternehmens als vor einer ‚Beleidigung’ zurückscheue …“. W. schreibt weiter: „Die Turniere waren zu Ende und am Abend des 12. Juli war programmässig ‚Berathung in Bundesangelegenheiten“ zu halten. Unter der Leitung des Präsidenten der ‚Augustea‘, des geh. Hofraths Rud. Gottschall, verschritt man zu derselben. Die sanft entschlummerte Bundesidee wurde wachgerüttelt. Von dem Casseler Delegirten wurde, wie schon erwähnt, für einen grossen deutschen Schachbund gesprochen. Leider enthielt er sich aller näheren Andeutungen darüber, wie das zu machen sei. Für uns geht aus dem Ganzen bei dieser Gelegenheit Verhandelten und Nichtverhandelten – das letztere überwog bedeutend – nur so viel hervor, dass Leipzig allein keinen ‚mitteldeutschen Schachbund’ repräsentiren kann. Wohl kann es, wenn es so opferwillig sein will, zu seinem Privatvergnügen dann und wann einen ‚Schachcongress’ veranstalten, derselbe hängt aber dann lediglich von jener Stimmung ab und die Stimmung gehört zu dem ‚mulierum variabile genus’. So lange daher die Schachvereine Mitteldeutschlands in absoluter Theilnahmslosigkeit verharren oder sich doch auf ein Minimum von Theilnahme beschränken, spräche man daher passender von einem Leipziger Schachcongresse, der auswärtigen Schachspielern die Theilnahme in generöser Weise gestattet . … Caissa besser’s!“

Das Bild, das uns W. von den damaligen Schachzuständen recht eindrucksvoll liefert, macht noch einmal deutlich, daß die Teilnahmslosigkeit der Schachfreunde und der Schachvereine ein Hauptgrund für die unzureichende Weiterentwicklung der Schachbundidee gewesen war. Gleichzeitig zeichnet der Bericht aber aus heutiger Sicht auch eine Lösungsmöglichkeit vor, indem der tatkräftige Kassierer Hermann Zwanzig nämlich die Vereine selbst ansprechen und durch persönliche Kontaktaufnahme zur Mitarbeit am Deutschen Schachbund gewinnen konnte.

Zunächst aber musste noch die alle einigende, alle begeisternde Idee hinzutreten, daß Zwanzig zum großen Macher des Deutschen Schachbundes werden konnte. Am 13. Juli 1876, also ein Tag nach der Preisverleihung und der programmgemäßen Beratung der oben geschilderten Bundesangelegenheiten, als die „Champagnerpropfen lustig gegen die Decke zu knallen begannen“ schlug der gerade erst 35 Jahre alte Carl Göring für das nächste Jahr eine Anderssen-Feier vor. Wieder sei an dieser Stelle aus W.’s so anschaulichen Bericht zitiert: „dass … unter dem die Geister erlösenden Einflusse feurigen Rebenblutes eine glänzende Rede die andere, ein schwungvoller Toast den andern drängte, nachdem das Signal hierzu durch Gottschalls sonore Initiative gegeben war, dass Anderssen und M. Lange nicht zurückblieben, sondern sich auch als Meister der Kunst des Wortes bewährten? Es versteht sich ja Alles von selbst! Den Vogel schoss aber zuletzt Dr. Göring, der philosophische Schachmeister, ab, indem er, perorirend und toastirend, mit seiner Idee hervortrat, die, seltsam, wie sie im ersten Augenblicke an das Ohr der Festversammlung tönte, doch alsbald zündend in die Gemüther fiel und begeisterten Wiederhall fand. Er schlug nämlich vor – den ‚Altmeister’ im nächsten Jahre eine Partie (gleichsam eine Haupt- und Staatspartie) in Gestalt eines Jubiläumspreises gewinnen zu lassen, d.h. kurz heraus gesagt, zu Anderssens in das Jahr 1877 fallendem fünfzigjährigen Schachjubiläum einen Jubelcongress zu veranstalten.“

Und geradezu prophetisch muten die weiteren Worte von W. an, wenn er schreibt: „Wenn diese Gelegenheit nicht den ‚mitteldeutschen Schachbund’ galvanisch ins Leben zaubert, so ist er gewiss für alle Zukunft lebensunfähig. Doch was! Selbst zur Entstehung eines allgemeinen grossen ‚deutschen Schachbundes’ von Reichswegen böte sich hier die schönste Gelegenheit!“.

Die zündende Idee Görings, 1877 eine Anderssenfeier zu dessen 50jährigen Schachjubiläum zu veranstalten, sollte zur Geburtsstunde des Deutschen Schachbundes werden. Die allseits beliebte Persönlichkeit Anderssens, der, so weit aus den Quellen ableitbar ist, so gut wie keine Feinde gehabt hat, gepaart mit dessen Popularität im ganzen Land als Sieger des Londoner Turniers 1851, konnte die deutschen Schachfreunde im wilhelminischen Deutschen Reich von 1877 vereinigen und der Schachbundidee zum Durchbruch verhelfen. Dabei beförderte ein gutmütiger Nationalismus romantischer Prägung die Anfangsentwicklung des Schachbundes ganz außerordentlich. Es soll an dieser Stelle der Hinweis erfolgen, daß aus keiner der heute allgemein zugänglichen Quellen auch nur die Andeutung eines wie auch immer gearteten Antisemitismus ableitbar ist. Es scheint im DSB zumindest vor 1900 keine antisemitischen Ressentiments von hinreichender Wirkungsmächtigkeit, daß sie Eingang in die Berichterstattung gefunden hätten, gegeben zu haben. Wohl sind nationale, der Zeit entsprechende Töne zu hören gewesen, antisemitische Äußerungen aber sind im Ganzen nicht bekannt geworden.

Die Anderssen-Feier fand in Leipzig vom 15. bis 18. Juli 1877 statt. Es erfolgte unter anderem die Überreichung einer kunstvoll gefertigten Anderssen-Säule an den Jubilar, die dessen Erfolge auf dem Schachbrett verherrlichte und die später vom Dresdner Schachverein gekauft wurde. Die Säule bestand aus schwarzem Marmor und war von einem breiten Eichenlaubband aus Gold und Silber umwunden. Sie ruhte auf einem Sockel nebst terassenförmiger Basis aus Serpentinstein. Auf der Säule stand die silberne Figur der Caissa, als Attribut das Schachbrett haltend und mit der Rechten dem Meister einen goldenen Ehrenkranz bietend. Der Sockel trug auf der Vorderseite die Inschrift: „Dem deutschen Schachmeister Prof. Dr. Adolph Anderssen zum fünfzigjährigen Schachjubiläum. Seine Freunde und Verehrer“, auf der Rückseite aber ein Diagramm mit der Endstellung der Partie, mit der Anderssen 1851 seinen Sieg gegen den Engländer Howard Staunton entschied. Innerhalb einer um das Diagramm geschlungenen Girlande waren die Daten verschiedener Hauptsiege Anderssens angebracht (London 1851, London 1862, Baden-Baden 1870, Wien 1873, Leipzig 1871, Leipzig 1876).

Am 18. Juli ab 14.00 Uhr trafen sich etwa 50 Schachfreunde darunter Max Lange, Zukertort, Eduard Hammacher, Adolf Anderssen, Dr. Constantin Schwede, Dr. Rudolf Gottschall, Hermann Zwanzig und andere im Trianonsall des Schützenhauses zu Leipzig. Noch immer überwog die Skepsis bei dem kundigen Kenner der deutschen Schachszene, denn Schwede (1854-1917) schrieb in der Deutschen Schachzeitung: „Nach Aufhebung der Tafel wurde die Berathung behufs Stiftung des deutschen Schachbundes begonnen. Offen herausgesagt: sie nahm leider den gleichen Verlauf, wie frühere Versuche derselben Art. Die Mahnung Attinghausens: ‚Seid einig, einig, einig!’ hatte keinen Eingang in die Herzen der Schächer gefunden, und so kam es denn, dass gleich bei der ersten Frage ‚Soll die Ausdehnung des deutschen Schachbundes über die politischen Grenzen Deutschlands hinausgehen oder nicht?‘ die parlamentarische Ordnung nicht unbedenklich gestört wurde. Das Ende vom Lied war, daß ein ziemlich inopportuner Schlussantrag diese wichtige Vorfrage zu den Todten warf.

Die Beschlüsse beschränkten sich auf drei sehr allgemeine Paragraphen.

  1. Es wird ein deutscher Schachbund mit wechselndem Vorort gegründet.
  2. Nächster Vorort ist Leipzig, und wird Herrn H. Zwanzig (dessen bisherige aufopfernde Thätigkeit sich allgemeiner Anerkennung zu erfreuen hatte) die Leitung der Geschäfte übertragen.
  3. Alle 2 Jahre findet ein Congress des Bundes statt.

Hoffen wir, dass diesen Beschlüssen die Thatsache nachfolgt! Allzuviel Vertrauen darf man aber nach früheren Erfahrungen wohl nicht darauf setzen!“.

                                                                                                     Hermann Zwanzig, Festschrift 1927

Dennoch, der Anfang war gemacht und in der Folgezeit realisierte Hermann Zwanzig durch persönliche Kontaktaufnahme zunehmend die Vereinigung der deutschen Schachfreunde. Dabei kam ihm zustatten, daß er bereits im Vorfeld zur Organisation der Anderssen-Feier, nämlich im Jahre 1876, viele Vereine persönlich und schriftlich kontaktiert hatte, um sie zur Teilnahme an Anderssens Jubiläumsfeier in Leipzig zu bewegen. Zwanzig war von Beruf Kaufmann und handelte mit Spitzen. Seine kaufmännische Tätigkeit machten eine ausgiebige Reisetätigkeit notwendig und er nutzte diese Reisen, um die Schachvereine zum Beitritt und zur Mitarbeit im neu gegründeten DSB zu veranlassen. Zumindest zu Beginn seiner Tätigkeit für den DSB im Jahre 1878 muß Zwanzig jedoch noch an den von Max Lange vorgezeichneten Weg der Vereinigung lokaler Schachbünde geglaubt haben, denn auf sein Betreiben hin fand vom 23.-25 August 1878 in Altona der erste Nordalbingische Schachcongress statt, auf dem der Nordalbingische Schachbund gegründet wurde und der die norddeutschen Schachspieler für den DSB gewinnen sollte. Die Schachbünde waren aber, wie oben bereits ausgeführt, so wenig in sich selbst gefestigt, daß der Ansatz einer sukzessiven Vereinigung derselben, soviel muß Zwanzig im Sommer 1878 deutlich geworden sein, wenig erfolgversprechend gewesen wäre. Im Gegensatz zu Lange ging Zwanzig also den mühsamen Weg über die Rekrutierung der Vereine selbst. Noch im Oktober 1877 erstellte er ein Rundschreiben mit der Aufforderung dem DSB beizutreten, das er an die deutschen Schachvereine und Schachfreunde versendete. Im Oktober 1878 ließ er ein zweites Rundschreiben desselben Inhalts folgen und gab darüber hinaus Mitteilung über den Stand der Angelegenheit.

Am 1. Mai 1879 konnte das Kongresskomité, das den Kongress zu Leipzig 1879 vorbereitete, berichten, daß 59 Schachvereine dem Deutschen Schachbunde beigetreten waren. Sie sollen an dieser Stelle aus historischen Gründen aufgeführt werden: Aachen, Altenburg, Altona, Annaberg, Apolda, Aue im Erzgebirge, Augsburg, Bamberg, Barmen (Schachklub), Berlin (Schachgesellschaft), Berlin (Schachklub), Berlin (Akademischer Schachklub Berlin (Germania), Braunschweig, Bremen (Klub Morphy), Breslau, Bromberg, Cassel, Celle (Schachklub), Celle (Schachkränzchen), Coburg, Cöln a. Rh., Crefeld, Darmstadt, Dresden, Driesen, Eilenburg, Frankfurt a. M., Flensburg, Friedeberg N. M., Görlitz, Göttingen, HaIberstadt, Halle a. S., Hannover, Heide i. Holstein, Itzehoe, Landsberg a. Warthe, Leipzig (Augustea), Leipzig (Akademischer Schachklub), Leipzig (Cafe Francais), Liegnitz, Löberitz b. Halle, Lüneburg, Magdeburg (Schachgesellschaft), Münster, Nürnberg, Posen, Potsdam, Prenzlau, Säckingen i. Baden, Stettin, Trier, Tübingen (Akademischer Schachklub), Weimar, Wesselburen, Wriezen, Wurzen, Zabrze i. Oberschl.. Laut Mitteilung der Deutschen Schachzeitung traten am Kongress selbst noch mindestens drei weitere Vereine nämlich die Schachvereine aus Chemnitz, Fulda und Stolberg dem DSB bei, sodaß eine Gesamtzahl von 62 Gründer-Vereinen resultiert.

Ein Blick auf die Landkarte Deutschlands zeigt, daß der Deutsche Schachbund zum Zeitpunkt seiner Gründung in allen Reichsgebieten zumindest mit einem oder einigen wenigen Vereinen repräsentiert war. Aus Sachsen traten neun Vereine dem DSB bei (Aue im Erzgebirge, Chemnitz, Dresden, Eilenburg, Görlitz, Leipzig drei mal und Wurzen), aus Berlin-Brandenburg sieben Vereine (Berlin mal vier, Potsdam, Prenzlau und Wriezen, aus Schlesien und Posen, die heute Polnisch sind, ebenfalls sieben Vereine (Breslau, Bromberg, Landsberg, Liegnitz, Posen, Stettin und Zabrze) und aus Nordrhein-Westfalen ebenfalls sieben Vereine (Aachen, Barmen, Celle mal zwei, Cöln, Crefeld und Münster). Aus Schleswig-Holstein kamen fünf Vereine (Flensburg, Heide, Itzehoe, Lüneburg und Wesselburen), vier Vereine Vereine kamen aus Hessen (Cassel, Darmstadt, Fulda und Frankfurt am Main) ebenso wie aus Sachsen-Anhalt (Halberstadt, Halle, Löberitz und Magdeburg) und Bayern (Augsburg, Bamberg, Coburg und Nürnberg). Jeweils drei Vereine kamen aus Baden-Württemberg (Annaberg, Säckingen und Tübingen), Niedersachsen (Braunschweig, Göttingen und Hannover) und Thüringen (Altenburg, Apolda und Weimar). Aus Rheinland-Pfalz trat der Trierer Schachverein dem DSB bei und auch die Stadtstaaten Bremen und Altona (Hamburg) waren mit je einem Verein im DSB vertreten.

Es wird deutlich, daß bei der Gründung des DSB nur Vereine innerhalb der Reichsgrenzen vertreten waren und damit die „kleindeutsche“ Lösung unter Ausschluß von Österreich und von Gebieten der angrenzenden Länder, in denen große deutsche Minderheiten lebten, realisiert worden war. Immerhin waren aber im Juli, beim Kongress selbst, die beiden Wiener Schachmeister Englisch und Schwarz anwesend. Sie spielten im Meisterturnier mit und nahmen als Gäste auch an der Generalversammlung des DSB teil. Dabei brachte von Gottschall „ein Hoch aus auf die Schachspieler in Österreich, speciell auf die Wiener Schachgesellschaft und deren Delegirte, die Herren Englisch und Schwarz. Der Deutsche Schachbund werde bereitwilligst Hand in Hand gehen mit den befreundeten Nachbarn, und es stehe zu hoffen, das die Form gefunden werde, die einen Anschluss der Oesterreicher an den Deutschen Schachbund und ein dann gemeinschaftliches Wirken ermögliche.“ Die Gesamtkonstitution des DSB war dennoch in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig, denn Einzelpersonen aus dem Ausland konnten Mitglied im DSB werden, wenn sie Mitglied in einem deutschen Schachverein waren. Später sollte diese Uneindeutigkeit, auch hier den allgemeinen soziopolitischen Verhältnissen in Europa folgend, noch für Diskussionsstoff sorgen.

Zwanzig erarbeitete eine Satzung, die am 15. Juli 1879 in Leipzig auf dem ersten Kongress des DSB von der Generalversammlung verabschiedet wurde und an der auch Hofrath Dr. von Gottschall, Prof. Dr. Göring, Stadtrath Ed. Hermsdorf, Dr. Max Lange, Johannes Minckwitz und Richard Wuttig, sämtlich aus Leipzig, mitwirkten.

Die „Statuten des Deutschen Schachbundes“ von 1879 umfassten gerade einmal sieben Paragraphen. Sie waren damit äußerst kurz gefasst und regelten nur das Notwendigste. Neben allgemeinen Regelungen zur Beitragshöhe, der Beschlussfassung der Versammlung usw. sind es insbesondere drei Merkmale, die in der Folgezeit von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des DSB werden sollten. Zum einen konnten, wie oben bereits erwähnt, nach § 2 nicht nur Schachvereine, sondern auch Einzelpersonen Mitglieder des Bundes werden. Zum anderen regelte § 4 die Stellung des Generalsekretärs, der „mit der dauernden Verwaltung der Bundesangelegenheiten betraut“ wurde und in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Platzausschuss die Vorbereitungen für den nächst bevorstehenden Kongress zu tätigen hatte. Die Position des Generalsekretärs entfaltete damit sowohl per Satzung, als auch de facto durch die Organisation des jeweils nächsten Bundeskongresses, der gemäß den Statuten alle zwei Jahre zur Ausführung gelangen sollte, eine außerordentlich mächtige Wirkung, was zunächst, so lange Zwanzig das Amt mit energischer, aber gerechter Hand führte, und von Kongress zu Kongress einmütig wiedergewählt wurde, keinerlei Anlass für Konflikte bot.

Das dritte Merkmal bezieht sich auf die allgemeine juristische Konstitution des Bundes. So weit aus den Quellen ableitbar ist, war der 1877 gegründete Bund keine juristische Person im eigentlichen Sinne und hatte demgemäß keine Möglichkeit, dauerhaftes Vermögen zu erwerben. Sein Sitz wechselte alle zwei Jahre von Kongressort zu Kongressort. So wurden beispielsweise bis in die späten 1890er Jahre hinein Spielmaterial, Pokale und Flaggen sowie anderweitiges Dekorationsmaterial zur Veranstaltung der Festlichkeiten, von Kongressort zu Kongressort weitergegeben, wobei es dem jeweiligen Kongressort letztlich oblag, für die ordnungsgemäße Ausstattung in materieller Hinsicht zu sorgen. Der Bund selbst hatte infolge seines niedrigen Beitragsaufkommens und der fehlenden Möglichkeiten, Vermögen beispielsweise durch Erbschaften zu erwerben oder anzusammeln, nahezu keine Aussichten, an dieser so wichtigen Stelle aktiv gestaltend einzuwirken. Es wird später im Zusammenhang mit der Diskussion um die Position Max Langes näher auf diesen juristischen Tatbestand einzugehen sein.

Zwanzig organisierte im Verein mit den Schachfreunden der jeweiligen Vororte insgesamt acht Kongresse nämlich 1879 in Leipzig, 1881 in Berlin, 1883 in Nürnberg, 1885 in Hamburg, 1887 in Frankfurt/M., 1889 in Breslau, 1892 in Dresden und 1893 in Kiel. Über alle Kongresse berichten Kongressbücher, die als einzigartige Dokumente in die Schachgeschichte eingegangen sind. Sie liefern auch heute noch interessante Einblicke in die Schachwelt vergangener Zeiten und legen Zeugnis ab von der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Schachspiels in Deutschland.

Hermann Zwanzig war unermüdlich für den DSB tätig. Als er 1894, im Alter von nur 56 Jahren auf einer Geschäftsreise einem Herzinfarkt erlag, umfasste der DSB etwa 90 Schachvereine. Sein Organisationstalent und seine allseits geschätzte Kompetenz und Autorität sollten dem zu dieser Zeit gerade erst 17 Jahre alten Deutschen Schachbund bald fehlen.

1880 – 1918

Konsolidierung und Umbruch (1880-1918)

Die Zeit von 1880 bis zum Ende des ersten Weltkrieges im Jahre 1918, der die bis dahin geltende und mühsam aufrecht erhaltene Ordnung Europas vollständig zerstörte und damit auch das Schachleben einer tiefen Zäsur unterwarf, kann hinsichtlich der Geschichte des hier interessierenden Deutschen Schachbundes im wesentlichen in zwei Zeitabschnitte gegliedert werden.

3.1. Die Zeit der Konsolidierung (1880-1894)

Nachdem insbesondere Hermann Zwanzig, aber auch einige andere tatkräftige Persönlichkeiten wie Emil Schallopp (1843-1919) und vor allem die Leipziger Schachfreunde um Hofrat Rudolf von Gottschall (1823-1909) von der „Augustea“ und Dr. Max Lange (1832-1899), die Gelegenheit der Anderssen Jubiläumsfeier 1877 in Leipzig und die dort anhaltende Begeisterung zur Gründung des Deutschen Schachbundes genutzt hatten, kam es in der Folgezeit im wesentlichen darauf an, den Bund zu festigen und inhaltlich mit Leben zu füllen, damit die Schachfreunde in Deutschland die Existenzberechtigung des Bundes anerkennen konnten. In erster Linie bot sich hierzu, wie im übrigen auch unter § 1 der Statuten als Hauptzweck des DSB festgelegt, die Abhaltung regelmäßiger internationaler Kongresse an. Die internationalen Schachkongresse des DSB sollten überaus erfolgreich werden, denn sie erfüllten die Wünsche vieler Schachfreunde. Sie wurden ganz wesentlich durch die Person und den autoritären Führungsstil Hermann Zwanzigs geprägt und es mag eine Art Feuerzangenbowlen-Atmospäre geherrscht haben, in der Zwanzig im Stile des Rektor Knauer die Lage zwar autoritär, wie im wilhelminischen Deutschen Reich auch andernorts üblich, aber doch umsichtig und sensibel regelte. Die internationalen Kongresse des Deutschen Schachbundes sind durch die vorliegenden Kongressbücher gut dokumentiert und einzigartig in der Kulturgeschichte des Schachs. Sie stellen ein für alle Zeiten bleibendes Denkmal Deutscher Schachkultur dar und legen Zeugnis ab von einer beispiellosen Erfolgsgeschichte des organisierten Schachs in Deutschland. Diese Zeit darf im Rahmen der hier vorliegenden Trilogie zur Geschichte des Deutschen Schachbundes schon alleine deshalb eine herausragende, detaillierte Darstellung beanspruchen. Der Autor hat dennoch gerade im Hinblick auf die jedermann zugänglichen Reprints des verdienstvollen Olms-Verlages versucht, die Vorgänge um den DSB in der gebotenen Kürze wiederzugeben.

Bereits der in der Reichshauptstadt Berlin unter der Organisation von Emil Schallopp (1843-1919) durchgeführte zweite Kongress des DSB im Jahre 1881 sah ein starkes Teilnehmerfeld. Schallopp, der auch die ersten drei Kongressbücher des DSB verfasste, unterstützte den neu gegründeten DSB nach Kräften. Im Meisterturnier spielten u.a. Blackburne, Mason, die Paulsen-Brüder, Riemann, Schallopp, Tschigorin, Winawer und Zukertort. In Abweichung vom 1. Kongress wurde im Meisterturnier nur eine Partie pro Tag mit einer Bedenkzeit von 15 Zügen/Stunde gespielt (das Hauptturnier verlangte zwei Partien pro Tag). Sieger wurde mit deutlichem Abstand Blackburne (1841-1924) vor Zukertort, Tschigorin, Winawer und Mason, was bei den deutschen Schachfreunden für nicht unerhebliche Enttäuschung sorgte, war doch der beste, wirklich „deutsche“ Teilnehmer, nämlich Minckwitz, nur als geteilter Siebter in’s Ziel gekommen.

Zwanzig, zum Generalsekretär auf Lebenszeit gewählt, hatte weiterhin unermüdlich auf seinen Reisen in Deutschland für den DSB geworben. Mittlerweile (1881) gehörten dem DSB 75 Vereine an, was einer Steigerung um 13 Vereine entsprach. Zwanzig erarbeitete unter Mitwirkung von Minckwitz, Riemann, Schallopp, Dr. Schmid und Wemmers neue Statuten, die auf dem 3. Kongress in Nürnberg 1883 mit nur geringen Änderungen angenommen wurden. Die Satzung war umfangreicher geworden und umfasste nunmehr 13 Paragraphen. Die Stellung des Generalsekretärs war stark. Im Turnier von 1883 gewannen wieder Ausländer die ersten Preise. Winawer wurde Sieger im Meisterturnier vor Blackburne, Mason und Berger. Am Nebenturnier nahm mit Phillipp Valerius auch ein Schachspieler aus Offenbach/M. teil. Das Festbankett konnte sich sehen lassen und wurde von 120 Mitgliedern des Kongresses besucht.

Die humoristisch gehaltene Speisekarte ist ein Meisterstück an Einfallsreichtum.

Die Generalversammlung war kurz und wenig kontrovers. Zwanzig berichtete, daß nunmehr 86 Schachvereine Mitglied seien, was einem erneuten Zuwachs von 18 Vereinen mit etwa 150 Mitgliedern entsprach. Veranlassung zu einer kurzen Diskussion bot lediglich eine von der Schachgesellschaft zu Offenbach/M. ausgehende Anregung zur Schaffung eines Bundesabzeichens. Weil die Ansichten hierüber jedoch sehr divergierten, wurde ein Beschluss in dieser Angelegenheit nicht gefasst, sondern dieselbe vielmehr dem Generalsekretär zur weiteren Erwägung überwiesen.

Der vierte Kongress des DSB fand 1885 in Hamburg statt. In dem von Minckwitz über den vierten Kongress 1885 in Hamburg herausgegebenem Kongressbuch wird auf das babylonische Sprachengewirr abgehoben, das die zum vorläufigen Vereinigungspunkt bestimmten Alsterhalle füllte. Es kann durchaus beispielhaft als Beleg dafür herangezogen werden, wie kosmopolitisch und weltoffen die Atmosphäre der Kongresse des DSB waren. Dabei war von Antisemitismus keine Spur. Minckwitz schreibt im Kongressbuch: „Hier bot sich dem Auge des unbefangenen Beobachters bald ein buntes Bild und dem lauschenden Ohre ein babylonisches Sprachengewirr dar. Wohlbekannte, auf allen größeren Kongressen vertretene, schachverdächtige und schachunverdächtige Physiognomieen aus aller Herren Länder tauchten auf. Dort die charakteristischen Köpfe der Schachhäupter und Schachhäuptlinge Capitän Mackenzie, Bird, Schallopp; hier das wohlwollende, von kurzem schwarzen Barthaar eingerahmte Antlitz des würdigen Herrn Generalsekretärs, daneben die breitschulterige, etwas vornüberhängende Gestalt des Herrn E. Hartwig und die geschmeidige des Herrn H. C. Fischer; da wieder die hohe ‚bis zum Genick reichende’ Denkerstirn des Herrn Dr. Schmid und die biderbe Persönlichkeit Wilfried Paulsens, sowie die unscheinbare, mit klugen, Witz und Ironie sprühenden Augen bedachte des kleinen Zukertort, und das muntere, Gesundheit strahlende, bartlose Gesicht Schurigs u.s.w.: Alt und Jung durcheinander. Nicht minder interessant das Sprachengewimmel. Hier plaudert das schneidige Berliner Kind mit einem gemütlichen, nonchalanten Österreicher, das heitere ‚Münchener Kindl’ mit den Hauptturnierspielern und eifrigen Schachjüngern Hamburgs – Joseph und Benjamin (die biblische Geschichte ist also vertreten: wir finden da u.a. noch einen David, wenn auch nicht Psalmensänger, so doch Konzertmeister!), dort scherzen und lachen die fröhlichen Studiosi oder vor kurzem in das Philisterland gezogenen alten Häuser W. Bauer, Dr. Tarrasch, Riemann, Mendelssohn, Seufert. Dr. Kauders und Professor Berger debattieren über die bevorstehende Entscheidung im Problemturnier … . Die Engländer radbrechen in deutscher, die Deutschen in englischer Sprache. Kurzum:

Ein Vergnügen eig’ner Art

Ist doch so’ne Schächerfahrt“.

Das Hauptturnier war in Hamburg so zahlreich besucht, daß vier Gruppen gebildet werden mußten. Aus der Siegergruppe ging Max Harmonist (1864-1907), königlicher Erster Tänzer, als Sieger hervor. Traditionsgemäß fand wieder eine Blindsimultanvorstellung statt, wobei Alexander Fritz (der blinde Hesse) gegen dieselbe Frau Hofschauspielerin Beck wie bereits 1883 in Nürnberg in galanter und liebenswürdiger Weise ein Remis abgab. Selbstverständlich wurde auch wieder ein Problemturnier veranstaltet. Ein Ausflug nach Blankenese, eine Hafenrundfahrt und die Rückkehr auf dem Alsterbassin in Mondscheindurchfluteter Nacht blieben allen Teilnehmern in angenehmer Erinnerung.

In der Generalversammlung wurde im Zuge eines vom Schachklub Darmstadt gestellten Antrages, den Generalsekretär mit einer Aufwandsentschädigung auszustatten, die Verdienste Zwanzigs um den DSB noch einmal ausdrücklich hervorgehoben. Die Versammlung bejahte die grundsätzliche Notwendigkeit einer Aufwandsentschädigung und es wurde eine Kommission bestehend aus Minckwitz, Schallopp und Riemann gebildet, die die Aufwandsentschädigung für die zurückliegenden Jahre auf insgesamt RM 150.- und für das kommende Jahr auf RM 150.- festlegte. Die Aktivitäten der Hessischen Schachvereine aus Frankfurt/M., Darmstadt und Offenbach/M. am Main dürften sicherlich der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß der Vorsitzende des Schachklubs in Frankfurt, Wilhelm Bauer, den Zuschlag zur Ausrichtung des fünften Kongresses des DSB erhielt.

Dieser fand vom 17. Juli bis 31. Juli 1887 statt und hatte erneut großen internationalen Zuspruch. Die Kongresse des DSB, der nunmehr aus 92 Vereinen mit etwa 2500 Mitgliedern bestand, hatten sich zu allseits beliebten und anerkannten Schachturnieren entwickelt. Journalisten aus der ganzen Welt berichteten über die Turniere. Aus London waren regelmäßig Leopold Hoffer (1842-1913) als Berichterstatter für den von ihm und Zukertort (1842-1888) herausgegebenen Chess Monthly anwesend. Am Meisterturnier in Frankfurt nahm eine erlesene internationale Meisterschar teil: Mackenzie, New York, Blackburne, Gunsberg und Zukertort aus London, Burn aus Liverpool, Taubenhaus aus Paris, Schiffers und Alapin aus St. Petersburg, Weiss und Englisch aus Wien, Berger aus Graz, Dr. Noa aus Großbecskerek, Schallopp, von Bardeleben, Harmonist und von Schweve aus Berlin, von Gottschall aus Leipzig, L. Paulsen aus Blomberg, Metger aus Kiel, Tarrasch aus Nürnberg, und Fritz aus Darmstadt. Mackenzie gewann vor Blackburne und Weiss. Der Amerikaner Mackenzie spielte das Turnier seines Lebens und holte den ersten Preis im Meisterturnier. Der Offenbacher Phillipp Valerius holte in einem Nebenturnier mit drei aus sechs Punkten 50%. Das Geselligkeitsprogramm führte die Teilnehmer zu Ausflügen in den malerischen Rheingau mit Besichtigung des Niederwalddenkmals und der Burg Rheinfels. Alexander Fritz (der singende Hesse) gab eine Kostprobe seiner Gesangeskunst.

1889 traf man sich in Breslau. Tarrasch, 27 Jahre alt, holte den ersten Preis. Endlich hatte ein Deutscher und noch dazu ein „Kind aus Breslau“, der Stadt Anderssens, des Vorkämpfers Deutschlands, den Sieg errungen, was die nationale Seele der Deutschen außerordentlich labte.

Der Sieg des Juden Tarrasch (1862-1934) wurde von den Schachfreunden im Deutschen Reich des Jahres 1889 als selbstverständliche Normalität angesehen. Tarrasch war zum Nachfolger Adolf Anderssens geworden und sollte späterhin auch den Titel Praeceptor Germaniae erhalten. Amos Burn, in Frankfurt noch abgeschlagen auf dem 11. Rang, erzielte den zweiten Platz und ließ sich sein Preisgeld – ganz der englische Snob – in englischen Goldmünzen auszahlen. Der 21jährige Emanuel Lasker (1868-1941) siegte im Hauptturnier und errang damit die Berechtigung zur Teilnahme am Meisterturnier des nächsten Kongresses. Alexander Fritz (1857-1932) aus Hessen gab das traditionelle Blindlingssimultan gegen zehn Gegner, bei dem er fünf Partien gewann, zwei remisierte und drei Partien verlor und sorgte dabei in der allgemeinen Bevölkerung für nicht unerhebliches Aufsehen. Die Werbewirksamkeit dieser Blindvorstellungen war erheblich. Das Geselligkeitsprogramm konnte sich mit den Höhepunkten in Hamburg (Alsterfahrt) und Frankfurt (Rheingaufahrt) messen und endete mit einem Feuerwerk während einer Dampferfahrt auf der Oder. Am Festmahl nahmen etwa 70 Personen teil.

An der am Sonntag, den 14. Juli 1889, abgehaltenen Generalversammlung nahmen nur wenige Vereine teil. Der Bund umfasste 96 Vereine mit etwa 2600 Mitgliedern und hatte damit seine Höchstmitgliederzahl erreicht und es war eine gewisse Stagnation im Verlauf zum vorherigen Kongress nicht zu übersehen. Zwanzigs Position war unverändert stark und unangefochten. Seine Kassenführung und Tätigkeit war tadellos, sodaß ihm die Versammlung Entlastung erteilte. Bemerkenswert ist, daß die Versammlung eine Ermäßigung des Bundesbeitrags für einen Arbeiterschachverein beschloß. Schach war zum weitverbreiteten Spiel geworden. Von besonderer Bedeutung war die Verabschiedung einer Problemturnier-Ordnung, welche unter führender Beteiligung des Österreichers Johann Berger (1845-1933) im Einvernehmen mit Kürschner, Kockelkorn und von Gottschall erarbeitet worden war.

Die Turniere des Deutschen Schachbundes waren zur Kader- und Theorieschmiede geworden und es erstaunt deshalb ganz besonders, daß ein Name auf den Teilnehmerlisten jener Jahre immer fehlt: Wilhelm Steinitz (1836-1900). Steinitz im deutschen Kulturkreis groß geworden, lebte zwar seit Mitte der 1880er Jahre in New York, doch wäre eine Teilnahme an den Turnieren des DSB logisch gewesen. Ein Grund für das Fehlen von Steinitz könnte in der Nähe von Leopold Hoffer und Johannes Zukertort zu den Kongressorganisatoren zu suchen sein. Zukertort und Hoffer waren beide seit Beginn der DSB-Kongresse regelmäßige Besucher und Teilnehmer an denselben. Steinitz hatte schon zu seiner Londoner Zeit Ärger mit Zukertort. Der Budapester Leopold Hoffer und der Prager Wilhelm Steinitz, beide der deutschen Sprache mächtig, führten über ihre Schachzeitungen (The Chess-Monthly, Hoffer; The International Chess Magazine, Steinitz) einen erbitterten Streit. So sollte Steinitz erst 1898 in Köln auf der „Suche“ nach seinem im Mai 1894 an Lasker verlorenen Weltmeistertitel einen Kongress des Deutschen Schachbundes besuchen.

Im Hinblick auf das schwache Erscheinen der Vereine in Breslau 1889 gestaltete sich die Auswahl des nächsten Vorortes als schwierig und so fand der nächste Kongress des DSB erst drei Jahrespäter 1892 in Dresden statt. Der Bund schwächelte und hatte hinsichtlich seiner Mitgliederzahl den Zenit überschritten, denn er zählte mit 92 Mitgliedsvereinen sechs weniger als im Jahre 1889. Dennoch – das Geselligkeitsprogramm konnte sich mit den vorherigen Festlichkeiten in Hamburg, Frankfurt und Breslau wohl messen. Das Festbankett fand am Dienstag, den 19. Juli 1892 im großen Saal der Philharmonie statt und wurde durch die Anwesenheit des Altmeisters Max Lange, der extra aus Leipzig nach Dresden gekommen war, geehrt. Etwa 100 Gäste hatten sich eingefunden. Etwa 70 Gäste nahmen auch an der Dampferfahrt auf der Elbe in die sächsische Schweiz teil. Paul Schellenberg (1843-1920) veröffentlichte seinen vollkommenen Schachkorkser für 1 M 50. Das Turnier war von vielen Streitfällen geprägt und die Schiedskommission musste fast permanent tagen. Tarrasch wurde zum zweiten Mal Sieger, diesmal mit 1,5 Punkten Vorsprung und erhielt den mit 1000 Mark üppig dotierten Preis.

In der Generalversammlung, die bislang regelmäßig wenig kontrovers verlaufen war, musste Zwanzig erstmals seine ganze Autorität in die Waagschale werfen, um den Bund nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Anlaß war der von Schallopp vorgetragene Antrag der Berliner Schachgesellschaft, der DSB wolle beschließen, „daß in seinen Kongressen abwechselnd nationale und internationale Meisterturniere abgehalten werden“. Zwanzig anerkannte zwar einerseits die Notwendigkeit zur Abhaltung von nationalen Turnieren, argumentierte aber andererseits, daß dies in Abweichung vom Begehren der Berliner Schachgesellschaft nur nach und nach geschehen könne, zumal der Bund nicht die finanziellen Mittel habe, um zusätzlich zu den internationalen Turnieren auch noch nationale Turniere materiell zu unterstützen. Vielmehr müssten die Klubs die Nationalturniere, wenn sie sie denn veranstalten wollten, selbständig und ohne Zuschuß aus der Bundeskasse veranstalten. Gleichzeitig verwahrte er sich gegen eine in seinen Augen „herabwürdigende Kritik“, die in den einleitenden Worten zum Antrag der Berliner Schachgesellschaft zum Ausdruck gekommen war. Es ist bei der Lektüre der diesbezüglichen Berichterstattung spürbar, daß Zwanzig alle Register seiner ihm über die Jahre zugewachsenen Autorität benutzen mußte, um den Antrag der Berliner abzuschmettern. Unterstützung fand er dabei zunächst durch Tarrasch (Nürnberg), Metger (Kiel) und Seeger (Breslau). Freilich waren auch die Berliner nicht einheitlich in der Vertretung ihrer Interessen. Zwar war der Antrag publizistisch durch Albert Heyde und seine Mitarbeiter Heinrich Ranneforth und Oscar Cordel in dem von Heyde herausgegebenen Deutschen Wochenschach vorbereitet worden, doch scherte Cordel aus der Front aus und milderte den Druck auf Zwanzig ab. Nach lebhafter Diskussion einigte man sich schließlich einstimmig auf die von Cordel formulierte und von Tarrasch modifizierte Antragsfassung: „Die Delegiertenversammlung spricht den Wunsch aus, daß der Deutsche Schachbund nach Möglichkeit außer den alle zwei Jahre zu veranstaltenden Turnieren auch die Veranstaltung nationaler Turniere in die Hand nehmen möge“. Eine wachsweiche Formulierung, die dem Generalsekretär unverändert freie Hand ließ. Auch ein weiterer Antrag der Berliner Schachgesellschaft, der maßgeblich von Albert Heyde inspiriert war, nämlich der Deutsche Schachbund wolle beschließen, daß „die Veröffentlichungen des Bundes durch den Generalsekretär den gelesensten deutschen Schachzeitungen zugehen sollen“ wurde aus formalen Gründen abgelehnt. Die Art und Weise wie insbesondere dieser Antrag aus bloß formalen Gründen und nicht etwa nach inhaltlicher Diskussion abgelehnt wurde, hat sicherlich Verletzungen auf Seiten der Berliner hinterlassen. Sie dürften mit dazu beigetragen haben, in Berlin eine dem DSB im Grundton feindselige Stimmung hervorzurufen. Diese sollte Max Lange, der die Leitung des DSB nach dem Tode von Zwanzig im Jahre 1894 übernahm, noch zu spüren bekommen.

Es ist aus den Quellen einerseits nicht sicher ableitbar, daß Fremdenfurcht oder womöglich Antisemitismus die Bestrebungen der Berliner Schachgesellschaft und des Deutschen Wochenschachs leiteten. Bei der Schilderung der Vorgänge um die Anträge der Berliner Schachgesellschaft wird andererseits auch eine zunächst natürlich anmutende Entwicklung im allgemeinen deutschen Schachleben deutlich. Schach war nicht mehr das im kleinen Kreis und im Rahmen einer „freimaurerischen Verschwörergruppe“ gepflegte Spiel, sondern hatte sich mit der zunehmenden Entwicklung des Schachlebens einhergehend mit der allgemeinen Industrialisierung Deutschlands ganz selbstverständlich in weiten deutschen Bevölkerungskreisen seinen Platz erkämpft. Gerade im „melting pot“ Berlin, war der Ruf nach einem Turnier, an dem auch der „kleine Schächer“ mitspielen konnte, nicht abwegig und eine Änderung des § 1 der Statuten, in dem nur die Veranstaltung von Kongressen verankert war, erschien logisch und zeitgemäß. Darüber hinaus waren die Kosten, die der jeweilige Vorort zur Veranstaltung eines großen internationalen Kongresses zu tragen hatte, ganz erheblich, denn der DSB steuerte lediglich 1000.- RM aus der Bundeskasse bei, was nur etwa einem Siebtel der Gesamtkosten entsprach. Es bestand in dieser Frage Handlungsbedarf, die Zeit des Umbruchs nahte. Dies war allen Kongressteilnehmern klar und so war der nächste Kongress 1893 in Kiel ein nationaler Kongreß, der jedoch bezüglich der Statuten zunächst keine nennenswerte Änderung brachte. Metger (1851-1926) gab das deutlich umfangärmere Kongressbüchlein heraus.

3.2. Die Zeit des Umbruchs (1894-1918)

Es ist hypothetisch zu fragen, wie Zwanzig die Probleme und potentiellen Konfliktpunkte der neuen Zeit angegangen wäre, denn er starb kinderlos am 6. Januar 1894 auf einer Reise in Gera wahrscheinlich an einem Herzinfarkt. Der Deutsche Schachbund stand ohne Leitung da und die Gemengelage im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn war außerordentlich komplex.

Da waren die Befürworter einer Stärkung und Fortführung der internationalen Turniere, für die beispielhaft Tarrasch stehen mag. Bereits am 16. Januar 1894, 10 Tage nach Zwanzigs Tod, veröffentlichte Tarrasch im Deutschen Wochenschach (Chefredakteur: Albert Heyde) offensichtlich bereits vor Zwanzigs Tod erarbeitete Vorschläge zur Neuorganisation des Bundes. Dabei betonte er, auf den niedrigen Zuschuss des DSB zu den Kongresskosten abhebend, „die Ueberflüssigkeit des Deutschen Schachbundes, wenn derselbe nur die verhältnismässig geringe Summe von 1000 Mk. beisteuert“ und meinte weiter „so veranstaltet nicht er den Kongress, sondern der Vorort, welcher auf diese 1000 Mk. ganz gut verzichten könnte … „. Tarrasch legte seinem eigenen Interesse entsprechend besonderen Wert auf die Abhaltung internationaler Turniere durch den DSB. Die zwei Hauptpunkte des Tarrasch’schen Vorschlages waren 1. „der Deutsche Schachbund muss mehr Geld beisteuern“ und 2. „die Kosten eines Kongresses müssen verringert werden“. Es entspann sich im Deutschen Wochenschach (nicht der Deutschen Schachzeitung) eine Diskussion, in der sich Tarrasch auch für eine Demokratisierung des Bundes einsetzte: „Bisher war Zwanzig Alles: Vorsitzender, Schatzmeister, Schriftführer, Kongressleiter. … Dieses ungeheuerliche Verhältnis muss aufhören. Nicht Einer muß Alles thun, sondern die einzelnen Funktionen müssen vertheilt werden“. Tarrasch erhielt weitestgehende Zustimmung bei den Mitgliedern der Berliner Schachgesellschaft und fand Unterstützung insbesondere auch durch Albert Heyde (1866-1920), der mit der Herausgabe des allwöchentlich erscheinenden Deutschen Wochenschachs eine mächtige publizistische Aktivität entfaltete.

Auch die Förderung des nationalen Nachwuchses wurde erstmals vom Dresdner Geheimrat Dr. Robert Wuttke thematisiert. Seine Ausführungen repräsentierten dabei die Meinung einer starken Gruppe innerhalb des DSB, die für eine Regionalisierung des deutschen Schachs im Sinne des Aufbaus von Verbandsstrukturen eintrat, um das allgemeine schachliche Niveau zu stärken und der Basis gleichzeitig auch etwas an Gegenleistung für den Eintritt in den Bund zu bieten, denn die zunehmende Zahl der Schachspieler wollte nicht nur die großen Meister auf den internationalen Turnieren bewundern, sondern selbst schachpraktische Erfolgserlebnisse in Turnieren erzielen. Dabei führte der dem Berliner Kreis nahestehende Wuttke jedoch einen Zungenschlag in die Diskussion ein, der das nationale Element gefährlich instrumentalisierte: „In den Jahren 1879-1892 hat der Bund 7 internationale Kongresse mit einem Kostenaufwand, von rund 47,000 Mk. abgehalten; es beteiligten sich daran 62 Ausländer, die 14,485 Mk. gewannen, und 61 reichsdeutsche Meister, die nur 4965 Mk. an Preisen errangen …. . Während desselben Zeitraumes wurden im Ausland Oesterreich, England, Nordamerika – ebenfalls nur 8 grössere internationale Turniere abgehalten, an denen 8 Reichsdeutsche … teilnahmen; über 60,000 Mk. kamen an Preisen zur Verteilung, davon gewannen die Deutschen 2450 Mk. ….“. Wuttke führte weiter aus, daß die Stärke des deutschen Schachspieles in der Abhaltung der Hauptturniere liege und formulierte Forderungen, wie sie ähnlich bereits Max Lange 30 Jahre früher aufgestellt hatte: „Wir Deutsche verlangen keinen Einheitsstaat, sondern Selbständigkeit der Glieder; … wir müssen, wo es geht, im Anschluss an bestehende Vereine, wie dem bayrischen, erzgebirgischen usw. Bund, neue Kreis-, Stamm- und Landschaftsverbände, einen sächsischen, schlesischen usw. Bund bilden, deren Aufgabe darin bestände, innerhalb ihres Kreises kleinere Turniere abzuhalten, die Gelder flüssig zu machen und einzuziehen und die einzelnen Vereine fester an das ganze anzugliedern. Aus diesen Vereinigungen bestehe der allgemeine, deutsche Schachbund; ihre Vorstände wählen den Bundessekretär und unterstützen ihn in der Leitung.

Max Lange übernahm 1894 nach dem Tode Hermann Zwanzigs interimistisch die Leitung des Bundes. Die Leipziger Schachfreunde im Verein der „Augustea“ sprangen ein und sorgten durch die Übernahme der Organisation des Schachkongresses in Leipzig 1894 zunächst dafür, daß eine geordnete Delegiertenversammlung zur Besprechung der drängenden Fragen stattfinden konnte. In der Gründungsphase des Bundes waren die Meister weitgehend integriert in die Gemeinschaft eines relativ kleinen Kreises Verschworener gewesen. Mit zunehmender sozioökonomischer Entwicklung und Vermassung des Schachspiels war dieser mehr private Kreis seiner „heimelnden“ Atmosphäre verlustig gegangen und es war notwendig geworden, Strukturen zu finden, die, auf breitere und vor allen Dingen demokratischere Beine gestellt, ein besseres Funktionieren des Bundes und ein größeres Mitsprachrecht seiner Mitglieder gewährleisten konnten. Dabei ging es letztlich auch um Verbandsstrukturen, Machtverteilung und die Heranziehung des Nachwuchses. Gerade die zu Beginn des Bundes zunächst so erfolgreiche Strategie Zwanzigs, die Vereine selbst für den DSB zu rekrutieren, erwies sich nun als Hemmschuh und wenig zukunftsfähig, denn es fehlte mit wachsender Mitgliederzahl der organisch gewachsene, strukturelle Unterbau, der in der Lage gewesen wäre, einen lokalen Spielbetrieb zu organisieren. Dies sollte noch für eine ganze Reihe von Jahren so bleiben. Dennoch war insofern Lange, der ja schon in den 1860er Jahren die Organisation regionaler Schachverbände gefördert und gefordert hatte, der ideale Mann, der zumindest vom theoretischen Rüstzeug her den Bund in neue Zeiten hätte führen können.

 

Max Lange. 2. Präsident des DSB

 

Der DSB stand „vor einem Wendepunkte“ seiner Entwicklung. Das sah auch Max Lange in seiner Eröffnungsansprache zum Kongreß in Leipzig 1894 so. Langes Antrag auf dem Kongress, der bereits im Vorfeld von Tarrasch und Heyde im Deutschen Wochenschach heftig bekämpft worden war, strebte für den Bund den Erwerb des Korporationsrechtes im Sinne einer juristischen Person an. Aufgrund der juristischen Rahmenbedingungen im Deutschen Reich und des Freistaates Sachsen hätte der Erwerb eines solchen Korporationsrechtes jedoch nur realisiert werden können, wenn Leipzig ständiger Sitz des Bundes geworden wäre und dabei sämtliche Vorstandsmitglieder aus dieser Stadt gekommen wären. Viele Mitglieder des DSB hatten deshalb die nicht unbegründete Furcht, sich damit einer von Partikularinteressen geleiteten Hegemonie Leipzigs und der Augustea zu unterwerfen, sodaß unter Führung von Heyde und Tarrasch der Antrag Langes zu Fall gebracht wurde. Zwar erhielt Lange, der nach humanistischer Bildung ein Doppelstudium in der Jurisprudenz und der Philosophie absolviert hatte, allseits ausgiebiges Lob ob seiner geschliffenen Vorträge und Reden. Er scheint aber zu einem intellektuellen Hochmut geneigt zu haben, der ihm nicht nur Freunde machte. Lange zeigte ein feines Gespür für Macht und ließ sich nicht so einfach das Ruder aus der Hand nehmen. Er wurde auf weitere zwei Jahre zum Bundesverwalter gewählt, was ein Erfolg war, denn die Gruppe um Heyde hatte versucht, den Berliner John Bierbach durchzusetzen. Langes Verhandlungsführung während des Kongresses, in der ihn pikanter Weise das Ehrenmitglied der Berliner Schachgesellschaft Emil Schallopp unterstützte, provozierte aber erheblichen Unmut. Es war eine Pattsituation entstanden, in der sich keine der beiden Seiten in reiner Form hatte durchsetzen können, weshalb die eigentlich drängenden Fragen, wie Aufbau eines lokalen und nationalen Spielbetriebes zur Befriedigung der Bedürfnisse des „normalen“ Schachspielers und ökonomische Sicherung der Mittel zur Veranstaltung der erfolgreichen und anerkannten internationalen Turniere des DSB nicht geklärt bzw. angegangen wurden. Die Generalversammlung vertraute die weitere Ausarbeitung der Statuten deshalb einer Kommission an, welche aus Tarrasch, Bierbach (Berlin) und Lange bestand und in der Lange somit in der Minderheit war. Die Kommission sollte nie tagen. Die Versammlung beschloss darüber hinaus, den nächsten Kongress 1896 in Nürnberg stattfinden zu lassen. Es gelang Lange in der Folgezeit nicht, die Schachfreunde im DSB zu vereinen. Dafür scheinen auch persönliche Inkompatibilitäten der damals im DSB einflussreichen Personen verantwortlich gewesen zu sein, denn man warf sich gegenseitig Machtstreben (Tarraschs Vorwurf an Lange: Posten im DSB) und persönliche Eitelkeit (Langes Vorwurf an Tarrasch: Veranstaltung eines internationalen Turniers) vor. Es ist vor diesem personellen Hintergrund aus heutiger Sicht nicht ganz klar, inwieweit die zum Ende des 19. Jahrhunderts aufgetretenen strukturellen und konzeptionellen Probleme des DSB überhaupt hätten gelöst werden können.

Im Vorfeld zur Organisation des 10. Bundeskongresses kam es schließlich zum Eklat und die Nürnberger Schachfreunde um ihren 1. Präsidenten Siegbert Tarrasch traten aus dem DSB aus. Der zu intellektuellem Hochmut neigende Geist des 64jährigen Altmeisters Lange, Sieger der ersten drei Turniere des westdeutschen Schachbundes, Verfasser vieler schachpraktischer Bücher und Angehöriger der „Patrizierkaste“ in Leipzig, vertrug sich nicht mit dem selbständigen und unabhängigen Geist des 34jährigen, aufstrebenden und sich als Weltmeister fühlenden, jungen Meisters Siegbert Tarrasch, der für Deutschland Erster in der Welt sein wollte. Die Nürnberger veranstalteten auf eigene Rechnung ein internationales Turnier. Die damaligen Interessen Tarraschs, mit denen er sich im Einklang mit vielen im DSB und insbesondere der Berliner um John Bierbach wusste, formulierte er selbst im Turnierbuch am besten: „Meine verehrten Meister der edlen Schachspielkunst! Als wir vor zwei Monaten die Einladungen zu unserem Turnier ergehen ließen, da schwebte uns als leitende Idee, als ein Ziel, auf’s Innigste zu wünschen, der Gedanke vor, ein Turnier zu stande zu bringen, an welchem nur die wirklichen Meister des königlichen Spiels unter sorgfältigem Ausschluß aller Dilettanten teilnehmen sollten, ein Turnier, in welchem es für jeden die höchste Ehre wäre zu siegen und für niemanden eine Schande zu unterliegen“. Tatsächlich waren alle großen Meister der Zeit in wohl nie mehr so erreichter Vollzähligkeit vertreten und es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß Tarrasch, der als Sieger der drei vorausgegangenen internationalen Turniere des Deutschen Schachbundes in Breslau (1889), Dresden (1892) und Leipzig (1894) sowie als Sieger der großen Turniere in Nürnberg 1888 und Manchester (1890) ganz selbstverständlich den Weltmeistertitel für sich beanspruchte, auf seinem „eigenen“ Turnier nicht Sieger wurde, sondern seinem Rivalen Lasker den Vortritt lassen musste.

Max Lange organisierte unterdessen zeitgleich einen DSB-Kongress in Eisenach, auf dem er in Konkurrenz zu dem von den Berlinern vorgeschlagenen Gegenkandidaten John Biermann nach heftigen Debatten auf zwei Jahre erneut zum Bundesverwalter gewählt wurde. Dabei machte er sich zum Sprachrohr der anderen Strömung im DSB: „Man wird sich über die Frage auszusprechen haben, ob die wahre Förderung des Schachspieles in Deutschland, die den Grundzweck des Schachbundes bildet, lediglich durch immer kostspieligere Ausstattung von internationalen Meisterturnieren mit ihrer natürlichen Begünstigung des berufsmässigen Schachtreibens, oder ob sie neben einer massvollen Rücksicht auf das schachliche Artistenthum auch durch mindestens gleichberechtigte Wahrnehmung der Interessen aller deutschen Schachfreunde, die das edle Spiel ausschliesslich als eine bevorzugte Geisteserholung pflegen, sowie durch die Fürsorge für thunlichste Verbreitung des Schach in immer weitere Kreise erreicht werde.

Die derzeitige Bundesverwaltung neigt sich dem letztgenannten Standpunkte zu und erblickt in einer weisen Beschränkung der Meisterpreise, in Hebung und Erweiterung der Hauptturniere, sowie in einer verhältnismässig stärkeren Verwendung der Bundesmittel als bisher auf die allgemeine Förderung des Schachspieles den eigentlichen Werth des Schachbundes, dessen Mitgliedern für ihre regelmässigen Steuerleistungen noch eine greiflichere Gegenleistung gebührt als das stolze Bewusstsein, durch ihre Beiträge dem jedesmaligen Vororte zu einer recht glänzenden Ausstattung seiner internationalen Meisterturniere zu verhelfen.“

Dr. Trimborn, dritter Präsident des DSB

Daraufhin traten auch die Berliner Schachgesellschaft und in der Folgezeit viele weitere süddeutsche, brandenburgische und andere Vereine aus dem DSB aus. Der DSB war in eine Krise geraten und als Lange am 8. Dezember 1899 verstarb, zählte der Bund nur noch etwa 45 (nach anderer Angabe 36) Vereine. Der 12. Kongress des DSB fand im Jahre 1900 in München unter der Leitung von Dr. Trimborn statt, der 1898 auf dem 11. Kongresss in Köln zum Stellvertreter Langes gewählt worden war. Man einigte sich in München auf die folgende Richtschnur „1. Es soll eine Form gefunden werden, die es ermöglicht, den Deutschen Schachbund nach den Vorschriften des BGB. in das Vereinsregister eintragen zu lassen. 2. Die bisherige Gliederung des Bundes in Vereine und Einzelmitglieder ist beizubehalten.“ Die Probleme, eine angemessene und tragfähige, juristisch einwandfreie Konstruktion für den DSB zu finden, waren nicht unerheblich und es verwundert deshalb nicht, daß die Verhandlung und Diskussion zunehmend Züge eines juristischen Fachseminars annahmen. Juristen wie Landgerichtsrat Schwan aus Cleve und Amtsgerichtsrat Friedländer aus Cöln nahmen sich der Sache des Bundes an, zunächst unter der Leitung des Arztes Trimborn, dann des Lehrers Gebhardt. Eine fast reine Funktionärstruppe bestimmte die weiteren Geschicke des DSB. Dies sollte in der Folgezeit auch weitgehend so bleiben, auch wenn Trimborn und Schwan noch vor dem nächsten Kongress 1902 in Hannover von ihren Ämtern zurücktraten.

Rudolf Gebhardt, vierter Präsident des DSB

Die Berliner Schachgesellschaft und der Nürnberger Tarraschklub und viele andere Vereine waren dank der Bemühungen von Gebhardt dem DSB 1901 wieder beigetreten und man bemühte sich, im Sinne eines Kompromisses und zuweilen auch der (finanziellen) Not gehorchend in der Folgezeit zweijährlich alternierend nationale und internationale Turniere zu veranstalten. Hannover 1902 war ein internationales Turnier auf dem Pillsbury seine berühmte Blindlingsvorstellung gegen 21 starke Hauptturnierspieler gab. Coburg, der Wohnsitz von Gebhardt, beherbergte 1904 einen nationalen Kongress, Nürnberg 1906 war wieder Schauplatz eines internationalen Turniers und Düsseldorf richtete 1908 einen nationalen Kongress aus, wobei dieser jedoch besondere Bedeutung durch den Wettkampf um die Weltmeisterschaft zwischen Lasker und Tarrasch erhielt. Das Kongressbuch, das regelmäßig Anlaß zur Kritik wegen seines späten Erscheinens geboten hatte und unter Langes Ägide überhaupt nicht mehr erschienen war, wurde in Hannover 1902 erstmals in mehreren Lieferungen erstellt und herausgebracht, um eine bessere Aktualität zu gewährleisten, wobei dies jedoch zu Lasten der Qualität der Anmerkungen ging. Auch die Landesverbände begannen sich zu konstituieren und bildeten zunehmend den für einen Spielbetrieb erforderlichen strukturellen Unterbau. Eine neue Zeit hatte begonnen und eine neue Generation hatte das Ruder übernommen, wenn auch der verdienstvolle Rudolf Gebhardt (1859-1929), ein Lehrer der alten Sprachen und Leiter des Gymnasiums in Coburg, die alte patriarchalische Feuerzangenbowlen-Atmosphäre noch einmal perpetuieren sollte.

Tarrasch konnte den nur drei Jahre älteren Gebhardt akzeptieren und widmete ihm das Kongressbuch. Gebhardt erließ im Juni 1906 an die Vorstände der Provinzialverbände das folgende Schreiben: „Zu den vornehmsten Zielen des D. Schachbundes gehört es, die Ausbreitung des Schachspiels innerhalb des Deutschen Vaterlandes fördern zu helfen und der gesunden Entwicklung dieser edlen Beschäftigung nach Kräften Vorschub zu leisten. Er glaubt eine wesentliche Unterstützung dieser Bestrebungen in der Bildung von Sonderverbänden zu sehen, weil dadurch das Schachleben im engeren Kreise gekräftigt und zugleich der Sinn für den Wert einer Organisation geweckt und ausgebildet wird. Der Zusammenschluß der einzelnen Vereine zu Landes- oder Gauverbänden muß unzweifelhaft dem einzelnen wie der Gesamtheit zugute kommen, ein wirklich ersprießliches Zusammenwirken dürfte aber wohl erst dann in der wünschenswerten Weise empfunden werden und sich geltend machen, wenn die Einzelverbände und der Deutsche Schachbund enge und dauernde Beziehungen zu einander unterhalten.“ Gebhardt lud die Landesverbände zu einem Treffen ein, an dem Vertreter der Landesverbände Niederrhein, Saale, Thüringen, Bayern und Berlin sowie Vertreter von Gegenden ohne organisierten Verband wie Südwestdeutschland, Posen, Sachsen und Österreich teilnahmen.

Auch die publizistischen Aktivitäten des Bundes, früher Stein des Anstosses bei dem in Konkurrenz zur Deutschen Schachzeitung stehenden Deutschen Wochenschach bündelte Gebhardt durch Gründung der Deutschen Schachblätter im Jahre 1909. Gebhardt hatte erfolgreich die zum Ende des Jahrhunderts auf den Versammlungen erkannten und so heftig und kontrovers diskutierten Problempunkte nach und nach geregelt und den DSB reformiert und zukunftsfähig fortentwickelt.

Ein Meilenstein hinsichtlich Teilnehmerzahl und Organisation war dann auch der 1910 in Hamburg auf Einladung von Robinow veranstaltete 17. Kongress des DSB, der auch nicht oder nur unwesentlich durch den Rücktritt des aus Berlin kommenden Schriftführers Dr. Lewitt in seiner Bedeutung gemindert werden konnte. Und 1912 in Breslau war der Deutsche Schachbund die führende Weltmacht im Schach. Zwar trat Berlin am 31.10.1911 erneut aus dem DSB aus, doch sorgte Gebhardt mit ausdauerndem Beharrungsvermögen dafür, daß die Berliner Schachgesellschaft im Oktober 1913 wieder eintrat.

Als der I. Weltkrieg 1914 ausbrach und das Mannheimer Turnier infolgedessen unterbrochen werden musste, umfasste der Deutsche Schachbund mehr als 180 Vereine mit etwa 5000 Mitgliedern, doch der I. Weltkrieg veränderte die Weltlage und zerstörte die überkommene Ordnung. Die Welt der Feuerzangenbowle war endgültig zerstört. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß 1920 auf dem ersten Kongreß des DSB nach dem Krieg in Berlin, Gebhardt nicht mehr kandidieren sollte. Er starb am 27. Mai 1929. Er hatte viel für die Sache des Schachs in Deutschland erreicht und mit beharrlicher Diplomatie nach Außen und bemerkenswerter Reformkraft im Innern den DSB zur stärksten Kraft im Weltschach gemacht.

Wiederaufbau und Zerstörung (1919-1945)

Die Zeit von 1919 bis 1945 kann, auch hier den allgemeinen gesellschaftspolitischen Entwicklungen folgend, wiederum in zwei Zeitabschnitte unterteilt werden, wobei die maßgebliche Zäsur die Machtergreifung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei unter Adolf Hitler, der im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, darstellt. Im Zuge der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ wurde der DSB im Jahre 1933 von dem 1931 gegründeten Großdeutschen Schachbund übernommen, in dem ab 1933 der starke Hauptturnierspieler und mehrfache Deutsche Meister Ehrhardt Post (1881-1947) aus Berlin die maßgebende und führende Rolle spielte.

In der hier vorliegenden Darstellung müssen aus Verständnisgründen zwangsläufig auch allgemeinpolitische Zusammenhänge eine breitere Darstellung finden, wobei der Autor insbesondere den Antisemitismusvorwurf an Post, wie er von vielen im schachlichen Schrifttum ohne nähere Prüfung zunächst behauptet worden ist, einer näheren Prüfung unterzieht. Der Autor ist dabei den Argumentationen von Post, wie sie in den Kongressbüchern und Kongressberichten der deutschen Schachpresse aus jener Zeit vorliegen, gefolgt, und hat darin die seinerzeit vorherrschenden ideologischen Anschauungen wiederzufinden versucht, um zu klären, ob Posts Bestrebungen primär völkisch-antisemitisch, oder deutsch-national begründet waren. Der Autor glaubt, mit dieser Methode hinreichend nachgewiesen zu haben, daß Post ein konservativer Deutschnationaler gewesen ist. Dabei wird im Hinblick auf die Geschichte des DSB deutlich, daß die Gegenkräfte zu Post im DSB, solange sie noch zu einer demokratischen Willens- und Entscheidungsbildung in der Lage gewesen waren, und dies dürfte bis April 1933 der Fall gewesen sein, einem völkisch-antisemitischen Organisationsgepräge des DSB ablehnend gegenüber standen.

Die eigentliche Zeit des GSB von 1933-1945, die, ebenso wie die Jahre unmittelbar nach dem I. Weltkrieg 1920-1923 durch eine überwiegende schachliche Mittelmäßigkeit charakterisiert war, da das Fehlen internationaler Konkurrenz sich wie eine bleierne Glocke um das organisierte Schach in Deutschland gelegt hatte und die deshalb als die Zeit der Zerstörung bezeichnet werden kann, findet dann nur eine summarische und abschließende Erwähnung zumal in neuerer Zeit Spezialaufsätze zu diesem Thema erschienen sind.

4.1. Die Zeit des Wiederaufbaus (1919-1932)

4.1.1. Das nationale Element

Bereits in den letzten Jahren vor dem I. Weltkrieg hatte sich durch die Einflussnahme der Berliner Schachgesellschaft unter deren Präsidenten (ab 1911) Ehrhardt Post eine Richtung im DSB Gehör verschafft, die insbesondere das nationale Element betonte. Bereits 1908 in Düsseldorf hatten Post und Deichmann, Köln, beantragt „die Zulassung zu nationalen Turnieren auf Spieler deutscher Nationalität zu beschränken“ und „ferner neben solchen nationalen auch interne Turniere für die Mitglieder des Bundes einzurichten“. Post betonte dabei, daß „das alles natürlich kein Protest gegen die Einrichtung internationaler Turniere durch den D. Schb. sein“ solle, „man wollte nur die Möglichkeit haben, auch einmal unter sich zu sein“. Einen Eklat hatte die Nichtzulassung von Berliner Schachspielern zu den Hauptturnieren des Deutschen Schachbundes im Jahre 1910 in Hamburg verursacht. Die Berliner Spieler Cohn, Moll und Post waren nicht zu den Hauptturnieren zugelassen worden, weil das Turnierkomitee nach Meinung von Post Ausländer vorgezogen hatte. Im Zuge der hierüber zum Ausdruck gekommenen Meinungsverschiedenheiten war Dr. Lewitt (1863-1936), Berlin, von seinem Amt als Schriftführer des DSB zurückgetreten.

Der Vorsitzende der Berliner Schachgesellschaft Ehrhardt Post war zum Vorreiter der Nationalisierung im DSB geworden. Wer war Ehrhardt Post? Posts Persönlichkeit zeigte bereits damals Zeichen eines äußerst machtbewussten und von eigenen Ambitionen und Eitelkeit motivierten Handlungsstrebens, das sich gegen jeden richtete, der sich ihm in den Weg stellte. Post scheute sich 1910 nicht, die Berliner Schachgesellschaft aus dem Berliner Schachbund herauszuführen, damit diese „dadurch die Hände frei für interne Veranstaltungen, die dazu dienten, den Verein bekannt zu machen und Mitglieder zu werben“ bekam. Post vereinigte in seiner Person eine Reihe von Eigenarten und Fähigkeiten, wie persönliches Geltungsbedürfnis und Eitelkeit, nicht unerhebliches schachpraktisches Können, eine große Liebe zum Schach und eine enorme Arbeitskraft, die ihn zu dem wichtigsten Schachfunktionär der zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland werden ließen. Wie kein anderer Schachfunktionär verkörperte der aus kleinen Verhältnissen aufgestiegene Amtsanwalt Ehrhardt Post, wenngleich nicht der „Generation der Sachlichkeit“ der um 1900 geborenen Deutschen angehörend, exakt den Typus des „modernen“ Menschen, der später im Deutschland des Nationalsozialismus so erfolgreich werden sollte. Man kann sich bei der heutigen Lektüre der Berichte auch nicht ganz dem Eindruck entziehen, daß Post ein erhebliches Querulanten-Potential als Störenfried aufwies, und daß dies von seinen Kollegen im Vorstand des DSB auch so empfunden wurde.

Es waren in erster Linie schachbezogene Überlegungen und die starke ausländische Konkurrenz die Ursache dafür gewesen, die die Schachfreunde um Post zu den nationalen Vorstößen veranlassten. Die starken ausländischen Spieler nahmen den einheimischen deutschen Spielern nach Meinung dieser Gruppe die Plätze in den Hauptturnieren weg und heimsten die Preise ein.

Auf dem Kongress des Deutschen Schachbundes in Mannheim 1914 konnte die alte Garde des DSB um den Gymnasialprofessor der Altphilologie Rudolf Gebhardt aus Coburg die Vorstöße der Gruppe um Post zunächst noch abwehren, doch sorgte Post immer wieder für nicht unerhebliche Unruhe durch ständig vorgetragenen Widerspruch, wann immer er die „nationale“ Frage tangiert sah. Als Gebhardt beispielsweise der Generalversammlung mitteilte, er engagiere sich für den DSB auch auf internationaler Ebene und die Versammlung um Ermächtigung bat, in eine später angesetzte Beratung mit den anderen Verbänden treten zu dürfen, widersprach Post sofort, da es „eine Verkürzung der Mitgliederrechte“ bedeute. Post hielt die Gründung einer internationalen Schachorganisation für „überflüssig und den Zielen des Bundes direkt widersprechend“. Immer wieder wird der „nationale“ Kerngehalt der Kontroversen deutlich, beispielsweise wenn Gebhardt sich gegen den Vorwurf verwahren musste, er sei gegen die Annahme von deutschen Spielern zu den Hauptturnieren. Für erhebliche Diskussionen sorgte auch der von John für den Schachverein Anderssen, Breslau, vorgetragene Antrag an die Generalversammlung, 50% der Teilnehmer am Hauptturnier A sollten Reichsdeutsche sein. Kirschner, Leipzig, und Post, Berlin, unterstützten den Antrag, während Gebhardt sich zwar nicht der nationalen Tendenz des Antrages verwehren wollte, gleichzeitig aber das formale Argument einwendete, daß die Vororte, die die Kongresse veranstalteten, das Recht über die Teilnehmernominierung an den Turnieren hätten und nicht der DSB. Im Zuge der weiteren Erörterung wurde auch der Status der Österreicher problematisiert. Schließlich einigte man sich auf eine von Krüger, Hamburg, modifizierte Fassung, die statt „Reichsdeutsche“ „Deutsche“ formulierte. Gebhardt schien 1914 in Mannheim der Resignation nahe gewesen zu sein, denn nur durch gutes Zureden war er dazu zu überreden, noch einmal zu kandidieren. Er wurde schließlich einstimmig auf weitere sechs Jahre wiedergewählt. 2. Vors. wurde Robinow aus Hamburg.

Offen antisemitische Argumentationen spielten zunächst keine Rolle. Die bei der Affäre in Hamburg 1910 beteiligten Cohn und Lewitt und viele Mitglieder der Berliner Schachgesellschaft waren Juden, sodaß sich in den Berichten schon alleine deshalb für eine antisemitische Grundhaltung Posts keine Hinweise finden lassen. Andererseits waren antisemitische Strömungen im wilhelminischen Kaiserreich latent vorhanden und in den 1880er Jahren hatten sich auch erstmals politische Parteien, die den Antisemitismus als politische Propaganda in einer zunehmend nationalistisch eingestellten europäischen Öffentlichkeit zum Stimmenfang zu nutzen versuchten, formiert. Zwar konnte dieser organisierte Antisemitismus in Deutschland keinen politischen Einfluß erlangen, doch mögen die durch ihn eingeführten Schlagworte gleichwohl das kulturelle Klima Deutschlands in nicht zu unterschätzender Weise beeinflusst und den Keim für viele spätere Entwicklungen in Deutschland gelegt haben. Das galt auch und ganz besonders für das organisierte Schach in Deutschland und Österreich-Ungarn. Michael Ehn und Ernst Strouhal haben für Wien deutlich machen können, daß das Schachleben Wiens durch die Immigration einer großen Zahl von Ostjuden entscheidend bereichert und belebt worden war. Nach der Ermordung des Zaren Alexander II. im Jahre 1881 hatten die in weiten Teilen Russlands einsetzenden Pogrome zu einer Fluchtbewegung von mehr als zwei Millionen Juden nach Westen geführt, wovon viele nach Wien und Berlin kamen. Die Zahl der in Wien lebenden Juden hatte sich seit 1880 nahezu verdoppelt und betrug um 1900 mehr als 147.000 Menschen. Gleiches kann von Berlin gesagt werden, denn dort betrug die Zahl der Juden 36.000 im Jahre 1871; im Jahre 1895 war sie auf 94.000 und 1910 auf 142.000 angestiegen. Das Bild des fremdartigen, einen Kaftan tragenden Ostjuden gehörte zu den Straßenbildern von Wien und Berlin. Die zunächst dumpfe und irrational ablehnende Haltung gegenüber der Fremdartigkeit der Ostjuden auch bei den etablierten Juden, gepaart mit zivilisationsfeindlichen und antidemokratischen Ideen der Zeit verband sich insbesondere nach dem verlorenen Weltkrieg mit Antimodernität und nationalistischem Berufungswahn und leistete damit einem Antisemitismus rassistischer Ausprägung erheblichen Vorschub. Dennoch, und dies wird noch darzulegen sein, konnten sich diese Strömungen im DSB zunächst nicht, wie im übrigen auch nicht in der Weimarer Republik, durchsetzen.

Nun war der Nationalismus eine gesamteuropäische Erscheinung der damaligen Zeit. Tatsächlich wurde wie andernorts in der Weimarer Republik auch im DSB die Diskussion um die nationale Frage in aller Härte geführt. Dabei führten materielle Not im Inneren sowie Bedrohung und Isolation im Äußeren zu einer immer stärkeren Radikalisierung der Anschauungen. Die in intellektuellen und studentischen Kreisen sich ausbildende völkische Anschauung schloß einerseits die deutschstämmigen Minderheiten außerhalb der Staatsgrenzen Deutschlands und die Menschen in Österreich ein und unterschied sich so von einer staatsbürgerlichen Anschauung. Nach völkischer Lehre konnte ein Jude beispielsweise niemals, auch nicht durch Taufe, Deutscher werden. In einem völkischen Deutschland war kein Platz für andere Ethnien.

Im Zuge der vorbehaltlosen Unterstützung des Deutschen Reiches für die Habsburger Monarchie in Ungarn-Österreich bezüglich seiner Politik gegenüber Serbien erklärte Deutschland am 1. August Russland und am 3. August auch Frankreich den Krieg. Der I. Weltkrieg raste über Europa und das Schachleben kam zum erliegen. Das Turnier des DSB in Mannheim wurde abgebrochen und die ausländischen Teilnehmer interniert. Noch einmal, und zwar am 14. August 1914 verwahrte sich Gebhardt in einem im Deutschen Wochenschach veröffentlichten Brief gegen die Behauptung, er sei nicht „Deutsch genug“ und rief zu positiver Mitarbeit im DSB nach dem Krieg auf, wenn „unsere Heere mit dem Eichenlaub des Siegers geschmückt zu uns heimkehren“. Doch die deutschen Soldaten kamen nicht mit dem Eichenlaub des Sieges, sondern als geschlagene Männer zurück in ein Deutsches Reich dessen Führung, der Kaiser, abgetreten war. In der Folgezeit lasteten die Bürden des verlorenen Weltkrieges und die demütigenden Bedingungen des von Frankreich diktierten Vertrages von Versailles schwer auf Deutschland. Insbesondere in den Gegenden des Reiches, in denen große, genuin deutsch besiedelte Gebiete, wie Elsass-Lothringen, Eupen und Malmedy im Westen und Pommern und Teile Schlesiens im Osten verlustig gegangen waren und in der Gegend des Rheinlandes, in der die französische Besatzung zu tiefer Bedrückung führte, empfand man den Verlust des Krieges als demütigend.

Ehrhardt Post Geschäftsführer GSB, Berlin 1928

Post, Jahrgang 1881, war während des gesamten Krieges in Berlin gewesen und hatte den Rest des Berliner Schachlebens am Leben zu halten versucht. Er war sicherlich wie viele im Deutschen Reich tief erschüttert und enttäuscht, zumal die Niederlage des deutschen Heeres überraschend gekommen war; zum Einen, weil der Krieg weitab von der deutschen Bevölkerung getobt hatte, zum Anderen, weil noch im Sommer 1918 die von Hindenburg und Ludendorff forcierte Westoffensive einen baldigen Sieg versprochen hatte.

Im Mai 1920 traf sich der DSB auf Einladung der von Post geführten Berliner Schachgesellschaft und der Freien Vereinigung der Groß-Berliner Schach-Vereine zum 20. Kongress in Berlin. Die nationale Frage hatte durch den Verlust des Krieges an Aktualität gewonnen. Es fanden vier Hauptturniere statt. Ein Meisterturnier kam nicht zur Austragung. Post hatte in der Einladung zum Kongress die folgende Formulierung gewählt: „Zur Teilnahme an den Turnieren sind nur Mitglieder des Deutschen Schachbundes und der Freien Vereinigung der Groß-Berliner Schachvereine berechtigt, die deutscher Geburt oder Nationalität sind; Angehörige fremder Staaten können zugelassen werden, wenn sie deutschen Stammes sind.“ 19 Gönner und Einzelmitglieder, 66 Vereine mit 3664 Stimmen waren in Berlin anwesend, als der Schriftführer Albert Hild mitteilte, daß der DSB fünf Ehrenmitglieder, 24 Gönner, 100 Einzelmitglieder und 200 Vereine mit etwa 7500 Mitgliedern habe. Es wurde der im Weltkrieg Gefallenen Moll, E. Cohn und Köhnlein gedacht. Schlechter, Schallopp, Süchting, Barnes (aus Frankfurt), Crüsemann, Julius Steinitz, Pastor Koch und C. Schultz waren gestorben.

In seiner Rede auf dem Kongress legte Post sein Programm dar und formulierte: „Wir leben in einer Zeit, wo alles durcheinanderwirbelt. …. Solange das feindliche Ausland, das nach unerhörten Leistungen ein zu Tode ermattetes Heer und Volk niedergeworfen hat, solange die sogenannten Siegerstaaten uns verfemen und ausschließen, so lange sollen die deutschen Schachspieler es für unter ihrer Würde halten, diese Ausländer zu Gast zu haben … Wir wollen nicht vergessen, daß, als unser Haus an allen Ecken und Enden zu brennen anfing, diejenigen, die bei uns zu Gaste gewesen sind, nichts Schnelleres tun konnten, als ihre Gastgeber zu beschimpfen und zu verleumden. Und damit ist uns recht geschehen. Wir haben es tausendfältig verdient durch unsere Servilität, durch den Mangel an nationalem Stolz und Selbstbewußtsein. Wir Deutsche waren auf den Kongressen nur ausnahmsweise geduldet; es brauchte nur einer vom Auslande, womöglich mit exotischem Namen zu kommen, und alle Türen öffneten sich ihm, mochten dabei auch gute deutsche Spieler auf die Straße gesetzt werden… .“ Er führte weiter aus, daß das (negativ konnotierte) „Schach-Artistentum“ sich dann ausbilde, wenn Spielhöllen und Kaffeehäuser sich des Schachs annähmen. Er spreche „nicht gegen die Berufsspieler, der Bund kann ihre Tätigkeit schon unterstützen, aber die Berufsspieler müssen eine Organisation schaffen, die für Reinheit in den eigenen Reihen sorgt, und es wäre für sie ein Vorteil, wenn sie sich einer starken Organisation wie dem Deutschen Schachbund anschlössen.“ Post wollte die Geldpreise abschaffen und rief in die Versammlung des DSB hinein: „Wir wollen den Zustand herbeiführen, daß die Ehre demjenigen zufällt, der einen Erfolg errungen hat, das Geld denen, die es brauchen. (Bravo!) Alle diese Reformen wird man nur durchführen können, wenn sie eine starke, geschlossene und gesunde Organisation des Deutschen Schachbundes hinter sich haben. Dazu gehört ein stärkerer Einfluß der Vereine und Verbände. Wir wollen die Organisation des Bundes von Grund geändert haben.“ Nicht zu unrecht forderte er die Abschaffung der Einzelmitgliedschaft und wies auf den unlogischen Aufbau der Satzung hin, die „… den Begriff Vorstand“ nicht kenne, obwohl dieser Vollmachten erteile.

Gebhardt stimmte in seiner Antwort den Ausführungen von Post zu. Keiner lasse sich in seinem Deutschtum wohl übertreffen und wies auf das historische Moment hin, in dem Juristen um Landgerichtsrat Schwan und Amtsgerichtsrat Friedländer die Satzung des DSB um die Jahrhundertwende erarbeitet hatten, damit sie für das Registergericht passte. Er lehnte die ihm von Post angetragene Wiederwahl mit den Worten ab „meine Zeit ist abgelaufen“ und schlug stattdessen Robinow zum Nachfolger vor, der mit 2976 zu 289 Stimmen, die auf Post fielen, gewählt wurde. Post wurde 2. Vorsitzender. Auf Vorschlag von Post wurde Mieses (1865-1954) „als Vertreter der international gerichteten Meister“ in die Kommission gewählt, die sich der Neufassung der Statuten widmen sollte. Diese neue DSB-Satzung sollte nach dem Plan von Post auf dem Folgekongress 1921 in Hamburg verabschiedet werden.

Walter Robinow, fünfter Präsident des DSB

Am 30. September 1920 trafen sich die Schachfreunde zu einem Ausflug nach Tegel, wo dem Zug der neuen Zeit gehorchend, erstmals in der Geschichte des DSB ein Blitzturnier veranstaltet wurde. Nach der ersten Runde unterbrach Post den Schachkampf, um „zur Freude der zahlreichen jungen Damen sämtliche Turnierteilnehmer nach dem Tanzsaal“ zu rufen. Und so wechselten Tanz- und Schachrunden miteinander ab. Nicht ohne Stolz vermeldete Post in seiner Rede auf der Abschlußfeier, daß noch nie so viele deutsche Teilnehmer mitgespielt hatten. 60 Deutsche hatten auf den Hauptturnieren gespielt, währenddessen es in Mannheim noch im Hauptturnier A 5 von 18 und in Turnier B 31 von 49 gewesen waren. Bezeichnender Weise wurden vier Berliner Sieger in den Hauptturnieren (Sämisch, Zander, Pahl und Ahues).

Es scheint, als ob Anfang der zwanziger Jahre der nationale und möglicherweise auch der völkische Gedanke in seiner rassistischen Ausprägung im DSB die Mehrheitsmeinung werden wollte und um die Meinungsführerschaft kämpfte. Vieles spricht dafür, daß beispielsweise Ranneforth (1864-1945) solche Anschauungen im Kopf hatte, als er in dem von ihm herausgegebenen Deutschen Wochenschach schrieb: „In der heutigen Zeit, wo das Deutschtum sich in allen an die Grenzstaaten abgetretenen Bezirken in schwerer Notlage befindet, wäre nichts natürlicher, als daß sich dem Deutschen Schachbund auch die dort bestehenden oder entstehenden Schachvereine anschlössen, wie auch die deutschen Burschenschaften der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie neuerdings in die deutschen Burschenschaften eingegliedert worden sind“. Die Deutschen im Baltenland, Polen, Tschechoslowakei, Deutsch-Österreich und Eupen-Malmedy sollten einen eigenen Bund gründen und dann in ein Kartellverhältnis mit dem DSB treten. Und es scheint auch kein Zufall gewesen zu sein, daß der jüdische Schachverleger Bernhard Kagan im Deutschen Wochenschach als „Kriegsgewinner“ bezeichnet wurde.

Doch Ranneforth war nicht im Vorstand des DSB und es gab Gegenwehr. Formulierte die eine Seite die These, daß eine Nationalisierung das deutsche Schach fördere, setzte die Gegenseite dem entgegen, daß eine Nationalisierung zur Versumpfung des deutschen Schachs führe. Es ist dabei sicherlich kein Zufall, daß die Wortführer der Gegenseite meist Juden waren, was gleichzeitig die Anschauung der „Völkischen“ in dialektischer Weise hätte bestätigen können, wenn es sie im DSB denn je gegeben haben sollte. Auch in der allgemeinen tagespolitischen Auseinandersetzung wurde Internationalismus ja gleichgesetzt mit Juden und Völkerbund, der das deutsche Volk unterdrücken und knechten wollte.

Beispielhaft mag die Kontroverse sein, die sich der des Griechischen und des Lateinischen mächtige Jacques Mieses aus Leipzig mit Post im Jahre 1921 lieferte. Mieses war Jude und von 1919 bis 1921 Herausgeber der Deutschen Schachzeitung. Er publizierte 1921 im Märzheft der DSZ einen Artikel, in dem er Post unter Bezugnahme auf dessen Anträge auf dem Berliner Kongress des DSB einer „völkischen“ Gesinnung bezichtigte und den Vorschlag von Post, nur noch nationale Turniere veranstalten zu wollen, kritisierte. Post erwirkte eine Berichtigung nach dem Pressegesetz, die Mieses im Maiheft der DSZ 1921 veröffentlichen mußte. Die Schärfe der Auseinandersetzung nahm zu, als Mieses mit spitzer Feder auf die berufliche Stellung Posts einging: „Sie sind ja, Herr Post, wenn auch nicht Jurist, so doch Amtsanwalt…“. und Post versuchte, Mieses bei dessen Verleger de Gruyter zu desavouieren.

Post wies aber in klaren Worten im Deutschen Wochenschach die Unterstellung einer völkischen Gesinnung zurück: „Aber Hr. Mieses hätte nur so viel Objektivität zu besitzen brauchen, zu meinen wörtlich wiedergegebenenen Ausführungen gerade noch den nächsten Satz hinzuzufügen, der da lautet: ‚Das muß aufhören und kann aufhören, ohne daß wir der Internationalität des Schachs Abbruch tun‘. Dann ließ sich freilich die ’nationalistische‘ oder ‚völkische‘ Tendenz unserer Anträge nicht behaupten, und dann konnte Hr. Mieses seinen Lesern auch nicht den Ruhm vorspiegeln, mich widerlegt und überzeugt zu haben.“

Die Kontroverse zwischen Mieses und Post zeigt, mit welcher persönlichen Härte die Auseinandersetzung um die nationale Ausrichtung des DSB Anfang der zwanziger Jahre publizistisch und konkret verbandsintern geführt wurde. Aus heutiger Sicht kann man Post nicht ohne weiteres einen völkischen und damit antisemitischen Hintergrund zuschreiben. Es sind von Post aus dieser Zeit keine antisemitischen Äußerungen bekannt geworden und zweifellos war seine Position so gefestigt, daß er antisemitisches Gedankengut, wenn er es denn für richtig gehalten hätte, auch formuliert haben würde. Im Gegenteil: Post hat in seiner Rede vor der Bundesversammlung in Berlin 1921 die deutschen Meister Lasker, Tarrasch und Mieses ausdrücklich gelobt. Und auch auf einer Versammlung der Freien Vereinigung der Groß-Berliner Schachvereine sagte Post u.a.: „Am leichtesten fällt natürlich der Angriff auf die Forderung, daß der nationale Charakter des Bundes gesichert werde, indem man dem ’national‘ einen nationalistischen und völkischen Sinn unterlegt. Was wir wollen, ist, daß wir in Deutschland dasselbe Recht haben wollen, das alle andern Länder ohne Ausnahme als selbstverständlich für sich besitzen: daß wir auf unseren Kongressen unsere deutschen Angelegenheiten unter uns Deutschen verhandeln, daß unsere nationalen Würden und Ehren nur Deutschen zuteil werden, im Hauptturnier wie im Meisterturnier.“ und Gleichwohl aber erregte er mit seinen deutschnationalen Initiativen das Misstrauen insbesondere der Juden unter den Schachspielern wie Mieses, Lasker, Spielmann, Tenner, Kagan und Tarrasch.

Insgesamt konnte die nationale Linie von Post im DSB nicht mehr als einen Teilerfolg erzielen, auch wenn Post das Gegenteil zunächst nach dem Kongress in Berlin 1920 geglaubt haben mag, denn Robinow (1867-1938) und die „alte Garde“ des DSB verstanden es in der Folgezeit, die Berliner bzw. Post’schen Vorstellungen zunächst zu protrahieren, dann zu nivellieren und schließlich dort, wo eine Verabschiedung nicht zu verhindern gewesen war, rückgängig zu machen. Jedenfalls musste Zander 1927 schreiben: „Im Deutschen Schachbunde ist im wesentlichen die Reform von 1921 wieder rückgängig gemacht worden“. Gesunder Menschenverstand, klare Befolgung rechtsstaatlicher Prinzipien und traditionsbewusstes, gelegentlich freilich in seiner Naivität gegenüber dem Gegner auch hilflos anmutendes Harmoniebedürfnis sollten im DSB schließlich die Oberhand behalten.

Die vom Berliner Kongreß eingesetzte Kommission hatte Vorschläge erarbeitet, die in Hamburg 1921 verabschiedet wurden. Darin hieß es in der Turnierordnung: „Die Turniere sind nur Mitgliedern des Bundes offen, die deutscher Geburt oder Staatsangehörigkeit sind; Angehörige fremder Staaten werden nur zugelassen, wenn sie deutschen Stammes sind“. Die Kommission lehnte eine Änderung der Satzung unter Hinweis auf die wechselvollen Zeiten ab. Damit hatte der DSB nicht nur die „Reform“ der Satzung des DSB im Postschen Sinne abgelehnt, sondern auch einer auf völkisch-antisemitischer Grundlage beruhenden Änderung seiner Turnierordnung eine klare Absage erteilt.

Post siegte in Hamburg im Meisterturnier und war damit Deutscher Meister. Doch war das Turnier nicht mehr so stark wie noch vor dem Krieg gewesen und Spielmann wies mit Recht darauf hin, daß in Hamburg alleine sieben Meister aus Berlin (Brinckmann, Gregory, Schlage, Post, Ahues, John, Sämisch und Zander) , zwei aus Hamburg (Krüger und Wagner) und einer jeweils aus Witten (Schories) und Bremen (Carls) kamen, was den Berichterstatter der Vossischen Zeitung dazu veranlasste zu fragen „War das Hamburger Turnier stark?

Auch 1922 in Bad Oeynhausen wurde Post Sieger im Meisterturnier. Dem DSB gehörten 230 Vereine mit etwa 9-10000 Mitgliedern, 40 Gönner und 42 Einzelmitglieder an. Als Post mit seinen Vorstellungen nicht zum Zuge kam, machte er das, was er in der Geschichte des DSB oft getan hat: Er trat gegen Ende des Jahres 1922 von seinem Amt als 2. Vorsitzender des DSB zurück.

Im Juli/August 1923 fand der 23. Kongress des DSB in Frankfurt/M. in einer Zeit galoppierender Inflation und in unmittelbarer Nähe der französischen Besatzungszone (Wiesbaden) statt. Der Bund hatte 18-20000 Mitglieder, 318 Gönner und alle Landesverbände waren Mitglied des Bundes, wobei als letzter Verband der Bayrische hinzugetreten war. Auch die Schachspieler aus Österreich und den besetzten Gebieten waren anwesend. Gebhardt, der Bürgermeister seiner Heimatstadt Coburg geworden war, konnte nicht anwesend sein, weil er in Litauen auf einer Reise unterwegs war. Noch einmal sorgte Post für Unruhe als er die Einsetzung eines Spielausschusses zwecks Trennung der Spiel- von der Verwaltungstätigkeit beantragte. Dieser Antrag traf jedoch auf heftigen Widerstand seitens der anderen Vorstandsmitglieder Robinow, Römmig und Hild sowie der normalen Mitglieder Deichmann und Ripke. Der Antrag wurde deutlich mit 8006 gegen 2100 Stimmen abgelehnt. Bei der Wahl zum Vorstand erhob Post zunächst Einspruch gegen die Wiederwahl durch Zuruf von Römmig, zog diesen dann aber zurück.

Frankfurt 1923 markiert den Wendepunkt in der Entwicklung des DSB, an dem die unablässigen Versuche Posts, den DSB mit Hilfe der Schachfreunde in Brandenburg und Berlin und Umgebung unter Instrumentalisierung der in der deutschen Bevölkerung als Folge des Krieges virulenten nationalen Frage zu dominieren, eine deutliche und lang andauernde Absage erhielten. Post war in der Zukunft auf Bundesebene weitgehend isoliert und nicht mehr wirkungsmächtig. Zwar konnte er im Meisterturnier in Frankfurt noch einmal Zweiter jedoch mit 2 Punkten Abstand hinter dem Wiener Großmeister Ernst Grünfeld werden, doch sollte die Zukunft zeigen, daß auch seine schachpraktische Blütezeit zu Ende war.

4.1.2. Die goldenen zwanziger Jahre

Das Jahr 1924 brachte keinen Kongress des DSB. Lasker (1868-1941) kehrte nach seinem Turniersieg in New York nach Berlin zurück und erhielt einen triumphalen Empfang. Post hielt am 2.7.1924 im Bürgersaal des Rathauses, dem Festsaal der Stadt Berlin eine Ansprache. Dann ergriff Robinow das Wort. Die Veranstaltung machte deutlich wie tief die Schmach der Niederlage im I. Weltkrieg noch immer saß und zeigt in Abweichung weitverbreiteter Vorstellungen, daß auch der „kosmopolitische“ Lasker sich zu seinem Deutschsein bekannte.

1925 war in der Weimarer Republik durch Schaffung der Rentenmark (1923) die Inflation eingedämmt worden und durch die realistisch orientierte Außenpolitik Gustav Stresemanns eine gewisse Beruhigung auch in der nationalen Frage eingetreten. Es ist bezeichnend, daß die Konsolidierung der ökonomischen Verhältnisse in der Weimarer Republik nahezu zeitgleich mit dem Verschwinden Posts von der nationalen Schachbühne einhergeht. Der 24. Kongress des DSB 1925 in Breslau war der erste internationale Kongress nach dem Krieg. Auf dem Photo des Meisterturniers in Bad Oeynhausen 1922 sind keine Juden abgebildet; in Breslau 1925 finden sich neun Schachspieler jüdischer Abstammung (Moritz, Kmoch, Mendelsohn, Epstein, Rubinstein, Nimzowitsch, Réti, Tarrasch und Robinow). Die Zeit, die später als die goldenen zwanziger Jahre bezeichnet wurde, hatte begonnen. Walter Robinow berichtete in der Hauptversammlung: „Der Brandenburgische Schachverband ist im Nov. 1923 mit sämtlichen Unterverbänden aus dem Bunde ausgetreten“ und die Versammlung reagierte mit Beifall als Robinow sagte: “ … daß der D. Schachbund ein für allemal mit Post nicht zu verhandeln beabsichtigte.“ Blümich stellte den Antrag, die Geldpreise wieder einzuführen. Im Damenturnier wurde Frau Dr. Hanna Bernhagen aus Stockholm erste, zweite wurde Frau Kalmar-Wolf und im Meisterturnier gewann der Russe Efim Bogoljubow zum ersten Mal die deutsche Meisterschaft. Er dankte „in fließender deutscher Rede“, daß man ein internationales Turnier veranstaltet habe. Robinow berichtete des weiteren von Gesprächen mit der FIDE (Vors. Rueb) in Zürich, wo es eine herzliche Aufnahme auch seitens der Franzosen gegeben habe.

Breslau 1925

Obere Reihe: Schreier, Wagner, Moritz, Sämisch, Römmig, Becker, Kmoch, Walter. Mittlere Reihe: Mendelsohn, Blümich, Epstein, Krüger, Grünfeld, v. Schweinichen, Rubinstein, Kramer. Sitzend: Nimzowitsch, Réti, v. Gottschall, Bogoljubow, Tarrasch, Löw, Robinow, Seger, Tietz

Die Revision der Postschen Reformen im Sinne einer „Re-Internationalisierung“ der DSB-Kongresse wurde auf dem 50 jährigen Jubiläumskongreß in Magdeburg 1927 fortgesetzt, ohne dabei jedoch die nationalen Belange gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Magdeburg 1927 war der letzte deutsche Schachkongreß in der Geschichte des DSB, der Anspruch erheben kann in die großartige Reihe seiner Vorgänger eingegliedert zu werden. Die Vorsitzenden von insgesamt 14 von 26 bestehenden Landesverbänden trafen sich vor der Bundesversammlung. Sie erhielten das Recht Mitglieder in den Bund aufzunehmen, was vorher nur durch den Vorstand des DSB möglich gewesen war. Hild hatte eine lesenswerte Festschrift zum 50 jährigen Bestehen des DSB verfasst. Alexander Fritz und Fritz Riemann waren als letzte noch lebende Teilnehmer der Anderssen-Feier in Leipzig 1877 anwesend und wurden, als sie gemeinsam in die Versammlungshalle eintraten, stürmisch begrüßt. Schließlich wurden auch wieder Geldpreise eingeführt, nachdem eine Umfrage ergeben hatte, daß dies für notwendig erachtet wurde. Insgesamt dauerte die Sitzung lediglich drei Stunden, so daß von einiger Harmonie ausgegangen werden kann. Am Festmahl waren u.a. Emanuel Lasker und Viktor Tietz, Karlsbad, anwesend. Letzterer überbrachte die Grüße des deutschen Schachverbandes der Tschechoslowakei als „eines Kindes, dem der Zutritt zum deutschen Elternhause verwehrt sei“, worauf das Protokoll „tiefe Bewegung verzeichnet“.

Spielmann erhielt den von der Lufthansa (!) gestifteten Freiflug innerhalb Deutschlands für die schönste Partie zugesprochen und konnte noch einmal in Freiheit fliegen, bevor es Nacht wurde in Deutschland.

Der im Jahre 1929 in Duisburg bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stattfindende 26. Kongreß des DSB war ein nationaler, vom rheinisch-westfälischen Schachverband organisierter Kongreß. Der amtierende Deutsche Meister Spielmann wurde infolge zahlreicher anderer Bewerbungen nicht berücksichtigt, wogegen er vergeblich Protest erhob. Robinow war durch eine schwere Krankheit an’s Bett gefesselt und wurde durch den 2. Vorsitzenden Höhnen und den Schriftführer Hild vertreten. Der DSB zählte etwa 11000 Mitglieder und auf dem Festbankett erschienen 550 Personen. Der Jude Wilhelm Orbach aus Offenbach/M. nahm am Meisterturnier teil und wurde 11. (von 14). Ein Kongressbuch wurde nicht erstellt. Dem Bericht in der Deutschen Schachzeitung ist zu entnehmen, daß der Brandenburgische Schachverband im Jahre 1928 dem DSB wieder beigetreten war. Wegweisende Änderungen bzw. Beschlüsse erfolgten in Duisburg nicht.

1930 holte Robinow die Schach-Olympiade der FIDE nach Hamburg. Die Hamburger feierten gleichzeitig ihr 100jähriges Vereinsjubiläum und hatten vom Senat der Stadt Hamburg einen Zuschuss von 20000 Mark erhalten. Die Olympiade in Hamburg 1930 und der deutsche Schachkongreß in Hamburg 1910 werden im allgemeinen als herausragende Verdienste von Walter Robinow gewürdigt. Bedingt auch durch die Krankheit Robinows und die finanziellen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise traf man sich dann erst wieder im März 1932 in Bad Ems. Posts Vorstellungen zur Neuordnung der Aufstiegsturniere und der Heranziehung des Nachwuchses fanden Zustimmung und er wurde deshalb in eine dreiköpfige Kommission gewählt, die sich der Ausarbeitung der näheren Richtlinien widmen sollte. Er scheiterte aber bei der Kandidatur zum Schriftführer mit 3723 zu 5096 Stimmen gegen den Gegenkandidaten Dr. Kiok, Magdeburg. Robinow wurde einstimmig zum Präsidenten wiedergewählt.

4.2. Die Zeit der Zerstörung (1933-1945)

Im Hinblick auf die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Schachspieler und den tausendfachen Soldatentod deutscher Schachspieler muß sehr wohl von einer Zerstörung gesprochen werden. Die Verwüstungen nicht nur des deutschen Schachlebens im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn waren nicht schicksalhaft über die Schachspieler gekommen. Sie hätten verhindert werden können, wenn die Sozialdemokratie mit den bürgerlichen Parteien in Deutschland zusammengearbeitet hätte und dafür im Bürgertum andererseits auch hinreichend starke Partner vorhanden gewesen wären.

4.2.1. Der Großdeutsche Schachbund

Die einsetzende Deflation führte zu einer Massenarbeitslosigkeit in Deutschland von der im Jahre 1932 mehr als fünf Millionen Menschen betroffen waren. Der DSB konnte aus eigenen Mitteln keinen Kongreß mehr organisieren. Die goldenen zwanziger Jahre hatten gerade einmal fünf oder sechs Jahre gedauert. Die Weimarer Republik scheiterte. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Binnen drei Monate beseitigte er alle verfassungsmäßigen und rechtlichen Hindernisse, die seinem totalitären Machtanspruch im Wege standen. Deutschland starb.

Der DSB hörte am 23. April 1933 auf zu existieren bzw. wurde nach einem kurzen Aufbäumen vom Großdeutschen Schachbund (GSB) am 9.7.1933 anläßlich einer gemeinsamen Hauptversammlung in Bad Pyrmont mehr oder weniger zwangsweise übernommen. Der GSB war am 13. Dezember 1931 mit Sitz in Berlin gegründet worden. In ihm konnten satzungsgemäß nur Deutsche arischer Abstammung Mitglied sein. Die Machtübernahme im DSB geschah damit zwangsweise von außen im Sinne der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland ergreifenden Gleichschaltungspolitik der neuen nationalsozialistischen Regierung. Der Widerstand gegen die Übernahme war erheblich, denn mehr als 60% der führenden Schachfunktionäre musste im Zuge der Gleichschaltung ausgewechselt werden. Robinow hatte sein Amt bereits Anfang April niedergelegt und der politisch missliebige Regierungspräsident Leopold August Höhnen war ebenfalls bereits vor der Versammlung in Bad Pyrmont 1933 zurückgetreten.

Ehrhardt Post wurde Stellvertreter von Otto Zander (1886-1938), der die Leitung des GSB übernahm. Zander hielt seine bekannte Rede in Bad Pyrmont, in der er die Juden Deutschlands vom organisierten Spielbetrieb ausschloß: „Juden können wir zu unserer Arbeit nicht brauchen, sie haben aus den Vereinen zu verschwinden, denn sie waren in Deutschland die Erfinder und Förderer des Klassenkampfes und hetzen jetzt die anderen Völker mit ihrer Lügenpropaganda gegen unser Vaterland. Ich will gestatten, daß Mitglieder, die unter ihren Großeltern drei Arier und nur einen Juden haben, in den Vereinen bleiben, sofern sie deutsch gesonnen sind. Und nun arbeiten, nichts als arbeiten! Bundesleiter Otto Zander“.

Im ganzen Deutschen Reich wurden die jüdischen Schachspieler vom organisierten Schach ausgeschlossen. Auch der Hessenmeister des Jahres 1925 Wilhelm Orbach aus Offenbach/M. wurde aus seinem Verein der Schachgesellschaft 1880 Offenbach/M. ausgeschlossen. Noch am 1.10.1932 hatte sich im Vereinslokal „Meister Orbach an der regen Besprechung beteiligt und führte einige typische Stellungen vor“.

Es ist schwer verstehbar, wie die rassistische Ausgrenzung der jüdischen Schachspieler selbst bei einem Spiel stattfinden konnte, das sicherlich keine sehr große Bedeutung für die Nationalsozialisten hatte. Die Menschen hätten sich ohne weiteres und ohne größere Repressalien zu befürchten aus dem organisierten Schach zurückziehen können. Es gab keinen Zwang Schach zu spielen. Dies galt für das private Schachspiel mit Amateurstatus mehr als für jede andere Tätigkeit im öffentlichen oder beruflichen Bereich. Als die Offenbacher im Oktober 1938 ihres bis dahin genutzten Lokales kurzfristig verlustig gingen und sie in der kurzen, verbliebenen Zeit nicht lange wählen konnten, zogen sie in’s Kaiser-Café, wo sie eine gute Aufnahme fanden. Doch weil „immer noch einige Juden im Kaiser-Café verkehren“, waren verschiedene Mitglieder mit dem neuen Lokal nicht einverstanden“.

Briefkopf des GSB 1939

Ehrhardt Post jedoch schien am Ziel seiner Wünsche. Zunächst war er Stellvertreter des Bundesleiters Zander, dann, als in der Nachfolge von Zander Franz Moraller Bundesleiter geworden war, Geschäftsführer des GSB. Er war der unumschränkte Herrscher im deutschen Schach. Das machen auch die Aussagen von Alexander Aljechin in einem Interview in der spanischen Zeitschrift El Alcázar vom 3. September 1941 deutlich.

1935 unterschrieb er die Schreiben des GSB noch „In Vertretung“, 1939 galt seine Unterschrift alleine.

Post hat die Verwüstungen im europäischen Schach mit zu verantworten, daran besteht kein Zweifel, doch war er nach des Autors Überzeugung kein überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde. In diesem Zusammenhang kann Erwähnung finden, daß Kurt Rattmann Senior dem Autor Ende der siebziger Jahre persönlich sagte, daß Post „kein Nazi gewesen sei“, sondern den GSB vor der Organisation KdF geschützt und abgeschirmt habe. Und auch Lehmann, Berlin, bezeichnete Post als „machtbewußten Konservativen“. Lehmann und Rattmann kannten Post noch persönlich. Auch Lachaga schrieb, daß Post nicht der Partei angehört hatte. Lachaga hatte seine Informationen von Albert Becker und der musste es wissen. Und die Tatsache, daß Post formal und protokollarisch immer nur der zweite Mann innerhalb des GSB war und hohe nationalsozialistische Funktionsträger zum Bundesleiter des GSB ernannt worden sind, spricht ebenfalls dafür, daß er nicht der Partei angehörte, denn nur verdiente und zuverlässige Parteimitglieder konnten in die höchsten Führungspositionen innerhalb des nationalsozialistischen Staates berufen werden.

Aufschlussreich und interessant sind auch die Aussagen, die von Paul Michel überliefert sind. „Zahlreiche Schachturniere jener Jahre verdankt man der rastlosen Energie eines Mannes, Post. Als vor nunmehr sechzehn Jahren der Schreiber dieser Zeilen anläßlich einer Artikelreihe in den Deutschen Schachblättern – ‚Die Skandinavische Partie‘ – aufgefordert wurde, die jüdischen Namen zu unterdrücken und er erwiderte, daß dann auch die der Nichtjuden fortzubleiben hätten, da erklärte Post auf der Stelle sein Einverständnis. Als man im November 1938 (Reichskristallnacht, Anm. HB) von der spontanen Volkswut sprach, da sagte Post spöttisch verächtlich: „Die Volkswut, die früh drei Uhr wachgeworden ist.“ Wir könnten diese Beispiele vermehren, doch: sapientia sat. Es wird nicht gelingen diesen Mann für immer totzumachen, in dankbaren Herzen lebt er weiter. Denen aber, die sich in blindwütigem Haß zur knirschenden Verwünschung des Grafen von Savern versteigen: Den werft mir in die Hölle, daß er zu Asche gleich vergehe und ihn mein Aug‘ nicht weiter sehe! – denen rufen wir zu: Richtet euren Haß an die Adresse derer, die ihn verdienen, denen wir es verdanken, daß unsere Lieben freudlos dahingebleicht, unser vertrautes Land, unsere Städte zerfetzt sind! – In sonst erbarmungslosen Tagen, Wochen, Jahren gab es für uns Schachmeister Stunden des Trostes, von Freude, Unbekümmertheit, die wir großenteils Post verdankten und mit uns die vielen Namenlosen, denen das Nachspielen Hochgenuß verschafft, ein Sonnenstrahl ist in des Daseins ödem Grau. In diesem Sinne wage sich dieses Buch ans Licht!“ Bemerkenswert ist dabei auch, daß das Buch von Michel „Frau Salome Reischer, Meisterin von Österreich, der gütigen Helferin in bitteren Jahren in Dankbarkeit zugeeignet“ ist. Reischer war Jüdin und emigrierte nach Palästina und später in die USA. Sie kehrte nach Restitution ihres vorher arisierten Familienbesitzes nach Wien zurück und starb dort 1980.

Es erhebt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit die Unterscheidung, ob Ehrhardt Post nun denn ein überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde oder nur ein konservativer Deutschnationaler war, von wirklicher Relevanz ist, angesichts der von ihm billigend in Kauf genommenen Vertreibung jüdischer Schachspieler aus der deutschen Schachszene, angesichts seiner Treffen mit Hans Frank dem Leiter des Generalgouvernements Polen und angesichts der Organisation von Schachturnieren in unmittelbarer Nähe der Konzentrationslager in Polen, in denen Menschen vernichtet und vielleicht gerade der bibliophile deutsche Jude Harald Falk aus Hamburg oder der polnische Jude David Przepiorka aus Lodz vergast wurden.

Der Autor ist der Überzeugung, daß es alleine schon deshalb kein nur formal wichtiger Aspekt ist, als mit der Klärung dieser Frage deutlich wird, welche Schuld auch gerade die deutschnationalen Ideen folgenden Deutschen auf sich geladen haben – in der großen politischen Welt, wie auch im kleinen Gebiet des Schachs. Vom gutmütigen Nationalismus romantischer Prägung zum rassistisch ausgrenzenden Nationalismus völkischer Prägung war es eben nur ein kleiner Rösselsprung, wenn die Sicherungen intellektueller Vernunft erst einmal gebrochen waren. Nicht nur die Juden in Deutschland und Europa, sondern auch die Jugend Deutschlands und Europas hat diesen Verlust an Vernunft mit dem Leben bezahlt; die Medizinstudenten Hans und Sophie Scholl aus Überzeugung für ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus in München 1943 ebenso, wie die jungen und betrogenen deutschen Soldaten, die, wie der James Dean der deutschen Schach-Aficionados, Klaus Junge („denn sie wissen nicht, was sie tun“), noch in den letzten Wochen und Tagen vor dem Ende des Krieges im Mai 1945 ihr Leben geben mussten.

Stoltz vs Junge, Großmeisterturnier 1942

Ehrhardt Post starb am 1. August 1947. Die Nachricht über den Tod dieses einst so mächtigen Schachfunktionärs fand in der Schachpresse nur eine geringe Beachtung. Es ist nicht bekannt, wer Post wo und wie begraben hat.

Der Deutsche Schachbund aber muß sich in seinem 125. Jubiläumsjahr seiner Geschichte nicht schämen. Stolzen Hauptes kann er sich seiner Leistungen erinnern eingedenk der Worte: „Hüte dich nur und bewahre deine Seele wohl, dass du nicht vergessest der Geschichten, die deine Augen gesehen haben, und dass sie nicht aus deinem Herzen kommen all dein Leben lang.“

Chapais (Version Allemande)

Ein verkanntes Manuskript: Das Manuskript von Chapais

von

Dr. med. Jean Mennerat

Paris

In’s Deutsche übertragen von Harald E. Balló

« I used to play chess a great deal, studied chess theory assiduously: I became obsessed with the endgame,…The endgame, to a complete amateur like myself, is the highest form of chess. The board is clear of all the useless lumber of the game’s earlier stages; there is a marvellous lucidity and harmony in the play; above all, the risks are at their greatest – the smallest slip precipitates total ruin, with the enemy’s passed pawns sweeping unstoppably on. …What can the State know of the beauty of the chess-pieces arranged on the board, the invisible lines of possible play radiating in every direction, the perfect balance that the least breath will upset ? »

(Bernard Levin. Daily Mail December 1965. Artikel anläßlich der Eröffnungssitzung des Kongress Hastings 1965).

Ich habe Chapais vor dem Krieg, als ich noch Student war, ‚kennengelernt‘. In einem Pariser Antiquariat fand ich damals das zweibändige Werk von Henri Delaire „Les Echecs Modernes“. Im ersten Band (1914) findet sich eine interessante Bibliografie. Auf der Seite 91 steht: „Chapais – Essais analytiques sur les Echecs – Paris 1780“.

Vergeblich habe ich alle Buchhändler und Antiquariate des Quartier Latin nach diesem Buch durchsucht: Niemand hatte von diesem Buch etwas gehört. Erst später fand ich in der siebten Auflage von Bilguers Handbuch (1891), das ich für einige Francs erworben hatte, im zweiten Teil: „Das Endspiel“, daß das ungefähr im Jahre 1780 aufgesetzte Manuscript im Besitz des deutschen Diplomaten Tassilo von Heydebrand und der Lasa war. So sehr ich mich auch freute, endlich eine weitere Mitteilung über das Chapais’sche Werk gefunden zu haben, wußte ich damit aber auch, daß ich es nie würde erhalten können. Und erst kürzlich, mehr als vier Jahrzehnte sind vergangen, konnte ich eine Kopie erwerben.

Dieses Manuskript ist nie komplett herausgegeben worden, trotz der von von der Lasa verfaßten Notizen. Sicher erscheint, daß von der Lasa das Buch von Chapais gelesen hat, obwohl Chapais eine „diabolische“ Notation verwendete. Von der Lasa, der das „Handbuch“ mitbegründete und zunächst gemeinsam mit von Bilguer erstellte, schrieb das erste Mal in der vierten Auflage (1864), Buch II, Abschnitt III, Absatz 2 „König und Thurm gegen König, Thurm und Läufer“ Seite 499 des Handbuches über eine Variante der Stellung N° 1 (Philidor), Fußnote 2: „In einem in unserem Besitz sich befindenden französischen Manuscript von Chapais ..“. Auch auf den Seiten 500, 501 und 502 ist Chapais erwähnt.

Darüberhinaus wird Chapais auch im Abschnitt V Absatz „Beide Springer gegen König und Bauern“ mit Diagrammen III und IV, auf den Seiten 540 -541 zitiert. Auch liest man im Abschnitt VI, Absatz 5 „Drei freie Bauern gegen den König auf der einen und andern Seite“, Seite 564: „Uebrigens ist uns seitdem noch eine fernere Abhandlung über dieses Problem bekannt geworden, welche in einem vom Herausgeber 1855 erworbenen französischen sehr ausführlichen Folio-Manuscripte von M. Chapais, négociant à Paris (ohne Jahr aber nach 1777 aufgesetzt) über die üblichen Endspiele, von S. 163 – 202 enthalten ist.“

Und auf Seite 573 über die von Ercole del Rio korrigierte Greco-Stellung findet sich: „Dieser Gewinn ist auch in dem vorerwähnten Manuscript von Chapais S. 199 angezeigt, welches zugleich die übrigen Fehler des Calabresen rügt!“

Einige Jahre vorher hatte von der Lasa einen Wettbewerb über die Lösung einer von Chapais‘ Stellungen (Ka2, Se3 und h3 gegen Kh5, Bh4) anlässlich des Kongresses des Westdeutschen Schachbundes in Düsseldorf im September 1862 vorgeschlagen. Der Wettbewerb wurde von B. von Guretzky-Cornitz gewonnen (Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1863, Seiten 18 bis 27 und Deutsche Schachzeitung Okt. – Nov. 1863, Seiten 306 bis 315). Er hatte auch zwei Artikel in der Deutschen Schachzeitung geschrieben: 1862 Okt.-Nov., Seiten 290 bis 293: „Matt in 60 Zügen, von Chapais“ und im Dezember-Heft 1862, Seiten 356 bis 359: „Das Endspiel der beiden Springer“ mit Chapais‘ Lösung und Kommentar.

Chapais wurde fast unverändert in allen Auflagen des Handbuches erwähnt bis zur 8ten Auflage, in der J. Berger, Autor des Zweiten Bandes, „Das Endspiel“ über die drei Stellungen König und 2 Springer gegen König und Bauern von Chapais schrieb. Er unterstrich die theoretischen Forschungen von Troitzky und von v. Guretzky-Cornitz und erwähnte die Lösungen von Paul Jahn, H.F.L. Meyer und O.D. Henry.

Wahrscheinlich hat von der Lasa das Manuskript in Paris gekauft. Im Jahre 1855 war er Diplomat in Brüssel und fuhr im Sommer nach Paris, wo er mehrere Schachpartien mit Arnous de Rivière spielte (Deutsche Schachzeitung 1855, Seiten 250 bis 252).

Das Manuscript wird erstmals in dem autographierten Verzeichnis der Bibliotheken von v.d. Lasa und R. Franz: „Kurzes Verzeichnis der Schachbibliotheken von v.d.Lasa und R. Franz in Berlin 1857“, Haag den 1ten September 1857 (8 Seiten, zweispaltig), Verzeichnis erarbeitet von v. d. Lasa, erwähnt. Auf der Seite 2 ist unter der Nummer 46b zu lesen: „Chapais, fol. M.S. sur les fins de partie, breit aber recht gut, ungefähr 1780 (v. d. Lasa)“. Dieses Verzeichnis wurde nur in drei Exemplaren herausgegeben: „Es existiren (sic) nur ein paar Exemplare dieses autographierten Verzeichnis’. Eines befindet sich bei Herrn Franz, ein anderes bei Herrn Allend (sic)“. (Erwähnung von v. d. Lasa am Ende des Verzeichnis’)“.

Nun kann man sich fragen, warum von der Lasa keine anderen Stellen aus dem Manuscript von Chapais erwähnte, da er doch die Auflage des Handbuchs bis zur 5ten Auflage (1874) erledigt hatte, und erst im Jahre 1899 nach dem Erscheinen der 7ten Auflage, welche von Schallop bearbeitet worden war, gestorben ist. Erstaunlich ist dabei auch, daß er es nicht unternommen hat, das komplette Manuscript in toto zu veröffentlichen. Allerdings war von der Lasa ein mehr schöpferischer Autor und vielleicht ist hierin ein Grund zu suchen. Das Verzeichnis seiner Schriften enthält nicht weniger als 110 Titel (Bücher und Artikel). Dabei ist dieses Verzeichnis unvollständig, weil die in ausländischen Zeitschriften veröffentlichten Artikel und Briefe (z.B. ab 1843 in „The Chess Player’s Chronicle“) nicht enthalten sind. Meines Wissens nach hat er keinen Artikel über das in seinem Besitz befindliche Manuscript geschrieben. Vielleicht war er von der schwer lesbaren Notation und der Herausforderung, 523 dünn und dicht beschriebene Seiten zu entziffern, entmutigt worden ?!

Deshalb war dieses Manuscript in der Praxis nur durch die drei Stellungen König und beide Springer gegen König und Bauern berühmt und bekannt geworden. Man kann sich hier an J. Berger, A. Troitzky, M. Lamare, A. Chéron, L.L. Rabinowitsch, D.O. Herbstmann, E. Voellmy, I. Maisezlis, O. Nedeljkovic, M. Euwe., J.H. Donner, A.J. Roycroft, C. Bijl halten. Mit der Ausnahme von Herrn Doktor Carlos R. Lafora, der in seinem Buch „Dos Caballos en combate“ das Chapais’sche Werk wirklich würdigt, erwähnen die meisten Autoren Chapais lediglich mit Namen. Und außer den oben genannten Autoren, ist allen anderen Autoren, die über das Endspiel geschrieben haben, der Name und Autor Chapais vollkommen unbekannt. Lediglich van der Linde zitiert in dem ersten Band seines großen Werkes „Geschichte und Litteratur des Schachspiels“ (1873), auf Seite 414-415 in sieben Zeilen: „Chapais Essais-analytiques // sur // les Echecs, avec figures // par M. Chapais, Negociant à Paris // Folio.2 Bll.(Table des fins de partie traitées dans ce volume) + (524) Seiten + 2 Bll. (Rösselsprünge). Handschrift in der Bibliothek des Herrn von der Lasa, geschrieben um 1780 (Philidor 1777 ist berücksichtigt), die nur Spielendungen enthält, aber sehr weitläufig angelegt und mit der erschrecklichen Nummerierung des Brettes von 1 bis 64 geschrieben ist. Der Autor muss ein ganz vorzüglicher Kenner der Spielendungen gewesen sein.“ Dies zeigt, daß van der Linde das Manuscript in seinen Händen gehabt haben muß oder daß er zumindest einen Bericht von v.d. Lasa bekommen hatte.

In welcher Zeit hat Chapais sein Manuscript verfaßt ?

Gewiss nach 1777, dem Datum der 2ten Auflage des Philidor. Die Morphologie der Buchstaben, die Rechtschreibung, die Satzstellung sowie der Stil kennzeichnen die Arbeit als ein Werk aus dem letzten Viertel des 18ten Jahrhunderts.

In welcher Absicht wurde das Manuscript erstellt ?

Sicherlich sollte das Buch auch gedruckt werden. Urteilt man nach der sorgfältigen „Kalligraphie“ des Manuscripts kann man denken, daß es für den Buchdrucker bereits vorbereitet war. Im Vorwort findet man auch: „Quelques amis en différens tems lui ayant demandé les Résultats de plusieurs fins de parties … „. Darüberhinaus hat man auch gar nicht den Eindruck, daß das Manuscript nur für seinen Autor selbst geschrieben worden ist.

Warum wurde es nicht gedruckt ?

Wahrscheinlich hat die Französische Revolution das Projekt des Autors verhindert. Entweder aufgrund der Unruhen des revolutionären Sturms oder aufgrund des Verschwindens von Chapais. Mußte er fliehen oder wurde er gar ein Opfer der „Dame“ Guillotine ?

Wer war Chapais ?

Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Bisher habe ich keine Spur von ihm in Paris finden können. Er war sicherlich Kaufmann und Händler aber sein Stil, die Flüssigkeit seiner Rede, der Gebrauch des Lateinischen und des Griechischen, weisen ihn als gebildeten Menschen aus. Wahrscheinlich hielt er sich oft im Café de la Régence auf. Wenn sein Name nicht in der Geschichte auftaucht, so wie die Namen von Carlier, Léger, Bernard und Verdoni, so liegt dies vielleicht daran, daß er wie so manch anderer Schachamateur das Vergnügen der Analyse dem Wettstreit am Brett vorzog. Seine „Essais analytiques“ können dies erweisen. Heute ist dieses Vergnügen auch dasjenige der Liebhaber von Endspielstudien.

Das Werk von Chapais besteht aus einem etwa 30 x 21 cm großen Manuscript, sorgfältig geschrieben, mit dünner und regelmäßiger Schrift auf Seiten mit 33 Linien. Es hat eine Titelseite, zwei Seiten für das Vorwort und Inhaltsverzeichnis, 524 dicht beschriebene Textseiten und 29 Bretter mit 69 Figuren ohne allerdings Diagramme zur Illustration der studierten Stellungen zu benutzen.

Chapais verwendet eine eigens von ihm geschaffene Notation.

Wie bereits erwähnt umfasst die Handschrift 524 von der Hand des Schreibers nummerierte Seiten; hinzu kommen zu Beginn des Textes drei nicht nummerierte beschriebene Blätter, die den Titel und das Inhaltsverzeichnis enthalten. Ferner findet man vor dem Titelblatt und am Ende des Werkes je ein leeres Blatt. Auch die eingelegten Figurentafeln tragen keine Seitenzahlen.

Außer der ersten Lage sind die Lagen des Manuskriptes auf der unteren rechten Ecke der ersten Hälfte der Blätter mit den entsprechenden Buchstaben von B bis Bbbii signiert. Das Papier der Handschrift besteht aus feinem, gerippten Büttenpapier und weist auf der linken Bogenhälfte das folgende Wasserzeichen auf: FIN//A.GRILAND//POITOU//1772 wohingegen die rechte Bogenhälfte das nebenstehend abgebildete Wasserzeichen trägt.

Die Blätter sind 30 cm hoch und 21 cm breit. Dabei beträgt die Größe des beschriebenen Raumes fast durchweg 24 x 15,5 cm. Die Handschrift ist, den Einband mitgerechnet, etwa 4,9 cm stark währenddessen sie ohne den Einbanddeckel etwa 3,5 cm mißt. Der Einband besteht aus starken Pappdeckeln, die mit kräftigem, rotbraunen Wildleder überzogen sind. Der Rücken, der in sechs Felder unterteilt ist, zeigt auf den Feldern eins sowie drei bis sechs jeweils eine in goldgepresste Ornamentik. Auf dem Feld zwei steht der Titel in prächtigem Golddruck: ESSAIS//SUR LES//ECHECS.

Die Innenseiten der Einbanddeckel sind mit rot-blau-gelb-grün-weiss marmoriertem Vorsatzpapier beklebt. Es folgt ein Schmutzblatt aus demselben bunten Papier, das auf der nach innen gerichteten Seite Weiss überklebt ist. Auf der Innenseite des Vorderdeckels befindet sich in der linken oberen Ecke das Exlibris mit dem Wappen der Familie von Heydebrand und der Lasa. Dieses Exlibris trägt links oben die Signatur: N° 500/(584) MS sowie links unten die Zahl: 1889. Rechts unten findet man das Autogramm: v. Lasa. Darüber hinaus findet man das Wappen in der Mitte des vorderen, weißen Schmutzblattes sowie in der rechten unteren Ecke der Vorderseite des Titelblattes. Einige Bemerkungen, die mit blauer Tinte oder Bleistift handschriftlich eingefügt worden sind, rühren sämtlich von von der Lasa her. Die Handschrift ist im Ganzen von einer einzigen Hand geschrieben und weist regelmäßige, feine, fast schön anmutende Züge auf wobei Schreibversehen. selten auftreten.

Das Manuscript mit dem Titel „Essais analytiques sur les Echecs, avec figures, von M. Chapais, négociant à Paris“ ist in der Tat ein Lehrbuch über Endspiele. Der Autor sagt anspruchslos im Vorwort: „L’auteur de ces Essais n’a jamais eu le dessein de donner un Traité du jeu des Echecs: Quelques amis en différens tems lui ayant demandé les Résultats de plusieurs fins de parties susceptibles de difficultés, il s’est contenté de Répondre à leurs Question, sans prétendre absolument tout aprofondir.“

Tatsächlich studiert Chapais die folgenden Endspiele:

Könige und Bauern

König und Bauer gegen König und Dame

König und Turm gegen König und Springer

Läufer gegen Springer

König, Läufer und Bauer

gegen König

gegen König und Bauern

gegen König und zwei Bauern

König und Läufer gegen König und 2 oder 3 Bauern

Springer gegen ein, zwei oder mehrere Bauern

König, Bauer und Springer gegen König

Matt mit Turm und Läufer gegen Turm

Matt mit Läufer und Springer

Matt mit 2 Läufern

Matt mit König und 2 Springer gegen König und ein oder mehrere Bauern

König und Dame gegen König und Turm.

Das Manuscript beginnt mit Notions Préliminaire (Seiten 1 bis 6), die die von dem Autor geschaffene Notation erklärt.

Diese Notation „offre un moyen aussi simple que laconique et nullement équivoque pour indiquer et la position et le jeu des pièces“. Diese Notation, welche mit einer Nummerierung der Felder von 1 bis 64 arbeitet, wobei mit a1 begonnen wird und die Nummerierung nach a8 fortschreitet macht das Lesen dieses Werkes für die Schachspieler, die an die beschreibende oder algebraische Notation gewöhnt sind besonders anstrengend.

Chapais schreibt, daß die Nummerierung erfolgt „de sorte que tout nombre pair tombe constamment sur une case blanche, et tout impair sur une case noire“. Vielleicht ist diese schwierige Notation auch dafür verantwortlich, daß das Werk so verkannt worden ist. Von der Lasa, der gewiss das ganze Werk durchgeblättert hat, hat wahrscheinlich nur einige Stellen gelesen und das Manuscript niemals herausgegeben. Das Lesen ist darüber hinaus auch deshalb so schwierig als der Text eine außerordentliche Dichte aufweist und den schwerfälligen Wortschatz und Satzstellung des 18ten Jahrhunderts benutzt. Von der Lasa, der als Diplomat eine ausgezeichnete Kenntnis der französischen Sprache besaß, war möglicherweise entmutigt, diesen Text stilistisch und grammatikalisch in eine moderne Sprache zu transformieren.

Seite 7 bis 11 handeln vom Gang des Königs auf dem freien Brett; die Seiten 13 bis 18 beschreiben den Gang des Springers.

Dann gibt Chapais eine originelle Erklärung der Opposition der Könige im Verhältnis zu dem kombinierten Gang der beiden Könige (Seiten 19 bis 26), und gibt Beispiele hierfür auf den Seiten 27 bis 50 indem er 26 Stellungen benutzt.

Im darauffolgenden Kapitel „König und Bauer gegen König allein“ sind die beiden unterschiedlichen Fälle des auf den Turmlinien oder den Mittellinien stehenden Bauern berücksichtigt (10 Stellungen auf den Seiten 51 bis 61).

Es folgen „Observations générales sur les Pions doublés“ (Seiten 61 bis 64) noch einmal mit dem Unterschied zwischen Bauern auf Mittellinien, die zu Gewinn und Remis führen sowie Bauern auf Turmlinien, die zum Remis führen (4 Stellungen).

Schließlich stellt Chapais das Endspiel „Le Roi et deux Pions contre le Roi seul“ (Seiten 65 und 66), das mit dem Gewinn der beiden Bauern endet, dar. Mit einigen Ausnahmen, wie z.B. getrennte Bauern auf unterschiedlichen Linien und einer Warnung vor Patt-Möglichkeiten (4 Stellungen). Dann folgen 12 Stellungen „Le Roi et un pion de part et d’autre“ (S. 67 bis 73). Er bringt nacheinander die Stellungen 1. mit Bauern auf derselben Linie, 2. Unfreibauern und 3. endlich Freibauern, einer von beiden sich in die Dame umwandelnd (Seiten 74 bis 89). Er beendet dieses Kapitel mit 9 charakteristischen Stellungen.

Die Seiten 91 bis 127 behandeln das Endspiel „König und zwei Bauern gegen König und ein Bauer“ unter 3 unterschiedlichen Blickwinkeln wobei 16 Stellungen dargestellt sind:

zwei verbundene Bauern darunter ein Freibauer

zwei getrennte Bauern darunter ein Freibauer

zwei getrennte Bauern (ohne Freibauer).

Die Seiten 129 bis 161 betrachten das Endspiel „König und zwei Bauern auf der einen und anderen Seite“ in 20 unterschiedlichen Stellungen:

verbundene Bauern gegen getrennte Bauern

getrennte Bauern gegen getrennte Bauern mit oder ohne Hilfe des Königs

getrennte oder verbundene Bauern halten miteinander.

Chapais fährt mit der Studie von Endspielen mit Bauern in „König und 3 Bauern auf der einen und anderen Seite“ fort (Seiten 163 bis 197) und bringt hierzu 25 in drei verschiedene Arten untergliederte Stellungen:

Bauer sich in die Dame verwandelnd (Freibauer)

Bauern vom gegnerischen König aufgehalten

Stellungen mit Remisschluß aufgrund von Zugwiederholung (der Könige) und Pattstellungen.

Das Kapitel endet mit „Fehler des Kalabresen“ (Seiten 198 bis 203), indem Chapais die Stellung des Greco Buch II, Kapitel L „(Ke1, Ba2, b2, c2 vs. Ke8, Bf7, g7 und h7)“ angibt und hierzu schreibt: „Moyen le plus sur de faire marcher ses pions et de bien conduire son Roi à la fin du jeu“. Er kritisiert Greco und korrigiert die von Ercole del Rio im Jahre 1750 gegebene Lösung dabei beweisend, daß 5. … h4 gewinnt. Es ist diese erstmals von Chapais gegebene Lösung, die von der Lasa in den Auflagen des „Bilguer“ ab 1864 erwähnt.

Auf den Seiten 205 bis 214 bringt Chapais etwas „Über gegenseitige Figuren-Bewegungen, besonders gegen den Springer“. Nach Meinung des Autors hatte man bis zu dem Zeitpunkt zuviel von der Macht des Springers gehalten. Er unterstreicht den Kampf  Turm gegen Springer, und Läufer gegen Springer.

Nach dieser Studie folgen „Lösungen zum Matt in verschiedenen Stellungen des Königs und eines Turmes gegen König und Springer“ (Seiten 215 bis 230 mit 5 Stellungen).

Danach gibt Chapais seine „Lösungen für die Partie Läufer gegen Springer“ (Seiten 230 bis 248), mit Endspielen König, Läufer und ein oder zwei weiße Bauern gegen schwarzer König und Springer, die mit Gewinn oder Remis enden. Dabei gibt er 13 Stellungen an.

Hierauf folgt „König, ein Läufer und ein Bauer gegen König allein, gegen König und 1 Bauer, gegen König und zwei Bauern“ (Seiten 249 bis 277), in dem Chapais in ein paar Worten drei Stellungen als Einführung zu seiner Studie König, Läufer und Bauer gegen König und zwei Bauern in 4 Sektionen mit insgesamt 16 Stellungen angibt.

Im nächsten Kapitel (Seiten 279 bis 330) „König und ein Läufer gegen König und zwei oder drei Bauern“ betont er drei Fälle:

Läufer allein gegen Bauern ohne Hilfe der Könige (7 Stellungen)

Beide Könige: der schwarze König versucht seinen Bauern zu verteidigen, wenn der weiße König den gegnerischen Bauernvormarsch verhindert (8 Stellungen)

König und ein Läufer gegen König und 3 Bauern, mit Hilfe der Könige (13 Stellungen).

Dann kommen Springer gegen ein oder mehrere Bauern und Springer und Bauern gegen König allein mit 25 Matt- oder Remis-Stellungen (Seiten 331 bis 353).

Danach zeigt Chapais „Matt des Turms und des Läufers gegen Turm“ (Seiten 355 bis 392) und gibt 22 gewonnene Stellungen an, von denen die erste die sog. Philidor Stellung der 1ten Auflage ist und die letzte der 2ten Auflage entnommen ist. Ausserdem sind 10 Stellungen als unentschieden angegeben. Von der Lasa erwähnt die Analysen von Chapais im Handbuch.

Auf den Seiten 393 bis 403 werden das „Matt des Läufers und des Springers“ in 2 Stellungen mit 32 bzw. 11 Zügen analysiert. Das Merkwürdige der 32 zügigen Lösung besteht in der Ausgangstellung, in der die Figuren die vier Eckfelder des Schachbrettes (a1, h1,h8,a8) einnehmen. Die Stellung wurde auch von Oswald Langier in einem Artikel der französischen Zeitschrift „L’Echiquier Francais“ des 5ten Februar 1907 (Seiten 16 bis 20) und auch von Ed. Lasker in „Schachstrategie“ 1911 Seite 17 analysiert bzw. erwähnt.

Schließlich gibt Chapais das Endspiel unter Bedingung oder „Mat chinois“. Das Matt wird mit einem Läufer auf einem im voraus bestimmten Eckfeld seiner Farbe erreicht. Es folgen zwei Stellungen des Matts der zwei Läufer.

Das folgende Kapitel ist dem Endspiel, für das Chapais berühmt ist, gewidmet: „Matt des Königs und beide Springer gegen König und ein oder mehrere Bauern (Seiten 413 bis 455). Nachdem Chapais die Unmöglichkeit des Matts mit zwei Springern gegen König allein bewiesen hat, studiert er das Matt mit dem König und einem Bauern in 2 Fällen:

  1. Bauer anfangs und später frei sich in eine Dame umzuwandeln
  2. Bauer anfangs oder später von einem der beiden Springer blockiert.

Dieses Endspiel wird mit mehr als 20 Stellungen von unterschiedlicher Länge illustriert. Von der Lasa hat aber nur drei dieser Stellungen benutzt.

Das Endspiel „König und Dame gegen König und Turm“ betrachtet Chapais als ein von den weißen Figuren gewonnenes Endspiel.

Es folgen hierauf 12 Stellungen darunter 10 gewonnene Stellungen. Sie finden sich auf den Seiten 457 bis 475. Das Außergewöhnliche ist, daß die 9te Stellung identisch ist mit der auf Seite III der Einführung des Buches von Alfred Crosskill, „Analysis of the Chess Ending King and Queen against King and Rook“ (1895). Diese bei Crosskill erwähnte Stellung stammt aus einer wirklich gespielten Partie.

An dieser Stelle endet das eigentliche Lehrbuch über Endspiele.

Darüberhinaus gibt Chapais am Schluß des MS eine „Sonderbare und extravagante Stellung“, nämlich die bevorzugte „Partie des Maréchal de Saxe“ an (Seiten 477 bis 484).

Es handelt sich um zwei Versionen der berühmten Aufgabe des Maréchal de Saxe (Aufgabe des Pion Coiffé). Die weißen Figuren sind nach freiem Belieben auf dem Schachbrett angeordnet.

In dem von Chapais angegebenen Beispiel stehen die Figuren auf ihren jeweiligen Startfeldern (außer K und L).

 

Aufgabe des Marschalls von Sachsen

Weiß soll mit dem Bauern g2 auf einem der Felder g3 bis g7 nach Wahl des Schwarzen Matt setzen, ohne daß einer der schwarzen Bauern genommen werden darf. Dabei darf Schwarz nach dem 19ten ten Zug wählen. Die Aufgabe beinhaltet ein sogenanntes Spießrutenlaufen, von denen die Zeit um die Wende des XIX. Jahrhunderts manche hervorgebracht hat. Meines Wissens nach ist die erste schriftliche Spur dieser Aufgabe in dem Buch von Montigny gedruckt, allerdings mit dem Unterschied, daß die Darstellung der Figuren eine andere ist und eine Lösung in 14 Zügen geboten wird. Bislang ist es mir nicht gelungen, eine gedruckte Spur dieser Aufgabe von vor dem Jahre 1802 zu finden. Sie erscheint andererseits wieder in dem „Traité“ von Mouret (Paris 1836) und auch in „Le Palamède“ 1837 allerdings in einer anderen Version, welche auch auf den Marschall zurückzuführen ist.

Das Manuscript von Chapais endet schließlich mit einer Studie über den Rösselsprung (Seiten 485 bis 496) sowie mit 10 Seiten Tabellen mit allen von Chapais gegebenen Lösungen. Dazu kommt noch die „Manière de résoudre le Problème precédent, tireé de la Réponse du Sr. Coliny (sic) insérée dans le Journal Encyclopédique des Mois de Septembre et Octobre 1772“. Es handelt sich dabei um die „Lösung zu einer Aufgabe über Schachspiel, von M. Collini, Privatsekretär von S.A.E. Palatine, an die Autoren dieser Zeitung gerichtet“.

Hiermit beende ich meine kurzen Ausführungen über dieses sonderbare von der Schachgeschichte verkannte Werk. Es verdient jedoch besser bekannt zu werden, insbesondere vom Standpunkt der Schachgeschichte her gesehen. Eine vertiefende Studie des Manuscripts könnte unerwartete Elemente enthüllen. Nach den Kommentaren von von der Lasa zu urteilen, können die analytischen Fähigkeiten Chapais‘ als sehr hoch einzuschätzen sein.

Bevor man jedoch den wirklichen Wert der Chapais’schen Arbeit erkennen kann, ist es unbedingt notwendig, eine richtige ‚Übersetzung‘ seines Textes in die moderne Umgangs- und Schachsprache zu erstellen. Dabei handelte es sich um eine wahre Geduldsprobe (oder Pferdearbeit), welche zweihundert Jahre nach dem Tode des Autors noch immer auf ihren Löser wartet.

Dr. med. Jean Mennerat

Paris – Coulans

Oktober 1990  –  Februar 1992

Bibliographie

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  4. Bridier, Pierre, Illustration d’un mode de présentation des analyses ( 2C > P ) L’Echiquier de Paris – No. 5-6 / 1952 ).
  5. Chéron, A., Traité Complet d’Echecs, Bruxelles 1927
  6. Chéron, A., Nouveau Traité Complet d’Echecs – la fin de Partie, Lille 1952
  7. Chéron, A., Lehr- und Handbuch der Endspiele, Band II, Berlin-Frohnau 1964 et 1970
  8. Dedrle, Frantisek, Studie, Praha, 1925
  9. Delaire, H., Les Echecs Modernes, Paris 1914-1925
  10. Greco, G., Le Jeu des Echecs, Liège 1731
  11. Euwe, M., Donner, J.H., Het Eindspel 1, Utrecht/Antwerpen 1977
  12. Herbstmann, D.O., Schachmatnia partiia i kompoyitsia, Moscou/Leningrad 1930
  13. Herbstmann, D.O., Schaakpartij en compositie, Lochem 1948
  14. Lafora, Dr. Carlos, R., Dos Caballos en Combate, Madrid 1965
  15. Lamare, M., Traité des Fins de Partie, Paris 1924
  16. Lange, M., Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1862, Leipzig 1862
  17. Lange, M., Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1863, Leipzig 1863
  18. Lasa, T.v.H.u.d., Kurzes Verzeichnis der Schachbibliotheken von v.d. Lasa und R. Franz in Berlin 1857, Haag 1857
  19. Lasa, T.v.H.u.d., Verzeichnis meiner Sammlung von Schriften über das Schachspiel, Wiesbaden 1887
  20. Lasa, T.v.H.u.d., Erneutes Verzeichnis meiner Sammlung von Schriften über das Schachspiel, Wiesbaden 1896
  21. Lasker, Ed., Schachstrategie, Leipzig 1911
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  23. Meyer, H.F.L., The longest endgame in The Leisure Hour, London oct. 1891
  24. Meyer, H.F.L., Knight’s Endgame in Boy’s own Paper, London 15 oct. 1892–5 nov. 1892
  25. Montigny, Les Stratagèmes des Echecs, Paris An X (1802)
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  27. Nedeljkovic, O., Sawrschnize, Belgrad 1951
  28. Philidor, A.D., L’Analyze des Echecs, London 1749
  29. Philidor, A.D., Analyse du Jeu des Echecs, London 1777
  30. Rabinowitsch, I.L., Endschpil, Leningrad 1927
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  37. Troitzky,A.A., Collection of Chess Studies, Leeds 1937
  38. Van der Linde, A., Geschichte und Litteratur des Schachspiels, Berlin 1874
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  40. Le Palamède, Paris 1837
  41. Deutsche Schachzeitung, Berlin und Leipzig ,1855-1862, 1863-1873, 1906-1910
  42. Deutsches Wochenschach ,1898-1899
  43. L’Echiquier Français ,1907
  44. L’Echiquier, Bruxelles, 1926-1931
  45. La Stratégie, Paris ,1891
  46. Deutsches Wochenschach, Berlin 1891
  47. Österreichische Lesehalle, 1891

Schach-Zettel 1-167

  1. Vorläufer

Wenngleich es scheint, als hätten die oben erwähnten Chess Notes und Quotes and Queries für die vorliegenden Schach-Zettel Pate gestanden, so müssen wir aber doch zugeben, daß unseres Wissens der Erste, der in nummerierter Abfolge schachlich interessante Aspekte thematisierte der Franzose Gaston Legrain war. Unter der Überschrift „Les Curiosités de L’Échiquier“ (Ungewöhnlichkeiten des Schachbretts) publizierte er in seinen ab 1925 alle drei Monate erscheinenden „Les Cahiers de L’Échiquier Francais“ (Die Hefte des französischen Schachbrettes) in losem Zusammenhang eben die Ungewöhnlichkeiten des Schachs, die auch uns heute interessieren.

  1. Aus einer Simultanveranstaltung

Klicken auf die Züge lässt das Spiel erscheinen.

Wer kann weitere Angaben über die Simultanveranstaltung des zum damaligen Zeitpunkt bereits von Capablanca entthronten Lasker in Kassel machen ?

  1. Kreuzschach in der Partie

In einem in den Deutschen Schachblättern (DSB 5/6 [1941] S. 36/37) veröffentlichten Partiefragment kommt es zwischen Ahlfeld und Löchner zu einer reizvollen Form eines Kreuzschachs:

 

Ahlfeld – Löchner, Friedrich
1941

1…Sf2 2.Dxf2 Dh3+ 3.Kh1+ Sg4+ 0-1

Löchner, *12.9.1915, (nach J. Gaige, Chess Personalia, McFarland, Jefferson NC USA, 1987) 

überlebte den Krieg. Das an dieser Stelle abgebildete Photo von ihm findet sich in dem feinen Buch von Hans-Werner von Massow und Eberhardt Wilhelm (Hrsg.): Dr. Dyckhoff-Fernschach-Gedenkturnier“ 1954/56, Walter de Gruyter Verlag Berlin, 1958, S. 32/33.

Löchner erzählte uns, daß die Partie kurz vor der Offensive gegen die Sowjetunion in einem Lager in Straden nahe Radkersburg im Dreiländereck von Österreich, Italien und Ungarn, gespielt worden sei. Unbekannt ist ihm das Schicksal seines damaligen Gegners, Oberleutnant Ahlfeld. Gibt es in wirklich gespielten Partien weitere Beispiele von Kreuzschachs ?

Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang: Es gibt wenige Berichte, daß Soldaten während des Krieges Blind oder auch mit Brett gegeneinander Schach spielten. Wer kann Berichte liefern?

  1. Baldur Hönlinger

Baldur Hönlinger war in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts ein starker Hauptturnierspieler. In der von Dr. Hans Thanhofer verfaßten Festschrift „10 Jahre Deutscher Schachverein Wien (1920-1930)“, s.l. (Wien) s.a. (1930), S. 109 findet sich die erste Spur von Hönlinger: „Das jüngste Mitglied der vier Meister, sowohl an Jahren als an Vereinsjahren ist Baldur Hönlinger. Er kam still und ruhig eines schönen Sonntags in den Verein aus seiner Heimatstadt Brünn und es erregte gewaltiges Aufsehen, als er sofort einen Spieler der ersten Klasse in einer freien Partie besiegte. … .“ In Tartakowers „Das entfesselte Schach“, Magyar Sakkvilag, Kecskemet 1926, S. 176 f., ist eine von J. Haranghy erstellte Karikatur von Hönlinger, der ein kleinwüchsiger Mensch war, abgebildet. In einem Wettkampf mit Spielmann im Januar 1929 unterlag Hönlinger in einem auf 10 Partien angelegten Match fünf zu zwei (fünf Verluste, zwei Gewinne und drei Remisen).

Nach dem Kriege, in einer Zeit, als Deutschland in Trümmern lag, stellte Hönlinger anläßlich des 25-jährigen Bestehens der Velberter Schachgesellschaft im Jahre 1948 einen Simultan – Weltrekord auf, indem er während 12 Stunden und 28 Minuten ununterbrochen kämpfend, gegen 213 Gegner spielte (Chess, Bd. 13, Nr. 154, Juli 1948, S. 232). In Wuppertal ansässig, kämpfte er für den dortigen Verein oft am ersten Brett. Später, aufgrund eines Schlaganfalls der Hilfe seiner viele Jahre jüngeren Ehefrau bedürfend, hatte sich Hönlinger zurückgezogen. Er starb im März 1990 in Wuppertal.

Wer kennt Partien des Meisters, um eine Partiesammlung und Biografie zu erstellen ?

  1. Lionel Kieseritzky

In einer Fußnote berichtet die Schachwelt Nr. 1/2, 9. Februar 1912, S. 8 über den Taufschein von Lionel Kieseritzky in dem der Name des Schachmeisters mit Kiezezycki buchstabiert ist. Offensichtlich müßte das nach dem Schachmeister benannte Gambit Kiezezycki-Gambit heißen. Kann einer der polnischen Leser helfen?

  1. Dr. Görschen

Der in den fünfziger Jahren schach-schriftstellerisch aktive Dr. Görschen aus Flensburg besaß eine Sammlung von 723 Lichtbildern, die er auf Vorträgen zur Darstellung der Schachgeschichte benutzte (siehe Caissa Nr.12, 1953, S. 236 und Caissa Nr. 21, 1953, S. 416).

Egbert Meissenburg, der Robert Hübner der deutschen Schach-Aficionados (scheu, aber wacker), der die Sammlung Görschen nach dessen Tod von den Erben kaufte, weiß auch nichts über den Verbleib der Lichtbilder. Gibt es Spuren ?

  1. The Kings of Chess

Es gibt Bücher, die die Einseitigkeit des Autors zeigen und nur mit äußerster Vorsicht zu lesen sind.

Ein solches Beispiel ist das Buch The Kings of Chess, Pavillon Books, London 1986 von William Hartston. Es genügt, das Inhaltsverzeichnis durchzusehen. Ein 10-Seiten-Kapitel über André D. Philidor, ein 15-Seiten(!)-Kapitel über Howard Staunton (wer war Staunton ?), ein 16-Seiten-Kapitel über Paul Morphy (unser Freund von der anderen Seite des Ozeans), aber kein eigenständiges Kapitel über Adolf Anderssen.

Im Text finden sich dann Unkorrektheiten gepaart mit simpler Ignoranz. Ein Beispiel: „Anderssen’s tentative claim for a German take-over in 1851 had been interrupted by our transatlantic visitor of 1858, but after Morphy’s departure there was to be little doubt that the new breeding ground for great players was indeed the Habsburg Empire. While Staunton had been labouring away improving his Chess Player’s Handbook and ensuring the pre-eminence of his own reputation, another group of chess theorists had been hard at work in Berlin.“

Zunächst gab es da nie einen von Anderssen initiierten Übernahmeversuch im Sinne einer Überlegenheit des Deutschen Schachs. Anderssen war bekannt für seine Bescheidenheit, auch nach seinem Sieg in London 1851. Bekannt dagegen ist die perfide Art Stauntons, als er versuchte den Sieg Anderssens im Turnier 1851 zu schmälern. Entlarvend, im Sinne einer völligen Ignoranz der Leistungen eines Anderssen, von der Lasa, Mayet, Bledow etc., ist es auch, wenn Hartston von unserem transatlantischen Besucher spricht.

Einseitig ist darüberhinaus die Darstellung, das Habsburger Reich sei der Nährboden für große Schachspieler gewesen. Natürlich gab es dort ein großes Talentreservoir, aber auf dem Boden des 1871 geeinten Deutschen Reiches und dem neu gegründeten Deutschen Schachbund unter Hermann Zwanzig begann eine Ära der Prosperität im Schach mit vielen noch heute berühmten und anerkannt starken Turnieren, nämlich der Deutschen Schachkongresse, wie es sie in Europa bis dahin nicht gegeben hatte und danach auch nicht mehr gegeben hat.

Das alles kümmert Herrn Hartston wenig. Offensichtlich wird Staunton von diesem Autor überschätzt. Zitat: „Then had come Staunton, the first chess scientist, whose writings introduced the world to the proper study of the game“. Dabei war schon den Zeitgenossen in der Mitte des 19. Jahrhunderts klar, daß das Verdienst, eine wirklich umfassende und erste Wissenschaftlichkeit beanspruchende Erarbeitung des Eröffnungswissens geleistet zu haben, den Berlinern um Bledow, Rudolf von Bilguer und Tassilo von der Heydebrand und der Lasa, mit der ersten Auflage ihres „Handbuch des Schachspiels“ im Jahre 1843 gelungen war. Stauntons Plagiat „The Chess Players Handbook“ erschien erstmals im Jahre 1847 also vier Jahre später.

Wir legen Wert auf die Feststellung, daß das Buch von Hartston keine Geschichte des Schachs ist, wie sie von uns allen als vorbildlich erachtet werden kann.

 

Dennoch mag eine Frage gestellt werden: Wird die Leistung Howard Stauntons im allgemeinen unterschätzt und besonders im deutsch- und französischsprachigen Bereich nicht ausreichend gewürdigt ? Kontroverses zum oben Gesagten erbeten.

  1. Sofonisba Anguissola

Eine Multimedia Enzyklopädie im CD-ROM durchstöbernd, fanden wir Sofonisba Anguissola. Sofonisba Anguissola, Tochter eines Piemontesischen Adligen war eine der ersten prominenten italienischen Künstlerinnen. Sie hinterließ viele Selbstporträts. Eines ihrer Bilder zeigt sie und ihre Schwestern beim Schachspiel. Das Gemälde befindet sich im Museum Narodowe in Poznan, Polen. Wer weiß Näheres ? Und darüberhinaus: War sie die erste Schach spielende Frau?

  1. Schach ist ein Glücksspiel

Aus der Festschrift zur Hundertjahrfeier des Schachklub 1858 Giessen stammt folgende von W. Schonebohm berichtete Episode. Anläßlich des 70sten Bestehens des Schachklub 1858 Giessen waren mehrere Schachmeister eingeladen worden. Am Begrüßungsabend zogen sich Dr. Kraemer, W. Schonebohm und Großmeister Sämisch zum Skat in ein Nebenzimmer zurück. Als das erste Spiel ausgegeben wurde, sagte Sämisch so recht behaglich: „Endlich einmal ein Spiel, bei dem man denken muß.“ Schonebohm muß ihn wohl etwas erstaunt angesehen haben, denn er fügte lächelnd hinzu: „Nun ja, das Schach ist doch ein ausgesprochenes Glücksspiel.“

In diesem Zusammenhang ist die Meinung von Fritz Riemann aus „Schacherinnerungen … De Gruyter, Berlin 1924, S. 9 ff. interessant: „Die Möglichkeiten (im Schachspiel, H.B.), wenn auch in veränderten Formen, kehren wieder, und schließlich ist das Ergebnis einer jeden von zwei Meistern … gespielten Partie in der Hauptsache das Ergebnis des Zufalls.“

  1. Anderssens Abkehr vom Schach

Riemann erzählt in seinen Erinnerungen vom sterbenden Adolf Anderssen. Nach Riemann soll Anderssen kein Interesse mehr für das Schach gehabt haben. Riemann schreibt (Schacherinnerungen … , de Gruyter, Berlin 1924, S. 9 ff.): „Er (Anderssen, HB) fluchte geradezu dem Schachspiel: ‚Tausend Meilen weit bleibe mir das Schachspiel !‘ „.

  1. Simultan

Wir suchen noch Simultan-Partien der Welt- und Großmeister.

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  1. Literatur

Comicheftchen oder anderweitige Trivialliteratur ist meist sehr kurzlebig und wird nach Lektüre rasch dem Papierkorb überantwortet. Es ist deshalb nicht leicht, solche Büchlein oder Heftchen nachzuweisen, welche schachliche Themen zum Inhalt haben.

Ein äußerst seltenes Heftchen stellt „Der Schachkönig“ von Herbert Wulfner dar, erschienen als Heft 80 in der Reihe Otto Eicke (Hrsg.): Spannende Sporterzählungen. Der Neue Excentric Club. Mignon Verlag, Dresden s.a. (1921), Format 16,5 x 11 cm, 32 S. Olms hat einen Reprint der ersten 15 Hefte erstellt (Percy Stuart. Der neue Excentric Club. 15 Lieferungshefte in einem Band. Olms Presse, Hildesheim und New York 1972), der aber leider aus Mangel an zum Nachdruck geeigneten Heften nicht fortgesetzt wurde.

Als Utopia-Großband 108 erschien Lewis Padgett: Gefährliches Schachspiel. Krieg der Roboter in der fernen Zukunft. Erich Pabel Verlag, Rastatt s.a. (195?). 20,5 x 14 cm, 94 + 2 S. Titel der amerik. Org.-Ausgabe: The Fairy Chessmen.

Wir wollen an dieser Stelle nicht jedes Tom-und-Jerry Heft aufführen, aber weitere Angaben sind erbeten.

  1. Sofonisba Anguissola (SZ 8)

Hans-Wilhelm Fink, Koblenz, weist auf Marion Faber: Das Schachspiel in der europäischen Malerei und Grafik. Harrassowitz, Wiesbaden 1988, S. 57 und S. 196 ff. hin. Dort sind zwei Bilder der Künstlerin, welche Schachspielszenen zum Inhalt haben, abgebildet. Das Bild konnten wir auch in J. Petzold: Das königliche Spiel. Kohlhammer, Leipzig 1987, Abb. 74, orten.

Die Künstlerin Anguissola, geb. 1532?, gest. 16. Nov. 1625 hielt sich in den Jahren 1559 bis zu ihrer Heirat im Jahre 1570 am Hofe des Königs Philipp II. von Spanien in Madrid auf, an dem, wie wir wissen, das Schachspiel gepflegt wurde. Dort fand etwa im Jahre 1575 (T. v. d. Lasa: Zur Geschichte und Literatur des Schachspiels. Veit und Comp., Leipzig 1897, S. 212) einer der ersten „Schachkongresse“ der Geschichte statt, als der seinerzeit anerkannt stärkste Meister Ruy Lopez, Priester zu Zafra, und die Italiener Leonardo, genannt Il Puttino, aus Cutri in Calabrien und Paolo Boi aus Syrakus miteinander kämpften.

Der Gedanke liegt nahe, daß S. Anguissola das Schachspiel am Hofe von Philipp II. kennen und schätzen gelernt haben könnte. Sie hatte fünf jüngere Schwestern. Drei ihrer Schwestern sind auf dem bereits mehrfach erwähnten Bild beim Spiel dargestellt. Sozusagen eine Familie Polgar der Spät-Renaissance.

Hans-Wilhelm Fink meint sicher zu recht, daß Anguissola nicht die erste schachspielende Frau gewesen sei und gibt als vorläufig frühesten Nachweis Marguerite de Navarre – oder d’Angouleme, auch de Vallois genannt (1492-1549), an.

Wenn man davon ausgeht, daß Anguissola etwas vom Schach verstand, erscheint es jedoch befremdlich, daß das Schachbrett, an dem die drei Schwestern spielen, in der rechten Ecke ein schwarzes Feld aufweist.

Das führt uns zu einer weiteren Frage: Ab wann wurde es üblich, auf dem Spielbrett ein rechtes weißes Eckfeld zu postulieren?

  1. Kurzschluß

Klaus Seeck, Husum, Landesmeister von Schleswig-Holstein in den Jahren 1968 und 1976, teilt die folgende Kurzpartie mit, gespielt im Husumer Sommerturnier (August 1994):

 

Seeck,K – Backens,W [D00]
Husum, 08.1994


1.d4 d5 2.Sc3 g6 3.e4 dxe4 4.Sxe4 Lg7 5.c3 Sd7 6.Lc4 Sgf6? 7.Lxf7+ Kxf7 8.Sg5+ Kg8 [8…Kf8 9.Se6+ ; 8…Ke8 9.Se6 ]


9.Db3+ 1-0

Der Grundtyp dieser Wendung findet sich in Snosko-Borowski: Eröffnungsfallen am Schachbrett, 9. Aufl., de Gruyter 1981, S. 16. Thema der Kombination mit Einschlag auf f7 ist oft der Gewinn des Feldes e6. Ähnlich ist die folgende Partie:

 

 

  1. Lilienthal und die Dame

Unser Lieblingsschachmeister, der Ungar Andor Lilienthal, geb. am 5. Mai 1911 in Moskau, durchstreifte in seiner Jugend das Europa der zwanziger und dreißiger Jahre. In Paris traf er auf Duchamp, Tartakower, Aljechin und andere. In Wien kämpfte er im Café Central gegen Grünfeld, Becker, Müller und Hönlinger. In London und Hastings kämpfte er gegen Capablanca und andere.

Lilienthal berichtet in seinen Erinnerungen (Lilienthal, Andor: Schach war mein Leben. Harri Deutsch, Frankfurt 1988, S. 14 ff.), daß er in Wien Ende 1929 in einem Simultan gegen Capablanca gepielt und ein Remis erzielt habe. Niemals zuvor und auch nicht danach habe er so viele Frauen bei einem Schachsimultan gesehen.

Der damals 18-jährige Lilienthal versuchte, nach dem Ende der Partie eine Unterschrift vom großen Capablanca zu erhalten. Dieser aber enteilte flugs mit einer der Schönen des Abends.

Fünf Jahre später trafen die beiden im Weihnachtsturnier von Hastings erneut aufeinander. In Chess Notes Nr. 1294 referiert Edward Winter aus Lajos Steiner: Kings of the Chess Board. Roseville (N.S.W.) 1948, daß Lilienthal vor Beginn des Turniers in Hastings 1934/35 halb im Spaß gesagt haben soll, er werde gegen den Kubaner mit einem Damenopfer siegen. Dann werde er, Lilienthal, dem Kubaner ein Autogramm geben. Angeblich sei Lilienthal nämlich darüber verärgert gewesen, so Lajos Steiner, daß Capablanca bei dem Simultan in Wien die Unterschrift verweigert habe.

Tatsächlich opferte Lilienthal gegen den Kubaner die Dame und gewann die Partie in großem Stil.

 

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  1. Baldur Hönlinger (SZ 4)

Norbert Fieberg, Witten, teilt mit, daß sowohl Feenstra Kuiper, Dr. P.: Hundert Jahre Schachturniere, Ten Have, Amsterdam 1964, S. 262 als auch Gaige, J.: Chess Personalia, McFarland, Jefferson USA 1987, S. 178 Wien (und nicht Brünn) als Geburtsort Hönlingers ausweisen. Als Todestag von Hönlinger gibt er den 12.3.1990 an.

Michael Ehn, Wien, und Wolfgang Pieper, Osnabrück, machen darauf aufmerksam, daß ein großer Teil von Hönlinger-Partien (mehr als 130) in den Turnierbüchern der Wiener Trebitsch-Turniere zu finden sind.

  1. Lilienthal und die Springer

Anläßlich des Kongresses des Westdeutschen Schachbundes in Düsseldorf legte Tassilo von Heydebrand und der Lasa im September des Jahres 1862 den Versammelten eine Endspielstellung vor (Lange, M. [Hrsg.]: Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1862, Veit und Comp., Leipzig 1862, S. 33), die er mit „Endspiel von Chapais“ überschrieb.

 

Endspiel von Chapais
Manuskript, 1780

1-0

In wieviel Zügen setzt Weiß am Zuge schnellstmöglich Matt?

Es handelt sich um das Endspiel König und zwei Springer gegen König und Bauer. Der Kongreß akzeptierte es als Preisproblem für das Jahr 1862. Gewinner des Wettbewerbes wurde Baron von Guretzky-Cornitz aus Berlin (Lange, M. [Hrsg.]: Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes. Veit und Comp., Leipzig 1863, S. 18 ff.; siehe auch Deutsche Schachzeitung 1862 und 1863).

Die Geschichte der Lösung dieses Endspiels ist gut und ausführlich von Johann Berger: Theorie und Praxis der Endspiele. 2. Aufl. deGruyter, Berlin 1922, S. 427 ff. dokumentiert. Es haben Troitzky, Paul Jahn, H.F.L. Meyer, O.D. Henry, Kling, Horwitz u.a. an dem Endspiel gearbeitet. In neuerer Zeit hat ein Niederländer (Bijl, C.M.: Het Eindspel Koning + 2 Paarden Tegen Koning + Pion, Selbstverlag Leidschendam 1980) einen kurzen Abriß der Geschichte dieses interessanten Endspiels gebracht. Alain Pallier hat im Mai-Heft von L’Italia Scacchistica. Nr. 1063, Mailand 1994, S. 174 ff., einige Partien neueren Datums gebracht. Inzwischen ist es auf einer CD der Chess Base GmbH, Hamburg, der vollständigen Lösung zugeführt.

Es sind uns einige Partien bekannt, in deren Verlauf es zu dem hier interessierenden Endspiel kam. Bemerkenswerterweise befinden sich hierunter alleine zwei Partien von Andor Lilienthal (Norman – Lilienthal, Hastings 1934/35 und Smyslow – Lilienthal, Leningrad-Moskau 1941). Noch mehr erstaunt, daß Lilienthal keine der beiden Partien gewinnen konnte.

Dr. Jean Mennerat, Frankreich, der uns auf die Zusammenhänge hinweist, teilt mit, daß Michail Botwinnik in Botwinnik,M.: Championship Chess. MacGibbon & Kee, London 1950, S. 151 ff. die Partie Smyslow – Lilienthal kommentiert. Dort schreibt Botwinnik (S. 155 ff.): „Im allgemeinen erscheint dieses Endspiel selten im praktischen Spiel. Dennoch, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, hatte Lilienthal bereits zweimal vorher (Ironie des Schicksals!) eben dieses Endspiel auf dem Brett und weder in der einen noch der anderen Partie konnte er den Weg zum Sieg entdecken.“ (Übersetzung H.B.).

Jean Mennerat fragt, ob jemand diese dritte „Springer“-Partie von Lilienthal, die gemäß den von Botwinnik gemachten Anmerkungen vor 1941 gespielt worden sein muß, angeben kann.

(Die großen Jungs mit den dicken Datenbanken bitte vorneweg).

  1. Schach in harten Zeiten – A.P.Weber

Schon Georg Marco, der Herausgeber der Wiener Schachzeitung, schrieb im September/November-Heft 1914, dem ersten Jahr des Weltkrieges: „Unsere edle Kunst – im Frieden leider von so wenigen gewürdigt – wird jetzt im Kriege für viele die einzige Quelle geistiger Genüsse.“

Manchem mag das Schachspiel das Leben erleichtert oder sogar gerettet haben, wie es Stefan Zweig so trefflich in seiner „Schachnovelle“ darstellte.

Der Künstler A. Paul Weber fertigte in der Haft im Nürnberger Polizeigefängnis die ersten Zeichnungen seines Zyklus von „Schachspielern“. Ein bekanntes, autobiographische Züge aufweisendes Bild ist „Mit sich selbst“ bezeichnet und zeigt einen Schachspieler auf einer kargen Pritsche alleine über ein kleines Schachbrett mit kleinen, selbst gefertigten Pappkarton-Figuren gebeugt (Nicolin,G.: A. Paul Weber. Schachspieler. Christians, Hamburg 1988, S. 8 ff.). Weber war wegen seiner Mitgliedschaft im Widerstands-Kreis um Ernst Niekisch inhaftiert worden.

  1. Philidor

Am 31.8.1995 jährt sich der zweihundertste Todestag von Francois-André Danican Philidor (*7.9.1726, +31.8.1795). Es ist zu erwarten, daß dieses Datum eine Reihe von Publikationen hervorbringen wird.

Fernando Arrabal hat im Le Figaro vom 9.8.1994 im Rahmen einer in unseren Augen skurril anmutenden sommerlichen Debatte über die kulturelle Hegemonie den Schachspieler André Danican Philidor erklärend für die französische kulturelle Superiorität herangezogen. Eine Replik von Jürg Altwegg erschien am 3.9.94 in der F.A.Z. unter der Überschrift „Die Bauern sind die Seele des Spiels. Blick in französische Zeitschriften: Eine sommerliche Debatte über die kulturelle Hegemonie“.

Rechtzeitig zu diesem runden Datum erschien in Italien ein Essay des Musikwissenschaftlers Corrado Rollin, Philidor: il musicista che giocava a scacchi. Messagerie Scacchistiche, Brescia 1994.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß im Verlag H.-W. Fink, Trierer Str. 73, D-56072 Koblenz, schon lange ein Insider-Tip für hervorragend gemachte Schachbücher, im November d.J. ein Buch mit dem Titel Pour Philidor erscheint, für das als Herausgeber ein Urenkel des großen Schachspielers und Komponisten, Commandant Jean Francois Dupont-Danican von der „Société d’Etudes Philidoriennes“ zeichnet. Das Buch wird u.a. auch einen Beitrag aus der Feder des amerikanischen Philidor-Spezialisten Charles Michael Carroll, der 1960 mit einer zweibändigen Darstellung Philidor: His Life and Dramatic Art an der Florida State University promovierte, enthalten.

  1. Schach in harten Zeiten – Löchner

Friedrich Löchner (s. SZ 3) teilt uns mit, daß er während des Rußland-Feldzuges nach jeder Ortseinquartierung Melder mit dem Auftrag losschickte, den besten russischen Schachspieler herbeizuschaffen. Meist waren es „Opas“, da die jüngeren Männer an der Front waren. In Dinskaja (bei Krasnodar) spielte Löchner gegen die Damenmeisterin der Ukraine, wobei er den Kampf 2:1 gewann. Keine der solcherart auf dem Wege von Lemberg über Rostow nach Krasnodar gespielten Partien ist erhalten geblieben. Löchner meint, daß seine Spiele mit den Einheimischen ein kultureller Beitrag zur Völkerverständigung gewesen seien.

Gegen Ende des Krieges geriet Löchner in englische Gefangenschaft. „Weil ich verbotenerweise ein Fußballspiel besucht, und dabei die Bannmeile für freien Ausgang überschritten hatte und dabei erwischt worden war, erhielt ich 21 Tage Arrest. Beim Arrestantritt hatte ich selbstverständlich mein Schachspiel dabei. Ein britischer Feldwebel, der beständig einen Schlagring trug und den wir ob seiner hünenhaften Gestalt und den großen ‘Ochsenaugen’ unter einer dicken Brille den ‘Bullen’ nannten, bedeutete mir, Spiele aller Art seien im Arrest nicht erlaubt und nahm mir kurzerhand meine Schachutensilien weg. Aller Protest nützte nichts. In der Barackenunterkunft schnitt ich mir sofort aus Klopapier und einer Zahnpastahülle ein Ersatzschachspiel samt Figuren zurecht, hatte aber das Pech, daß er es schon am zweiten Tag bei einer Barackenrazzia entdeckte, beschlagnahmte und mir androhte, im Wiederholungsfalle mich zur Meldung zu bringen. Natürlich fertigte ich mir erneut eine Art Reiseschach, das ich so gut es ging versteckte. Es half nichts. Er entdeckte es abermals und brachte mich wutentbrannt zum zuständigen Captain. Doch ich hatte Glück. Der Captain war ein passionierter Schachspieler. Er schickte den Feldwebel in die Strafbaracke zurück und bat mich, mit ihm Schach zu spielen. Wir waren einander auf Anhieb sympathisch, und erst spät in der Nacht befahl er telefonisch dem Feldwebel, mich wieder abzuholen und am nächsten Morgen wieder herzubringen. Wir spielten nun täglich bis zum Arrestende zusammen Schach, bei Tee und Gebäck und gelegentlich auch einem kleinen Imbiß.“

Die folgende Partie, die keine große schachtheoretische Bedeutung hat, sondern im wesentlichen historisches Interesse weckt, spielte Löchner auf dem Gefangenentransport während der Überfahrt von Europa nach Kanada. Die Partie wurde von beiden Parteien blind gespielt. Löchner hatte sie auf der Rückseite des Photos seiner Braut und späteren Ehefrau, das er immer bei sich trug, notiert:

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Wir möchten an dieser Stelle noch anmerken, daß wir nach kurzer Suche in der Deutschen Schachzeitung, 1942, S. 57 den Namen Paepke fanden. Paepke, Schwerin, war im Jahre 1942 Sieger im Meisterturnier des Mecklenburgischen Schachbundes geworden.

  1. Kreuzschach (zu SZ 3)

Thomas Binder, Wernigerode, teilt die folgende Partie zum Thema mit (Stellung nach 31. Tc5+):

 

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  1. In eigener Sache

Wir sind immer dankbar, wenn aufmerksame Leser Fehler entdecken und diese uns mitteilen. Die folgenden Fehler geben wir kurz und bündig:

In SZ 13 müssen wir korrigieren, daß Marguerite de Navarre (1492-1549) auch d’Angouleme genannt nicht mit Marguerite de Vallois identisch ist, welche 1553-1615 lebte und deren Name u.a. mit der Bartholomäusnacht im Frankreich des Jahres 1572 verknüpft ist. Demnächst ist übrigens im Kino die Deutsch-Algerierin Isabelle Adjani als „La Reine Margot“ (Marguerite de Vallois), Frankreich 1994 (Regie: Patrice Chéreau) zu bewundern. Wir werden noch später auf Marguerite de Navarre zurückkommen.

  1. Lilienthal und der Stalinist

Noch einmal ist unser Lieblingsschachmeister Andor Lilienthal beteiligt.

Es kommt selten in der Schachgeschichte vor, daß regulär ausgekämpfte Meisterschaften von einem der Teilnehmer in ihrem Ergebnis revidiert werden. Ein solches Kunststück brachte der spätere Weltmeister Michail Botwinnik im Jahre 1941 fertig. Im Turnier um die Meisterschaft der Sowjetunion waren im Jahre 1940 der zwischenzeitlich als Sowjetbürger naturalisierte Ungar Andor Lilienthal und Igor Bondarewski mit 13,5 aus 20 Punkten Landesmeister der Sowjetunion geworden.

XII. Meisterschaft der Sowjetunion, Moskau 1940

  1. Lilienthal 13,5 Punkte
  2. Bondarewski 13,5 Punkte
  3. Smyslow 13 Punkte
  4. Keres 12 Punkte
  5. Boleslawski 11,5 Punkte
  6. Botwinnik 11,5 Punkte

und 14 weitere Teilnehmer.

Botwinnik war nur Sechster geworden, wobei er im direkten Vergleich gegen beide Erstplazierte, Lilienthal und Bondarewski, verloren hatte.

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Folglich war sein Ziel, einen WM-Kampf mit Aljechin auszutragen, in weite Ferne gerückt. Da gelang es Botwinnik aufgrund seiner guten Beziehungen zur Funktionärsebene, einen bis dahin unbekannten Titel der „Absoluten Meisterschaft der Sowjetunion“ zu kreieren und ein Turnier zur Austragung zu bringen, das im März-April des folgenden Jahres 1941 stattfand. In seinen Erinnerungen (Botwinnik,M.: Schach-Erinnerungen. Rau, Düsseldorf 1981, S. 104) berichtet Botwinnik, wie er dabei Lilienthal und Bondarewski denunzierte: „Gleichzeitig schickte ich einen Brief an Snegirew, in dem ich mich dazu ironisch äußerte, daß der Sieger des Matches Bondarewski-Lilienthal Landesmeister werden müßte (beide waren Schachspieler mit großer Begabung, aber erstklassige schachliche Leistungen gab es nicht), während Keres und Botwinnik bereits starke Leistungen auf internationalen Turnieren gezeigt hatten.“ Die Tatsache, daß er die schachlichen Leistungen seiner unmittelbaren Konkurrenten Lilienthal und Bondarewski schriftlich bei dem entscheidenden Schachfunktionär schmälert und denunziert und darüberhinaus sich selbst lobend hervorhebt, entlarvt den wahren Charakter Botwinniks.

Und nicht nur das: Botwinnik brachte darüberhinaus das Kunststück fertig, durchzusetzen, daß die sechs Erstplazierten des regulären Meisterschafts-Turniers für das Turnier um die absolute Meisterschaft spielberechtigt waren. Er als Sechstplazierter war also gerade noch mit dabei!

Lilienthal schreibt hierzu in seinen Erinnerungen (Schach war mein Leben. Harri Deutsch, Frankfurt/M. 1988, S. 134 ff.), daß seitens der sowjetischen Schachföderation ursprünglich geplant gewesen sei, die beiden Erstplazierten (Bondarewski und Lilienthal) um den Titel des Landesmeisters spielen zu lassen. Später jedoch sei ihnen mitgeteilt worden, daß beiden der Titel des Landesmeisters zuerkannt werden würde. Daraufhin, so schreibt Lilienthal, „begab ich mich seelenruhig auf eine Simultanreise in den Ural.“ … „Während“ …eines „großangelegten Simultanspiels erhielt ich eine Depesche von Präsident Snegow. Ich sollte schleunigst nach Moskau zurückkehren und bei der sogenannten absoluten Meisterschaft der Sowjetunion mitspielen.“ … „Das war für mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich war sehr verbittert. Mit einem solchen Turnier hatte ich nicht gerechnet. Natürlich war ich dazu auch nicht vorbereitet.“

Botwinnik jedoch hatte sich sehr gut gemeinsam mit seinem Trainer Ragosin vorbereiten können, da er einen Informationsvorsprung hatte und wußte, daß ein Turnier um die sogenannte absolute Meisterschaft stattfinden würde.

Lilienthal wurde Fünfter, Botwinnik aber Erster und damit absoluter Meister der Sowjetunion. Botwinnik, der Stalinist, hatte sich durchsetzen können.

  1. Schach in harten Zeiten – Kishon

Ephraim Kishon betont in seinen Erinnerungen (Kishon, E.: Nichts zu lachen. Langen Müller, München 1993, S. 53, 59 und 243 ff.), die schicksalhafte Bedeutung des Schachs in seinem Leben. Er beschreibt, wie er als Abiturient Ende 1944 in Budapest zusammen mit 220 anderen jüdischen und nicht-jüdischen Gymnasiasten in die Slowakei gebracht worden sei. Dort habe ihm das Schachspiel das Leben gerettet. Er sei von dem ungarischen Kommandanten des Lagers, der ein leidenschaftlicher Schachspieler gewesen sei, aufgrund seines Schachkönnens zu dessen Sekretär gemacht worden und habe deshalb zusätzliche Nahrungsmittel aus der Offiziersküche erhalten. Dabei erwähnt Kishon ein Buch von Geza Maroczy und bezeichnet sich selbst als Schach-Profi. Er habe damals zusammen mit dem ungarischen Schach-Jugendmeister Lászlo Hirtenberg ein Buch über „Moderne Eröffnungszüge“ geschrieben. Die Art wie Kishon formuliert läßt nicht immer zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden. So wissen wir nicht, welches Buch von Maroczy gemeint ist, und auch ein Buch von Kishon über „Moderne Eröffnungszüge“ ist uns nicht bekannt.

  1. Schach in harten Zeiten – Klaus

Auch der Philosoph und Kommunist Georg Klaus (u.a. Hrsg. von Marxistisch – Leninistisches Wörterbuch der Philosophie. 3 Bde., Rowohlt, Hamburg 1972) erzählt seine „Erlebte Schachnovelle“ in Karau, A. und Renner, W. (Hrsg.): Schwarz und Weiss. Sportverlag, Berlin 1960.

Klaus erzählt, wie er als sechzehnjähriger, hoffnungsvoller Nachwuchsschachspieler und Redakteur der Schachecke der „Fränkischen Tagespost“ Mitglied des Vorstandes seines Schachklubs, des Nürnberger Arbeiterschachklubs, wurde. Er wurde Ende 1933 Meister von Franken und nutzte nach der Auflösung der Arbeiterschachvereine durch die Nationalsozialisten die ehemaligen Strukturen der Vereine zum Aufbau eines illegalen Netzes der KPD. Bald wurde er entdeckt und zu Gefängnishaft und anschließender Lagerhaft im Konzentrationslager Dachau verurteilt. Sowohl im Gefängnis als auch im Lager spielte Klaus Schach und er berichtet, daß das Schachspiel sich „in der knapp bemessenen Freizeit zu einem nicht unwesentlichen Kulturfaktor“ entwickelte. Klaus wurde Schachmeister des Lagers und blieb es bis zu seiner Entlassung. „Nur ein einziges Mal war diese Meisterschaft gefährdet, als nach dem Einfall der Faschisten in Österreich (der Anschluß Österreichs erfolgte im Jahre 1938, HB) auch von dort Häftlinge eintrafen, unter ihnen der starke Wiener Schachmeister Glass. Ich verlor anfangs gegen ihn, weil er aus der Meisterpraxis kam. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an seinen Stil und blieb schließlich siegreich. Freilich, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben will, so muß ich gestehen, daß diese Siege nicht unter gleichen Bedingungen … zustande kamen. Glass war als Jude einem schweren Außenkommando zugeteilt, und er hatte den Nachteil aller Neuzugänge: er war gezeichnet. Die schwarzen Schergen der SS machten unter den Häftlingen wie bei einer Schachpartie ‘Jagd auf Weiße’. Das waren die Leute, unter deren geschorenen Haaren noch die weiße Kopfhaut leuchtete, die bei uns anderen inzwischen gebräunt war. Die ‘Weißköpfe’ waren zusätzlichen Schikanen wie Prügel, Steineschleppen und Strafexercieren ausgesetzt.“

Nach der Entlassung aus dem KZ in Dachau wurde Klaus Mitglied im traditionsreichen Nürnberger Schachklub Noris und wurde Zweiter in der Süddeutschen Meisterschaft. Er hatte sich damit für die Großdeutsche Schachmeisterschaft 1942 qualifiziert. Für alle, insbesondere aber auch für die nationalsozialistischen Schachfunktionäre unter Ehrhardt Post, Berlin, war es dann sehr überraschend, so schreibt Klaus, daß er mit nur einem halben Punkt Rückstand hinter Ludwig Rellstab Zweiter der Großdeutschen Meisterschaft wurde. (s.a. Deutsche Schachzeitung, Juli 1942, S. 99). In der Nachkriegszeit hielt sich Klaus schachpraktisch zurück, war aber zeitweise auch Präsident der DDR-Schachorganisation.

Wir haben bislang keine Partie von Georg Klaus finden können. Kann jemand helfen?

  1. Max Oppenheimer – MOPP

Bilder des Expressionisten Max Oppenheimer, genannt MOPP, zeigte das Jüdische Museum Wien vom 23. Juni bis 18. September 1994. Oppenheimer fühlte sich zum Schach hingezogen und war ein guter Bekannter und Freund von Emanuel Lasker, für den er einige Bücher illustrierte. Auch das Buch Hannak, Dr. J.: Emanuel Lasker. Biographie eines Schachweltmeisters, Engelhardt, Berlin-Frohnau 1952 wurde von ihm mit Illustrationen versehen. Im Ausstellungskatalog sind zwei der von Oppenheimer gefertigten Schachbilder abgebildet.

  1. Der ausgestopfte Schachmeister

Michael Ehn, Wien, veröffentlichte in Carminati, A. (Hrsg.): Scacchi e Scienze Applicate, Fasc. 13, Venedig 1993, S. 10-11, die kuriose Geschichte des Mohren Angelo Soliman. Soliman an der Ostküste Afrikas um das Jahr 1721 geboren und von einem rivalisierenden Negerstamm an arabische Sklavenhändler verkauft, gelangte nach wechselvollen Jahren nach Wien an den Hof Josephs II. Soliman war ein guter Schachspieler und hatte es darin zu großer Fertigkeit gebracht. Dies in einer Zeit als das Schachspiel in Wien einen großen Aufschwung nahm und in der Spätphase dieser Epoche durch den „Philidor de l’Allemagne“ Johann Baptist Allgaier (1763-1823) vertreten wurde.

Soliman führte ein geachtetes Leben in der Wiener Gesellschaft, heiratete die verwitwete Frau von Christiani und widmete sich in seinen späten Lebensjahren ganz der Erziehung seiner Tochter Josephine, die später Frau des Hofrates Ernst von Feuchtersleben wurde.

Die Fertigkeit gut Schach spielen zu können, nützte dem armen Mohren aber recht wenig. Denn er wurde nach seinem (natürlichen) Tode ausgestopft. Ein Zeitgenosse berichtet: „Über ihn wäre ferner noch zu vermelden: 1. dass ihm auf Befehl Kaiser Franz II. im Jahre 1796 die Haut über die Ohren gezogen, 2. dass diese Haut auf Holz gespannt und so die frühere Gestalt Solimans täuschend ähnlich darstellend zehn Jahre lang zur öffentlichen Besichtigung ausgestellt“ wurde. Alle Bitten und Gesuche der Tochter, den Vater nicht post mortem in so grausamer Weise zu verdinglichen, blieben vergebens. Ganz Wien eilte herbei, um den ausgestopften Schachmeister und Mohren zu besichtigen. Bei der Kanonade Wiens durch Alfred Fürst zu Windischgrätz traf eine verirrte Kanonenkugel am 31.10.1848 den Raum des zoologischen Museums, in dem der ausgestopfte Mohr und Schachmeister stand. Er ging sofort in Flammen auf.

Eine typische Geschichte aus Wien, wie der Wiener Michael Ehn, meint. Gibt es, so hakt Ehn nach, weitere Beispiele von ausgestopften Schachmeistern?

Vielleicht bei arabischen Potentaten oder indischen Fürsten der Mogulzeit?!

  1. CCI – Chess Collectors International

Der Kreis um die CCI-Deutschland Chefs Franz Lang, Kelkheim, und Dr. Thomas Thomsen, Königstein, hat sich, primär ausgehend von schachspiel- und schachfigur-sammlerischen Gesichtspunkten weitgehend der Suche nach dem Ursprung des Schach verschrieben und dabei trotz der insgesamt äußerst schwierigen Quellenlage gute Arbeit geleistet (siehe u.a. Calvo, Ricardo: Der Musiker, der das Schachspiel brachte. In: Schach-Journal, Nr. 1/1993, Edition Marco Arno Nickel, Berlin 1993, S. 87-93). In der sogenannten Königstein-Gruppe, die sich im Domizil von CCI-Deutschland Chef Dr. Tom Thomsen, Königstein (Onkel Tom’s Hütte), erstmals im Jahre 1991 traf, forschen in bewundernswerter Dynamik Alt-Kader und Alt-Stalinisten aus der ehemaligen Sowjetunion und Mitteldeutschland gemeinsam mit Idealisten reinster bürgerlicher Prägung in losem Zusammenhang, aber einer in unseren Tagen selten gewordenen kommunistisch-kapitalistischen Eintracht nach den Quellen des Schach. Schach ist eben doch systemübergreifend.

Dennoch besteht die Gefahr, daß die Jünger von Chess Collectors International sich zunehmend im esoterischen Nirwana einer trüben, molekularen Urschach-Suppe verlieren und – vom Wege abkommend – nach dem Stein der Weisen suchen, den es, wie wir seit der Aufklärung wissen, nicht gibt und nicht geben kann.

Da mag es denn profan erscheinen, daß uns während eines Besuchs in Halle in der Nähe des „von englischen und deutschen Freunden“ erstellten Denkmals für Georg Friedrich Händel auf der Moritzburg eine Bronze-Figur des Expressionisten Hans Arp mit der Bezeichnung „Gur“ von 1963 auffiel. Die Figur hat durchaus Ähnlichkeit mit einem Schachturm.

  1. Schach in harten Zeiten – Le Lionnais

Francois Alexandre Le Lionnais (*3.10.1901 +13.3.1984) ist außerhalb Frankreichs insbesondere als Co-Autor des Dictionnaire des Échecs (Presses Universitaires de France, Paris 1974) bekannt geworden. Weniger bekannt dürfte Le Lionnais als Kämpfer im französischen Widerstand sein. In dem Buch des Resistance-Kämpfers Gilbert Renault, genannt Rémy: Autour de la plage Bonaparte, Libraire Académique Perrin, Paris s.a. (1969), das uns durch unseren Freund Dr. Jean Mennerat, Frankreich, verfügbar gemacht wurde, wird Francois Le Lionnais unter dem Titel Le Joueur d’Echecs (Der Schach-Spieler) ausführlich gewürdigt. S. 294 f. berichtet Le Lionnais wie er im Gefängnis für seinen Wärter ein Schachbuch schrieb, um an Papier zu kommen.

Francois Le Lionnais wurde nach seiner Gefangennahme durch die Gestapo in Paris zunächst in das Gefängnis in Fresnes gebracht und war ständigen Verhören ausgesetzt, sodaß er zur Vorbereitung und Abstimmung seiner Verteidigung mit Mitgefangenen dringend Papier benötigte. Er versprach seinem Gefängniswärter, einem Feldwebel der Wehrmacht, ein Schachbuch zu schreiben, das dieser dann frei verkaufen könne. Solcherart etwa Ende Juli 1944 an Papier gekommen, begann er, an einem Schachbuch zu schreiben und wurde dafür von seinem Wärter von den Handschellen, die er drei Monate ununterbrochen hatte tragen müssen, befreit. An diesem Tag, so erinnert sich Le Lionnais, rekonstruierte er für sein Buch die berühmte Partie Steinitz – Bardeleben Hastings 1895, aus dem Gedächtnis.

Klicken auf die Züge lässt das Spiel erscheinen.

Das Manuskript des Schachbuches war in der ersten Augustwoche fertiggestellt. „Wie soll ich mein Werk betiteln?“, fragte Le Lionnais den Feldwebel und schlug Le Laboratoire des Échecs vor. Der Feldwebel, nur schlecht französisch sprechend, antwortete: „Ja, Ja! Labyrinthorium! Schön! Sehr gut!“. Diesen Namen fand Le Lionnais nicht schlecht und so nannte er sein kleines Werk Le Labyrinthe des Échecs. „Möchten Sie, daß ich eine Widmung anbringe?“, fragte Le Lionnais den Feldwebel und erkundigte sich nach dessen Namen. Dieser antwortete, er heiße Hess. „Ah, wie Rudolf Hess?“ „Jawohl! Das ist mein Cousin.“

Nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager in Buchenwald Im Mai 1945 (Bulletin de la Fédération Francaise des Échecs. Mai-Juin Paris 1945, S. 2), erhielt er bald ein Schreiben des französischen Verteidigungsministeriums, in dem ihm mitgeteilt wurde, daß bei der Übernahme des Gefängnisses in Fresnes auch ein Bündel von Blättern mit Schach-Aufzeichnungen gefunden worden sei, das seine Unterschrift trage. Le Lionnais gelangte so wieder in den Besitz seines Manuskripts. Es ist heute im Musée de la Déportation in Paris zu finden.

Francois Le Lionnais starb 82jährig am 13.3.1984.

  1. Wally Henschel

Vera Menchik gilt als erste Schach-Weltmeisterin der Damen. 1994 jährte sich der 50. Todestag der bei einem deutschen V2-Raketenangriff auf London am 26.6.1944 ums Leben gekommenen Vera Menchik, weshalb die FIDE das Jahr 1994 zum Jahr der Vera Menchik erklärt hatte. Ihr Resultat bei Damenweltmeisterschaften war beeindruckend. Die einzige Niederlage in sechs WM-Turnieren zwischen 1927 und 1944 mit 83 Partien erlitt Vera Menchik auf der Olympiade in Hamburg im Jahre 1930 gegen Wally Henschel aus Hamburg (Grünberg, R. et al.: Frauen am Schachbrett. Bange Verlag, Hollfeld 1991).

Wer war Wally Henschel? Über Wally Henschel wissen wir insofern recht genau Bescheid, als sie und ihre Zwillingsschwester Käthe Gegenstand einer Untersuchung des nationalsozialistischen Wissenschaftlers Otmar von Verschuer wurde, die unter dem Titel: Ein erbgleiches Zwillingspaar mit hervorragender Begabung für Schachspiel veröffentlicht wurde. Die Zwillinge Wally und Käthe Henschel, geb. am 9.9.1895 in Hamburg, begannen mit dem 13. Lebensjahr Schach zu spielen. Der Vater der Zwillingsschwestern soll in seinen jungen Jahren zu den besten Spielern im Hamburger Schachklub gehört haben. Nach Verschuer wog Wally bei der Untersuchung 61,7 kg und war 162,6 cm groß. 1922 traten Käthe und ein Jahr später Wally in den Hamburger Schachklub ein. Zu einem Ausscheidungsturnier für das internationale Schachturnier in Hamburg im Jahre 1930 wurden beide zugelassen, doch letztlich qualifzierte sich Wally im direkten Kampf gegen ihre Zwillingsschwester Käthe. Wally wurde bei der Damenweltmeisterschaft Dritte nach Vera Menchik und Paula Wolf-Kalmar, wobei sie, wie oben bereits erwähnt, die einzige war, die Vera Menchik jemals eine Niederlage in einem WM-Kampf beibringen konnte.

Klicken auf die Züge lässt das Spiel erscheinen.

Die Henschel-Zwillinge fielen auch durch ihre musikalische Begabung auf und im kleinen Turnierbüchlein von Hamburg 1930 ist vermerkt, daß Wally den Kongress durch ihren „klangschönen … Vortrag von Liedern von R. Strauss, E. Grieg und der Arie aus Tosca“ erfreute (Chalupetzky, F. und Toth, L. [Hrsg]: Die Schacholympiade von Hamburg. Magyar Sakkvilag, Kecskemet 1931, S. 15). Am 9.9.1995 wird sich der 100. Geburtstag von Wally und Käthe Henschel jähren.

Wer weiß, was aus den Zwillingsschwestern Käthe und Wally Henschel wurde? Ist der Verfasser des Büchleins Henschel, Gerhard: Freude am Schach. Bertelsmann, Gütersloh 1959, verwandt mit den Zwillingen?

  1. Adolf Anderssen

Bob Meadley, Australien, verdanken wir die folgenden Ausführungen.

Über das Weihnachts-Match von Adolf Anderssen mit Paul Morphy im Jahre 1858 ist viel geschrieben worden. Anderssen war ein fairer Sportsmann und suchte auch nach seiner Niederlage gegen Morphy keine Entschuldigung in den äußeren Bedingungen. In einem Brief an von der Lasa schrieb er, daß er nicht durch Zuschauer behindert worden sei, obwohl ein kahlköpfiger Italiener sehr ungeduldig geworden war, als Anderssen einmal länger über einen Zug nachdachte.

War Anderssen außer Form, fragt Bob Meadley? Anderssen deutete es zwar indirekt an, thematisierte dies aber später nicht. Max Lange tat dies jedoch in seinem Buch über Paul Morphy, und es spricht vieles dafür, daß Lange mit seiner Ansicht richtig lag.

So listet Gaige in Chess Tournaments A Checklist im Jahre 1985 11 Turniere zwischen 1849 und 1860 auf. Wenn man von dem von A. gewonnenen 1851er Turnier einmal absieht, fanden von 1852 bis zum Match 1858 nur sechs Turniere statt, in denen der Meister hätte spielen können. Diese Turniere waren Berlin 1853 (Sieger Dufresne), London 1855 (Sieger Zytogorski), London 1856 (Sieger Falkbeer), Manchester 1857 (Sieger Löwenthal, der dabei Anderssen ausschaltete). Die Niederlage gegen Löwenthal mußte für Anderssen keine Schande bedeuten, zumal Löwenthal in jener Zeit sehr gut in Form war und auf weltmeisterlichem Niveau gespielt haben dürfte. Wenn Anderssen, möglicherweise auch aufgrund seiner Verpflichtungen als Lehrer am Gymnasium in Breslau, nicht zu diesen Turnieren reisen konnte oder wollte, so hatte er kaum Gelegenheit zum praktischen Spiel und zur Übung gehabt, denn auch kleinere lokale Turniere fanden in seiner Nähe nicht statt.

Wir wissen, daß Anderssen bis Ende 1856 gemeinsam mit Kossak, ab 1857 mit Dufresne und schließlich ab 1858 gemeinsam mit Max Lange Mit-Herausgeber der Deutschen Schachzeitung war. Dies hätte ein gewisses Training sein können. Doch Löwenthal meint, daß die Herausgeberschaft Anderssens mehr formaler Natur gewesen sei und Anderssen in Breslau viel zu tun hatte. Löwenthal schreibt in seiner Schach-Spalte in der Era vom 21. Dezember 1856, daß Anderssen in Breslau keinen gleichwertigen Gegner zum Spiel habe und daß die Herren Hillel und Eicharne die nach Anderssen stärksten Schachspieler in Breslau seien. Auch in einer weiteren Nachricht in der Era vom 6. September 1857 berichtet Löwenthal, daß Anderssen infolge seiner beruflichen Pflichten als Mathematik-Lehrer am Schachspiel gehindert gewesen sei und daß selbst ein solch hervorragender Schachspieler wie Anderssen mangelnde Praxis nicht leicht ausgleichen könne.

War Anderssen außer Form, als er Weihnachten 1858 in Paris gegen Morphy antrat? Bob Meadley fragt, ob hierzu die Deutsche Schachzeitung sowie lokale Zeitungen jener Jahre weitere Aufschlüsse geben können.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf das Buch von Reinfeld, Fred: The Human Side of Chess. Faber and Faber, London 1953, in dem manch lucide Gedanken zu den Fakten dargelegt werden.

  1. Lasker – Schlechter 1910

Dr. Hans Ellinger, Tübingen, teilt uns mit, daß in den von ihm herausgegebenen Tübinger Beiträgen zum Thema Schach als Band 2 der Reihe, der Kampf zwischen Dr. Emanuel Lasker und Carl Schlechter dargestellt wird. Autor ist Tim Hagemann.

Einige Schach-Historiker zweifeln an, daß der Kampf zwischen den beiden deutschsprachigen Meistern, der 1910 hälftig in Wien und Berlin ausgetragen wurde, ein regulärer Weltmeisterschafts-Kampf war. Zweifel bestehen insbesondere darüber, ob Schlechter einen Zwei-Punkte Vorsprung benötigte, um den WM-Titel für sich reklamieren zu können. Möglicherweise spielte Schlechter deshalb die letzte, zehnte Partie des Wettkampfes so riskant auf Gewinn, meinen einige Schach-Historiker, weil er gemäß den vereinbarten (möglicherweise geheimen) Bedingungen unbedingt einen Zwei-Punkte Vorsprung zum WM-Titel benötigte. Tatsächlich erscheint es befremdlich und darüber ist bereits viel geschrieben worden, warum Schlechter in der alles entscheidenden, zehnten Partie des Wettkampfes in besserer Stellung die Qualität für den vagen Angriff opferte und dies scheinbar ganz wider seine sonstige eher solide und vorsichtige Spielanlage.



 

Lasker,E – Schlechter,C [D94]
World Championship 10th GER/AUT (10), 08.02.1910
Slawisch


1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 [3…Lf5 4.Db3 (4.cxd5 cxd5 5.Sc3 Sf6 (5…e6 >= Schlechter) 6.Db3+/=) 4…Db6 5.cxd5 Lxb1! (5…Dxb3? 6.axb3 Lxb1 7.dxc6! Le4? 8.Txa7!+- ) ]
4.e3 g6
[4…Lg4!?= Alapin, Schlechter]
5.Sc3 Lg7 6.Ld3 0-0
[6…Lg4 /\ Lf3, Sbd7 Schlechter]
7.Dc2 Sa6
/\ 8… Sb4 ?! Euwe [7…Sbd7 Schlechter; 7…dxc4 8.Lxc4 c5 (8…Lf5= ) 9.dxc5 Sbd7= Euwe]
8.a3 dxc4
? Tarrasch [>=8…Sc7 /\ Se8-d6, Lf5 Tarrasch]
9.Lxc4 b5
[9…Sc7!? 10.0-0 (10.e4 Lg4= ) 10…Le6= Euwe]
10.Ld3 b4 11.Sa4
[11.Lxa6? Lxa6 12.axb4 Dc8! /\ 13… Dg4~/= Vukovic]
11…bxa3 12.bxa3
[12.Dxc6 Sb4 13.Dxa8 Sxd3+ 14.Kd2 (14.Kf1 Da5 15.Dc6 La6 16.Kg1 Tc8 ) 14…Sxf2 15.Tf1 Da5+ 16.Sc3 S6e4+ 17.Kc2 Lf5 18.Txa3 Dc7-+ Blackburne]
12…Lb7 13.Tb1
?! Tarrasch [13.0-0 /\ 14.Ld2+/-/+- Tarrasch 13…Sd7 /\ c5 Lasker]
13…Dc7 14.Se5?!
>= 14.0-0 15.Ld2 16.Tfc1+/-/+- Marco / /\ La6, Dc6 Tarrasch [14.0-0 Sd7 <=> Vukovic; >=14.h4 Capablanca]
14…Sh5
[14…Sd7 15.Txb7 Dxb7 16.Lxa6+/- Marco; 14…Tac8 15.Lxa6 Lxa6 16.Sc5+- ; 14…Sd5 15.0-0 f6 16.Sf3+/- Vukovic]
15.g4?
Tarrasch [15.Lxa6 Lxa6 16.Dxc6 Lxe5 17.Dxa6 Lxh2 (17…Tab8! ) 18.g3 (18.Ld2 Ld6 19.g4 Sf6= Lasker) 18…Lxg3 19.Txh5 gxh5 20.fxg3 Dxg3+ Tarrasch; 15.f4+/= Marco 15…Lxe5 (15…Tfb8 16.g4 Lxe5 17.fxe5 Sg7 /\ c5, Lc8 <=> Pachmann) 16.dxe5 Sg7 17.0-0 c5= Lasker]
15…Lxe5 16.gxh5
[16.dxe5 Sg7 /\ Se6 Tarrasch]
16…Lg7 17.hxg6 hxg6 18.Dc4
/\ 19.Lg6, 19.Tb7 [18.h4?! c5 19.Le4? (19.Tg1? Dh2 ; 19.Th3 Lc8 20.Tg3 cxd4-/+ ) 19…Lxe4 20.Dxe4 Da5+-+ Tarrasch; 18.f4!+/- c5? 19.Tg1 +/-/+- Tarrasch]
18…Lc8!
Marco [18…c5 19.Tg1 Dxh2 20.Txg6 Dh1+ 21.Kd2 /\ Tag1 +/-/+- Lasker]
19.Tg1?!
[] Lasker [19.Lxg6 Le6 20.Lxf7+ (20.Dxa6 fxg6-> ^^ /\ Ld5, Dh2 /\ 21.f4 g5-> Tarrasch) 20…Lxf7 21.Dxa6 Ld5-> Schlechter /\ e7-e5 Lasker; 19.Ld2 /\ 0-0, /\ f4 Tarrasch 19…e5!-> Euwe]
19…Da5+
[19…Dxh2 20.Txg6 Dh1+ 21.Kd2 Df3 22.Lb2! /\ 23.Tbg1-> Zak 22…Dxf2+ 23.Le2 Lf5? 24.Txg7+ Kxg7 25.Tf1+- Vukovic]
20.Ld2 Dd5 21.Tc1 Lb7 22.Dc2
/\ 23.Tg6 fg 24.Lc4+-, 23.Le4 Lasker, Schlechter [22.Dxd5 cxd5 23.f4+/= Euwe]
22…Dh5 23.Lxg6?
Lasker ! Marco [23.Tb1+/- Lasker 23…Dxh2 24.Tf1 (24.Ke2 Dh5+ ) 24…Lc8 (24…Dc7 25.Lxg6 fxg6 26.Db3++- Lasker) 25.Dxc6 Tb8= ; 23.Db3 Lasker/ >= Capablanca; 23.Lc4! e6 24.Dd3 Sc7 (24…Dxh2 25.Df1! ) 25.Sc5 Lc8 26.Se4+/- Zak]
23…Dxh2!
Marco
24.Tf1 fxg6 25.Db3+ Tf7 26.Dxb7 Taf8! 27.Db3
[27.Dxa6 Txf2 28.Txf2 Txf2 /\ Dg1#, Td2 -+ Tarrasch; 27.f4 e5! (27…Sb8 /\ e5 28.Db3 Kh8 /\ g5 (28…Dg3+ 29.Kd1 (29.Ke2 Lxd4 30.Tg1 (30.Tf3 Dg2+ 31.Tf2 Dg4+= Vukovic) 30…Dh2+ 31.Kd3 Lg7 /\ Td8-/+ Euwe) 29…Lxd4 30.Kc2 Lg731.Sc5 /\ Sc5-e6-g5, Tg1 +/- ) 29.Sc5 /\ Se6 Tarrasch) 28.Dxa6 exf4 29.De2 (29.e4 Dg3+-> Rellstab) 29…Dh4+ 30.Df2 De7!-/+ Lasker]
27…Kh8 28.f4 g5!
[28…Dg3+ 29.Kd1 (29.Ke2 Lxd4? 30.Th1+ /\ Tcg1 +- Vukovic) 29…Txf4 30.Txf4 Txf4 31.Kc2 Lasker]
29.Dd3
[29.Txc6 Sb8 (29…gxf4 30.exf4 Sb8 31.Tc3+- ) 30.Tc7 gxf4 31.exf4 Lxd4 32.Dd5+- Reinfeld/Fine]
29…gxf4 30.exf4
[30.Dxa6?? fxe3-+ Tarrasch]
30…Dh4+ 31.Ke2
[31.Kd1 Dg4+ 32.Kc2 Df5 Tarrasch]
31…Dh2+ 32.Tf2 Dh5+ 33.Tf3
[33.Ke3? Txf4! Lasker]
33…Sc7!
Marco [33…Sb8? 34.Th1 Dxh1 35.Th3++/- Lasker]
34.Txc6?!
Tarrasch [>=34.Sc5 /\ Se6 Tarrasch]
34…Sb5-/+
Tarrasch [34…Sd5 35.Dg6! (35.Tc5? Txf4! 36.Lxf4 Sxf4+ 37.Kd1 Sd5= Marco (37…e5!+- Euwe) ) 35…Dxg6 36.Txg6 Sxf4+ (36…Txf4 37.Th3+ Kg8 38.Thg3!+/- /\ Sa4-c5-e6 Eduard Lasker (38.Sc5?! /\ 39.Tg7, 40.Se6 +- 38…Tf2+ 39.Kd3 Txd2+ 40.Kxd2 Sf4 ) ) 37.Lxf4 Txf4=Marco 38.Th3+ Kg8 39.Thg3 (39.Sc5?! /\ 40.Tg7 41.Se6 +- 39…Tf2+ ) 39…T4f7 40.Sc5+/= Lasker]
35.Tc4!
Marco [35.Tc5 Sxd4+-+ 36.Dxd4 Dxf3+ Blackburne; 35.Le3? Sxd4+ 36.Lxd4 Txf4 37.Lxg7+ Kxg7 38.Dc3+ e5 39.Tc7+ Kh8-+ ]
35…Txf4?
[35…Sd6! 36.Tc5 Sf5 37.Kd1 (37.Ke1 Dh4+ 38.Kd1 Dg4 39.Kc1 Dg1+ 40.Tf1 Dxd4 41.Dxd4 Sxd4-/+ _|_; 37.Le3? Dg4 /\ Sh4 38.Kf2 Sxe3 39.Dxe3 Txf4-+ ) 37…Td8-/+ Lasker; 35…Td8!-+ 36.Le3 (36.d5 Txd5 37.Tc8+ Tf8 38.Txf8+ Lxf8 39.Lc3+ Lg7 40.Dc4 Sxc3+ 41.Sxc3 Tc5-+ ; 36.Ke1!?N Minev) 36…e5-+ Schlechter 37.Tc5 (37.d5 Sd6 Pachmann) 37…Sxd4+ 38.Lxd4 (38.Dxd4 Dxf3+-+ Vukovic) 38…Txf4+- Zak (38…Dg4 39.Db3 Txf4! Rellstab) ; 35…e5! Capablanca]
36.Lxf4 Txf4 37.Tc8+ Lf8 38.Kf2! Dh2+
[38…Dh4+ 39.Kg2! (39.Ke2 Dh2+ 40.Ke3 Txf3+ 41.Kxf3 Dh3+ /\ 42… Dc8 -+) 39…Dg4+ 40.Tg3! Dxc8 41.Dg6!+- Tarrasch, Schlechter]
39.Ke1 Dh1+?+-
[39…Dh4+= 40.Kf1 (40.Tg3? Dh1+ 41.Kd2 Tf2+-+ ; 40.Kd1? Dh1+ 41.Ke2 Txf3 42.Dxf3 Sxd4+-+ ; 40.Kd2! Marco 40…Dh2+ 41.Ke3! Txf3+ 42.Kxf3 Dh3+ 43.Ke2 Dxc8= 44.Dxb5 ) 40…Dh3+ 41.Kf2 Txf3+ 42.Dxf3 Dxc8 43.Dh5+ /\ 44.Db5= 43…Kg8 44.Dxb5 ]
40.Tf1 Dh4+ 41.Kd2 Txf1
[41…Txd4? 42.Tcxf8+ Kg7 43.T1f7+ Kh6 44.Th8+ (44.Th7++- Tarrasch) 44…Kg5 45.Tg8+ Kh6 46.Th7# Blackburne]
42.Dxf1 Dxd4+ 43.Dd3 Df2+
[43…Dxd3+ 44.Kxd3 Kg7 45.Sc5+- Barcza]
44.Kd1 Sd6
[44…a6 45.Sb6+- Lasker; 44…Dg1+ 45.Kc2 Sd4+ 46.Kb2 Dg2+ 47.Ka1 Dh1+ 48.Ka2 Dg2+ 49.Sb2+- Lasker]
45.Tc5 Lh6 46.Td5 Kg8?
[46…Da2!= Schlechter]
47.Sc5 Dg1+ 48.Kc2 Df2+ 49.Kb3 Lg7 50.Se6 Db2+ 51.Ka4 Kf7 52.Sxg7
[52.Sg5+ Ke8 53.Dg6+ Kd7 54.Df5+ Kc6 Schlechter]
52…Dxg7 53.Db3 Ke8 54.Db8+ Kf7 55.Dxa7 Dg4+ 56.Dd4 Dd7+ 57.Kb3 Db7+ 58.Ka2 Dc6 59.Dd3 Ke6 60.Tg5 Kd7 61.Te5 Dg2+ 62.Te2 Dg4 63.Td2 Da4 64.Df5+ Kc7?
Capablanca
65.Dc2+ Dxc2+ 66.Txc2+ Kb7 67.Te2 Sc8 68.Kb3 Kc6 69.Tc2+ Kb7 70.Kb4 Sa7 71.Kc5 1-0

  1. A. Apps brachte als Antwort auf diese von Ken Whyld in Chess, Sept. 1976, S. 380 publizierte Meinung eine ausführliche Würdigung mit Darstellung der Quellenlage (Lasker v Schlechter. Conditions of the Lasker v Schlechter 1910 Match. E.A. Apps replies to Ken Whyld’s criticism in CHESS Sept. 1976 issue. Chess, Sutton Coldfield s.a.). Apps meint, daß Schlechter Weltmeister gewesen wäre, hätte er die letzte Partie des Kampfes Remis gespielt und damit den Kampf 5,5 zu 4,5 gewonnen.  Siehe dazu auch das Buch des im Juni 1992 verstorbenen Warren Goldman: Carl Schlechter! Life and Times of the Austrian Chess Wizard. Caissa Editions, Yorklyn 1994.

Die Diskussion über die wahren Bedingungen des Lasker – Schlechter Kampfes war zunächst für das deutsche Publikum weitgehend unbemerkt hauptsächlich in englischsprachigen Publikationen erfolgt. Großmeister Dr. Robert Hübner nahm sich des Themas in einer Artikelserie an, welche in der Deutschen Schachzeitung Schach, Berlin, erschien.  

Zwar dürfte nach zwei Weltkriegen kaum noch Primär-Material über den WM-Kampf in deutschen Schach-Archiven auffindbar sein und auch Zeitzeugen wie Mieses, Post, Berger, Marco u. a. (Post war der Hauptschiedsrichter des Kampfes, Berger der Schatzmeister) sind längst verstorben. Dennoch haben wir den zweiten Band der Tübinger Beiträge zum Thema Schach von Hans Ellinger gerne gelesen.

  1. Howard Staunton

In SZ 7 haben wir dargelegt, daß der englische Schach-Meister Howard Staunton von einigen Zeitgenossen überschätzt wird. Tatsächlich konnte Staunton bereits kurze Zeit nach seinem Kampf gegen den Franzosen Saint-Amant nicht mehr gegen die starken Meister der damaligen Zeit bestehen und scheute denn auch konsequent die ernsthafte Auseinandersetzung am Brett. Hinreichend bekannt ist, wie er einem Rückkampf mit Anderssen und einem Kampf mit Morphy auswich. Das Ausmaß der Überlegenheit Anderssens kann von Stauntons Niederlage im Turnier zu London 1851 gleich zu Beginn seiner Auseinandersetzung mit Anderssen abgeschätzt werden.

Anderssen,A – Staunton,H [B40]
London (1), 1851
Sizilianisch

1.e4 c5 2.d4 cxd4 3.Sf3 e6 4.Sxd4 Lc5 5.Sc3 a6 6.Le3 La7 7.Ld3 Se7 8.0-0 0-0 9.Dh5 Sg6 10.e5 Dc7 11.Tae1 b5 12.f4 Lb7 13.Se4 Lxe4 14.Lxe4 Sc6 15.Sxc6 dxc6 16.g4 Tad8 17.Kh1 c5 18.Tf3 Da5 19.Tef1 Da4 20.Ld3 Dxa2 21.Th3 h6 22.g5 Txd3 23.cxd3 Dd5+ 24.Tff3 Se7 25.gxh6 g6 26.h7+ Kh8 27.Dg5 Sf5 28.Df6+ Sg7 29.f5 Db3 30.Lh6Dd1+ 31.Kg2 De2+ 32.Tf2 Dg4+ 33.Tg3 1-0

Staunton nimmt deshalb keinen so herausragenden Platz in der Geschichte des Schachs ein. Zu sehr fehlen schachlich herausragende Taten. Stauntons Talent scheint eher auf organisatorischem und publizistischem Gebiet gelegen zu haben: Er organisierte 1851 das Turnier in London und gab eine der ersten Schach-Zeitungen (The Chess Players Chronicle) heraus. Auch sein Chess Player’s Handbook erschien in vielen Auflagen und verkaufte sich sehr gut, obwohl „anerkanntermaßen auf dem Deutschen Handbuch des Schachspiels basierend“ (Harold J. R. Murray). Er verstand es so, sich immerhin bis zur Reise Morphys nach Europa im Jahre 1858 trotz fehlender schachlicher Leistungen „im Gespräch“ zu halten. Warum hätte sich Morphy sonst um einen Kampf bemüht?

Erst in neuerer Zeit erinnern sich einige englische Schachpublizisten erneut des Howard Staunton (Raymond Keene: Staunton Remembered in: Chess. October 1994, S. 32).

Dabei figuriert Staunton noch nicht einmal unter den 64 stärksten Spielern der Geschichte, welche Nathan Divinsky zu seinen Berechnungen in Warriors of the Mind. Hardinge Simpole, Brighton 1989 (Mitherausgeber eben derselbe Raymond Keene!) heranzog.

  1. Der Maschinenmensch

Eine bibliografische Notiz: Bruno Wille: Der Maschinenmensch und seine Erlösung. Johannes Baum Verlag, Pfullingen s.a. (1930). Ein Kapitel lautet Der Schachautomat der Konkurrenz, ein anderes Kapitel ist mit Wie der Maschinenmensch Schach spielt überschrieben.

  1. Georg Klaus

Zu SZ 25 teilt uns der langjährige Herausgeber der Deutschen Schachzeitung Rudolf Teschner, Berlin, die folgende eigene Partie gegen Georg Klaus mit.

Teschner,R – Klaus,G [D44]
Bad Oeynhausen, 1942
Slawisch


1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 e6 5.Lg5 dxc4 6.e4 b5 7.e5 h6 8.Lh4 g5 9.Sxg5 Sd5 10.Sxf7 Dxh4 11.Sxh8 Lb4 12.Tc1 De4+ 13.Le2 Sf4 14.Tg1
Die Enzyklopädie empfiehlt heute 14. a3 oder 14. Dd2
14…Dh7 15.Lh5+ Ke7 16.Sf7 Sxh5 17.Dxh5 Dxf7 18.Dxh6 Lb7 19.a3 La5 20.Kf1 c5 21.Dh4+ Kd7 22.dxc5 Lxc3 23.Txc3 Sc6 24.Ke2 Df5 25.Td1+ Kc7 26.Tf3 Dxe5+ 27.Kf1 Th8 28.Tf7+ Kb8 29.Dg3 Dxg3 30.hxg3 Se5 31.Te7 Sd3 32.Td2? Th1+ 0-1

Teschner schreibt weiter, daß die Eröffnung von dem jungen Hamburger Klaus Junge eingeführt und häufig gespielt worden sei. In neuerer Zeit haben Schachspieler wie Botwinnik, Kasparow, Kramnik und Schirow die Variante analysiert. Teschner und Rudolf Reinhardt, Berlin, geben darüber hinaus an, daß sowohl in der DSZ, Januar 1944, als auch in den DSBl, 1942, Partien von Klaus zu finden sind. Kann jemand mitteilen, wie lange Klaus für den Schachverband der DDR tätig war und wann er verstarb?

  1. Restaurant L’Echiquier

In Paris findet der aufmerksame Besucher auch in Sachen Schach mannigfaltige Anregungen. Eine Entdeckung und unbedingt einen Abstecher wert ist das Restaurant L’Echiquier, auf das uns wiederum unser Freund Dr. Jean Mennerat, Frankreich, aufmerksam machte. In der rue Saint-Georges Nr. 48 kann man inmitten diskret angebrachter Schachgemälde und anhand einer schachlich gestalteten Speisekarte wie Gott in Frankreich essen. Die Gastgeberin Madame Blanche kümmert sich liebevoll um das Wohl der Gäste. Im Falle eines geplanten Besuches empfiehlt sich eine Tischreservation: Restaurant L’Echiquier. 48, rue Saint-Georges, 75009 Paris. Tel.: 48 78 46 09.

  1. Schach in der Trivialliteratur

Für unsere Bibliographen (siehe SZ 12) weist Hauke Reddmann, Hamburg, auf das Wondergirl Sonderheft 5, Ehapa Verlag 1976 hin. Hauke Reddmann ist Redakteur der lokalen Hamburger Schach-Postille Inselschach.

  1. Kreuzschach

Hauke Reddmann, der Kurt Cobain aller Kreuzschach-Freunde, teilt uns auch die folgende Komposition konsekutiver Kreuzschachs mit.

Reddmann, Hauke – Konsekutive Kreuzschachs
aus: Feenschach 101, November 1991, S. 168

1…e1T+ 2.Kb4+ Sc5+ 3.Sb5+ Ld7+ 4.g4+ Te4+ 5.Scd4+ Sb7+ 6.Sd6+ c5+

  1. Margarete von Navarra

Wie H.-W. Fink, Koblenz, berichtet, besteht zwischen der schachspielenden Margarete von Navarra und François Rabelais (SZ 13) eine innere Beziehung. François Rabelais, der in Fortführung einer Idee Colonnas (Hypnerotomachia; erste französische Ausgabe bei Jaques Kerver, Paris 1546) eine Beschreibung eines Schachturniers mit lebenden Figuren liefert, und dessen Werk als eines der frühesten Zeugnisse der reformierten Spielregeln gilt, widmet eingangs des 3. Buches des Gesamtromans der Margarete von Navarra ein Gedicht. In einer auf Ferdinand Adolf Gelbcke (1880) fußenden Übersetzung von Horst und Edith Heintze (Heintze, H. und E. (Hrsg.): François Rabelais: Gargantua und Pantagruel. Insel Verlag, Frankfurt 1974 [zweibändig], 1994 [einbändig]) lautet der Text:

François Rabelais an den Geist der Königin von Navarra // Tiefsinniger, entrückter, hoher Geist, / der in des Ursprungs Himmelskreisen thront, / indes dein Wirt und Wohnsitz bleibt verwaist, / des Leibes Lieblichkeit, der, treu gewohnt / fortwandernd, allen deinen Wünschen front, / empfindungslos und gleichsam wie von Sinnen: / kannst du nicht einen Augenblick entrinnen / aus deinen überirdisch ewgen Sphären, / da mit dem dritten Teil ich will beginnen / von des Pantagruel vergnügten Mären?

Die Abbildung zeigt Margarete von Navarra als zwölfjähriges Mädchen (aus Black, C. et al.: Atlas of the Renaissance. Cassell Villiers House, London 1993, S. 105).

  1. Weißes Eckfeld

In SZ 13 haben wir gefragt, ab wann es üblich wurde dem rechten Eckfeld des Schachbrettes die weiße Farbe zuzuordnen.

Zunächst ist festzustellen, daß die Unterteilung des Brettes in Felder zweier unterschiedlicher Farben keine notwendige Bedingung für das Spiel darstellt und es im frühen Mittelalter insbesondere in den nordafrikanischen, arabisch beherrschten Ländern üblich war, auf Brettern mit gleicher Felderfarbe zu spielen. Möglicherweise könnte dies unter anderem auch deshalb günstig gewesen sein, da die nomadisierenden Berber und auch die Araber auf rasch in den Wüstensand gezeichneten Schachbrettern mit Figuren spielten, die versehen mit einem langen spitzen Ende, in den Sandboden gesteckt werden konnten. Im Zuge der Europäisierung des Spieles wurde eine Zweiteilung der Felderfarben üblich.

In einem Beitrag von der Lasa’s (Bemerkungen über das mittelalterliche Schachspiel, in: Bächtold, J. und Vetter,F. [Hrsg]: Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz. Ergänzungsband: Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhausen. J. Huber, Frauenfeld 1892, S. 806) vertritt dieser die Ansicht, daß bereits in den frühen mittelalterlichen Schachzabelbüchern des Jakobus’ de Cessolis und des Kunrats von Ammenhausen um 1337 das rechte Eckfeld von weißer Farbe gewesen sei. Und auch van der Linde (Geschichte und Litteratur des Schachspiels. I. Band., Julius Springer, Berlin 1874, S. 285) verweist auf einen Codex vom Anfang des 14. Jahrhunderts, in dem unsere heutige Aufstellung der Figuren und des Brettes dargestellt ist.

  1. Das menschliche Element

„Wann immer ich in den vergangenen zehn Jahren das Feld der Periodika überblickte, die in irgendeiner Weise dem Schach gewidmet waren, hatte ich konstant den Eindruck, daß da wenigstens noch für eine monatliche Schach-Zeitung Platz war. Eine komplette und explizite Angabe der Gründe, die mich zu dieser Schlußfolgerung kommen ließen, würde notwendigerweise einige anscheinend unvorteilhafte Aussagen über derzeit noch existierende Schach-Publikationen beinhalten. Vor dieser unangenehmen Notwendigkeit würde ich mich ziemlich gerne drücken, wenn ich könnte; aber um mir selbst gerecht zu werden bin ich gezwungen, meine Meinung in Übereinstimmung mit meinem bescheidenen Urteil ohne Furcht vor irgendwelchen Konsequenzen auszusprechen.

Mit sehr wenigen Ausnahmen haben die derzeit existierenden Schach-Periodika – und was für diese wahr ist, ist ebenfalls wahr für die, die „waren, aber nicht mehr sind“ – einen hauptsächlichen Mangel, der leicht von Jedem entdeckt werden kann, der der Angelegenheit einige Gedanken gewidmet hat, und der ist die Abwesenheit des menschlichen Elements. Um es klar zu sagen: Es ist wahr, daß die Publikation guter Partien, mit ausführlichen Anmerkungen sowie eine Anzahl von Schach-Problemen, ein wichtiges Merkmal von Schach-Zeitungen ist; und ohne diese würde eine Schach-Zeitung wie „Hamlet“ ohne Hamlet sein. Aber wenn ein Schach-Magazin neben Partien und Problemen nichts anderes publiziert, dann macht es einen fast so schweren Fehler, als „Hamlet“ nur mit Hamlet und dem Geist als den dramatischen Personen aufzuführen. Wenn ich wiederum die existierenden Schach-Publikationen überblicke und sehe, daß Nachrichten und Notizen von Schach-Ereignissen alle im Stil von Hochzeits- und Todesanzeigen der Tageszeitungen geschrieben sind, und wenn ich sehe, daß nicht einmal ein Schimmer von Intelligenz oder Humor die dunklen Seiten eines Buches erhellen, das doch zur Freude von Menschen gemacht sein sollte, dann wundere ich mich nicht über die Apathie, die zu allen Zeiten die Schach-Spieler ergriffen hat, wenn es um die Unterstützung eines Schach-Periodikum ging. Und genau hier möchte ich hinzufügen, daß welche Fehler die große Masse derzeit existierender Schach-Periodika vom künstlerischen und literarischen Standpunkt aus gesehen auch immer haben mögen, daß diese Fehler nicht irgendeinem Mangel an gutem Geschmack, oder Talent oder mangelnder Fähigkeit der Redakteure und Herausgeber zuzuschreiben sind, sondern mehr ihrem Mangel an Wissen über das, was die schachspielende Öffentlichkeit wirklich wünscht und was sie wirklich unterstützen wird.“ (Übersetzung aus dem Englischen H.E.B.)

Diese Zeilen schrieb Emanuel Lasker im Jahre 1904 im November-Heft seines Lasker’s Chess Magazine !

Die Zeilen Laskers haben unseres Erachtens nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Gibt es Meinungen hierzu?

  1. Geschichte der Spiele

Ein Werk monumentalen Ausmaßes, das wir jedem Interessierten auf das wärmste empfehlen, ist in Paris erschienen. Jean-Marie Lhote: Histoire des Jeux de Société, Géométries du Désir, Flammarion, Paris 1994, (ISBN 2-08-010929-4), 672 S., 27,9 x 24,6 cm, Ln. m. SU im Schuber. Der Preis betrug bis zum 31.1.1995 650.- FF (etwa 190.- DM) und wer es in Paris bei Gibert Jeune kaufte, erhielt noch zusätzlich 5% Rabatt auf diesen Kaufpreis (ein Schnäppchen). Ab Februar 1995 kostet das Werk 795.- FF.

Das Buch besticht durch Exaktheit im Detail. So weit wir überblicken, zeugen die umfangreichen, das Schachspiel betreffenden Stellen von profunder Kenntnis der Materie und der bibliografische Anhang beweist hinsichtlich seiner Prioritätensetzung ebenfalls die Kennerschaft. Auch eine für ein solch umfangreiches Werk ungewöhnliche Aktualität ist gegeben. So ist der bei einer Auktion in Paris im Juni 1991 erzielte Kaufpreis des zweibändigen bei Hiersemann in Leipzig 1913 aufgelegten, photomechanischen Nachdrucks des Schachbuches von König Alfonso dem Weisen aus dem Jahre 1283, den wir erstehen konnten, korrekt mit 4800.- FF angegeben.

  1. Schach in harten Zeiten – Klaus

Zu SZ 25 und 35 weisen Reinhart Fuchs, Rudolf Reinhardt und Rudolf Teschner, alle Berlin, auf das Turnier in Krynica 1943 hin. Von Reinhart Fuchs, Berlin, dem Meister der DDR 1953, stammt auch der Hinweis, daß Klaus im Jahre 1953 in einem Länderkampf DDR-Bulgarien gegen den späteren IM (Internationaler Meister) Atanas Kolarow remisierte. Im Turnier in Krynica gewann Prof. Dr. Klaus die folgende Partie gegen Bogoljubow. Brinckmann schrieb damals in der Deutschen Schachzeitung: „Der Soldat Klaus litt ersichtlich unter den Folgen seiner schweren Verwundung und war in seinen Leistungen dadurch stark beeinträchtigt. Er kam nur allmählich in Form und vollbrachte erst in der letzten Runde seine größte Tat, indem er Bogoljubow dessen einzige Niederlage zufügte und ihn dadurch vom ersten Platz vordrängte (sic!). Klaus gewann auch das in einem Lazarett durchgeführte Blitzturnier, das alle Teilnehmer zu einer Wiederholung des Meisterturniers mit umgekehrten Farben vereinigte.“

 

Bogoljubow, Efim – Klaus, Georg [B73]
Krynica, 1943
Sizilianisch


1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 d6 6.Le2 g6 7.Le3 Lg7 8.0-0 0-0 9.h3 d5! 10.exd5 Sb4 11.d6! Dxd6 12.Scb5 Dd8 13.c4! a6 14.Da4 Sc6 15.Sxc6 bxc6 16.Sd4 c5 17.Sb3 Sd7 18.Da3 Tb8 19.Tab1 Dc7 20.Tfd1 Te8 21.Td2 Lb7 22.Tbd1 Lc6 23.Sa5? Eine Nachlässigkeit von weittragenden Folgen, denn diese Partie wurde in der letzten Runde gespielt, vor deren Beginn Bogoljubow und Lokvenc den gleichen Tabellenstand hatten. Geboten war 23. Lc5: (23. … Db7 24. Sa5). Schwarz hätte danach ersatzlos einen Bauern weniger gehabt
23…Lxb2! 24.Txb2 Txb2 25.Dxb2 Dxa5 26.Lh6 f6 27.Lg4 Sf8 28.De2 Kf7 29.f4 Dc7 30.De3 f5 31.Le2 Se6 32.g4 Sd4 33.Txd4 cxd4 34.Dxd4 e5 35.Dc5 Db7! 36.fxe5 Db1+ 37.Lf1 De4 38.Dd6 Dh1+ 39.Kf2 Dh2+ 40.Ke3 Txe5+ 41.Kd4 Db2+ 42.Kd3 Le4+ 43.Ke3 Dc3+ 0-1

(Anmerkungen von A. Brinckmann in der Deutschen Schachzeitung Januar 1944, S. 13).

Wie wir im Jahrgang 1953, S. 237 der DDR Schachzeitung Schach entdeckten, veröffentlichte Klaus als Präsident des DDR-Schachverbandes, unter dem Titel Die Aufgaben der Sektion Schach beim Aufbau der DDR einen dreiseitigen Artikel, der sehr klarsichtig insbesondere auf die dem Schachspiel immanente Dialektik abhebt.

Dabei ist es jedoch aus heutiger Sicht notwendig, den Artikel der seinerzeit üblichen propagandistischen Floskeln („Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“) zu entkleiden und von der üblichen Litanei gesellschaftspolitischer Divergenzen abzusehen, deren Vortrag ohnehin inhaltlich, wenn auch nicht stilmäßig, so sehr im Rahmen kommunistischer Doppelzüngigkeiten verharrt, daß die Zeitungsfrau um die Ecke am nächsten Morgen sich sicherlich mokiert haben dürfte, ihr noch schulpflichtiger, kleiner Sohn habe die Sätze des grobe Klötze in schwerfälliger Diktion aufeinanderschichtenden Philosophen teilweise noch vor dem Ende der Lektüre mühelos zu Ende formulieren können.

  1. Gideon Stahlberg

Carl-Eric Erlandsson, Schweden, ist dabei, sämtliche Partien von Gideon Stahlberg zu sammeln. Er fragt, ob jemand die von Stahlberg im Turnier von Bad Niendorf 1934 gespielten Partien angeben kann. Es fehlen ihm sieben Partien.

Darüber hinaus fragt er, an welchen Tagen das Turnier in Dresden 1936 gespielt wurde. Er glaubt, es sei vom 7.6. – 14.6.1936 mit einem doppelrundigen Tag gespielt worden. Ein Tag sei Ruhetag gewesen. Kann jemand angeben, an welchem Tag doppelrundig gespielt wurde?

  1. Das älteste Kreuzschach der Welt

Das wohl älteste verbürgte, wenn auch literarisch erhöhte Kreuzschach erteilte vor etwa 700 Jahren die Königin Isot dem Marke im Tristan des Heinrich von Freiberg. Helmut Faust, Coburg, gibt im 28. Studienbrief zur Kulturgeschichte des Schachspiels (Selbstverlag, Coburg 1967) an (nach de Boor: Gesch. d. dt. Lit., Bd. 3/1, München 1962, S. 88ff.), daß der Dichter der Verse, Heinrich von Freiberg, bürgerlicher Herkunft war und mit einiger gelehrter Bildung versehen als Hofdichter im Dienste von hohen böhmischen Adligen lebte. Etwa in den Jahren 1285-1290 schrieb er eine Fortsetzung von Gottfrieds von Straßburg unvollendet gebliebenen Tristan. Die entsprechende Schachstelle lautet (Verse 4144 ff.):

den künic und die künegîn
gar minnenclîchen vander
sitzen bî einander,
dô sie ein schâchzabel zugen.
ir ougen blicke lieplîch vlugen
über das bret ofte entwer
von einem hin zume anderen her,
von einem her zume anderen hin.

Tinas mit loube saz zu sin.
inredes der künic sprach
zu der küneginne: „schâch!“.
„dâ schâch“ sprach die künegîn,
„hie buoz mit dem ritter mîn!“
„abschâch!“ sprach der künic sân.
sie gedâchte: „abschâch wirt iuch getân.“

(Tinas, der Bote Tristans, traf König Marke und Königin Isot an, wie sie gerade beisammen saßen und Schach spielten. Liebevoll wechselten die beiden über das Brett hinweg ihre Blicke miteinander, von einem zum andern – hin und her. Mit ihrer Erlaubnis setzte sich Tinas zu ihnen. Indessen sprach der König der Königin ein „Schach!“ – „Gegenschach!“ erwiderte die Königin, „und gleichzeitig Deckung durch meinen Ritter.“ „Abzugsschach!“ antwortete der König darauf. Sie dachte bei sich: „Euch wird gleich ein [ganz anderes] Abzugsschach widerfahren.“)

Wenngleich Heinrich von Freiberg sicher nicht beabsichtigte, eine wirkliche Schachpartie zu beschreiben, sondern wie damals üblich diese nur dazu nutzte, das Liebesleben des Paares darzustellen, so können wir doch davon ausgehen, daß er zumindest einige Mittelspielkombinationen gut kannte. Es ist immerhin möglich, eine sinnvolle Schachstellung aus dem Text zu konstruieren. Georg Ernst gibt beispielsweise im Deutschen Wochenschach 1913, S. 309 ff. die folgende Stellung (angezweifelt von Pfannmüller in DWS 1913, S. 333 ff.), wobei zu berücksichtigen ist, daß im dreizehnten Jahrhundert der Dame noch nicht unsere heutige Gangart und Stärke zugewiesen wurde.

Königin Isot – König Marke
um 1290

1…Th1+ 2.Sb1+ Kb4+

Schließlich hat sich Königin Isot doch noch dem König Marke ergeben. Die Verse des Heinrich von Freiberg teilen uns noch mit (Verse 4163 ff.):

nu wart verrücket ein stein;
des huob ein kriec sich under in zwein,
den muoste bescheiden Tinas,
wan anders nieman bî in was.
der stein wart ûf dem brete entwer
gerücket hin unde her,
er rückete in her, hin rückete in sie.
inredes was Tinas hie
und jach: „der stein alhie sol stân!“
und greif mit der hant aldar.

zuhant Isot die künegîn
huob ein cleinez kriegelîn
mit dem künege umb daz spil;
sie sprach: „her künic, ich enwil
nicht mê spilen zu dieser zît,
habet iuch spil unde strît,
habet iuch vorlust und gewin!“
und stiez daz bret von ir hin,
sam ez in zorne wêre geschehen.

(Danach wurde ein Stein verschoben, was zwischen den beiden Streit erregte, den Tinas schlichten sollte, weil sonst niemand (von königlichem Rang) zugegen war. Der Stein wurde auf dem Brett hin und her gerückt; er rückte ihn her, sie rückte ihn hin. Schließlich griff Tinas ein und sprach: „Der Stein gehört hierher!“ und stellte ihn mit der Hand zurecht. Alsbald rief Königin Isot einen neuen Zwist über das Spiel mit dem König hervor. Sie sprach: „Herr und König, ich will jetzt nicht mehr weiterspielen. Spiel und Sieg sollen Euer sein, desgleichen Verlust und Gewinn!“ Scheinbar in Ärger stieß sie das Schachbrett von sich.)

  1. Steinitz – von Bardeleben

Zu SZ 29 teilt Jörg Engels, Österreich, mit, daß von Bardeleben nach 25. Tg7xh7+ den Saal verließ, nicht mehr zur Fortsetzung der Partie erschien und durch Zeitüberschreitung verlor. Nach der Partie gab Steinitz dann die geplante Fortsetzung mit Matt im 35. Zug an. Bachmann schrieb (Geistreiche Schachpartien alter und neuer Zeit. Fünftes Bändchen zugleich Jahrbuch für 1895. Brügel und Sohn, Ansbach 1896, S. 2): „… der Führer der Schwarzen verliess in Erkenntnis des Partieverlustes hier das Brett und liess seinen Gegner an demselben sitzen, bis die Partie durch Zeitüberschreitung verloren war. Die englischen Blätter erwähnen diesen Vorgang, enthalten sich aber mit anerkennenswerthem Takt der Kritisirung eines derartigen Mangels an Selbstbeherrschung.“

Klicken auf die Züge lässt das Spiel erscheinen.

Auch Emil Schallopp schrieb im Turnierbuch Hastings 1895 (Veit und Comp., Leipzig 1896): „Schwarz gab hier, indem er sich entfernte und nicht zurückkam, die Partie auf.“ Erstaunlicherweise erwähnt das englische Turnierbuch (Horace Cheshire [Hrsg.]: The Hastings Chess Tournament 1895 … . Chatto and Windus, London 1896) den Vorfall nicht. Die englischen Herausgeber ließen die Partien für das Turnierbuch von den Meistern selbst kommentieren, verteilten die Partien jedoch so unter den anwesenden Meistern, daß keiner eine von ihm selbst gespielte Partie zu kommentieren hatte. Tarrasch, der die Partie Steinitz-von Bardeleben mit Erläuterungen zu versehen hatte, wußte jedoch sicherlich von dem Vorfall und es ist nicht klar, weshalb die englischen Herausgeber des Turnierbuches die unsportliche Verhaltensweise von v. Bardeleben nicht mitteilen. Auch die von L. Hoffer herausgegebene Schach-Zeitung The Chess Monthly (Vol. XVII, 1896, S. 46) berichtet nicht vollständig. Silbermann und Unzickers Beschreibung (Geschichte des Schachs. Bertelsmann Ratgeber, Gütersloh 1975, S. 229), daß von Bardeleben durch die „Opferorgie“ des Gegners eingeschüchtert aus dem Saal geflohen sei und später durch einen Boten die schriftliche Mitteilung der Kapitulation geschickt habe, ist wohl reine Fiktion.

Offensichtlich hatte von Bardeleben jedoch Gefallen daran gefunden, Verlustpartien auf diese Art und Weise zu beenden, denn Tarrasch schrieb in der Schachspalte des Frankfurter Generalanzeiger: „Leider müssen wir sagen, dass Herr v. Bardeleben den Unwillen aller Congressbesucher durch die eigenthümliche Art erregt hat, auf welche er die meisten seiner Verlustpartieen aufzugeben pflegte. Wenn er auf Verlust stand, dann erinnerte er sich der in einem bekannten humoristischen Schachgedichte gegebenen Vorschrift:

Liegt Deine Partie aber ganz darnieder, dann geh’ mal raus und komm’ nicht wieder!

Er verduftete einfach und überliess es dem Comité, seine Partie als durch Zeitüberschreitung verloren zu erklären.“ (zitiert nach Deutsche Schachzeitung, 1895, S. 324 ff.).

Die französische Schachzeitung La Stratégie (29. Jahr, 28. Band 1895, S. 300) zitiert William H.K. Pollock (einen Teilnehmer des Turniers) wie folgt: „Herr von Bardeleben sagte zu seinem Gegner, daß sein Verhalten erfolgte, um gegen die oftmals zu lange anhaltenden Beifallsbekundungen der den Siegern zujubelnden Besucher zu protestieren und daß in der Folge dieses Vorfalles das Turnier-Komite jedwede Beifallsbekundung untersagte.“ (Übersetzung aus dem Französischen H.E.B.).

10 Jahre später brachte Lasker in seinem Chess Magazine März 1905 unter der Überschrift The Runaway Player einige nette englische Übersetzungen des von Tarrasch erfundenen Zwei-Zeilers.

Curt von Bardeleben beging 1924 im Alter von 62 Jahren in Berlin Selbstmord, indem er aus dem Fenster sprang.

  1. Sofonisba Anguissola

Martin Ramsauer, Bad Abbach, und Stefan Bücker, Nordwalde, weisen (zu SZ 8 und 13) auf das Heft 1/1995 der Kunstzeitschrift ART hin, das anläßlich einer Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien „Sofonisba Anguissola – Erste Malerin der Renaissance“ einen ausführlichen Bericht über die Künstlerin bringt. Der Artikel (S. 12-21) ist mit 11 Farbabbildungen illustriert. Leider ist das Schachbild über den Seitenumbruch gelegt. Im übrigen sieht Martin Ramsauer Schwierigkeiten, die Figuren auf dem Schachbild voneinander zu trennen, was seiner Meinung nach an der unwahrscheinlichen Stellung liegt. Nur die Springer sind klar zu erkennen. Die runden, eichelförmigen Steine hält er für die Türme, die Männchen mit den spitzen Hüten dürften die Bauern sein, diejenigen ohne Hüte (oder tragen sie einen Helm?) die Läufer. Wo aber sind König (der Spitzbart auf e2?) und die Königin (die geschlagene Figur in der Hand des linken Mädchens) ?

  1. Adolf Anderssen

In Ergänzung zu SZ 31 (War Anderssen außer Form als er Weihnachten 1858 gegen Morphy kämpfte?) meint Bob Meadley, Australien, daß Anderssen die meiste Zeit des Jahres 1857, dem Jahr vor seinem Kampf mit Morphy, schachpraktisch nicht aktiv war. Dies jedenfalls kann man ableiten, wenn man der Schachspalte Löwenthals vom 21. Dezember 1856 und 6. September 1857 in der Era Glauben schenkt. Am 6. Sept. 1857 schrieb Löwenthal: „Wir hören darüberhinaus, daß ihn (Anderssen, Anm. H.E.B.) seine beschwerlichen beruflichen Pflichten daran hinderten viel zu spielen, und Mangel an Praxis kann sogar das Genie selbst schwerlich kompensieren.“ Sogar in einem Rückblick auf das Jahr 1857 wiederholte Löwenthal substantiell die Aussage, die er am 6. September 1857 gemacht hatte. Wir können davon ausgehen, daß Anderssen zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Paris am 10. Dezember 1858 ein weiteres anstrengendes Jahr ohne viel Schach am Gymnasium in Breslau verbracht hatte. Lange schrieb (Paul Morphy. Sein Leben und Schaffen. 3. Aufl., Veit und Comp., Leipzig 1894, S. 270), daß der „wesentlich ins Gewicht fallende Mangel gleichmäßiger Spielpraxis“ auf Anderssens Begegnung mit Morphy „von größerem Einfluß, als es Anderssen seinerseits vorher glauben mochte“ gewesen sei. Bald nach dem Kampf mit Morphy hat Anderssen wohl begriffen, daß mangelnde Spielpraxis schwerlich auszugleichen ist, als er nämlich sagte, daß man „seine Meisterschaft nicht in ein Glasschränkchen setzen und wie ein Kleinod aufbewahren könne, um es erforderlichen Falles zur Hand zu haben“, sondern „daß man sie vielmehr allein durch dauernde und gediegene Übung erhalte.“

Dennoch, als Anderssen in Paris zunächst das Café de la Régence aufsucht und dort Harrwitz begegnet, kommt es zu einem Kampf der beiden, den Anderssen bei sechs Partien mit +3–1=2 gewinnt. Dieser Wettkampf, obwohl sehr kurz, zeigt Anderssen in einigermaßen guter Form und bietet einen gewissen Vergleich, da Morphy gerade kurz vorher gegen Harrwitz mit dem Resultat +5-2=1 gewonnen hatte.

  1. und 50. Entfällt
  2. Gideon Stahlberg

Zu SZ 44 erhielten wir zahlreiche Zuschriften. Herbert Graf, Augsburg, Herr Krämer, Dresden, Dr. Mennerat, Frankreich, und Wolfgang Pieper, Osnabrück, teilen mit, daß das in Rede stehende Dresdener Turnier am 10.6.1936 doppelrundig gespielt wurde. Dabei erfolgte die vierte Runde vormittags und die fünfte Runde nachmittags. Ein Ruhetag sei nicht eingelegt worden. Dr. Mennerat kann einzelne Partien sowohl von Dresden als auch vom Turnier in Bad Niendorf 1934 liefern.

  1. Das älteste Kreuzschach der Welt

Prof. Johann Hollik, Österreich, macht uns auf eine Verbesserungsmöglichkeit der in SZ 45 angegebenen Stellung aufmerksam. Ein (erwünschtes) Mattbild nämlich entsteht nur, wenn in der angegebenen Stellung der Partie Königin Isot vs König Marke statt einer Dame ein Alfil auf c2 und statt eines Läufers ein Fers auf d3 steht. Die Gangart des „mittelalterlichen“ Fers umfaßte nur ein Feld in jede Richtung (ortho- und diagonal), wohingegen der „mittelalterliche“ Alfil diagonal jedoch nur zwei Felder weit springen konnte. Dabei konnte er auch einen eigenen oder fremden Stein überspringen. Die Stellung, dergestalt korrigiert, sieht also wie folgt aus:

 

Königin Isot – König Marke
Deutsches Wochenschach 1913, S. 309


1…Th8-h1+ 2.Sc3-b1+ Ka3-b3+ 3. Ac2-a4 Ta8xa4 0–1

Prof. Hollik verweist auch auf Breuer, Josef: Beispiele zur Ideengeschichte des Schachproblems herausgegeben von der Problemfreunde-Vereinigung Schwalbe im Jahre 1982.

  1. Eröffnungs-Theorie

Im allgemeinen kann man die Entwicklung der Schach-Theorie bis weit in die Anfänge der Schach-Literatur, beginnend mit Lucena 1497, datieren. Ausführliche Analysen erfuhren unter anderen die in der Folgezeit als Italienische und Spanische Partie bezeichneten Spielanfänge.

Wann aber wurde die erste Monografie über eine spezielle Eröffnung gedruckt? Ein erster Vorschlag lautet: von Bilguer, Paul Rudolf: Zur Theorie des Schachspiels. Das Zweispringerspiel, Veit und Comp., Berlin 1839. Von Bilguer schrieb in seinem Vorwort zum oben genannten Büchlein: „Es behandelt nicht, wie die gewöhnlichen Lehrbücher, alle Spieleröffnungen, sondern nur eine einzige, diese aber möglichst erschöpfend.“

Jean Gay (Bibliographie anecdotique du jeu des échecs, Paris 1864, S. 39) gibt als ein möglicherwiese früheres Beispiel eine Monographie von John Cochrane über das Muzio Gambit an, welche in Madras, Indien, im Jahre 1829 gedruckt worden sei. Anton Schmid (Literatur des Schachspiels, Wien 1847) gibt einen James Cochrane (Madras Civil Servant) als Autor gemeinsam mit Ghulam Kassim für dies Werk an. Dabei verwendet er jedoch zwei unterschiedliche Erscheinungsjahre (1829 und 1839). Er weist explizit darauf hin, daß dieser James Cochrane nicht identisch sei mit dem berühmten Schachspieler (den er dann aber wiederum fehlerhaft James [statt John] nennt).

Zur Erläuterung: John Cochrane (1798-1878) war Leutnant zur See auf dem britischen Linienschiff Bellerophon, das Napoleon im Sommer 1815 in sein letztes Exil auf St. Helena brachte. Er besuchte im Jahre 1821 gemeinsam mit William Lewis Paris und nahm dort am Vierer-Treffen mit Deschapelles und Labourdonnais teil. 1822 veröffentlichte er seinen Treatise on Chess. 1824 verließ er England, um in Indien seinem Beruf nachzugehen (R.N.Coles, British Chess Magazine 1978, S. 140). Er gehörte zu Englands stärksten Schachspielern und ist nicht zu verwechseln mit dem „Madras Civil Servant“ James Cochrane (1770-1830).

Beide Bibliografen scheinen demgemäß nicht ganz auf der Höhe des tatsächlichen bibliografischen Hintergrundes zu sein.

  1. Prof. Georg Klaus

Zu SZ 43 teilt Uwe Müller aus Chemnitz mit, daß Klaus (*28.12.1912, +29.7.1974) wegen illegaler Widerstandsarbeit zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde und erst im April 1939 die Freiheit wieder erlangte. In der SBZ/DDR wirkte er an den Universitäten in Jena und Berlin in wissenschaftlich-philosophischen Sinne. Als Nachfolger des (politisch verfolgten) Paul Bänder bekleidete er 1953/54 die Funktion eines Präsidenten der Sektion Schach der DDR. Da Klaus dieses Amt, auch berufsbedingt, stark vernachlässigte, wurde er schließlich durch Adolf Pawlitta ersetzt. Während des Länderkampfes Bulgarien-DDR im November 1953 in Sofia mußte Klaus für die akut erkrankte Edith Keller-Hermann einspringen und erreichte gegen den späteren IM Kolarow ein Remis. Prof. Georg Klaus verstarb am 29. Juli 1974. Nach Angaben von Reinhart Fuchs, Berlin, wurde Klaus in Berlin-Lichtenberg auf einem speziellen, für besonders ehrenvolle Persönlichkeiten der DDR errichteten Friedhof beigesetzt.

Reinhart Fuchs hält die Behauptung Brinckmanns in der DSZ 1944 (siehe SZ 43) über des Soldaten Klaus schwere Verwundung für frei erfunden und meint, daß man die Wahrheit damals nicht hätte schreiben können. Allerdings liefert er bislang keine Belege für seine Behauptung. Tatsächlich gab es unseres Wissens den Begriff der „Wehr-Unwürdigkeit“, der einen Dienst in der Wehrmacht bei „politischer Unzuverlässigkeit“ verbot. Hierunter hätte die illegale Widerstandsarbeit von Klaus durchaus fallen können. Die Angaben Brinckmanns in der Deutschen Schachzeitung könnten in dieser Hinsicht nicht korrekt sein. Andererseits, falls Klaus tatsächlich auch nach seiner Haftzeit Repressalien ausgesetzt gewesen ist, wie ist erklärbar, daß er an einem Turnier in Krynica teilnahm. Krynica liegt in Westgalizien also fernab seiner Heimatstadt Nürnberg. Kann jemand über die Lebensumstände von Klaus während des Krieges weitere Angaben machen? War Klaus tatsächlich Wehrmachtsangehöriger?

  1. Kreuzschach

Mit einem hübschen Kreuzschach verspielte Tschigorin gegen Schlechter in Ostende 1905 den schon sicher geglaubten Gewinn (Stellung nach 45. Db6+)..

 

Tschigorin, Mikhail – Schlechter, Carl [C30]
Ostende (22), 1905
Königsgambit

1.e4 e5 2.f4 Lc5 3.Sf3 d6 4.Lc4 Sf6 5.d3 Sc6 6.Sc3 a6 7.f5 Sa5 8.Lg5 Sxc4 9.dxc4 b5 10.De2 c6 11.0-0-0 Dc7 12.Sd2 Lb7 13.Sb3 Lb6 14.h4 0-0-0 15.Th3 bxc4 16.Dxc4 d5 17.De2 d4 18.Sa4 c5 19.Lxf6 gxf6 20.Te1 Kb8 21.Dc4 Tc8 22.Tg3 Thg8 23.Txg8 Txg8 24.Sxb6 Dxb6 25.Sxc5 Da5 26.Td1 Txg2 27.a4 Ka7 28.c3 Db6 29.b4 Dc7 30.cxd4Lxe4 31.Dxa6+ Kb8 32.Db5+ Ka7 33.Td2 Txd2 34.Kxd2 exd4 35.Sxe4 Df4+ 36.Kd3 De3+ 37.Kc4 Dxe4 38.Dd7+ Kb8 39.Kc5 d3 40.b5 Db7 41.Dxd3 Dc7+ 42.Kb4 h5 43.Dd4 De7+ 44.Ka5 Dc7+ 45.Db6+ Ka8 1/2-1/2

  1. Eröffnungs-Theorie

Egbert Meissenburg, Seevetal, gibt die exakten bibliografischen Angaben der in SZ 53 angesprochenen Eröffnungsarbeit. Ghulam, Kassim und Cochrane, James: Analysis of the Muzio gambit, and match of the games at chess, played between Madras and Hyderabad, with remarks by Ghulam Kassim and James Cochrane. Courier Press, Madras 1829, [4], 63 S. Die Jahreszahl „1839″ bei Schmid ist unzutreffend. Ghulam Kassim starb 1844 (nach Gaige, 1987). Ken Whyld, England, teilt mit, daß er nach Forschungen in der India Office Library annehme, James Cochrane sei 1777 geboren (und nicht 1770). Meissenburg glaubt, das Buch von Ghulam Kassim sei die erste selbständige Eröffnungs-Monografie. Es könne jedoch durchaus sein, so fährt Meissenburg fort, daß es bereits vor 1829 Zusammenstellungen von Zügen zu einzelnen Eröffnungen gegeben hat; dann aber nicht in Druckform sondern als Handschrift. Er weist hier insbesondere auf den Rimington-Wilson/Quaritch Katalog von 1929 hin, der eine gute Fundgrube von Handschriften, die von den Engländern gefertigt wurden, ist.

  1. Lasker – Schlechter 1910

Die genauen Bedingungen des Lasker-Schlechter Wettkampfes im Jahre 1910 waren, wie wir u.a. im SZ 32 erörterten, bislang nicht ausreichend klar. Insbesondere in den englischsprachigen Schachzeitungen war seit Mitte der siebziger Jahre eine Fülle von Spekulationen und Behauptungen, bis hin zu geheimen Zusatzbedingungen, die das Match Lasker-Schlechter angeblich zusätzlich regeln sollten, veröffentlicht worden. Letztmalig erschienen Leserbriefe von Louis Blair und Dale Brandreth in New in Chess 1/1995 bzw. 3/1995, die die Angelegenheit jedoch ebensowenig einer Klärung zuführen konnten.

Claus van de Vlierd, Oldenburg, wies uns kürzlich darauf hin, daß eine Sichtung und/oder Nachweis der in Wiener Zeitungen der Jahre 1909 und 1910 erfolgten Mitteilungen bislang nicht erfolgt ist und auf unsere Anregung hin recherchierte Michael Ehn, Wien, in den Wiener Zeitungen jener Jahre. Das Ergebnis ist einfach und ebenso klar (siehe den Artikel von Ehn im nächsten Heft: Lasker-Schlechter 1910. Neue Fakten aus Wiener Quellen) und nach Ehns verdienstvollen Forschungen steht nunmehr fest: Der Kampf zwischen Lasker und Schlechter im Jahre 1910 war ein Weltmeisterschaftskampf. Ein Sieg mit einem Punkt Vorsprung hätte Schlechter zum Weltmeistertitel ausgereicht.

  1. François Alexandre Le Lionnais

Seit dem Erscheinen des SZ 29 haben wir vergeblich versucht, im Musée de la Libération in Paris das von Le Lionnais im Gefängnis von Fresnes in deutscher Gefangenschaft verfaßte Schach-Manuskript ausfindig zu machen. Eine Schrift von Le Lionnais ist jedoch nicht in den Archiven des Museums verzeichnet. Es scheint gut möglich zu sein, daß die kleine unscheinbare Schrift von den französischen Beamten nicht der Archivierung für würdig gehalten und vernichtet worden ist.

  1. Howard Staunton

Zu SZ 7 und 33 teilt uns Jürgen Treutler, Düren, mit, daß Arpad Elo in seinem Buch The Rating of Chessplayers, past and present (Batsford, London 1978) mittels Berechnung des besten Elo-Fünfjahresschnittes zeitgenössischer und alter Schachmeister versuchte, deren Spielstärken miteinander zu vergleichen. Wenngleich der von Elo gewählte fünf-Jahres Zeitraum willkürlich erscheint, mögen seine Berechnungen für einen eng umgrenzten Zeitraum greifen, meint Treutler. Er listet (in alphabetischer Reihenfolge) einige Zeitgenossen Stauntons (bis Geburtsjahr 1839) auf und weist damit nach, daß mit Ausnahme von Harrwitz und Löwenthal alle anderen den Engländer mehr oder minder entscheidend an Spielstärke übertrafen.

Anderssen, Deutschland, 1818-1879, 2600
Dubois, Italien, 1817-1899, 2550
Harrwitz, Deutschland, 1823-1884, 2520
Kolisch, Ungarn, 1837-1889, 2570
von der Lasa, Deutschland, 1818-1899, 2600
Löwenthal, Ungarn, 1810-1876, 2510
Mackenzie, Schottland, 1837-1891, 2560
Morphy, USA, 1837-1884, 2690
Neumann, Deutschland, 1838-1881, 2570
Paulsen, L., Deutschland, 1833-1891, 2550
Petrov, Rußland, 1794-1867, 2530
Staunton, England, 1810-1874, 2520
Winawer, Polen, 1838-1920, 2530

Von einer Überlegenheit Stauntons in seiner Epoche kann sicherlich nicht gesprochen werden. Von den „stärksten Spielern der Geschichte“ (Divinsky) ganz zu schweigen.

Egbert Meissenburg, Seevetal, und Hans-Wilhelm Fink, Koblenz, verweisen auf eine Arbeit von Bernd-Peter Lange: Modernisierung des aristokratischen Habitus. Howard Staunton als viktorianischer Gentleman, Schachmeister und Philologe. In: Archiv für Kulturgeschichte, 76, 1994, S. 201-229.

Dort wird Stauntons Persönlichkeitsentwicklung und Status im gesellschaftlichen Gefüge Englands sowohl als Schachspieler als auch als Philologe näher beleuchtet und es wird deutlich, weshalb Staunton spätestens ab 1850 nicht mehr in der Lage war, herausragendes Schach zu spielen. Lange legt dar, daß die industrielle und politische Entwicklung der englischen Gesellschaft im 19. Jhdt. einen Modernisierungsschub mit sich brachte, der zu einer Legitimationskrise des Sozialtypus des Gentleman, der bis dahin im wesentlichen von überwiegend aristokratischen Merkmalen wie Landbesitz usw. gekennzeichnet war, führte. Die soziokulturelle Entwicklung machte eine neue, überwiegend am modernen Arbeitsleben orientierte Definition des Gentleman notwendig. Staunton, der sich stets um die Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite bemühte, vollzog in seiner eigenen ontologischen Entwicklung den allmählichen Prozeß der Umdefinition des viktorianischen Gentleman, indem er sich im Laufe seines Lebens zunehmend der Herausgabe der Werke Shakespeares widmete, also eine allseits anerkannte wissenschaftliche Tätigkeit ausübte. Herausragende Leistungen im Schach zu vollbringen, waren seiner Meinung nach nicht mehr ausreichend den von ihm beanspruchten hohen Sozialstatus eines Gentleman begründen zu können. Im Zuge der Modernisierung des aristokratischen Habitus des Gentleman vernachlässigte Staunton deshalb insbesondere in den Jahren ab 1850 das schachpraktische Training und verlor so den 1843 gegen Saint-Amant in Paris errungenen Superioritätsanspruch. In seinen Schriften wertete er das Schach als bloßes Freizeitamüsement ab, dem auf keinen Fall die Energie des Arbeitsalltages geopfert werden dürfe. Die von Staunton selbst vorangetriebene Entwicklung – weg vom Schachspieler und hin zum „man of letters“ – führte zunächst zum Verlust der 1843 errungenen, wenn auch inoffiziellen, Weltmeisterschafts – Würde und war später vor allem gegenläufig zu seiner posthumen Reputation, die ihm eher, so schreibt Lange, einen zentralen Platz in der Entwicklungsgeschichte des Schachs zuschreiben will und ihm für seine editorische Leistung der Werke Shakespeares in der Kulturgeschichte der Shakespearekritik lediglich eine Fußnote zuweist.

  1. Anderssen

Von John van Manen und Bob Meadley, beide Australien, stammt der folgende Hinweis auf eine bislang unbekannte Periode des Lebens von Adolf Anderssen. In der Allgemeinen Deutschen Biographie, Vol. 45 (1900), S. 776-779 steht in dem von Max Lange verfaßten Artikel über Adolf Anderssen: „ … . Geboren am 6. Juli 1818 als Sohn eines Handelsmannes zu Breslau genoß A. von 1830-1838 die Vorbildung auf dem Elisabeth-Gymnasium dieser Stadt, an deren Hochschule er nachher bis 1843 Mathematik und Philosophie studirte, um dann 1845 die Lehrerprüfung zu bestehen. Ein Jahr darauf sehen wir ihn als Candidat des höheren Schulamtes sein amtliches Probejahr bei dem Friedrichs-Gymnasium in Breslau abhalten. Am Schlusse dieses Schuljahres empfing A. ausdrücklich die directoriale Anerkennung, daß er ‘mit großem Eifer und gutem Erfolge unterrichtet habe’. Doch schon im Sommer 1849 verließ A. seinen amtlichen Wirkungskreis, um eine sehr vorteilhafte Privatstellung als Hauslehrer in Gr. Machmin (Pommern) anzunehmen. Sein Abgang von der Breslauer Lehranstalt wurde wegen der ‘trefflichen Ergebnisse, die sein Unterricht erzielt hatte’, als ein ‘wahrer Verlust für die Anstalt’ bezeichnet. Zwei Jahre darauf, Michaelis 1851, kehrte indessen A., der inzwischen auch große Triumphe als Schachmeister hatte im Auslande feiern können, zu dem Friedrichs-Gymnasium zurück, an welchem er, gern wieder aufgenommen, fortan sein ganzes Leben hindurch, und zwar zunächst als Hülfslehrer, dann seit 1853 als ordentlicher (fünfter) Lehrer, seit 1856 als dritter und seit 1867 als zweiter Professor der Anstalt segensreich für die geistige Entwicklung der ihm anvertrauten Schuljugend wirkte. … .“

Wer weiß wo Groß Machmin in Pommern liegt? Wir konnten es auf den uns zugänglichen Karten nicht finden. Von Gottschall schreibt in seinem Anderssen-Buch, daß A. nach dem Turnier in London am 13.8.1851 in Berlin eintraf. Bachmann (Adolf Anderssen. Brügel und Sohn, Ansbach 1902) teilt mit, daß A. am 23.8.1851 wohlbehalten in Breslau angekommen sei. Nach den Angaben Max Langes in der Allgemeinen Deutschen Biografie (s.o.), A. sei Michaelis 1851 an das Friedrichs-Gymnasium zurückgekehrt, kann man annehmen, daß damit wohl der 29. September 1851, der Tag des Erzengels Michael, gemeint ist. Anderssen kehrte also nicht mehr nach Groß Machmin zurück. Wer kann Angaben über die Tätigkeit Anderssens als gutbezahlter Privatlehrer in Groß Machmin machen? Er müßte sich dort von Sommer 1849 bis zum Beginn des Turniers in London im Mai 1851 aufgehalten haben. Für die Beantwortung dieser Frage setzen wir als Preis ein Exemplar des Original Turnierbuches von Hastings 1895 (Cheshire [Hrsg.], Chatto und Windus, London 1896) im Werte von etwa DM 350.- aus. Die Klärung dieser Frage scheint von einiger Bedeutung, denn bis dahin war Anderssen schachpraktisch nicht sonderlich hervorgetreten. Wo hatte er die notwendige Schachpraxis vor dem Turnier 1851 erlangen können, etwa in Groß Machmin, Pommern?

  1. Bibliotheque de Monsieur X in Paris

In Paris fand am Donnerstag, den 8.6.1995 um 14.00 Uhr eine Auktion statt, bei der älteste und außerordentlich seltene Werke der Schachliteratur zum Verkauf gelangten. Neben den sehr seltenen Druckwerken über den Schachautomaten des Baron von Kempelen verfaßt von von Racknitz, 1789 (13.000.- FF), Windisch, 1783 (Deutsche Ausgabe 2000.- FF; Französische Ausgabe 4500.- FF) , Willis, 1821 (4200.- FF) und Hunnemann, 1820 (1000.- FF) gelangten auch ein Lopez, Alcala 1561 (3500.- FF), ein Greco, London 1656 (2500.- FF), drei Lopez’ in der Übersetzung des Italieners Tarsia, Venedig 1584 (8000.- FF, 6500.- FF bzw. 4500.- FF), sowie das äußerst seltene Werk von Gianutio, Turin 1597 (9000.- FF) zum Verkauf. Die ebenfalls sehr seltenen Werke von Piacenza, Turin 1683 (3200.- FF), Ducchi, Vicenza 1586 (3200.- FF) und Damiani, Rom 1606 (3500.- FF) gingen zu vergleichsweise günstigen Preisen nach Deutschland. Ein undatierter Damiano (ungefähr 1540) brachte 20.000.- FF, ein zweiter Damiano, auf 1564 datiert, wurde für 7500.- FF ersteigert. Die Tatsache, daß sich auch einige Manuskripte in der insgesamt 226 Nummern umfassenden Sammlung befanden, ließ die anwesende, internationale Sammlerschar vermuten, daß es sich bei der Sammlung um Teile der im Jahre 1928 verkauften Kollektion des berühmten englischen Sammlers J.W. Rimington-Wilson handelte. Der vom „Expert“ erstellte Katalog ist jedoch eine einzige Katastrophe voller Fehler, in dem nicht einmal die anerkannten bibliografischen Regeln eingehalten sind. Auch wurden noch unmittelbar vor der Auktion einige Lot-Nummern geändert, so daß gelegentlich nur der vorher Eingeweihte und des Französischen gut mächtige wußte, welche Bücher gerade zur Versteigerung gelangten.

Die Auktion fand in der Straße der großen Pariser Modehäuser, der Avenue Montaigne, in der Nähe des Arc de Triomphe statt. Claudia Schiffer oder gar Nadia Auermann konnten wir jedoch nicht unter den insgesamt nur wenigen anwesenden Sammlern ausmachen.

  1. Kreuzschach

In Tim Krabbé: Schach-Besonderheiten, Econ Düsseldorf, 1988, Band 2, S. 61 fanden wir das folgende Kreuzschach. Schwarz, im Bestreben die Damen zwecks Verwertung des Mehrbauern zu tauschen, übersieht ein einfaches, aber effizientes Kreuzschach. Beachte, daß bereits nach 55. … Dc1+ die Partie verloren ist.

Löwenfisch,G – Romanovsky,P [E12]
URS-ch08 Leningrad, 1933
Damenindisch

1.d4 Sf6 2.Sf3 b6 3.c4 e6 4.Sc3 Lb7 5.Lg5 h6 6.Lh4 Le7 7.Dc2 d5 8.e3 Sbd7 9.Le2 0-0 10.0-0 Se4 11.Lxe7 Dxe7 12.Sxe4 dxe4 13.Sd2 f5 14.f3 exf3 15.Lxf3 Lxf3 16.Txf3 e5 17.Taf1 Dg5 18.Da4 Tad8 19.Tg3 De7 20.Tgf3 exd4 21.exd4 Sc5 22.Db4 Txd4 23.Sb3 a5 24.Db5 Sxb3 25.axb3 g6 26.h3 Tfd8 27.Dc6 T4d6 28.Db7 Td2 29.Tg3 Dc5+30.Kh1 Kf7 31.De4 Td1 32.Tgf3 Dd4 33.Dc6 De5 34.T3f2 T8d3 35.Kg1 Dd6 36.Db7 Dc5 37.Kh2 De5+ 38.Kh1 Txf1+ 39.Txf1 Txb3 40.Td1 Te3 41.Dc8 Te1+ 42.Txe1 Dxe1+ 43.Kh2 De5+ 44.Kh1 g5 45.Dd7+ Kg6 46.b3 Kh5 47.Dd1+ Kh4 48.Dd2 Dg3 49.c5 bxc5 50.Dxa5 Dxb3 51.De1+ Dg3 52.De6 h5 53.Dxf5 De3 54.Dd7 c4 55.Dxc7Dc1+ 56.Kh2 Df4+ 57.g3+ Allerliebst! 1-0

  1. Die letzte Partie Efim Bogoljubows

Efim Bogolubow reiste Anfang des Jahres 1952 durch Deutschland und gab Simultan-Veranstaltungen. Am 4. April 1952 spielte er im Schroedl-Bräu in Heidelberg an 46 Brettern, gewann 36 Partien, remisierte 12 Partien und verlor 4 Partien. Gegen Dr. Josef Ladstetter, Heidelberg, der die folgende Partie mitteilt, nahm die Partie folgenden Verlauf:

Ladstetter, Josef stud. jur – Bogoljubow, Efim [C43]
Simultan Heidelberg, 04.04.1952
Russisch

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.d4 exd4 4.e5 Se4 5.Dxd4 d5 6.exd6 Sxd6 7.Ld3 De7+ 8.Le2!?
besser scheint 8. Le3
8…Sc6 9.Df4 Lf5 10.Sa3 0-0-0 11.Le3 h6 12.Da4 Ld7 13.0-0 Kb8 14.Ld3 Sc8 15.Tad1?! Db4 16.Lb5 Dxa4 17.Lxa4 Lxa3 18.bxa3 Sb6 19.Lb3 Le6 20.Sd4 Sxd4 21.Lxd4 Lxb3 22.axb3 f6 23.Td3 Kc8 24.Tfd1 The8 25.Kf1 c6 26.a4 Kc7
Weiß lehnte das Remisangebot von Bogoljubow ab
27.g3 Sc8 28.a5 b6 29.axb6+ axb6 30.b4 Td7
Der Einschlag auf b6 drohte ständig. Jetzt kam die Alternative Le5 zur Ausführung
31.Le5+ 1-0

Der Einschlag auf b6 drohte ständig. Jetzt kam die Alternative Le5 zur Ausführung. 31.Le5+ 1–0 (Anm. von J. Ladstetter).

Auch Friedrich Löchner, Heilbronn, spielte gegen Bogoljubow eine Simultanpartie und zwar am 15. Juni 1952 im Paulinenhof in Heilbronn.

 

Löchner, Friedrich – Bogoljubow, Efim [C64]
Simultan Heilbronn, 15.06.1952
Spanisch

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Lc5 4.c3 f5 5.d4 fxe4 6.dxc5 exf3 7.Dxf3 Sf6 8.Lg5 0-0 9.De2 d5 10.cxd6 cxd6 11.Sa3 De8 12.0-0-0 d5? 13.Lxf6 gxf6 14.Txd5 Le6 15.Td6! Lxa2? 16.Thd1 Lb3 17.T1d3 Tc8 18.c4! De7? 19.Td7 De6 Danach sagte Weiß ein Matt in drei Zügen an


20.Tg3+ Kh8 21.Txh7+ Anmerkungen von Friedrich Löchner 1-0

Wie Löchner weiter mitteilt, spielte Boglojubow dann abends für 20.- DM (damals viel Geld) nochmals mit ihm zwei Blitzpartien mit fünf Minuten Bedenkzeit.

 

Bogoljubow, Efim – Löchner, Friedrich [C57]
Blitzpartie Heilbronn, 15.06.1952
Italienisch

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5 d5 5.exd5 b5 6.Lf1 Sxd5 7.Lxb5 Ld7 8.d3 Df6 9.0-0 Sf4 10.Se4 Dg6 11.Lxf4 exf4 12.Sbc3 0-0-0 13.Df3 Ld6 14.Se2?? Lg4 15.Sxd6+ Txd6 16.Sxf4 Lxf3 17.Sxg6 Txg6 18.g3 Sd4! 19.Tfe1 Sxb5 20.c3 Td8 0-1

Die zweite Blitzpartie gewann Bogoljubow ebenso wie eine Normalpartie nach etwa 3½ stündigem Kampf im Beisein zahlreicher Kiebitze.

Bogoljubow starb, wahrscheinlich an einem Herzinfarkt, am 18.6.1952 plötzlich und unerwartet im Alter von 63 Jahren. Die Bestürzung bei den Simultankämpfern war groß, hatten sie doch den Schachmeister noch eben ganz vital gesehen (Ladstetter).

Waren dies die letzten Schach-Partien Bogoljubows oder kann jemand spätere Partien angeben?

  1. Harald Falk aus Hamburg

Am 8.6.1995 wurden in Paris (siehe SZ 61) absolute Raritäten der Schachliteratur versteigert. Wir konnten die Sammlung vor der Auktion sichten und fanden bei etwa 90% der Bücher den mit Bleistift angebrachten Namenszug Falk auf dem rechten oberen Eck des Vorsatzblattes vermerkt. Unter Sammlern ist Harald Falk aus Hamburg nicht ganz unbekannt (siehe auch den Beitrag von Harald Falk selbst in Tarraschs Schachzeitung, Dezember 1932, S. 68 ff.: Schach bei den Hamburger Erwerbslosen).

Falk war Jude und wich im Jahre 1933 vor den Nazis nach Paris aus, wo er ein Restaurant für Vegetarier führte. Wir nehmen an, daß sein Vater Dr. Hermann Falk hieß. Die Familie muß einigermaßen wohlhabend gewesen sein, denn sonst hätte Harald Falk nicht eine so ausgesuchte Schachbuch-Sammlung aufbauen können. 1938 beauftragte er den Buchhändler Leo Baer in Paris mit dem Verkauf seiner Schachbuch-Sammlung. Hierzu war er möglicherweise aus materiellen Gründen gezwungen, da die monatliche Unterstützung seines noch in Hamburg lebenden Vaters infolge der sich in Deutschland verschärfenden Judenverfolgungen ausgeblieben sein dürfte und sein Vegetarier-Restaurant nicht den erhofften Ertrag brachte. Der Gesamtpreis der Sammlung betrug 1250.- $.

Seit einer Mitteilung von Dr. Niemeijer (Niemeijer, Dr. M.: Schaakbibliotheken, Wassenaar 1948, S. 29 ff.), glaubte man, daß der Hauptteil der Falk-Sammlung von dem amerikanischen Schachspieler Albert S. Pinkus (1903-1984) erworben worden sei. Daß dem nicht so ist, wurde erst jetzt mit dem Verkauf der Bibliotheque von Monsieur X deutlich.

In einem von Leo Baer erstellten Katalog der Falk-Sammlung werden 20 Bücher des 16. Jhdts., 27 Bücher des 17. Jhdts. und 108 Bücher des 18. Jhdts. aufgeführt. Wir haben den Katalog der jetzt in Paris zum Verkauf gelangten Sammlung in dieser Hinsicht überprüft. Danach waren von den insgesamt 226 Losnummern 10 Bücher aus dem 16. Jhdt. (es fehlen 10 Bücher im Vergleich mit dem Katalog von Baer), 21 Nummern aus dem 17. Jhdt. (es fehlen 6 Bücher) und 45 Nummern aus dem 18. Jhdt. (es fehlen 63 Bücher). Darüberhinaus konnten wir in der Sammlung des Monsieur X 84 Bücher, die zwischen 1800 und 1850 sowie 44 Bücher, die zwischen 1850 und 1900 erschienen sind, nachweisen.

Leider liegen uns der Originalkatalog von Leo Baer, 1938, und eine in diesem Zusammenhang interessierende Bücher-Liste des französischen und noch lebenden Schachbuch-Händlers Julien Guisle nicht vor, so daß uns weitere Aussagen zum Schicksal der Falk-Sammlung nicht möglich sind. Immerhin fehlen 10 der Bücher des 16. Jhdts. und hier insbesondere die Cessoles-Ausgaben. Vielleicht schlummern sie noch heute in den Räumlichkeiten eines „diskreten“ französischen Buchliebhabers?

Die Spuren des jüdischen Schach-Liebhabers und Schach-Bibliophilen Harald Falk verlieren sich in dem von den Deutschen besetzten Frankreich. Der Angriff der Wehrmacht erfolgte am 10. Mai 1940. Innerhalb von sechs Wochen war Frankreich geschlagen. Der Verfolgungsdruck auf Harald Falk und die etwa 200.000 in Paris lebenden Juden nahm zu. Am 16. Juli 1942 begannen in Paris die ersten Verhaftungen ausländischer Juden. Erste Deportationen waren bereits im März und Juni 1942 erfolgt. Wir wissen nicht, ob Harald Falk sich hat retten können. Wahrscheinlich ist, daß er in einem Konzentrationslager umgekommen ist.

Wer kann weitere Angaben machen? Gibt es Spuren von Falk und seiner Familie in Hamburg? Wer kann uns die Listen von Baer und Guisle (z.B. in Kopie) zur Verfügung stellen?

  1. Hausfrauen, Ärzte und die PCA

Wie regelmäßig in jedem Jahr wurden auch diesmal wieder Meinungsumfragen durchgeführt, um die Bevölkerung darüber zu befragen, wer denn nun das höchste Ansehen in der Gesellschaft habe. Mit schöner Regelmäßigkeit liegen Ärzte und neuerdings auch Hausfrauen einsam an der Spitze der Beliebtheitsskala. Wir glauben, daß dies im wesentlichen daran liegt, daß Ärzte und Hausfrauen eben immer für ihre Mitmenschen da sind.

Leider hat in der letzten Emnid-Umfrage niemand nach dem Ansehen der Pofessional Chess Association (PCA) gefragt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dürfen wir davon ausgehen, daß niemand der im Amateurlager spielenden Schach-Liebhaber Verständnis für die derzeitige PCA-Politik zeigt. Es ist unerträglich, wie unter Führung von Kasparow die Schachwelt ohne Not einer Zersplitterung ihrer Kräfte ausgesetzt wird. Fast sehnt man sich in die Zeit der GMA-Turniere zurück, die von der Mehrheit der Schach-Professionellen akzeptiert worden waren und die gleichzeitig auch für den Schach-Amateur überschaubar und besuchenswert waren. Man kann der FIDE sicherlich distanziert gegenüber stehen: Immerhin repräsentiert sie jedoch die Masse der Schachspieler auf die letztendlich die Schach-Professionellen und auch Kasparow angewiesen sind.

Die PCA ist ein privater, in den Vereinigten Staaten eingetragener Verein, welcher bislang nicht einmal reguläre Vorstandswahlen aufweisen kann. Seine Leistung hinsichtlich der Befriedigung der Bedürfnisse der Schach-Aficionados tendiert asymptotisch gegen Null. Bereits der Londoner WM-Kampf Kasparow vs. Short war keineswegs ein lohnendes Medienspektakel sondern stellte ein Fiasko ohnegleichen dar. Die Mehrzahl der Karten konnte nicht verkauft werden und mußte zu Schleuderpreisen verramscht werden. Die Öffentlichkeit hat eben ganz einfach kein Verständnis für chaotische Verhältnisse und überhöhte Preise. Und selbst die Schach-Professionellen, deren Interessen zu vertreten der PCA-Klub vorgibt, sind in ihrer Mehrheit gespalten. Da kann es auch kein Trost sein, wenn der in der Regel klarsichtige Kenner der Schachszene Yasser Seirawan in einem kürzlichen Editorial seiner Schach-Zeitung Inside Chess (Nr. 24/1994, S. 4) meint, als Verdienst der PCA angeben zu können, diese habe die Firma Intel dazu veranlaßt, das Schulschach in Amerika und die American Chess Foundation zu fördern. Vielleicht ist es unbescheiden – aber es mag erlaubt sein zu fragen, was denn mit dem europäischen Schulschach ist. Oder will die PCA alleine in Nordamerika für das Schach tätig sein? Nennenswerte Aktivitäten mit zumindest partieller Unterstützung von Kasparow bemerken wir auch in Frankreich. In Deutschland ist außer einem Blitzturnier in München vor einigen Monaten keine nennenswerte Aktivität zu verzeichnen. Nun heißt es, die Schach-WM finde nicht in Köln, sondern doch in den Vereinigten Staaten statt.

Angesichts dieser Verhältnisse möchte man dem PCA-Vorstand ein Studium der o.g. Umfrage-Ergebnisse anraten. Zwar muß es dabei nicht immer ärztlich zugehen, aber ein wenig mehr globale Universalität im Sinne eines demokratischen Interessenausgleiches von Schach-Professionellen und -Amateuren hätten wir schon ganz gern.

  1. Alexander Fritz

Alte Meister bzw. ihre Ideen stehen derzeit wieder hoch im Kurs. So spielt Kasparow des öfteren das altvordere Schottisch oder gar das Evans-Gambit, wenn er dem Spanischen ausweichen will. GM Robert Hübner beschrieb im ChessBase Magazin die Schach-Vita des lokalen Hamburger Altmeisters Bier. Wie wär’s in diesem Zusammenhang mit Fritz? Alexander Fritz wurde am 15.1.1857 in Kirchlotheim in Hessen als Sohn eines Pfarrers geboren. Er prägte in der Zeit von 1875 bis 1884 entscheidend das Schachleben des Schachklub 1858 Gießen. Berühmt ist seine Partie gegen Mason in Nürnberg 1883.

Fritz, Alexander – Mason, James [C13]
DSB-03.Kongress Nürnberg (1), 1883
Französisch

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Le7 5.Lxf6 Lxf6 6.Sf3 0-0 7.Ld3 b6 8.h4 Lb7 9.e5 Le7 10.Lxh7+ Kxh7 11.Sg5+ Kg6 12.Se2 Lxg5 13.hxg5 f5 14.gxf6 Th8 15.Sf4+ Kf7 16.Dg4 Txh1+ 17.Kd2 gxf6 18.Dg6+ Ke7 19.Dg7+ Ke8 20.Dg8+ Ke7 21.Dxe6+ Kf8 22.Txh1 Lc8 1-0

Auf dem Deutschen Schachkongress in Coburg 1904 machte Fritz den Großmeister Schlechter, der seinerzeit die Deutsche Schachzeitung herausgab, auf den Zug 5. … Sd4 (nach 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Sf6 4. Sg5 d5 5. ed5:) im Zweispringerspiel im Nachzuge aufmerksam, so daß dieser den Zug in der Deutschen Schachzeitung 1904 zum Gegenstand einer Analyse machte. Die durch 5. .. Sd4 begründete Variante wird deshalb auch die Gießener- oder Fritz-Variante genannt. Interessanter Weise konnten wir aber bislang keine Fritz-Partie finden, in der der Meister selbst die Variante spielte.

  1. Groß-Machmin

Dr. H.-J. Wagner, Paderborn, teilt zu SZ 60 mit, daß Groß-Machmin (jetzt Machowino), der Ort an dem Anderssen im Jahre 1850 eine Stelle als Privatlehrer innehatte, nördlich von Stolp (jetzt Stupsk) etwa auf halbem Wege zwischen Stolp und der Ostseeküste zu finden ist.

  1. Adolf Anderssen

Nachdem Anderssen vor seinem Wettkampf mit Morphy in Paris 1858 einen kurzen Trainingskampf gegen Harrwitz mit 4 : 2 bei zwei Remisen (siehe SZ 48) gewonnen hatte, spielte er auch gegen den starken französischen Spieler Arnous de Rivière und andere französische Spieler, so schreibt von Gottschall in seinem Anderssen Buch. Er gibt jedoch keine der Partien an. In der Deutschen Schachzeitung 1859, S. 80 fanden wir die folgende Partie gegen Arnous de Rivière, in der Anderssen mit einem hübschen Königsmarsch die Entscheidung erzwang.

 

Anderssen, Adolf – De Riviere, A [C55]
Paris, 1858
Schottisches Gambit

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Lc4 Sf6 5.Sg5 Se5 6.Lb3 h6 7.f4 hxg5 8.fxe5 Sxe4 9.0-0 d5 10.exd6 f5 11.Sd2 Dxd6 12.Sxe4 Dxh2+ 13.Kf2 fxe4 14.Dxd4 Le7 15.Dxe4 Lf5 16.Lf7+ Kxf7 17.Dxf5+ Kg8 18.Dd5+ Kh7 19.De4+ Kh6 20.Le3 Thf8+ 21.Ke2 Dh5+ 22.g4 Dh2+ 23.Tf2 Txf2+ 24.Lxf2 Tf8 25.Th1 Txf2+ 26.Kd3 Td2+ 27.Kc4 Txc2+28.Kd5 Lf6 29.Ke6 Lxb2 30.Kf7 Tf2+ 31.Kg8 1-0

War Anderssen außer Form als er gegen Morphy Weihnachten 1858 spielte? Es spricht einiges dafür. Auch wenn Anderssen unmittelbar vor dem Kampf mit Morphy noch einige Trainingskämpfe in Paris absolvieren konnte, waren diese jedoch kein Ersatz für regelmäßige über längere Zeit anhaltende schachpraktische Tätigkeit. Für einen Mangel an Übung spricht insbesondere auch die Tatsache, daß er im Turnier von Manchester 1857, in dem er gegen Löwenthal verlor frühzeitig ausschied. Wegen seiner Tätigkeit am Gymnasium in Breslau war ihm zu wenig Zeit zur Übung geblieben. In der Zeit vom Manchester Turnier im Sommer 1857 bis zum Kampf mit Morphy an Weihnachten 1958 existiert keine einzige Anderssen Partie! Die Niederlage gegen Morphy war Anderssen eine Lehre. Im nächsten wichtigen Turnier, in London 1862, spielte er sehr stark – und gewann das Turnier.

  1. Bibliografische Notizen

In der kürzlich in Paris versteigerten Schachbuch-Sammlung (siehe SZ 61 und 64) erregte das unter der Katalognummer 55 unter dem Titel Elegantiae sottilita verita dei Scacchi. Copie manuscrite de 1853 d’un texte du XVIè siècle aufgeführte Buch unsere besondere Aufmerksamkeit. Nach ersten Recherchen in van der Lindes Geschichte und Literatur des Schachspiels, Julius Springer, Berlin 1874, Bd. 1, S. 348 glaubten wir, daß es sich bei dem Buch um eine Übersetzung des Lopez von der Hand des Polerio handele. Dem widersprach der ebenfalls anwesende Schach-Sammler Lothar Schmid, Bamberg, der vermutete, es handele sich eher um die Handschrift van der Lindes.

Inzwischen konnten wir die Provenienz des Buches klären. Es ist eine von Polerio erstellte, italienische Übersetzung des Lopez. Van der Linde schreibt in seinem Buch Das Schachspiel des XVI. Jahrhunderts, Julius Springer, Berlin 1874, S. 77, daß es sich um die Abschrift eines von mehreren in Florenz entdeckten Codex des Polerio von der Hand des Herrn Usigli handele. Wir konnten das handschriftliche Transkript darüberhinaus in Bernard Quaritchs Katalog Nr. 428 (London 1929) unter der Nummer 500 finden. Quaritch taxierte das 150 Seiten umfassende Buch damals auf ein Pfund Sterling und einen Schilling, eine seinerzeit beträchtliche Summe. Der Schach-Bibliophile Harald Falk hat es am 8.6.1933 von Quaritch gekauft.

Aufgrund einer vor Ort in Paris getroffenen Absprache zur Vermeidung unnötiger, die Preise hoch treibende Bietergefechte, hielten wir uns mit Geboten zu Gunsten von Lothar Schmid, Bamberg, zurück, so daß die sehr wertvolle Handschrift für ganze 2000.- FF von Schmid ersteigert werden konnte.

  1. Aus dem Antiquariat

Bei Mike Sheehan, Caissa Books, 5 Pembroke Avenue, Berrylands, Surbiton, Surrey KT5 8HN in England kann man alte und vergriffene Schachbücher kaufen. Interessenten sollten sich bei ihm melden und um die Zusendung seiner Listen bitten. Er ist auch unter der email-Adresse Caissa.books@tinyworld.co.uk erreichbar.

  1. Anderssen – Morphy Paris 1858

Es wird im allgemeinen die Ansicht vertreten, daß Anderssen als einer der Hauptvertreter des sogenannten romantischen Schachs an der überlegenen positionellen Führung der Schachpartie durch Morphy gescheitert sei. Anders als Morphy habe Anderssen die rasche Entwicklung der Figuren vernachlässigt und das Zentrum nicht ausreichend beachtet. Morphy habe dies verstanden, Anderssen eben nicht. Es war insbesondere Réti (Die neuen Ideen im Schachspiel, Berlin 1922) der diese Behauptung posthum aufstellte, und zwar mehr als 60 Jahre nach dem Kampf Anderssen-Morphy, Paris 1858. Die These, Anderssen habe den Kampf wegen seines Mangels an Verständnis positioneller Schachprinzipien verloren, wurde in der Folgezeit zunächst widerspruchslos aufgenommen, weil sie holzschnittartig einfach und pädagogisch gut in die gängige Entwicklungsgeschichte des Schachspiels passte. Sie wurde von vielen Autoren nach Réti kritiklos wiederholt. Sie weist jedoch verschiedene Mängel auf und wurde deshalb zuerst von Fred Reinfeld in seinem erfrischenden, gängige Theorien und Legenden anzweifelnden Buch, The human Side of Chess (Faber und Faber, London 1953) angegriffen.

Bob Meadley und John van Manen, beide Australien, haben bereits (siehe auch SZ 31, 48 und 68) darauf hingewiesen, daß Anderssen bei seinem Wettkampf gegen Paul Morphy in Paris an Weihnachten 1858 wesentlich durch mangelnde Schachpraxis behindert war. Es kann deshalb keinesfalls von einer generellen schachlichen Überlegenheit Morphys gesprochen werden. Im Gegensatz zu Morphy, der seit dem ersten amerikanischen Schach-Kongress im November 1857 seine schachlichen Fähigkeiten im Kampf gegen die stärksten Meister seiner Zeit ständig verbessern und weiterentwickeln konnte, ist von Anderssen keine einzige Partie zwischen 1857 und Weihnachten 1858 bekannt. Anderssen war nach dem für ihn wenig erfolgreichen Turnier in Manchester im August 1857, in dem er gegen Löwenthal verlor und ausschied, nach Breslau in das ruhige Umfeld seines Gymnasiums zurückgekehrt. Morphy hingegen stand durch seine Kämpfe mit den starken Meistern Thompson, Meek, Stanley, Schulten, Lichtenhein und Louis Paulsen (in Amerika), Löwenthal, Barnes, Bird, Boden, Lowe, Medley, Mongredien und Owen (in England) sowie de Rivière, Harrwitz , Kling, Preti, Journoud und Kieseritzky (in Frankreich) auf der Höhe seiner schachpraktischen Fähigkeiten, war im besten Trainingszustand und hatte demgemäß auch hinsichtlich der Schachtheorie die neuesten Erkenntnisse erlangen können.

Auch anderweitig waren die Umstände des Kampfes an Weihnachten 1858 ungüstig für Anderssen. Dabei ist zunächst die für ihn fremde Umgebung in Paris zu nennen, in der die Zuschauer darüberhinaus durch euphorische und glorifizierende Beifallskundgebungen für seinen Gegner störten. Sie trugen damit zu einem für Anderssen auch psychologisch ungünstigen Umfeld bei. Schließlich war Anderssen insgesamt unvorbereitet und rasch aus Breslau aufgebrochen und hatte eine anstrengende Reise nach Paris auf sich genommen. Er hatte Breslau am 11.12.1858 verlassen und war, nachdem er eine Rast und Reisepause in Köln bei seinem Freund Adolf Carstarnjen eingelegt hatte, am Abend des 14.12.1858 in Paris eingetroffen.

Anderssen selbst hat auf die Frage, ob er denn an eine Überlegenheit des Gegners im ganzen glaube, die für ihn so ungünstigen Umstände sehr gut charakterisiert, indem er antwortete, „das falle ihm nicht im Traume ein – jedoch sei eben die Schachmeisterschaft nicht gleich einem Kleinode im Glasschränkchen aufzuheben, um sie zur Notzeit bei der Hand zu haben, sondern sie könne eben einzig nur durch stete gediegene Praxis conserviert werden“ (Ludwig Bachmann: Schachmeister Anderssen. Brügel, Ansbach 1902). Die meisten zeitgenössischen Autoren deutscher Sprache wie Max Lange (1832-1899), der mit Anderssen auch persönlich in engem Kontakt stand, und Rudolf von Gottschall (1823-1909) haben Anderssens Mangel an Schachpraxis als sehr gravierend für den Fortgang des Zweikampfes angesehen. Auch der noch mit Zeitgenossen des Kampfes in Kontakt stehende Ludwig Bachmann (1856-1937) sah dies so.

Die erste Match-Partie der beiden in Paris 1858 zeigt, daß Anderssen keineswegs die Entwicklung vernachlässigte, sondern bereits ausgangs der Eröffnung entscheidenden Vorteil erlangt hatte.

 

Morphy, Paul – Anderssen, Adolf [C52] Evans-Gambit
Paris m1 (1), 1858

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4 Lxb4 5.c3 La5 6.d4 exd4 7.0-0 Sf6 8.e5 d5 9.Lb5 Se4 10.cxd4 0-0 11.Lxc6 bxc6 12.Da4 Lb6 13.Dxc6 Lg4 14.Lb2? Notwendig war nach Shibut 14. Le3, obwohl Schwarz mit 14. … f6 noch immer das bessere Spiel hat
14…Lxf3 15.gxf3 Sg5 16.Sd2 Te8
und Schwarz steht bereits im 16. Zug auf Gewinn wie bereits Reinfeld feststellte
17.Kh1 Sh3 18.f4 Dh4 19.Dxd5 Sxf2+ 20.Kg1 Sd3 21.Lc3 Sxf4 22.Df3 Sh3+ 23.Kh1 Sg5 24.Dg2 Tad8 25.Tg1 h6 26.Taf1 Dh3 27.Dc6 Dd7 28.Dg2 Lxd4 29.Lxd4 Dxd4 30.Sf3 Dd5 31.h4 Se6 32.Dg4 Dc6 33.Tg2 Td3 34.Df5 Ted8 35.Df6 Dd5 36.Df5 Td1 37.Txd1 Dxd1+ 38.Kh2 Td3 39.Tf2 Te3 40.Sd2 Te2 41.Dxf7+ Kh8 42.Se4 Txf2+43.Sxf2 Dd5 44.Sg4 Dxa2+ 45.Kg3 Db3+ 46.Kh2 Dc2+ 47.Kg3 Dc3+ 48.Kh2 Dc6 49.h5 a5 50.Sf6 gxf6 51.Dxf6+ Kg8 52.Dg6+ Kf8 53.Dxh6+ Ke8 54.Dg6+ Kd7 55.h6 Dd5 56.h7 Dxe5+ 57.Kg1 Sg5 58.h8D Dxh8 59.Dxg5 Dd4+ 60.Kf1 a4 61.Df5+ Kc6 62.Dc8 Kb5 63.Ke1 c5 64.Db7+ Kc4 65.Df7+ Kc3 66.Df3+ Dd3 67.Df6+ Kb368.Db6+ Kc2 69.Da7 Dc3+ 70.Ke2 a3 71.Da4+ Kb2 72.Db5+ Db3 0-1

Die erste Matchpartie zwischen den seinerzeit anerkannt stärksten Schachmeistern belegt also keinesfalls die These Retis, Morphy habe über das bessere positionelle Schachverständnis verfügt.

  1. Philidor

Am 31.8.1995 jährte sich der Todestag von François-André Danican genannt Philidor zum 200. Mal (siehe SZ 19). Aus diesem Anlaß erschienen zwei bemerkenswerte Bücher. Bei Zurfluh, Paris 1995 (ISBN 2-87750-068-3), erschien Jean-François et Nicolas Dupont-Danican Philidor (Hrsg.): Les Philidor. Une dynastie de musiciens [=Le Temps Musical, Nr. 3]. Die Verfasser gehören zu den Nachkommen des berühmten Schachspielers und haben sich die Erforschung und die Dokumentation des Lebens von Philidor zum Ziel gesetzt. In dem 134 S. umfassenden Büchlein erfahren wir also von kundiger Hand einiges über Vorfahren und Leben des Schachspielers. Das Buch ist im wesentlichen in zwei Teile gegliedert: Les Premiers Philidor (S. 9-41) und François-André. Compositeur et Joueur d’Echecs (S. 43-126). Daran schließen sich eine kleine, 19 Titel umfassende Bibliografie sowie eine Ahnentafel. In dem leider nur im Klebebindeverfahren gebundenen Buch, finden sich einige interessante, im allgemeinen wenig bekannte Abbildungen wie u.a. das Schachspiel und die Schachfiguren Philidors.

Das zweite Buch über Philidor ist bei Picard, Paris 1995 (ISBN 2-7084-0451-2. Auslieferung durch Picard, Librairie internationale, 82 rue Bonaparte, F-75006 Paris) erschienen; Philidor musicien et joueur d’èchecs in: Recherches sur la musique française classique. Band XXVIII – 1993-1995.

Das 264 S. umfassende Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste Teil (S. 3-64) beinhaltet ein Vorwort sowie vier tragende Artikel über Philidor (L’homme et sa famille von J.-F. Dupont-Danican; Philidor à Londres von J. Carter; Philidor et le style philidorien von Ch. M. Carroll; Philidor et l’histoire des échecs von J.-P. Georgy). Im zweiten, umfangreicheren Teil (S. 65-191) wird die gesamte bekannte Korrespondenz Phildors geliefert. Darauf folgen drei wichtige von Marcelle Benoit erstellte Indices (S. 193-209), die die Erschließung der Korrespondenz erleichtern helfen sowie biografische Notizen (S. 211-230). Die Seiten 231 ff. handeln nicht über Philidor. Das mit Fadenbindung versehene, aber flexibel gebundene Buch enthält darüberhinaus noch acht nicht paginierte Seiten mit Abbildungen. Es wird wegen des abgedruckten Briefwechsels von Philidor in Zukunft eine unverzichtbare Quelle sein. Beide Bücher erfordern zum Verständnis die Kenntnis der französischen Sprache.

Schließlich weist H.-W. Fink, Koblenz, der Herausgeber von Pour Philidor, noch auf einen Katalog hin, der anläßlich einer Ausstellung in Philidors Geburtsort Dreux erstellt wurde. Wir haben versucht, einige Exemplare dieses Kataloges Philidor et son temps 19 juin – 14 juillet  zu erhalten, wurden aber telefonisch belehrt, daß bei einer Auflage von 200 keine Exemplare mehr vorhanden sind.

  1. Anderssen in Groß-Machmin

Uwe Müller, Chemnitz, liefert die folgenden Angaben über Groß-Machmin (s.a. SZ 60 und SZ 67). Groß-Machmin liegt zwischen Stolp (Stupsk) und dem Ostseebad Stolpmünde (Ustka) in Pommern (jetzt Republik Polen). In Ritters Geographisch-statistisches Lexikon (2. Bd. L-Z, 6. Aufl., Leipzig 1874, S. 98) heißt es: „Machmin (Groß- u. Klein) 2 Dörfer in Preußen, Regierungsbezirk Köslin (Koszalin), Kreis Stolp, 433 und 525 Einwohner (EW.), 2 Mühlen“. In der 9. Aufl. (1910) des gleichen Lexikons (Band 1, A-K, S. 869) wird ausgeführt: „Grossmachmin, Gutsbezirk in Pommern, Regierungsbezirk Köslin, Kreis und Amtsgericht Stolp, Post Karzin, 254 Ew.“

Wir bemerken zunächst anhand der über die Jahre sinkenden Einwohnerzahlen das Phänomen, welches im soziologischen Schrifttum als allgemeine Landflucht bezeichnet wird.

Wenn Groß-Machmin ein Gutsbezirk war, muß es auch einen entsprechenden Gutsbesitzer dort gegeben haben, meint Müller und fährt fort: “Es ist durchaus denkbar, daß Anderssen bei der Gutsbesitzer-Familie die genannte Hauslehrer-Stelle einnahm. Wer sich dahinter verbirgt, konnte ich nicht ermitteln, da mir spezielle Pommern-Handbücher nicht zur Verfügung stehen. Da Anderssen über gute Beziehungen zu den Berliner Schachspielern verfügte und die Berliner Schachgesellschaft ihm 1851 die Teilnahme am Londoner Turnier ermöglichte, ist sicher die Annahme berechtigt, daß von Berlin aus Spuren nach Groß-Machmin führen“. Wie Dietmar Friedrich, Saarlouis, unter Bezugnahme auf das Anderssen-Buch von Gottschall mitteilt, bereitete sich Anderssen bis zu seiner Abreise zum Londoner Turnier am 17.Mai 1851 in Berlin vor.

Wer kann dem Ansatz Müllers folgend in speziellen Pommerschen Handbüchern nach weiteren Informationen über Groß-Machmin und dessen Bevölkerung sowie den Gutsbesitzer forschen?

  1. Kreuzschach

Peter Schmidt, Kiel, fiel in ähnlicher Stellung wie Romanowsky (s. SZ 62) einem Kreuzschach zum Opfer. In einem Kampf zur Vereinsmeisterschaft der Kieler Schachgesellschaft kam es zur folgenden Stellung:

 

 

Terwitte, H – Schmidt, Peter
Kiel, 1986


1…Df4+?? 2.g3+ 1-0

  1. Bogoljubows letzte Partie

Zu SZ 63 teilt uns Dr. H.-J. Wagner, Paderborn, die folgende Stelle aus Caissa, Heft 13/1952, S. 255 mit: „Heilbronn. – Seine letzte Simultanveranstaltung gab Großmeister Bogoljubow drei Tage vor seinem Tode in Heilbronn, wo er an 45 Brettern mit dem Ergebnis +31 =8 -6 spielte. Als Abschluß dieser Veranstaltung, zu der über 100 Schachspieler erschienen waren, spielte Bogoljubow eine Uhrenpartie gegen den württembergischen Meisterspieler Löchner, die er eindeutig gewann.“ Also galt schon in der zeitgenössischen Schachpresse die Veranstaltung in Heilbronn als letztes schachliches Auftreten Bogoljubows, und die genannte Partie gegen Löchner scheint wohl tatsächlich seine letzte öffentliche Schachpartie gewesen zu sein.

Wir bemerken nur noch abschließend, daß nach den von Löchner in SZ 63 mitgeteilten Angaben Bogoljubow von 46 Partien 12 remisierte und nur vier verlor.

76. Simultan

Henri Serruys, Belgien, liefert die folgende Simultanpartie Alexander Aljechins gegen Ministerialrat Professor Kraft.

 

Aljechin, Alexander – Kraft [B01]
Karlsruhe, 29.05.1936

1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.Sf3 Sf6 5.Lc4 Lg4 6.d4 e6 7.h3 Lh5 8.g4 Lg6 9.Se5 Sbd7 10.Lf4 0-0-0 11.Df3? Ein schrecklicher Patzer
11…Sxe5 12.Lxe5 Le4 13.Dg3 Lxh1 14.f3 Lb4 15.0-0-0 Lxc3 16.bxc3 Dxc3 17.Ld3 Sd5 18.Df2 f6 19.Lh2 Sb4 20.De3 Txd4 21.Txh1 Sxd3+ 22.Kd1 Se5+ 23.Ke2 Dxc2+ 0-1
Es folgt ein Matt in spätestens fünf Zügen
(24.Kf1 Td1+ 25.De1 Dd3+ 26.Kg1 De2 27.Dxd1 Sxf3#)

 

77. Lionel Kieseritzky

Zu SZ 5, Lionel Kieseritzky (1806-1853), weist uns Ulrich Grammel, Heilbronn, auf die folgende Stelle in Ernste Spiele. Vortraege, theils neu theils längst vergessen (dritte Auflage bei Wilhelm Hertz, Berlin 1875) von Johann Eduard Erdmann hin. Johann Eduard Erdmann, geb. 13.6.1805 in Wolmar (heute Valmiera, Lettland), war Philosoph und als solcher später Professor an der Universität in Halle. In dem erwähnten Buch schreibt er: „Durch alle Schul-Classen war mein Nachbar auf der Bank ein auch sonst seltsamer Knabe, der uns (damals passionirte Schachspieler) oft zum Erstaunen hinriss, wenn er, ohne ein Brett vor den Augen zu haben, zwei verschiedene Schachpartien in den Nebenzimmern dirigirte und fast immer gewann. Viele Jahre darauf fand ich im Café de la Régence in Paris ihn als anerkanntes Haupt – Labourdonnais war gestorben und St. Amant hatte vor ihm die Segel gestrichen – der französischen Schachspieler. Er lebte vom Unterricht in der Mathematik und dem, wie er sagte, viel schwierigeren im Schach, und sprach wiederholt als die Bestimmung seines Lebens dies aus, der Welt begreiflich zu machen, dass Schach kein Spiel sei, sondern eine Wissenschaft. ‘Auch von der Statistik’, setzte er hinzu, ‘glaubte man anfänglich, sie sei eine Spielerei’“.

Weitere Angaben über Kieseritzky (1806-1853), u.a. von dessen Bruder Guido, fanden wir in der DSZ 1853, S. 316 ff. und 1855, S. 297 ff.: „Lionel Adalbert Bagration Felix Kieseritzky (von Rechtswegen eigentlich des heil. röm. Reichs Freiherr von Koseritz und polnischer Graf Kizericki) ward geboren in Dorpat am 20. December 1805 (1. Januar 1806), und war das jüngste – 14te – Kind von Otto Wilhelm Kieseritzky und seiner Ehegattin Catharina Felicitas geb. von Hoffmann.“

1996 erschien ein hervorragend recherchiertes Buch von Tomasz Lissowski und Bartlomiej Macieja, Zagadka Kieseritzky’ego, Wydawnictwo DiG, Warschau 1996, das für den des Polnischen kundigen weitere Einzelheiten bringt.

Ein Nachkomme Kieseritzkys ist kürzlich mit einem Buch in Erscheinung getreten: Ingomar von Kieseritzky, Da kann man nichts machen. Roman. C. H. Beck, München 2001. Wir haben das Buch noch nicht gelesen und können deshalb nicht sagen, ob ein Schachbezug hergestellt wird. 

78. Schach in der Trivialliteratur

Zu SZ 12, Schach in der Trivialliteratur, macht uns Dr. H.-J. Wagner, Paderborn, auf ein Heft der phantastischen Heftromanserie Sun Koh, der Erbe von Atlantis aufmerksam. In der von Paul Alfred Müller (unter dem Pseudonym Lok Myler) verfaßten, in den Jahren 1933-1936 im Verlag A. Bergmann, Leipzig, erschienen Serie gibt es einen Band (Band 112, Volk unter Tag), in dem das Schachspiel eine wesentliche Rolle spielt. Eine Expedition dringt ins unerforschte Innere der Insel Neuguinea ein, um einige dorthin Verschleppte zu suchen. Man findet diese in der Gewalt eines bis dahin unbekannten, in unterirdischen Felsenwohnungen lebenden Volkes. Dieses „Volk unter Tag“ ist geistig relativ hoch entwickelt ist und kennt das Schachspiel, dem sie einen hohen Stellenwert zuweist. Diese Tatsache erlaubt es dem Leiter der Suchexpedition schließlich, die Freilassung der Verschleppten durch den Gewinn einer Schachpartie zu erreichen und so einen gewaltsamen Befreiungsversuch unnötig zu machen.

Manfred Mittelbach, Hamburg, weist auf Hal Fosters Prinz Eisenherz, König Zog verbirgt etwas, Band 47, in dem der Prinz eine Partie Lebendes Schach spielt, hin.

79. Albert Freiherr von Rothschild – Der Schachbaron von Wien

In einem 1994 in der italienischen Zeitschrift Scacchi e Scienze Applicate (Fasc. 14, S. 5-10) erschienenen Artikel weist Michael Ehn, Wien, auf den wesentlichen quantitativen und qualitativen Anteil von Juden an dem um die Jahrhundertwende so blühenden Wiener Schachleben hin. Dabei ragen unter den Schachmäzenen, die durch ihre teilweise erheblichen finanziellen Beiträge die Durchführung von Turnieren und das normale Wiener Vereinsleben unterstützten, insbesondere die Namen der jüdischen Familien Trebitsch und Rothschild hervor. Ohne die organisatorische und finanzielle Mitwirkung der Familien Trebitsch und Rothschild hätte kein einziges der großen Wiener Turniere zwischen 1873 und 1938 abgehalten werden können; auch die Wiener Schachgesellschaft (später Wiener Schachklub) und die Wiener Schachzeitung hätten ohne sie niemals jene historische Bedeutung erlangt. So hinterließ der Seidenfabrikant Leopold Trebitsch dem Wiener Schachklub 100.000 Kronen, von denen die bekannten Trebitsch Gedenkturniere finanziert wurden. Und im Jahre 1910 übersiedelte beispielsweise der Wiener Schachklub in das feudale Palais Herberstein, in dem zwei Stockwerke mit 16 (!) geräumigen Spielzimmern, Konversations- und Lesesälen den Mitgliedern zur Verfügung standen. Der höchste Mitgliederstand des Klubs wurde zwischen 1910 und 1916 mit über 600 erreicht.

Mit einem im Jahre 1910 auf etwa 1 Milliarde Kronen geschätzten Vermögen galt Albert Salomon Anselm Freiherr von Rothschild (1844-1911) als der reichste Mann Europas. Er war ein begeisterter Schachspieler und -liebhaber und schon früh, so schreibt Ehn, stand sein schachliches Talent außer Zweifel. Es wurde Wilhelm Steinitz, der soeben aus Prag nach Wien gekommen war und hier als Student wahre Hungerjahre erlebte, als Schachlehrer für Rothschild engagiert. Später förderte Rothschild mehrere Wiener Schachmeister unter denen sicherlich Ignatz Kolisch (1837-1889) der bekannteste sein dürfte. Unzählig sind die Anekdoten, die beschreiben wie Kolisch als Börsianer mit Hilfe Rothschildscher Ratschläge zum Millionär wurde.

 

Weinbrenner, L – Rothschild, A [D35]
Wien, 26.10.1874

1.d4 d5 2.c4 e6 3.cxd5 exd5 4.Sc3 Sf6 5.Lf4 Lb4 6.Db3 Sc6 7.e3 Lf5 8.Lb5 Lxc3+ 9.bxc3 0-0 10.Lxc6 bxc6 11.Sf3 Tb8 Die Einleitung einer tiefen Kombination, deren Umrisse beim nächsten Zug deutlicher hervortreten
12.Da4 Ld3 13.Dxc6 Tb2 Der weiße König wird umzingelt
14.Sd2 Sg4
Droht sofort oder gelegentlich Sf2:
15.Lg3 De7
Gewaltig. Schwarz droht Se3: und gewinnt dadurch ein Tempo für den Ausfall Da3
16.Dxc7 Da3
Prachtvoll. Schwarz fürchtet den anscheinend vernichtenden Schlag Ld6 nicht
17.Ld6 Txd2
Die Pointe der grandiosen Konzeption
18.Lxa3 Te2+ 19.Kd1
Länger könnte sich Weiß mit Kf1 behaupten. Der Sieg des Schwarzen wäre aber nur noch glänzender [19.Kf1 Txa2+ 20.Ke1 Txa1+ 21.Kd2 Ta2+ 22.Ke1 (22.Kxd3?? Sxf2# ) 22…Te2+ 23.Kd1 (23.Kf1 Txe3+ 24.Kg1 Te1# ) 23…Sxf2+ 24.Kc1 Tc2+ 25.Kb1 Txc3+-+ ]
19…Sxf2+ 20.Kc1 Tc2+ 21.Kb1 Txc3+ 22.Kb2 Txc7 23.Lxf8 Sxh1 24.Txh1 Kxf8
Anmerkungen von Georg Marco in: Wiener Schachzeitung 1911, S. 68

Max Weiss (1857-1927), ein verbummelter Mathematikstudent, „der dem Zauber des Schachspiels anheimgefallen war“ (Wiener Schachzeitung, 1927 S. 89) erhielt 1890 eine Stellung im Bankhaus Rothschild, in dem er bis zu seinem Lebensende, zuletzt als Depotkassier, tätig war. Auch Berthold Englisch (1851-1897), Adolf Schwarz (1836-1910) und Bernhard Fleissig (1845-1931), die weder im bürgerlichen Leben Fuß fassen noch im Schach Weltruhm erlangen konnten, wurden mit der Hilfe von Rothschild zu erfolgreichen Börsianern. Rothschild wurde im Jahre 1868 Mitglied der Wiener Schachgesellschaft, war 1872-1883 ihr Präsident und seit 1885 ihr Ehrenpräsident. Er finanzierte zum größeren oder kleineren Teil alle Wiener Turniere zwischen 1868 und 1910: Für das Turnier 1873 (Sieger Steinitz) spendeten Rothschild 1000 Gulden (etwa 13.000.- DM) und Ignatz Kolisch 500 Gulden. Im Jahre 1882 (Sieger Steinitz und Winawer) gab er ein 15-gängiges Diner im Hotel Metropole. Auch das große Turnier in Wien im Jahre 1898 erhielt seine großzügige Unterstützung und die Idee zum Gambitturnier in Wien 1903 stammte von ihm.

Schachpraktisch errang Rothschild fast Meisterstärke. Es scheint, daß er nur sehr wenige Partien mit der Elite der Wiener Meister (Albin, Marco, Schlechter) wechselte und eher Meister kleineren Kalibers bevorzugte gegen die er mit gutem Erfolg kämpfte. Für gewöhnlich waren August Kaulla und Ludwig Weinbrenner, zwei alte Mitglieder der Wiener Schachgesellschaft, natürlich auch Ignatz Kolisch, später der Arzt Siegmund Pollak (1848-1912) und Hermann Lehnert (1842-1897), Herausgeber der Österreichischen Schachzeitung 1872-75 und der Österreichischen Lesehalle 1881-1896, seine bevorzugten Gegner. Die folgende Partie spielte Rothschild als dreissigjähriger junger Mann.

Albert Freiherr von Rothschild starb plötzlich und unerwartet am 11.2.1911. Wien hatte am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in dessen Folge die Österreich-Ungarische Monarchie endgültig zerfiel, einen seiner größten Schachmäzene verloren.

  1. Harald Falk aus Hamburg

Wie Ulrich Grammel, Heilbronn, mitteilt, wurde der Schach-Bibliophile Harald Falk (siehe SZ 64) am 27.7.1905 in Hamburg als Sohn des Senatspräsidenten am Hanseatischen Oberlandesgericht, Dr. Hermann Falk, geboren.

Auf Wunsch des Vaters ging Falk nach München um dort Jura zu studieren, interessierte sich jedoch in Wirklichkeit mehr für Literatur- und Kunstgeschichte und war dann auch beruflich als Antiquar beschäftigt. Wahrscheinlich hat sich Falk dort das notwendige Rüstzeug für seine Tätigkeit als Schachbuchsammler erworben, denn bereits in dieser Zeit kaufte Falk Schachbücher. Am 6.9.1930 erwarb er beispielsweise vom Akademischen Schachklub München das von Steinitz herausgegebene Turnierbuch The Book of The Sixth American Chess Congress, New York 1889, für 20.- Mark wobei er sich für die Reinigung des stark verschmutzten Buches 4.- Mark abziehen ließ, sodaß er 16.- Mark für das seltene, lediglich in 500 Exemplaren gedruckte Buch bezahlen mußte. Wir veröffentlichen hier erstmals ein Photo von Harald Falk, das uns ebenfalls freundlicherweise von Ulrich Grammel, Heilbronn, zur Verfügung gestellt wurde. Im Jahre 1933 ging Falk, der jüdischer Abstammung war, nach Paris und führte dort zusammen mit seiner Ehefrau ein kleines vegetarisches Restaurant, das sie ausreichend nährte. Ersten Kontakt mit französischen Schachkreisen und hier insbesondere mit Gaston Legrain und François Le Lionnais, den Verfassern und Herausgebern der Cahiers de L’Echiquier Français, hatte Falk bereits Ende des Jahres 1932 aufgenommen. Im 32. Heft der Cahiers de L’Echiquier Français (S. 537) zitiert Gaston Legrain aus einem Brief Falks. Falk teilt darin in perfektem Französisch mit, er sei „ein leidenschaftlicher Schachbuchsammler und versuche, seine etwa 1400 Bände umfassende Sammlung weiter zu vergrößern“. Doch Falk war nicht nur Sammler von Schachliteratur. Auch die schachpraktische Seite des Spiels hatte es ihm angetan, wie nicht nur das oben abgebildete Photo, das ihn an einem Schachbrett zeigt, beweist. Wir konnten jedoch nur zwei Partien von Harald Falk finden. In einer kleinen Sammlung von Kurzpartien veröffentlichte François Le Lionnais, der Nachfolger von Gaston Legrain als Herausgeber der Cahiers de L’Echiquier Français, die folgende Kurzpartie von Falk:

 

N,N – Falk,H [B00]
Paris, Café Tourville, 11.02.1934

1.d4 b6 2.e4 Lb7 3.Ld3 f5 4.exf5 Lxg2 5.Dh5+ g6 6.fxg6 Lg7 7.gxh7+ Kf8 8.hxg8D+ Kxg8 9.Lc4+ d5 0-1

Falk stand während seines Pariser Aufenthaltes in engem Kontakt zu François Le Lionnais und Gaston Legrain. Dies wird u.a. auch daran deutlich, daß einige der Bücher, welche kürzlich in Paris versteigert wurden (s. SZ 61), das versteckt angebrachte und nur von Eingeweihten zu findende ExLibris von Gaston Legrain aufweisen. Falk spielte zusammen mit Le Lionnais, der u.a. auch eine Monographie über die Französische Partie schrieb, eine Beratungspartie gegen M. Walter und H. Alexander (Walter hatte das Reserve-Turnier von Hastings des Jahres 1933/34 gewonnen), die wir aus historischen Gründen an dieser Stelle anführen möchten:

Walter und Alexander – Falk und Le Lionnais [C12]
Paris, Café Tourville, 05.1934

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Lb4 5.Sge2 dxe4 6.a3 Le7 7.Sg3 Sbd7 8.Dd2 c5 9.dxc5 Sxc5 10.Dxd8+ Lxd8 11.Lb5+ Ld7 12.b4 Sd5 13.Ld2 Sxc3 14.Lxd7+ Sxd7 15.Lxc3 f5 16.Lxg7 Tg8 17.Lb2 Lf6 18.Lxf6 Sxf6 19.c4 Ke7 20.f3 f4 21.Sxe4 Sxe4 22.fxe4 Txg2 23.0-0-0 Ta2 24.Thf1 e5 25.Tf3 Te2 26.Th3 Tg8 27.Txh7+ Ke8 28.Txb7 Tgg2 29.c5 f330.h4 Txe4 0-1

Die beiden Partien stellen die einzigen schachpraktischen Zeichen dar, welche wir von Harald Falk besitzen.

Nach Ausbruch des Krieges im Mai 1940 flüchteten die Falks in die zunächst nicht von den Deutschen besetzte „Vichy-Zone“, dabei immer ihre Bücher mit sich schleppend, sodaß Frau Falk später, nach dem Krieg, schreiben sollte, ihr erscheine es wie ein Wunder, „dass wir es fertig brachten, immer diese vielen und schweren Kisten bei uns zu haben, da wir doch sonst nichts mehr besassen“. Die bedeutende Schachbuch-Sammlung Falks sollte erst nach dem Ende des II. Weltkrieges verkauft werden. Aufgrund einer Denunziation wurde Harald Falk von der Gestapo gefaßt und nach Ausschwitz gebracht, von wo er, noch nicht vierzig Jahre alt geworden, nicht mehr zurückkehrte.

  1. Bibliografische Notizen

Erneut (siehe SZ 61) fand in Paris eine Auktion seltener und bedeutender Schachbücher, wenn auch in deutlich geringerer Anzahl, statt. Unter den 23 bei Drouot versteigerten Büchern gelangten u.a. ein Manuskript aus dem 18. Jahrhundert des Schachzabelbuch von Konrad von Ammenhusen, 1337 (12.000.- FF), ein Villot, Origine astronomique du jeu des Echecs, Paris 1825 (5200.- FF) sowie ein Abraham Ibn Esra, Neu-eröffnete Kunststück des Schach=Spiels, Franckfurth und Leipzig 1743 (4800.- FF) zum Ausruf. Wenngleich von anderer Provenienz als die Bücher über die wir in SZ 61 berichteten, stammten wiederum sehr viele Bücher aus der Sammlung des in Ausschwitz umgekommenen Harald Falk aus Hamburg (siehe SZ 80).

Unser besonderes Interesse fanden auch drei in Halbleder gebundene Partie- und Notationsbände, die in dem bereits früher verschiedentlich zitierten Katalog Nr. 428 von Quaritch, London 1929, unter der Nr. 1311 verzeichnet sind. Sie stammen ursprünglich aus dem Besitz des preußischen Astronomen Heinrich Christian Schumacher (*Bramstedt in Holstein 3.9.1780, + Altona 28.12.1850). In Brentano’s Chess Monthly, New York, Februar 1882 (S. 493 ff.) werden einige Briefe (Chess Letters of celebrated Men) von Schumacher an William Lewis zitiert, die belegen, daß Schumacher mit sämtlichen Schachgrößen seiner Zeit (Deschapelles, Labourdonnais, Horwitz und von der Lasa) in Kontakt stand (s.a. Cahiers de l’Echiquier Français, III S. 318). Der Schachbuch-Sammler Lothar Schmid, Bamberg, konnte die drei Bändchen für 7500.- FF plus 9,495% Aufgeld erstehen. Auch ein sehr seltener Ercole del Rio aus dem Jahre 1750 für 10.500.- FF plus Aufgeld ging an Schmid.

  1. Kreuzschach

Christian Janzen, Berlin, teilt die folgende eigene Partie zum Thema mit.

 

Janzen, C – Kehm
Berlin, 1984

in dieser verriegelten Stellung stellte Wei0 mit


1.Kf3? eine Falle auf, in die Schwarz mit
1…Sxe5+?
auch prompt hineinfiel und nach dem Kreuzschach
2.Lxe5+
die Partie verlor. 1-0

Erst später erkannte Schwarz, daß nach 1. Kf3? Schwarz mit 1. … f4! gewinnt, da nach z.B. 2. Lf4: Se5:+ das Kreuzschach 3. Le5:+ wegen der Fesselung des Läufers nicht mehr möglich ist.

  1. Schach-Zettel ist im Internet

Wir konnten uns kürzlich in das Internet über einen Compuserve-Anschluß einklinken und sind per Mail über Compuserve-Anschluß 100770,2665 zu erreichen. Aus Zeitgründen gelingt es uns jedoch in der Regel nur ein Mal pro Woche in der Mail-Box nachzuschauen. Dennoch – wer Lust auf ein Partiechen hat – kann einen Treff (vielleicht im Chessforum oder Chessnet?) ausmachen.

Inzwischen ist dieser Zettel im November 2001 historisch geworden. Die Compuserve-Adresse ist nicht mehr aktuell und wir sind unter hallo@ballo.de zu erreichen.

  1. Schach in der modernen Kunst

Die Galerie Monika Reitz in der Domstraße 2 in Frankfurt am Main (Tel.: 2 02 08, Fax.: 2 02 53) stellt derzeit Bilder der Düsseldorfer Künstlerin Simone Letto aus. Simone Letto wurde 1965 in Stuttgart geboren und ist nach dem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Schwegler seit 1991 in der gleichen Stadt als freischaffende Künstlerin tätig. Sie hält in ihren Bildern meist alltägliche Ereignisse, in einzelne Sequenzen zerlegt, fest. Aus den Einzelbildern, die wie Bewegungen des Stillstands erscheinen, formen sich Geschichten, die ihren Reiz aus den Reduzierungen und Auslassungen gewinnen.

Gemälde von Simone Letto, Düsseldorf

Uns fiel dabei insbesondere das Schachbild auf, das wir an dieser Stelle in einer schwarz/weißen Abbildung reproduzieren. (Simone Letto, o.T., 1991, Öl/Nessel, 120×90 cm). Es soll 4800.- DM kosten.

Das Schachgemälde und weitere Bilder der Künstlerin sind noch bis zum 22. Dezember in Frankfurt zu besichtigen (falls sich nicht bereits vorher ein Käufer findet).

  1. Simultan

Die folgende Partie des späteren Weltmeisters Bobby Fischer liefert uns Wolfgang Pieper, Osnabrück. Sie wurde erstmals in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 17.6.95, in der Pieper eine Kolumne führt, veröffentlicht. Fischer spielte gegen 20 Gegner gleichzeitig und erzielte dabei ein Ergebnis von 15,5:4,5 Punkten.

Fischer, R – Poeschel, H [C17]
Simultan Muenster, 27.09.1970

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 La5 6.b4 cxd4 7.Dg4 Se7 8.Sb5 [8.bxa5 dxc3 9.Dxg7 Tg8 10.Dxh7 Sbc6 11.Sf3 Dc7 12.Lb5!? (12.Lf4 Fischer-Tal, Leipzig 1960) ]
8…Lc7 9.Dxg7 Tg8 10.Dxh7 Lxe5 11.Sf3 Th8 12.Dd3 Sbc6 13.Sxe5 Sxe5 14.Dg3
Ziemlich riskant. Steht Fischer auf Gewinn?
14…f6 15.Dg7 Tf8 16.Lh6
Sieht stark aus, doch sicherer wäre Sxd4 nebst Vorbereitung der kleinen Rochade
16…Tg8 17.Dxf6 Sg4 18.Dh4 Sf5 19.Dh5+ Kd7 20.Lf4 Df6 21.Ld3
es drohte 21. …d3 mit Doppelangriff. Die Lage von Weiß wird immer komplizierter. Schwarz hat ein beachtliches Bauernzentrum und aktiv postierte Figuren.
21…Sh4 22.Lg3 Sxg2+ 23.Kd2 Sf4 24.Dh4 Dxh4 25.Lxh4 e5!
Droht Figurengewinn mit 26. … a6. Schwarz hat die bessere Stellung wegen seines starken Bauernzentrums und Entwicklungsvorsprungs.
26.a4 a6 27.Sa3 e4 28.Lf1 e3+ 29.fxe3 dxe3+ 30.Kd1 Kc7 31.Lg3 Sf2+ 32.Ke1
[32.Lxf2? exf2 nebst 33. … Tg1 und Weiß kann aufgeben]
32…Txg3!
Erzwingt ein gewonnenes Endspiel
33.hxg3 Sxh1 34.gxf4 Sg3 35.c3 Lf5 36.Ta2 Sxf1 37.Kxf1 Ld3+ 38.Kg2 Te8 39.Ta1 Le4+
Fischer hätte hier aufgeben können, doch so leicht wollte er es dem Gegner nicht machen.
40.Kf1 Ld3+ 41.Kg2 e2 42.Kf2 Te4 43.Te1 Txf4+ 44.Ke3 Tf1 45.Txe2 Lxe2 46.Kxe2 Ta1 47.Sc2 Txa4 48.Kd3 Ta2 49.Sd4 Th2 50.Se6+ Kc6 51.Sd8+ Kc7 52.Se6+ Kd6 53.Sc5 Kc6 54.Kd4 Th4+ 55.Kd3 a5
(Kommentar: Dr. H.-C. Poeschel, Oesede).

Eine feine Partie gegen den späteren Weltmeister!

  1. Aus dem Antiquariat

Eine gute Adresse für alte, vergriffene Schachbücher ist Normando José Ivaldi, Marcelo T. de Alvear 1205-8° „A“, 1058 Buenos Aires, Argentina. Wir empfehlen die Kontaktaufnahme all jenen, die insbesondere ältere spanische Schachbücher suchen. Aber auch deutsche, englische und französische Schachliteratur und z.B. auch die alten Lachaga-Hefte sind vorhanden.

Auch dieser Zettel ist nicht mehr aktuell, bereits kurz nach der Erstveröffentlichung im Dezember 1995 wurde mir aus Argentinien mitgeteilt, daß Normando José Ivaldi verstorben sei.

  1. Simultan

Henri Serruys, Belgien, liefert die folgenden Angaben und das Fragment einer Partie des damaligen Weltmeisters Alexander Aljechin gegen Ministerialrat Professor Kraft. Kraft verfaßte für das Buch Bogoljubows Schachkampf um die Weltmeisterschaft zwischen Dr. A. Aljechin (Paris) und E. Bogoljubow (Triberg) in Deutschland 1934 (Macklotsche Druckerei, Karlsruhe 1935) eine Vorrede und es scheint so, als ob er den Weltmeisterschafts-Wettkampf auch organisiert habe. Kraft war 1936 Landesleiter des Badischen Schachverbandes. Kann jemand, fragt Serruys, weitere Informationen über Kraft liefern ?

 

Aljechin – Kraft
Karlsruhe, 1934

15.a4 Lf5 16.f4 Tfd8 17.h3 h5 18.La2 Td7 19.Ta3 Sd5 20.Lxd5 Txd5 21.Sc4 c5 22.dxc5 Txc5 23.Tc3 Tac8 24.b3 T5c7 25.Tc1 Db4 26.De2 g6 27.g4 hxg4 28.hxg4 Le6 29.Kg2 Kg7 30.Db2 Lxg4 31.Kg3 Lf3 32.T3c2+ f6 33.Th2 Dc5 34.Th4 g5 35.Th3 Df5 36.fxg5 Dxg5+ 37.Kh2 Th8 38.Df2 Txh3+ 39.Kxh3 Kf8 0-1

In einem Kommentar zur Partie wird mitgeteilt, daß Aljechin mit 15. a4 von der Theorie, die 15. Tfc1 vorschreibe, zu seinem Nachteil abweiche. Kann jemand aus diesen Angaben den Anfang der Partie (uns scheint, es handelt sich ehestens um ein Damengambit) rekonstruieren ?

  1. Dr. Schandalik vs Dr. Mayer 1924-1958

Vor einigen Jahren kauften wir auf einem Flohmarkt im Ruhrgebiet ein altes in Leinen gebundenes Partie-Notationsbuch wie es seinerzeit vom Verlag Curt Ronniger in Leipzig (Hundert Schachpartien, Schachverlag Hans Hedewig’s Nachf. Curt Ronniger, Leipzig) vertrieben wurde. In dem Buch finden sich handschriftliche Notationen von Partien zwischen uns unbekannten Spielern, nämlich Dr. Mayer und Dr. Schandalik. Die erste eingetragene Partie begann am 23.7.1924 und endete am 5.6.1925. Die letzte Partie begann am 10.9.1958. Die beiden spielten also über dreißig Jahre lang miteinander und auch während des II. Weltkrieges Korrespondenzschach, wie aus den im Buch vermerkten Anfangs- und Enddaten der Partien ersichtlich wird. Aus einem Vermerk zu einer Partie (Februar 1944 bis Juni 1946) geht hervor, daß Dr. Schandalik in Weinheim an der Bergstraße ansässig war und Ende des Jahres 1946 nach Mannheim in die Otto Beck Str. 24 zog. Wer kennt die beiden Schachspieler und kann weitere Informationen geben ?

Im 1. Jahrgang der Sudetendeutschen Schachblätter („Schachspieler! Verlanget, dass in den von Euch besuchten Cafés u. Restaurants die Sudetendeutschen Schachblätter aufliegen“ [heute würden wir um die Deutsche Schachzeitung bitten. HEB]) Heft Nr. 2 vom 28.8.1926 wird auf S. 37 über einen Schach-Wettkampf zwischen dem Nordgau (Reichenberg – Komotau) des Sudendeutschen Schachverbandes und dem Elbegau des Sächsischen Verbandes berichtet. In der Mannschaft des Sächsischen Verbandes spielte ein Dr. Schandalik, Dresden, mit.

  1. Adolf Anderssen

In SZ 71 haben wir dargelegt, daß Anderssen keineswegs in das Klischee des antipositionell angriffslustigen Repräsentanten einer sogenannten Schach-Romantik paßt, sondern sehr wohl die klassischen Prinzipien des positionellen Schachs verstand.

Der Amerikaner Al Horowitz vertritt in seinem Buch From Morphy to Fischer (Batsford, London 1973) eine ähnliche These. Wir übersetzen sinngemäß aus dem Englischen die folgende kurze Passage (S. 5 des genannten Buches): „Anderssens bekannteste Partien, die sogenannte Unsterbliche Partie, gespielt gegen Kieseritzky im Jahre 1851, … und die gleichermaßen gefeierte Immergrüne Partie, gespielt gegen Dufresne in Berlin im Jahre 1852, unterstützen das Bild … von Anderssen als einem inspirierten Barbaren; seine besten Partien von etwas seriöseren Wettkämpfen belegen diese Sicht jedoch zum größten Teil nicht. Obwohl Anderssens Partien Beispiele positioneller Fehler liefern, die gemessen an heutigen Standards primitiv erscheinen, war er doch keineswegs ein Ignorant strategischer Überlegungen sondern konnte ruhig spielen, wenn es die Partiestellung erforderte.“

  1. Alte Partien

Wiederum von Bob Meadley, Australien, stammen die folgenden Hinweise.

In Stauntons Chess Players Chronicle 1841, S. 193/194 sind zwei Partien aufgeführt, die „zwischen einem der Mitglieder des Berliner Schach Klubs und Herrn Szen, dem gut bekannten ungarischen Schach-Spieler“ gespielt wurden. Bob Meadley glaubt, daß Staunton die beiden Partienotationen von von der Lasa erhalten hat. Die beiden Partien finden sich auch in Walkers früher Partiesammlung Chess Studies, London 1844 (Partien Nr. 820 und 902). G.H. Diggle, der Verfasser des Anderssen-Kapitels in dem von Edward Winter herausgegebenen Buch World Chess Champions (Pergamon Press, Oxford 1981), behauptet auf S. 10 desselben Buches, daß Anderssen der Gegner Szens gewesen sei.

Zweifel seien hier erlaubt, meint Meadley, da in Walkers Chess Studies lediglich eine Partie einen gewissen „A.“ als Gegner von Szen vermerkt. Darüberhinaus habe bereits H.J.R. Murray in einem 1899 im British Chess Magazine erschienen Artikel unter dem Titel „The Berlin Pleiades“ angegeben, daß die Partien zwischen von der Lasa und Szen bzw. Mayet und Szen gespielt worden seien. Murray wiederum verweist als Quelle seiner Aussage auf „einige frühe Ausgaben der deutschen Schachzeitung“.

 

Unbekannt – Szen [C37]
Berlin

1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Sf3 g5 4.Lc4 g4 5.0-0 gxf3 6.Dxf3 Df6 7.e5 Dxe5 8.d3 Lh6 9.Sc3 Se7 10.Ld2 0-0 11.Tae1 Dc5+ 12.Kh1 c6 13.Se4 Df5 14.Lc3 Lg7 15.Sd6 Dg5 16.Txe7 Lxc3 17.Txf7 Txf7 18.Lxf7+ Kg7 19.bxc3 Sa6 20.Dxf4 Dxf4 21.Txf4 Sc7 22.Lb3 Sd5 23.Lxd5 cxd5 24.Tf7+ Kg8 25.Te7 b6 26.Te8+ Kg7 27.Txc8 *

 

 

Unbekannt – Szen [D10]
Berlin

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.Sc3 c6 4.a4 e5 5.dxe5 Dxd1+ 6.Kxd1 Le6 7.e4 Sd7 8.Lf4 Lb4 9.Kc2 Se7 10.Sf3 Sg6 11.Lg3 Lg4 12.Sd2 Sgxe5 13.f4 Lxc3 14.Kxc3 Sg6 15.Lxc4 Le6 16.f5 Lxc4 17.Sxc4 Se7 18.Sd6+ Kf8 19.Sxb7 f6 20.b4 Kf7 21.Sd6+ *

Bob Meadley besitzt keine frühen Jahre der DSZ und fragt, ob jemand die Partien in der DSZ lokalisieren kann und damit möglicherweise beweisen kann, wer die Gegner Szens in Berlin waren.

  1. Philidors Wein

Der rührigen Société d’Études Philidoriennes unter der Leitung von Monsieur le Commandant Dupont-Danican ist es zu verdanken, daß wir zur Zweihundert-Jahr-Feier (siehe SZ 72) nunmehr auch einen guten Wein nach dem großen Schachspieler benannt finden. Bei Interesse können wir gerne versuchen, eine Lieferung aus Frankreich zu besorgen.

  1. Francesch Vicent

Francesch Vicent publizierte im Mai des Jahres 1495 ein Schachbuch, das sich überwiegend mit Problemen befaßte und das er bei dem deutschstämmigen Drucker Lope de Roca in Valencia in catalanischer Sprache drucken ließ. Dieses Buch ist verschollen und im Dunkel der Jahrhunderte verlorengegangen. Letzte sichere Angaben über die Existenz des Buches und seinen genauen Titel (Libre dels jochs, partitis dels schachs en nombre de 100) sind uns von Raymundus Diosdado Caballero, einem Jesuiten, und von dem deutschen Bibliophilen Georg Panzer übermittelt worden, die beide das Buch in der Bibliothek des berühmten Benedictinerklosters Santa Maria auf dem Montserrat bei Barcelona Ende des 18. Jhdts. noch gesehen haben. Weitere Angaben über das verschollene Buch und seine Bedeutung für die Bestimmung der Entstehungszeit des modernen Schach im Hinblick auf die Einführung der langschrittigen Schachfiguren finden sich bei von der Lasa: Zur Geschichte und Literatur des Schachspiels, Veit und Co., Leipzig 1897 sowie bei van der Linde: Geschichte und Litteratur des Schachspiels, Julius Springer, Berlin 1874, S. 309 und (in neuerer Zeit) bei Ricardo Calvo: Valencia, birthplace of modern chess. In: New in Chess, Nr 7 (1991), S. 82 ff.

Bereits von der Lasa und van der Linde haben ausgangs des 19. Jhdts. mit nicht unerheblichem Einsatz versucht, Spuren des Buches zu finden und sind dabei erfolglos geblieben.

Bemerkenswert finden wir deshalb die Anzeige eines Optimisten aus dem Hessischen, der doch allen Ernstes in der vierten Nummer von Spielforschung Aktuell (Hrsg. Prof Bauer, Salzburg) unter „Gesucht wird“ im Stile eines Anzeigenblattes annonciert, er suche eben dieses oben genannte und verschollene Buch des Vicent. Immerhin, und dies mag sich der gute Mann gedacht haben, es mag sehr wohl sein, daß das Büchlein des Vicent, wahrscheinlich ein kleines Büchlein mit 100 Problemen, irgendeinem anderen Werk beigebunden wurde und so seiner Wiederentdeckung durch einen fleißigen Leser harrt. Auch das Handexemplar der von Luther zur Übersetzung verwendeten Bibel ist ja kürzlich nach mehreren Jahrhunderten wieder aufgetaucht.

  1. Erich Eliskases wird 83 Jahre alt

Einer der größten Schachmeister deutscher Sprache wurde am 15. Februar 1996 83 Jahre alt. Wir bringen eine bislang unveröffentlichte Partie des Meisters gegen den seinerzeit mit Eliskases stärksten Meister Österreichs Josef Lokvenc (1899-1974), die der Jubilar selbst mit Kommentaren versehen hat und gratulieren ganz herzlich. Die Partie wurde in einem Mannschaftswettkampf Innsbruck (Tirol) gegen Wien am 6. Juli 1934 in Klagenfurt-See gespielt.

 

Eliskases, E – Lokvenc, J [E60]
Klagenfurt, 06.07.1934

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 0-0 5.e4 d6 6.Se2 c6 7.0-0 Sbd7 8.Sbc3 a6 9.h3 b5 von fraglichem Wert
10.e5! dxe5 11.Lxc6 Tb8 12.cxb5 exd4 13.Sxd4 Se5
[auf 13…e5 folgt 14.Sb3! axb5 15.Sxb5 Db6 16.De2 mit gutem Spiel]
14.Lg2 axb5
[wahrscheinlich beabsichtigte Lokvenc 14…Lxh3 15.Lxh3 Dxd4 16.Dxd4 Sf3+ 17.Kh1! Sxd4 er nimmt ber jetzt davon Abstand, weil ihm seine Stellung nach 18.Lf4! nicht gefiel]
15.Lf4 Sfd7 16.Sdxb5 Da5 17.De2 La6 18.a4 Tfc8 19.Sd5
[besse ist 19.Tfd1 ]
19…Dd8?
gerade damit hatte ich gerechnet [nach 19…Kf8 wäre ich, wollte ich nicht einen Bauern einbüßen, zum Rückzug 20.Sdc3 gezwungen gewesen]
20.Tac1! e6 21.Sb4 Txc1
[nicht 21…Lb7 22.Lxb7 Txb7? wegen 23.Txc8 Dxc8 24.Sd6 ]
22.Txc1 Lb7 23.Lxb7 Txb7 24.De4 Tb8
[auf 24…Tb6 gewinnt 25.Le3 Tb8 26.f4 z.B. 26…f5 27.Dc2 Sf7 (27…Lf8 28.Sa6 Ta8 29.Sac7 ) 28.Sc6 ]
25.Sc6 Sxc6 26.Dxc6 Se5 27.De4 f5 28.De2 Dd5 29.Lxe5 Lxe5 30.Te1 Lf6 31.Sc7!
dieser Zwischenzug macht den a-Bauern beweglich
31…Dc6 32.Dxe6+ Dxe6 33.Txe6 Kf7!
[schwach ist 33…Lxb2 wegen 34.a5 Ld4 (34…Lc3 35.a6 Tb1+ 36.Kg2 Ta1 37.Sb5 Lb4 38.a7 Lc5 39.Tc6 Lxa7 40.Tc8+ Kg7 41.Tc7+ und Weiß gewinnt) 35.Te8+! ]
34.Te2! Lxb2
[falls 34…Txb2 35.Txb2 Lxb2 36.a5 Ke7 37.a6 Ld4 38.Sb5 Lc5 39.a7 Lxa7 40.Sxa7 mit Läufergewinn]
35.a5 Lc3?
erlaubt einen studienartigen Schluß [nach 35…Ld4 dringt der Turm auf d7 ein; und nach 35…Lf6 36.a6 Tb1+ 37.Kg2 Ta1 38.Tc2 Le5 39.Tc6 Lxc7 40.Txc7+ gewinnt Weiß, indem er den König an den Freibauern heranspielt 40…Kf6 41.a7 ]
36.a6 Tb1+ 37.Kg2 Ta1 38.a7!! Txa7 39.Sb5 1-0

Erich Eliskases heiratete am 18. Mai 1954 in Cordóba die Argentinierin Maria Esther geb. Olmedo. Das Paar hat einen verheirateten Sohn, Carlos Erico.

  1. Ernst Jünger und G. A. Rotlevi

Über das Schicksal von G. Rotlevi (1889-1920) ist wenig bekannt. In den meisten Schach-Lexika fehlt der Name Rotlevi. Whyld (Oxford Companion to Chess), Golombek (Penguin Encyclopedia of Chess) und Litmanowicz (Szachy od A do Z) weisen auf die kurze, von 1909-1911 dauernde Periode hin, in der Rotlevi im europäischen Turnierschach durch sein starkes Spiel Aufsehen erregte und für höhere Schach-Weihen geeignet schien. Nach Angaben von Calle Erlandsson, Schweden, (zitiert in C.N. 1392; Vol. 6/1987) hieß Rotlevi nicht Georg oder Gersz wie in den o.g. Lexika vermerkt, sondern Gedali Abram Rotlevi. Erlandsson merkt an, daß es im Polnischen kein „v“ gebe. Tatsächlich schrieb Bachmann in seinen Schachjahrbüchern zunächst „Rothlewy“ später jedoch Rotlevi.

Berühmt ist Rotlevis Verlust-Partie gegen Rubinstein (Rubinsteins Unsterbliche).

 

Rotlewi, G – Rubinstein, A [D40]
Lodz, 1907


1.d4 d5 2.Sf3 e6 3.e3 c5 4.c4 Sc6 5.Sc3 Sf6 6.dxc5 Lxc5 7.a3 a6 8.b4 Ld6 9.Lb2 0-0 10.Dd2
[10.cxd5 exd5 11.Le2 ; 10.Ld3 ]
10…De7! 11.Ld3
[11.cxd5? ]
11…dxc4 12.Lxc4 b5 13.Ld3 Td8 14.De2 Lb7 15.0-0 Se5 16.Sxe5 Lxe5 17.f4 Lc7 18.e4 Tac8 19.e5 Lb6+ 20.Kh1 Sg4! 21.Le4
[21.Dxg4? Txd3 /\ Tc3; 21.Se4 Txd3! 22.Dxd3 Lxe4 23.Dxe4 Dh4 24.h3 Dg3 25.hxg4 Dh4# ; 21.Lxh7+ Kxh7 22.Dxg4 Td2-+ ]
21…Dh4 22.g3
[22.h3 Txc3 23.Lxc3 (23.Lxb7 Txh3+ 24.gxh3 Dxh3+ 25.Dh2 Dxh2# ; 23.Dxg4 Txh3+ 24.Dxh3 Dxh3+ 25.gxh3 Lxe4+ 26.Kh2 Td2+ 27.Kg3 Tg2+ 28.Kh4 Ld8+ 29.Kh5 Lg6# ) 23…Lxe4 24.Dxg4 (24.Dxe4 Dg3-+ ) 24…Dxg4 25.hxg4 Td3 26.Kh2 Txc3-+ ]
22…Txc3 23.gxh4
[23.Lxc3 Lxe4+ 24.Dxe4 Dxh2# ; 23.Lxb7 Txg3 24.Tf3 (24.Lf3 Sxh2-+ ) 24…Txf3 25.Lxf3 Sf2+ 26.Kg1 (26.Kg2 Dh3+ 27.Kg1 Se4+ 28.Kh1 Sg3# ) 26…Se4+ 27.Kf1 Sd2+ 28.Kg2 Sxf3 29.Dxf3 (29.Kxf3 Dh5+ ) 29…Td2+-+ ]
23…Td2 24.Dxd2
[24.Dxg4 Lxe4+ 25.Tf3 Txf3-+ ; 24.Lxc3 Txe2 25.Tf2 Lxe4+ 26.Kg1 Lxf2+ 27.Kf1 Lf3 28.Td1 Sxh2# ; 24.Lxb7 Txe2 25.Lg2 Th3-+ ]
24…Lxe4+ 25.Dg2 Th3!!
Rubinsteins ‚Immortal game‘. [25…Th3!! 26.Tf3 (26.Tf2 Lxf2 27.Dxe4 Txh2# ) 26…Lxf3 27.Dxf3 Txh2# ] 0-1

Ernst Jünger wurde am 29.3.1995 100 Jahre alt. Jünger ist wegen seiner Schriften, die zumindest teilweise als Verherrlichung von Soldatentum und Krieg angesehen werden können, umstritten. Er gilt jedoch als feinsinniger Beobachter und treffender Schilderer seiner Umwelt und inneren Gefühle. Immerhin erwiesen der ehemalige französische Staatspräsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl dem Geburtstagskind zu dessen 100sten Geburtstag ihre Referenz und besuchten den 100jährigen in seinem Haus in Süddeutschland.

Ernst Jünger hatte in seiner Jugend zu dem sechs Jahre älteren Rotlevi eine ganz besondere Beziehung, die nicht allgemein bekannt sein dürfte. Ernst Jüngers Rehburger Reminiszenzen in Subtile Jagden, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1967 entnehmen wir die folgenden Zeilen, in denen wir einiges über den Menschen und Schachspieler Rotlevi erfahren. Manfred Mittelbach, Hamburg, verdanken wir den Hinweis, daß der Klett-Cotta Verlag Stuttgart anläßlich des Hundertsten Geburtstages von Ernst Jünger das Buch Subtile Jagden versehen mit 10 Farbstiftzeichen von Walter Linsenmaier in einer einmaligen Auflage von 1000 Exemplaren in einem großen Folio-Format neu herausgegeben hat (Halbleder ISBN 3-608-93309-3; Leinen ISBN 3-608-93310-7). Jedem Sammler und Schachliebhaber sei es auf das Wärmste empfohlen.

„Damals begann das Schachspiel im Haus zu dominieren; es wurde nach dem Frühstück begonnen und getrieben, bis der Mittag die Partie unterbrach. Auch nach dem Abendessen wurde oft noch bis über Mitternacht hinaus gespielt. Die großen Bretter mit den Stauntonfiguren durften nicht abgestaubt werden, weil Hängepartien auf ihnen eingefroren waren oder ein Problem konserviert wurde. Außerdem führte der Vater bei Tag und Nacht ein Steckschach in Form einer Brieftasche mit, um sich im Bett oder auf Reisen mit dem Spiel der Spiele zu beschäftigen.

Die Ankunft von Bücherpaketen gehörte zu den ersten Anzeichen einer neuen Manie. In diesem Falle kam zunächst der „kleine Dufresne“ und dann der „Große Bilguer“, dem folgten alte Werke bis zurück zu Philidors Zeiten, Biographien berühmter Spieler, Reihen von Zeitschriftenjahrgängen. Damals erfuhr ich zum ersten Mal, daß man selbst auf so beschränktem Felde die Hoffnung, „vollständig zu werden“, bald aufgeben muß. Immerhin kam ein Grundstock zusammen, der sich auch Kennern vorzeigen ließ.

Die Mutter, die andere Anschaffungen für wichtiger hielt, schüttelte oft den Kopf, wenn der Postbote kam. Aber in solchen Fragen können die Hausfrauen wenig ausrichten, denn im Rüstzeug sieht der Mann sich ungern beschränkt. … . Auch lud er (der Vater Anm. HEB) Gäste ein, die für Wochen oder Monate im Haus weilten – Liebhaber gleich ihm wie Leonhard, den Vorsitzenden des Leipziger Schachklubs Augustea, oder den jungen Lasker, einen Neffen des Weltmeisters, der auch schon auf Turnieren geglänzt hatte. … Wenig erbaut war die Mutter über den Aufenthalt von Berufsspielern wie etwa des Herrn von Wurtensleben, der in seiner Jugend als Anwärter auf die Weltmeisterschaft gegolten hatte, nun aber recht hinfällig geworden war. Bei Tisch mußte man ihm das Fleisch vorschneiden. Nur am Schachbrett zeigte sich der alte Löwe noch. Der Vater spielte mit ihm turniermäßig; eine Doppeluhr stand zwischen beiden auf dem Tisch.

Rotlevi kam aus Lodz … . Der Vater hatte ihn im Romanischen Café kennengelernt, wo er mit Amateuren spielte, die Partie um fünfzig Pfennig oder, wenn es hoch kam, um eine Mark. … . Rotlevi war lang, hager, kränklich; die Nase ragte wie ein Papageienschnabel aus dem olivgrünen Gesicht. Bei uns war er zum ersten Mal auf dem Lande; der Garten, dann Feld und Wiesen waren ihm eine neue Welt. Den Wald vermied er; der schien ihm unheimlich. Bald merkte er, daß die Gänge ihm gut taten, ihn auf eine Weise belebten, die er nie gekannt hatte. Er streifte lieber mit uns Kindern durch die Gegend, als daß er mit dem Vater spielte, und wurde zum unermüdlichen Wanderer, doch ging er ungern allein. Noch spät am Abend kam er und forderte mich zu einem Gang in die Heide auf, von dem wir erst gegen Mitternacht zurückkehrten.

Ich begleitete ihn gern. Sein Aufenthalt muß für mich in jenes Alter gefallen sein, in dem uns die Gesellschaft der Erwachsenen, der wir kurz vorher noch auswichen, zum Erlebnis und selbst zum Abenteuer wird. Die neue Welt wird zwar noch nicht gesehen und noch weniger begriffen, obwohl sie sich im Umriß wie am Ende einer Seefahrt ankündet. Wir wissen nicht, ob es Wolken oder Berge sind. … .

Offenbar brauchte er einen Vertrauten und nahm mit mir vorlieb. Wohl hätte er einen verständigeren Zuhörer finden können, doch keinen begierigeren. So pflegt der erste Roman auf uns zu wirken, weniger durch seinen Inhalt als durch den Einblick in eine neue Welt. Eines konnte mir nicht verborgen bleiben: die schwere Melancholie, die diesen Erwachsenen bedrückte, der im Grunde nur wenig älter war als ich. Doch wiegen in diesem Alter die Jahre schwer.

Zum ersten Mal im Leben begegnete ich hier einem Typus, der mit der Differenzierung der Gesellschaft immer häufiger auftritt: frühreifer Begabung auf einem Feld der schönen Künste, die den Kenner überrascht und entzückt. Soll nun die Existenz darauf gegründet werden, so ergeben sich Probleme besonderer Art: Das Spiel ruht in sich selbst als Frucht der Muße; wo es zum Mittel wird, können böse Erfahrungen nicht ausbleiben. … .

Rotlevi ging schnell, als ob er eine Pflicht oder eine heilsame Übung verrichtete. Selbst im Krug war es schon dunkel, nur beim Pastor brannte noch Licht. Wir sahen ihn vor der Haustür stehen; er litt an Atemnot, die ihn in schwülen Nächten wie dieser ins Freie zwang. … . Der Schachfreund ging noch schneller, um sich zu ermüden; er hatte die Erschöpfung durch körperliche Anstrengung als eine ihm unbekannte Wohltat entdeckt. Ich konnte mit ihm leicht Schritt halten, denn wir legten, wie wir es im „Lederstrumpf“ gelesen hatten, oft lange Strecken in einer Art von Hundetrab zurück. Wir sprachen dabei über dieses und jenes, und immer hing seine Schwermut bleiern über dem Gespräch.

Als wir die Friedhöfe wieder passiert hatten, hielten wir bei den Scheunen ein wenig an. Im Mondlicht sah ich das bleiche Gesicht; … . Zu meinem Erstaunen hörte ich mich sagen, und ich erschrak, als ich es gesagt hatte:

„Herr Rotlevi, ich halte das nicht länger aus. Ich kann nicht begreifen, warum Sie so traurig sind.“ War es eine Frage, eine Klage, eine Anklage? Ein Wagnis auf jeden Fall. Noch mehr erstaunte mich, daß ich auch eine Antwort erhielt – einer der Großen vertraute mir sein Geheimnis an. Ich sah ihn im Schatten des Strohdachs die Hände emporheben wie einen alten Propheten, der während einer langen Dürre um Regen fleht:

„Was ist ein Leben ohne Liebesglanz?“

War es ein Anruf, eine Gegenfrage? Ich ahnte es nicht; eine Klage war es gewiß. Ich kannte auch den Dichter nicht, der hier zitiert wurde. Aber ich fühlte, daß dem nichts hinzuzusetzen war. Wir gingen still durch den Ort zurück. … .“

  1. Tarrasch

Zu Siegbert Tarrasch teilt Egbert Meissenburg, Seevetal, der Robert Hübner der deutschen Schach-Aficionados (scheu, aber wacker), mit, daß Tarraschs erste Ehe mit Rosa Anna Tarrasch geb. Rudolf im Jahre 1924 geschieden worden ist. Darüberhinaus regt er an, zu prüfen, wann und unter welchen Umständen Tarrasch den Titel Praeceptor Germaniae erhalten hat.

Wir merken an, daß eine Tarrasch-Biographie, die diesen Namen verdient, bislang noch fehlt. Wir kennen lediglich zwei im Stile der „Beste Partien“-Bücher verfaßte Werke; zum einen das bei de Gruyter 1963 erschienene Büchlein von Brinckmann Siegbert Tarrasch. Lehrmeister der Schachwelt und zum anderen das Buch von Fred Reinfeld mit dem Titel Tarrasch’s Best Games Of Chess, Chatto und Windus, London 1947. Dies ist umso erstaunlicher als Tarrasch zusammen mit Anderssen, Lasker, Paulsen und Steinitz zu den größten Schachspielern deutscher Sprache gehört und somit sicherlich eine ausführlichere Würdigung verdient hätte. Vielleicht liegt das Fehlen einer ausführlichen Tarrasch-Biografie auch an der Tatsache, daß Tarrasch selbst schachschriftstellerisch sehr produktiv war und damit sein eigener schachlicher Werdegang im Grunde gut dokumentiert ist. Über Tarraschs Lebensumstände aber wissen wir sehr wenig. Auch wäre es interessant zu erfahren, so regt ein Leser an, in Erfahrung zu bringen, ob die Grabstätte Tarraschs auf dem Münchener Nordfriedhof noch existiert.

  1. Simultan Aljechin

Einige Leser geben den wahrscheinlichsten Partieanfang (Züge 1 bis 14) des in SZ 90 angegebenen Partiefragments Aljechin vs Kraft wie folgt an:

Aljechin, A – Kraft [D68]
Karlsruhe, 12.11.1934

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Le7 5.e3 0-0 6.Sf3 Sbd7 7.Tc1 c6 8.Ld3 dxc4 9.Lxc4 Sd5 10.Lxe7 Dxe7 11.0-0 Sxc3 12.Txc3 e5 13.Dc2 e4 14.Sd2 Sf6 15.a4 Lf5 16.f4 Tfd8 17.h3 h5 18.La2 Td7 19.Ta3 Sd5 20.Lxd5 Txd5 21.Sc4 c5 22.dxc5 Txc5 23.Tc3 Tac8 24.b3 T5c7 25.Tc1 Db4 26.De2 g6 27.g4 hxg4 28.hxg4 Le6 29.Kg2 Kg7 30.Db2 Lxg431.Kg3 Lf3 32.T3c2+ f6 33.Th2 Dc5 34.Th4 g5 35.Th3 Df5 36.fxg5 Dxg5+ 37.Kh2 Th8 38.Df2 Txh3+ 39.Kxh3 Kf8 0-1

Die Hauptvariante des orthodoxen Damengambits wurde sicherlich schon in tausenden Partien gespielt, meint Klaus Seeck, Husum. Die Enzyklopädie gibt 15. Tc1 als Hauptspiel an, nennt daneben aber noch 15. Tb1 und 15. Lb3. Aljechins 15. a4 scheint also wirklich minderwertig zu sein.

Wer kann weitere Angaben zur Person von Kraft (s.a. SZ 87) machen ?

  1. Fallen, Fehler, Schwindel und Verluste

Der größte „Schwindler“ aller Zeiten war (nach The Oxford Companion to Chess, Oxford University Press, Oxford 1992) Frank James Marshall (1877-1944). In Monte Carlo 1904 gelang es ihm in verlorener Stellung gegen Marco mit einer grandiosen, 11-zügigen „Schwindel“-Kombination zu entschlüpfen, wodurch Marco so demoralisiert war, daß er die Partie sogar noch verlor.

Wer kann weitere Welt- und Großmeister Partien angeben, in denen die eine Partei in verlorener Stellung mit einer „Schwindelei“ das Ruder noch einmal herumreißen konnte?

 

 

Marshall, F – Marco, G [C44]
Monte Carlo (4), 1904

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Lc4 Lc5 5.c3 d3 6.0-0 d6 7.Dxd3 Sf6 8.b4 Lb6 9.a4 a6 10.Te1 Sg4 11.Ta2 Sge5 12.Sxe5 Sxe5 13.Dg3 Sxc4 14.Dxg7 Tf8 15.e5 Sxe5 16.Kh1 Le6 17.Tae2 De7 18.f4 Sd3 19.f5 Se5 20.fxe6 fxe6 21.Lh6 Dxg7 22.Lxg7 Tf5 23.Lxe5 Txe5 24.Txe5 dxe5 25.g3 Td8 26.Kg2 Td3 27.Txe5 Kf7 28.Te2 Le3 29.Tc2 Lh6 30.Tf2+ Ke731.Tf3 Td1 32.Tf1 Td3 33.Tf3 Td1 34.Sa3 Tc1 35.c4 Ta1 36.c5 Lc1 37.Sc4 Txa4 38.Se5 Lb2 39.Sd3 Lc3 40.Tf4 a5 41.Th4 axb4 42.Txh7+ Kd8 43.Sf4 b3 44.Sxe6+ Kc8 45.c6 Le5 ? (45. … bxc6 gewinnt) 46.cxb7+ Kb8 47.Sc5 Ta2+ 48.Kh3 b2 49.Te7 Ka7 50.Te8 c6 51.Ta8+ Kb6 52.Txa2 b1D 53.b8D+ Lxb8 54.Tb2+ Dxb2 55.Sa4+ Kb5 56.Sxb2c5 57.Kg2 c4 58.Kf3 c3 59.Sd3 Kc4 60.Se1 Kd4 61.h4 Ld6 62.g4 Le7 63.g5 Ke5 64.Kg4 Lf8 65.Sc2 Ke4 ? (65. … Ke6=) 66.h5 Kd3 67.Sa1 Ke4 68.h6 Ke5 69.Kh5 Kf5 70.Sc2 Ld6 71.Sd4+ Ke4 72.Se2 c2 73.g6 La3 74.g7 Kd3 75.g8D Kxe2 76.Da2 1-0

  1. Alte Partien aus Berlin

Wie Dietmar Friedrich, Saarlouis, (zu SZ 90) mitteilt, wurde die in Rede stehende Königsgambit-Partie zwischen von der Lasa und Szen und die Damengambit-Partie zwischen Mayet und Szen gespielt. Die Partien sind in der Schachzeitung 1847, S. 51 und in Bilguers Handbuch (1. Aufl. 1843), S. 361 verzeichnet und in der Schachzeitung auch mit Namen kenntlich gemacht. Wie Friedrich weiter mitteilt, gehörten die Partien zu einer Serie von Partien, die Szen während eines Aufenthaltes auf der Rückreise von Paris in Berlin am 16. und 17. April 1839 mit den Meistern Bledow, von Bilguer, Mayet und von der Lasa spielte (siehe DSZ, Januar 1847, S. 13 ff.). Offenbar hat Harold J. R. Murray sorgfältiger recherchiert als sein moderner Kollege G. H. Diggle in dem von Edward Winter herausgegebenen Buch World Chess Champions.

  1. Das menschliche Element

Zu Zettel 41 haben wir keine Anmerkungen erhalten. Wir hatten auf Laskers Artikel in seiner Schachzeitung (Lasker’s Chess Magazine) im Jahre 1904 hingewiesen, in dem er das „menschliche Element“ betonte, das von jeder Schachpublikation zu beachten sei.

Es ist zum Verständnis des Aufsatzes von Lasker sicherlich hilfreich, die allgemeine durch Bevölkerungsexplosion und Massenkonsum gekennzeichnete gesellschaftspolitische Konstellation zu vergegenwärtigen, in der sich die Printmedien um die Jahrhundertwende ihren Platz erst noch erkämpfen mußten. Es ist in der heutigen, durch allgegenwärtige, zeitweise allmächtig anmutende Medienpräsenz gekennzeichneten Welt nicht einfach, sich vorzustellen, daß im Jahre 1904, als Lasker seine Zeilen über den Inhalt der Schachzeitungen schrieb, erst acht Jahre seit dem Erscheinen der ersten Zeitung mit Massenauflage vergangen waren. Im Jahre 1896 hatte die Daily Mail des Alfred Harmsworth, des späteren Lord Northcliffe, zu erscheinen begonnen. Der Grundsatz dieses Pioniers lautete „Dem Publikum das geben, was es verlangt“. Northcliffe legte wert darauf, daß die Zeitung sich mit dem befassen solle, was die breite Masse der Menschen interessiere und forderte, daß „eine Zeitung sich bezahlt machen“ solle. Verkaufszahlen wurden in der Folgezeit wichtigstes Kriterium des Journalismus und ein Nachrichtenkonzept entstand, das über die traditionellen Informationen aus Wirtschaft und Politik hinausgehend auch Geschichten aus dem Alltagsleben der einfachen Leute brachte. Dieses Konzept wurde die neue Form des modernen Journalismus und später mit dem Begriff der Human-Interest-Stories belegt (John Carey, Die Intellektuellen und die Massen. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Sonderheft Sept./Okt. 1995, S. 875-889).

Jeder von uns kennt die stürmische Entwicklung, die sich seit dieser Zeit in der Medienlandschaft vollzogen hat. Die vielen Presseerzeugnisse wie Bild-Zeitung, Super-Illu etc. oder die auch in unserem Land durch das halbnackt posierende page-three-Girl bekannt gewordene englischsprachige Sun sind Belege dafür, daß damals wie heute Verkaufszahlen wichtigstes Kriterium für den Journalismus sind. Richtig aber ist auch, daß damals wie heute eine Diskussion darüber geführt wird, ob solcherart Journalismus denn wirklich kommod und wünschenswert sei, insbesondere da Journalisten unter dem Druck hohe Zuschauerquoten zu erzielen sogar vor Fälschungen nicht zurückschrecken. Die Gegner der Massenkultur und des Massenjournalismus sind insbesondere unter den Intellektuellen zu finden, die im modernen Journalismus eine Bedrohung der menschlichen Kultur sehen. Autoren wie Ortega y Gasset und H.G. Wells beschrieben den bedrohlichen Zuwachs an Bevölkerung und fürchteten, eine Diktatur der Massen sei die Folge. Nietzsches Also sprach Zarathustra verkündet „Viel zu Viele leben“ und im Willen zur Macht lautet die Botschaft: „Eine Kriegserklärung der höheren Menschen an die Masse ist nötig“.

Zwangsläufig gelangen wir damit auch zu der Frage, was denn für eine Schachzeitung (und die Schach-Zettel) im übertragenen Sinne Human Interest sei. Jeder von uns wird anhand der Verkaufszahlen feststellen können, daß hauptsächlich die Eröffnungsliteratur das Interesse der meisten Schachspieler findet und damit das wesentlichste Kriterium erfüllt. Dabei stellen die in den Publikationen abgehandelten Varianten und Untervarianten eben das dar, was der einfache Schachspieler jeden Samstag oder Sonntag beim Turnier- oder Mannschaftsspiel vorfindet und ihn deshalb persönlich anspricht. Auch Turnier- und Hintergrundberichte von persönlich beteiligten Spielern sind interessant und vermitteln dem Amateur- und Hobbyspieler einen Einblick in die Welt des großen Schach, wie es einmal ein Korrespondent formulierte.

In der (zugegebenermaßen winzigen) Welt des Schachs wird die Diskussion über die Art des Schachjournalismus ebenfalls kontrovers geführt. Autoren wie Edward Winter beklagen die sintflutartige Ausbreitung immer neuer, schlecht gemachter Theoriewerke, kritisieren die Endlos-Produktion der u.a. bei Batsford erscheinenden Massen-Werke dessen Hausautoren Raymond Keene und loben auch schon einmal einen Buchpreis für das beste Schachbuch des Jahres zum Zwecke der Hebung des schachliterarischen Niveaus aus. Andere driften in’s Esoterische ab, wohingegen wiederum andere die Ansicht vertreten, die Produktion der eröffungstheoretischen Massenliteratur sei gleichzeitig Ausdruck eines mangelnden Interesses der Schachöffentlichkeit an Schachgeschichte und konstruieren damit ein ihnen inzwischen über die Jahre hin lieb gewordenes literarisches Feigenblatt, das sie als Begründung dafür benutzen, ihre Arbeiten in einer streng limitierten, nur einem elitären Kreis von wenigen Rezipienten zugänglichen Auflage von bis maximal zehn Exemplaren in den Umlauf zu bringen. Die Masse der Rezipienten mag sich schon ihre Billigkopien selbst ziehen, lautet hier die unausgesprochene Kriegserklärung des höheren Schachmenschen Egbert Meissenburg an die Masse der Schachspieler.

Der Aufsatz Laskers mag im Kontext dieser Diskussion zu sehen sein und hat demgemäß von seiner Aktualität nichts eingebüßt. Laskers eigene Schachzeitung aber erlitt das Schicksal seiner vielen Vorgänger und Nachfolger. Die letzte Nummer von Lasker’s Chess Magazine erschien im Januar 1909. Nicht einmal sechs Jahre nach seinem in SZ 41 übersetzten Artikel.

  1. Kreuzschach

Ekkehard Kolbe, Hilden, weist auf eine 1925 in Schachmaty erschienene Studie von Kaminer hin, in der ein Läufer eine Dame beherrscht. Die hübsche und, wie Kolbe meint, auch sehr bekannte Studie endet im wesentlichen Stellungsgleich mit der Löwenfisch-Partie (siehe SZ 62). Kolbe zeigt sich darüber hinaus verwundert, daß ein Spieler wie Romanowsky ein solches Kreuzschach mit bzw. durch einen Bauern übersehen konnte.

 

Studie Kaminer
Schachmaty, 1925

1.Tc2! Weiß droht 2. Tc5 nebst Matt durch Läufer und Bauer, was die Dame also verhindern muß
1…Dxc2
[1…Dd7? 2.Td2 ; 1…Df5 2.Tc4+ Kg5 3.Ld2+ Kf6 4.Tf4 ; 1…Df8 2.Tc4+ Kg5 3.Ld2+ Kf6 4.Tf4+ ; 1…Db8+? 2.Lc7 ]
2.Ld8+ g5 3.La5
droht Le1 und g3
3…De2
[3…Df2 ist um einen Zug kürzer]
4.Lc7
droht Lg3
4…Df2 5.Ld6
Tempozug! Und nun endet es wie bei Löwenfisch
5…Df4+ 6.g3+ Dxg3+ 7.Lxg3# 1-0

  1. Simultan

Wolfgang Pieper, Osnabrück, teilt die folgende Simultanpartie des damaligen Ex-Weltmeisters Max Euwe mit. Euwe, der kurz vor der Vollendung seines 78. Lebensjahres stand, hatte es mit 25 guten Vereinsspielern zu tun, schreibt Pieper. Euwe gewann 15 Partien, verlor acht und remisierte zwei Partien.

Dabei ist besonders interessant, daß Euwe gegen ein Qualitsopfer spielen mußte, daß er selbst fast 40 Jahre vorher in einer Wettkampfpartie gegen Bogoljubow in Karlsbad 1941 gegeben hatte. Damals hatte Bogoljubow mit Weiß wie folgt gewonnen:

 

Bogoljubow, E – Euwe, M [C58]
Karlsbad m (3), 1941

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5 d5 5.exd5 Sa5 6.Lb5+ c6 7.dxc6 bxc6 8.Df3 cxb5 9.Dxa8 Lc5 Bis hierher ist die Partie identisch mit der Simultan-Partie Euwe-Uphoff im Jahre 1979
10.0-0 0-0 11.b4 Lxb4 12.Sc3 Sh5 13.Sf3 Sf4 14.Tb1 Lxc3 15.dxc3 Sxg2 16.Txb5 Sc4 17.Tc5 Sd6 18.Td1 e4 19.Lg5 Dd7 20.Dd5 Se3 21.Se5 Dh3 22.Lxe3 Lg4 23.Dxd6 1-0

 

 

Euwe, M – Uphoff, E [C58]
Simultan Osnabrueck, 12.05.1979

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5 d5 5.exd5 Sa5 6.Lb5+ c6 7.dxc6 bxc6 8.Df3 cxb5 Schwarz versucht nun ein Qualitätsopfer, das kurioserweise von Euwe selbst 1941 in der oben gegebenen Partie gegen Bogoljubow versucht wurde
9.Dxa8 Lc5 10.b4 Lxb4 11.a4?
[11.0-0 ]
11…0-0 12.axb5 Db6 13.Df3 Lb7 14.Dg3 h6 15.Sf3 e4 16.Sh4 Ld6 17.Dc3 Sg4! 18.0-0 Lxh2+ 19.Kh1 Dxb5
ein wichtiger Zwischenzug. Der Ex-Weltmeister wird matt
20.Te1 Dh5 21.Lb2 Le5 22.d4 Dxh4+ 23.Kg1 Lh2+ 24.Kh1 Sxf2# 0-1

 

Euwe ist nach Angaben von Uphoff der einzige Weltmeister, der jemals in Osnabrück spielte.

  1. Aus dem Antiquariat

Wir haben eine kleine Liste über die uns vorliegenden Dubletten (von Académie des Jeux, Amsterdam 1752 bis Williams, London 1852) alter und älterer Schachbücher erstellt. Diese kann gerne auf diesen Seiten (Doubletten) eingesehen werden.

  1. ‘t Zeepaard des Gerard D’Hooghe

Das Problem des Rösselsprunges, bei dem ein Springer ausgehend von einem beliebigen Feld nacheinander sämtliche Felder des Schachbretts einmal (und nur einmal) betritt, ist, wie van der Linde schon bemerkte (Gesch. u. Lit. d. Schachspiels, Berlin 1874, II S. 101 ff.), sehr wahrscheinlich nicht viel weniger alt als das Schachspiel selbst. Zunächst Ausfluß eines im Mittelalter geübten Kunststückes, sämtliche auf einer Hälfte des Schachbrettes aufgestellte Schachfiguren nacheinander mit dem Springer zu schlagen, wurde das Problem Anfang des 18. Jahrhunderts von Rechenmeistern (Guyot: Nouvelles Récréations Physiques et Mathématiques … , Paris 1775, Tome IV, Huitieme Partie, S. 176 ff.), die sich mit den damals in Europa beliebten ausführlichen Bezifferungen der Glücksspiele beschäftigten, „wiederentdeckt“ und schließlich auch zum Gegenstand von Untersuchungen der sich gerade entwickelnden rationalen Wissenschaft, sodaß sich auch der berühmte Mathematiker Leonhard Euler (1707-1783) mit dem Problem beschäftigte.

Wie uns Roger Buysschaert-Sauval aus Belgien mitteilt, hat der Apotheker Gerard D’Hooghe in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts einen elektrischen Automaten konstruiert, der die verschiedenen Arten des Rösselsprunges je nach dem durch den Bediener gewählten Ausgangspunkt demonstriert. Die folgenden Erläuterungen verdanken wir Buysschaert dessen Exposé wir aus dem Französischen sinngemäß übersetzen.

Voraussetzung für die Realisierung eines solchen Apparates war zunächst die Bewältigung der mathematisch-theoretischen Probleme für die, so schreibt Buysschaert, D’Hooghe drei Jahre benötigte und deren Lösungen er in seinem 1962 bei Editions Brepols in Brüssel erschienenen Buch unter dem Titel Les Secrets Du Cavalier. Les Problèmes d’Euler publizierte. Für die sich daran anschließende technische Realisierung des Automaten benötigte der fleißige Apotheker und Schachliebhaber 13 Jahre.

Zur Konstruktion des Apparates, mit der D’Hooghe bereits Ende der vierziger Jahre begann, waren im vorelektronischen (eigentlich vortransistoriellen) Zeitalter die Verarbeitung von etwa 6000 m Kabeldraht und die Applikation von etwa 4000 Lötstellen notwendig gewesen.

Die Maschine, die wir hier zusammen mit ihrem Konstrukteur zeigen und die noch heute funktionsfähig existiert, besteht aus einem großen und einem kleinen Schachbrett und kann im wesentlichen zwei Arten von Funktionen ausführen. Zum Einen kann der Spieler, der einen gegebenen Rösselsprung ausführen möchte, einen mit einem Kabelanschluß versehenen Springer aus Kupfer in Kontakt mit einem Feld auf dem kleinen, unter dem großen Schachbrett befindlichen Brett bringen. Dann leuchtet das Feld des Springerzuges sofort auf dem großen Schachbrett auf und der Spieler kann den dann jeweils weiteren Rösselsprüngen „manuell“ folgen. Zum Anderen kann der Apparat jedoch auch den Rösselsprung „automatisch“ vollziehen, wobei der Spieler das Ausgangsfeld oder auch das Endfeld des Springers jeweils frei wählen kann. Der Automat findet daraufhin die jeweiligen Rösselsprünge selbsttätig. Neben diesen beiden, „manuellen“ und „automatischen“ Funktionen kann der Automat aber auch simultan zwei oder vier Springer gleichzeitig zu symmetrischen Rösselsprüngen auf den Weg schicken und über ein Kabel ist darüber hinaus auch eine Fernbedienung des Automaten möglich.

Der Apparat wurde nach seiner Fertigstellung schließlich im Rahmen der internationalen Ausstellung anläßlich der XIV. Schach-Olympiade im Jahre 1960 in Leipzig einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt. In dem von Herbert Grätz erstellten Bildkatalog Schach im Wandel der Zeiten (Leipzig 1960) findet sich der Name D’Hooghe zwar im Leihgeberverzeichnis, einen Hinweis auf den Schachautomaten oder gar eine Abbildung des ‘t Zeepaard genannten Apparates sucht man jedoch vergeblich. Dies ist sicherlich der Grund dafür gewesen, daß die bemerkenswerte Leistung des Gerard D’Hooghe nach Leipzig 1960 weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Grätz, der als Turnierdirektor in Leipzig fungierte, geriet dem Konstrukteur gegenüber jedoch auch aus einem weiteren Grunde in „eine etwas unerfreuliche Situation“. Mit Datum vom 19.11.1960 schrieb Grätz an den „Herrn Apotheker D’Hooghe“, daß „zu unserer Überraschung … von unserer Finanzabteilung mitgeteilt“ wurde, daß „Sie den Restbetrag von DM 1000.-, der Ihnen entsprechend unserer Vereinbarung zustand, nicht in Anspruch genommen haben“. Und: „Durch die Beschränkungen im Devisenverkehr ist eine Auszahlung auf eine andere Art als in DM leider nicht möglich“. Jeder, der sich an die Zeiten des Zwangsumtausches bei Grenzübertritt in die ehemalige DDR (es waren jeweils pro Kopf der Einreisenden hohe Tagessätze von in der Regel harter [West-] Währung in die schwache Ost-Mark der DDR umzutauschen) und an die dort herrschende real existierende Mangelwirtschaft erinnern kann, wird sich vorstellen können, was es für D’Hooghe bedeutet haben mag, die ihm zusätzlich für die Ausstellung seiner Maschine zur Verfügung gestellten 1000.- Ost-Mark auch auszugeben. Sicherlich hat er schlicht und einfach keine Ware gefunden, für die er das zwangsumgetauschte Geld hätte verwenden können. Und essen konnte er auch nur bis der Magen voll war … .

Der Automat ist nach dem Tode von D’Hooghe im Besitz der Witwe verblieben. Er ist, wie uns Roger Buysschaert weiter mitteilt, käuflich zu erwerben. Es ist sicherlich schwierig, den Wert des Automaten, der ohne weiteres einen Platz in einem Museum der Technik finden könnte, in harter Währung anzugeben. Der Witwe schwebt jedoch ein Betrag von etwa 12.000.- bis 13.000.- DM vor, für den sie sich von der Maschine ihres verstorbenen Mannes trennen könnte.

  1. Ludwig Erdmann Bledow – 150 Jahre Deutsche Schachzeitung

Die Deutsche Schachzeitung wurde im Juni des Jahres 1996 150 Jahre alt. Abgesehen von einer Pause unmittelbar nach dem II. Weltkrieg in den Jahren 1946 bis 1949 erschien sie ab Juni 1846 zunächst unter dem Titel Schachzeitung dann, ab 1872, unter dem Titel Deutsche Schachzeitung und zeigt auch in unseren Tagen (unter dem Namen Schach) ungebrochene Vitalität. Begründer der Zeitschrift und nach Aussagen der Zeitgenossen unbestreitbar das größte Verdienst bei der Fertigung der ersten drei Hefte hatte dabei der Oberlehrer Ludwig E. Bledow (27.7.1795-6.8.1846).

Wir möchten zur Einstimmung in dieses außergewöhnliche Jubiläum, das zu feiern wir sicherlich demnächst noch ausführlicher Gelegenheit haben werden, eine Partie des alten Meisters bringen, die dieser Anfang 1845 spielte. Wenngleich die Partie heute eher besserem Kreisklassenniveau entsprechen dürfte, glauben wir dennoch, daß sie, und hier insbesondere die Partieanlage Bledows, ein gutes Beispiel dafür bietet, daß die Meister im Zeitalter des sogenannten romantischen Schach, sehr wohl ein positionell mit dem Bestreben zur Anhäufung vieler kleiner Vorteile angelegtes Schach spielen konnten.

 

Bledow, L – Mongrédien [C53]
Berlin, 1845

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 d6 [4…Sf6 ]
5.d4 exd4 6.cxd4 Lb6 7.h3
bis hierher stimmen die Züge genau mit derjenigen überein, welche von Paris und London in der im Jahre 1834 auf diese Weise eröffneten Correspondenzpartie getan worden sind; nun aber weicht Schwarz im 7. Zuge von dem Londoner Spiele ab, wo nicht h7-h6, sondern Sg8-f6 gezogen wurde; vgl. Zweiundfünfzig Correspondenzpartieen von L. Bledow. Berlin 1843, Seite 52
7…h6 8.0-0 Sf6 9.Sc3 0-0 10.Te1 Ld7 11.Lf4 a6
die sehr gedrückte Stellung von Schwarz ist Folge seines vierten Zuges
12.e5 dxe5 13.dxe5 Sh7 14.Ld3 Le6 15.De2 f6 16.Tad1 De8 17.exf6 Txf6 18.Lg3 Sf8 19.Sd5
hiermit wird einmal der Turm zurückgedrängt und dann durch den Abtausch dem Schwarzen ein sehr übler Doppelbauer gemacht
19…Tf7
[auf 19…Lxd5 würde gefolgt sein: 20.Dxe8 Txe8 21.Txe8 Lxf3 22.gxf3 Txf3 23.Kg2+- etc.]
20.Sxb6 cxb6 21.Ld6 Ld7 22.Dc2 Dc8 23.Lc4 Se6 24.La3 b5 25.Txd7 bxc4
mit diesem Zuge ist ein Offizier für Schwarz rettungslos verloren [25…Dxd7 würde besser gewesen sein]
26.Txf7 Kxf7 27.Df5+ Kg8 28.Txe6 b5 29.Dd5
so erobert Weiß auch den zweiten Springer,der zur Rettung der Königin geopfert werden muß 1-0

 105. http://www.chesscafe.com

Unter dieser Adresse findet der interessierte Schachspieler die Webb-Seite des Amerikaners Hanon Russell. Russell wird den meisten von uns sicherlich durch den seit 1988 erscheinenden International Chess Calendar bekannt sein.

106. Peter Heinrich Holthaus aus Elberfeld

Wolfgang Fenner, Wuppertal, berichtet in Beiträge zur Heimatkunde der Stadt Schwelm und ihrer Umgebung [= Jahresgabe des Vereins für Heimatkunde Schwelm. Neue Folge 38. Heft 1988] über das Schachbuch des Konrektors Peter Heinrich Holthaus, das dieser unter dem Titel Selbstlehrender Unterricht im Schachspiele. Mit einem Holzschnitt im Jahre 1796 in Elberfeld herausgab. Das Büchlein, das wir in keiner uns zugänglichen Bibliografie finden konnten, ist im Museum Haus Martfeld in Schwelm einzusehen.
Der 1988 erschienene Beitrag von Wolfgang Fenner könnte für Interessierte für etwa DM 25.- beim Verein für Heimatkunde Schwelm e.V., Haus Martfeld 1, 58332 Schwelm noch zu beziehen sein.
Der Verleger des Schachbüchleins war wahrscheinlich der Herausgeber der Elberfelder Zeitung Johann Anton Mannes. Peter Heinrich Holthaus wurde im Jahre 1759 in Breckerfeld geboren und war, so teilt Wolfgang Fenner in dem oben erwähnten Artikel mit, als Autodidakt zum Lehrer geworden. Er machte sich als Volksaufklärer insbesondere um das Schulwesen von Schwelm verdient. Sein 48 Seiten umfassendes Schach-Büchlein war Ausdruck der edukatorischen Bemühungen Holthaus’, seine Zeitgenossen von dem seiner Meinung nach verderblichen „Branntweintrinken“ und „Kartenspiel“ abzubringen und dem Schachspiele zuzuführen. In einem verschollenen Buch wendete sich Holthaus gegen die Zahlenlotterie also gegen das Lottospielen und beklagte, daß das „Bedürfniß“ nach „Spielen, besonders in der Karte“ seit dem Erscheinen seines Buches über die Kirchen- und Schulgeschichte im Jahre 1819 sich nicht vermindert habe. Das Schachspiel wurde von Holthaus als das besonders geeignete Erziehungsmittel der Menschen favorisiert und noch im Jahre 1825 hielt er anläßlich der Schulprüfungen an der Schwelmer höheren Bürgerschule einen (nicht mehr auffindbaren) Vortrag mit dem Titel Lob des Schachspiels. Knapp 30 Jahre nach dem Erscheinen seines kleinen Schachbuches warb er also noch immer dafür, daß die Schwelmer ihren Spieltrieb durch das Schachspiel befriedigen sollten, „theils weil es unendlich mehr als irgend ein anderes Spiel den menschlichen Verstand im Nachsinnen und in der Aufmerksamkeit übt, theils weil es der edelste und unschädlichste Zeitvertreib ist, welcher niemals eine traurige Reue zur Folge hat, sondern höchstens nur zuweilen das kaum in Anschlag kommende kleine Mißvergnügen, vom Gegenspieler überwunden zu werden“ (Holthaus: Selbstlehrender Unterricht im Schachspiele, Elberfeld 1796, S. 3). Auch glaubte Holthaus, daß manche jungen Leute von ihrer Flatterhaftigkeit zur Stetigkeit und Ausdauer in Geschäften gebracht werden könnten und verweist in diesem Sinne auf eine uns unbekannte Schrift: Das Schachspiel, ein Bild des menschlichen Lebens, Dessau 1784. Kann jemand diese Schrift bibliografisch nachweisen? Bestehen Zusammenhänge mit dem ebenfalls 1784 in Dessau erschienenen Buch Theoretisch-praktischer Unterricht im Schachspiel unter Vieren (L/N 4854)?

Das Lehrbuch Philidors hat Holthaus zumindest in einer von Ewald (Gotha 1779) geleisteten Übersetzung ins Deutsche gekannt (a.a.0., S. 31).

Gemeinsam mit dem Wuppertaler Zeitungsverleger Mannes wollte Holthaus einen Schachunterricht organisieren und selbst erteilen sowie einen Schachzirkel gründen und in der Elberfelder Zeitung eine regelmäßige Schachspalte einführen. Wolfgang Fenner merkt an, daß die ersten Schachvereine der Region erst später und zwar in den Jahren 1851 und 1852 in Elberfeld und in Barmen gegründet worden sind. Sie gehörten damit zu den ersten in Deutschland. Vielleicht hat das Wirken des Peter Holthaus hierzu beigetragen. Holthaus bringt in seinem Buch zwei Beispielpartien, die wahrscheinlich aus seiner Schachpraxis stammen und von denen wir aus historischen Gründen die folgende Partei kurz angeben wollen.

 

N.N. (Holthaus?) – N.N. [C53]
1796

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.c3 De7 5.0-0 d6 6.d4 Lb6 7.Lg5 f6 8.Lh4 g5? 9.Sxg5 fxg5 10.Dh5+ Kd8 11.Lxg5 Sf6 12.Dh6 Tf8 13.f4 exd4 14.e5 dxc3+ 15.Kh1 cxb2 16.exf6 bxa1D 17.fxe7+ Sxe7 18.Dxf8+ Kd7 19.Lb5+ Sc6 20.De7# 1-0

Der wackere Schulmeister blieb hinsichtlich des Erfolges seiner edukatorischen Bemühungen für das Schach eher skeptisch, denn ausgangs seiner Vorerinnerung zu seinem Büchlein schrieb Holthaus: „Indessen man irret sich wahrscheinlich, wenn man denkt, dieß sinnreiche feine Spiel könnte zu einem allgemeinen Gesellschaftsspiele gemacht werden, … . … so würden, ungeachtet der Kunst und Pflege, die man … in Absicht der Ausbreitung dieses Spiels anwenden könnte, im Ganzen nicht sonderlich viele Liebhaber des Schachs erzielet werden. Immer würde man gegen fünfzig Karten-, Damen- und Billardspieler kaum einen Schachspieler, der den Nahmen verdiente, auffinden, so wie Bürger immer fünfzig Leser hat, wenn Klopstock mit einem fürlieb nehmen muß. So ist der Mensch nun einmal geartet. Schwelm, am 30. März, 1795.

107. Aus dem Antiquariat

Auf der Chess Cafe-Seite im WorldWideWeb von Hanon Russell (siehe SZ 105) bot dieser im Jahre 1996 eine Auswahl von Schachbüchern an, die sich dadurch auszeichnen, daß Sie durch die Signaturen und Autographen der Autoren und/oder Teilnehmer von Turnieren veredelt sind. Wir bringen nur eine ganz kleine Auswahl:

Baturinsky, V. (ed.) Shakhmatnoe Tvorchestvo Botvinnika (in Russian) [The Chess Artistry of Botvinnik], 1965, v. I/III, good condition, hc, 632pp. Baturinsky was president of the USSR Chess federation for many years. Signed on first leaf after cover Robert Fischer May 1966, $575.

Euwe, Dr. M. & Prins, L. Wereldschaaktoernooi Amsterdam 1950 (in Dutch) 1951, very good condition, hc, 280pp. Original signatures of all 20 players: C. B. van den Berg, J. H. Donner, Dr. M. Euwe, J. Foltys, S. Gligoric, H. Golombek, S. Gudmundsson, A. O’Kelly, C. Kottnauer, H. Kramer, M. Najdorf, H. Pilnik, V. Pirc, S. Reshevsky, N. Rossolimo, T. D. van Scheltinga, G. Stahlberg, E. Szabados, Dr. X. Tartacover and Dr. P. Trifunovic, $750.

Gonzalez,J.M. Match Final de Candidatos Fischer-Petrosian (in Spanish) good condition, sc, 95pp. Signed on front cover R. Fischer, $475.

Gunderam, G. Neue Eroffnungswege (in German) 1961, good condition, sc, 144pp. An opening manual of rare and unusual variations. Signed on first leaf after cover R. Fischer, $475.

Auch einige nicht signierte antiquarische Bücher bot Russell an:

Minckwitz, J. (ed.) Deutsche Schachzeitung (in German) 1884 complete, loose issues, good condition, $75.

Neumann, G. R. A. Anderssens Schachpartieen aus den Jahren 1864 und 1865 1866, (in German) fair condition, yellowing brittle pages, sc binding badly split, 127pp., $125.

Philidor, Andre Schachspiel (in German) 1779 fair condition, hc with clear plastic typed label affixed to taped spine, $325.

108. Die Frühjahrs-Auktionen 1996

Bei den Frühjahrsauktionen konnte der kundige Sammler auch wieder günstig und preiswert zu seltenen Schachbüchern kommen.

Moirandat, Basel, versteigerte die im wesentlichen Deutsche Literatur und Philosophie enthaltende Büchersammlung von Guido Jenny. Dabei wurde die Erstausgabe von Heinses Anastasia und das Schachspiel, Frankfurt 1803 für 1100.- (Schätzpreis 450.-) Schweizer Franken zugeschlagen, während ein Bieter für Lavaters Reise nach Kopenhagen im Sommer 1793. Durchaus bloß für Freunde, Zürich oder Hamburg 1794, die eine Darstellung des Schachautomaten des Baron von Kempelen enthält, immerhin 1400.- SF (600.-) investierte. Lessings Kollektaneen zur Literatur, Berlin 1790, welche eine kleine Bibliografie der Schachbücher der Wolfenbüttelnschen Bibliothek enthalten, gingen für vergleichsweise günstige 650.- SF (750.-) an einen Bieter aus Deutschland, während Nicolais Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781, Berlin und Stettin 1783-1787 in wunderschönen Halblederbänden der Zeit, mit farbigen Rückenschildern und goldgeprägten Rückenfileten versehen, einem ebenfalls aus Deutschland angereisten Privatsammler immerhin 2400.- SF (1500.-) wert waren.

Reiss und Sohn, Königstein, hatte da mit den Bietern weniger Glück, denn für die Erstauflage eines französischen Greco: Le ieu des eschets, Paris 1669 hob sich kein müdes Händchen, sodaß das Buch mit einem vom Einlieferer gesetzten Limit von 1400.- DM (1500.-) zurückging. Ein Schnäppchen schien dahingegen die von A. Galland (erstmals um 1710) besorgte französische Übersetzung aus dem Arabischen von Les Mille & une nuits, Paris 1881 zu sein, welche in zehn dekorativen Halblederbänden mit Kopfgoldschnitt der Librairie des Bibliophiles zu haben war. Sie ging für lediglich 450.- DM (650.-) an einen Privatsammler.

Bei Granier wechselte ein Marinelli: Das dreyseitige Schachbrett, oder Art und Weise, auf demselben sich Selbdritte zu unterhalten, Regensburg/Wien 1765 für 650.- (600.-) den Besitzer. Auch die Lithografie Schachspieler III von A. Paul Weber brachte es auf standesgemäße 400.- DM (400.-).

Am bemerkenswertesten fanden wir einen bei Brandes in Braunschweig realisierten Verkauf. Der von Hindenburg verfaßte Bericht Über den Schachspieler des Herrn von Kempelen, Leipzig 1784, ein gerade einmal 56 Seiten umfassendes, aber sehr seltenes Büchlein, wurde von einem Liebhaber für stolze 3600.- DM (600.-) plus 15% plus 7% i.e. 4429.80 DM ersteigert. Das Buch von Ozanam Récréations mathématiques et physiques, Paris 1750, das eine der frühesten Rösselsprung-Darstellungen bringt und das den meisten Bietern als Schach-Item entgangen sein dürfte, ging hingegen zum Ausrufpreis von 800.- DM (1200.-) ebenso in den Rückkauf wie Vuilliers Plaisir et jeux depuis les origines, Paris 1900, ein wunderschönes ebenfalls nicht allgemein bekanntes Buch, das Schach jedoch nur auf einigen Seiten behandelt und das Brandes bereits zum zweiten Mal im Angebot hatte. Es war zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen für 480.- DM (680.-) im Nachkauf noch zu erstehen.

Dennoch erscheinen diese erzielten Bücherpreise geradezu schnäppchenmäßig und paradiesisch niedrig, wenn man bedenkt, daß beispielsweise der ganz normale und gewöhnliche 100.- Dollar-Schaukelstuhl von John F. Kennedy kürzlich bei Sotheby in den USA für 400.000.- Dollar einem Sammler zugeschlagen wurde.

O felix tu collector scacchiae!

  1. Kreuzschach

Dr. Gerhard Hommel, Mainz, weist zu Schachzettel 62 und 100 auf eine Studie aus dem Jahre 1934 hin, die in einem Buch von G. M. Kasparjan (Herausgeber: W. Korolkow) aus dem Jahre 1972 unter der Nummer 17 aufgeführt wird. Sie enthält dieselbe Schlußwendung wie die Studie von Kaminer. Hommel hält die Vorbereitung aber dadurch, daß Weiß seine Dame opfern muß, um das Patt zu vermeiden, für noch viel eleganter als bei Kaminer.

 

Studie Kasparjan
1934

1.Df7! Le3! 2.De7+ g5 3.Kh2 Lg1+! 4.Kxg1 Dc1+ [4…Dd4+ 5.De3!! Dxe3+ 6.Kh2 ]
5.De1+!!
[5.Kh2? Dg1+ 6.Kxg1 Patt!]
5…Dxe1+ 6.Kh2 Df2 7.Ld6! Df4+ 8.g3+ Dxg3+ 9.Lxg3# 1-0

Hommels Russisch-Kenntnisse sind, wie er meint, bescheiden, dennoch kann er den Anmerkungen Kasparjans zur Studie Hinweise auf die Partie von Romanowski vs Löwenfisch sowie auf die Studie von Kaminer entnehmen. Darüber hinaus verweist Kasparjan auf Studien eines gewissen Kordes. Kann ein Leser weiterhelfen?

  1. Schach in der Literatur

In den Erinnerungen der Maria von Manhardt-Mannstein (Schachfigur ist der Mensch! Drei Erdteile sprechen zu einer Frau.) erschienen im Koehler und Voigtlander Verlag, Leipzig 1940 (320 S.), fanden wir im Kapitel Remis die folgende Stelle, die wir auszugsweise zitieren möchten:

„Ich bin keine gute Schachspielerin. … . Ich habe auch nie den Eindruck gehabt, als beherrschte ich das große Schachspiel des Lebens. Auch hier gehöre ich jedenfalls nicht zu den fast zuverlässig Siegenden, sondern wurde ebenfalls öfter matt gesetzt. Ich erwarb nur die Fähigkeit, aus einem immer wieder vom Schicksal erzwungenen Flüchtlingsleben mich für einige Zeit einem neuen Arbeits- und Lebenskreis einzufügen. … . Tatsächlich erlebt fast jeder Mensch in seinem Rahmen ein oder mehrere Male die Stadien aller Schachfiguren an sich selbst. Wer ist nicht schon einmal unter einer größeren Anzahl am leichtesten geopfert worden – wie der Bauer im Schachspiel? Wer hat noch nicht, wie der Läufer, versucht, mit behenden Wendungen drohenden Ereignissen zuvorzukommen? Ist es nicht auch Ihnen schon einmal gelungen, ein paar Rivalen zu überspringen? Fühlten Sie nicht, wenn nun endlich die gerade Bahn vor Ihnen lag, daß Sie wie ein Turm, wie ein gefestigter Mensch im Felde Ihrer Tätigkeit standen? Und haben Sie dann auf Ihrem erreichten gehobenen Posten nicht doch auch schon einmal das ‘Schach dem König!’ oder das ‘Gardez!’ gehört und empfunden? Wußten Sie, ob Sie im Anfang Ihrer Laufbahn auf dem weißen oder dem schwarzen Feld aufgestellt worden waren?
Ich habe gelernt, die Farben der Startfelder nicht mehr sehr ernst zu nehmen. Man kann aus beiden Möglichkeiten durchaus Gewinn ziehen. Sie glauben mir nicht? Es ist doch sehr einfach! Um Schwarz und Weiß unterscheiden zu können, muß man beide Farben kennen. Um das Schöne und Schwere als solches bewerten zu können, muß man es doch erst erlebt haben! Wer behaupten will, auf einem schwarzen Feld zu stehen, muß also doch ziemlich viel Helles, wer sieghaft glaubt, jetzt auf Weiß zu stehen, muß, um das zu empfinden, sehr viel Dunkles erlebt haben. Denn das Licht des Lebens wirkt nur durch die angrenzenden Schatten so hell und die düsteren, schweren Tage sind nur neben der lachenden Freude so dunkel.“

  1. Ludwig Bledow

Zu Schachzettel 104 merkt ein Leser an, daß bereits früher einmal in der Deutschen Schachzeitung darauf hingewiesen worden sei, die aus Bachmanns Buch Aus vergangenen Zeiten, Kagan Verlag, Berlin, entnommene Abbildung könne nicht den 1846 gestorbenen Ludwig Bledow zeigen, da die Photographie erst später entwickelt worden sei. Tatsächlich entwickelte Daguerre aber seine ersten Kameras um das Jahr 1836 und die erste Voigtländer-Kamera mit Objektiv und Einstellupe wurde bereits 1841 erstellt. Auch ist primär nicht klar, warum Bachmann, der ansonsten als durchaus zuverlässig in seiner Berichterstattung zu bezeichnen ist, eine Abbildung hätte bringen sollen, die nicht die angegebene Person darstellt? Wer kann weitere Angaben hierzu machen und kann die Arbeit in der Deutschen Schachzeitung angeben?

  1. Geburtstage und Hochzeiten

Im Jahre 1996, einer Zeit, da in deutschen Landen und Städten fast überall fünfzigjährige Jubiläen und Erinnerungs-Zeremonien gefeiert werden, freuen wir uns über einen außergewöhnlichen Geburtstag ganz besonders: Im Juli 1846 erschien das erste Heft der Schachzeitung, die ab 1871 unter dem Titel Deutsche Schachzeitung erschien. 150 Jahre Deutsche Schachzeitung geben uns den Anlaß, einmal die hauptsächlich verantwortlichen Redakteure der Deutschen Schachzeitung aufzuführen. Wir geben dabei eine erste Annäherung und sind für Vorschläge zur Verbesserung und Korrektur dankbar.

7/1846 – 8/1846 L. Bledow
9/1846 – 1851 W. Hanstein, O. v. Oppen
1851 – 1852 O. v. Oppen, N.D. Nathan
1852 – 1858 O. v. Oppen
1858 – 12/1864 M.Lange, A. Anderssen, Suhle, Hirschfeld
1/1865 – 1866 E. v. Schmidt, J. Minckwitz
1867 – 1871 J. Minckwitz
1872 – 1876 J. Minckwitz, A. Anderssen
1876 – 12/1878 C. Schwede, A. Anderssen
1/1879 – 12/1886 J. Minckwitz
1/1887 – 1891 C. v. Bardeleben, H. v. Gottschall
1892 – 1896 H. v. Gottschall
1897 – S. Tarrasch
1898 J. Berger, P. Lipke
1899 – 1916 J. Berger, C. Schlechter
1917 – 1918 C. Schlechter
1919 – 1921 J. Mieses
1922 – 1923 F. Palitzsch
1924 F. Palitzsch, E. Grünfeld
1925 M. Blümich, F. Palitzsch, E. Grünfeld
1926 M. Blümich, F. Palitzsch
1927 – 1931 M. Blümich, F. Palitzsch, H. Ranneforth
1932 – 2/1942 M. Blümich, H. Ranneforth, J. Halumbirek
3/1942 – 4/1942 H. Ranneforth, J. Halumbirek
5/1942 – 3/1943 Th. Gerbec, J. Halumbirek, H. Ranneforth
4/1943 – 9/1944 L. Rellstab
1950 – 12/1988 R. Teschner

Rellstab hatte im April 1943 die Redaktion der Deutschen Schachzeitung übernommen. Sie war, ausweislich des Textes im Untertitel, „Vereinigt auf die Dauer des Krieges“ mit den Deutschen Schachblättern, dem Schach-Echo und der Problemzeitung Die Schwalbe. Die Zeitung hatte den 99. Jahrgang erreicht. Eingangs des letzten Heftes, das im September 1944 in einem verkleinerten Format von 20 x 13 cm erschien, lautet der Text: „An unsere Leser. Da der Deutschen Schachzeitung im Jahre 1944 nur für fünf Hefte zu je 16 Seiten Papier zur Verfügung steht, kann in diesem Jahre kein weiteres Heft mehr herausgebracht werden. Im Hinblick auf die erforderlichen Maßnahmen für den totalen Krieg ist auf das weitere Erscheinen der Zeitschrift im nächsten Jahre nicht zu rechnen.“

Im Oktober 1950 erschien die Deutsche Schachzeitung unter der Redaktion des Großmeisters Rudolf Teschner erneut. Er vergaß dabei nicht, die Kontinuität zu wahren und auf dem Titelblatt zu vermerken, daß es sich um den 100. Jahrgang der Zeitung handele. Teschner redigierte und führte die Deutsche Schachzeitung erfolgreich mit einer Mischung aus konservativem Layout und solider Berichterstattung bis zum Ende des Jahres 1988. Teschner ist damit mit einer Amtszeit von 39 Jahren der mit Abstand am längsten amtierende Chef-Redakteur einer deutschen Schachzeitung!

In den Jahren 1987 bzw. 1989 kam es sukzessive zur Vereinigung („Hochzeit“) der bis dahin drei größten bundesdeutschen Schachzeitungen Deutsche Schachzeitung, Deutsche Schachblätter und Schach-Report (der seit 1975 bestehende Schach-Report unter seinem Chefredakteur Günter Lossa integrierte 1987 die im Jahre 1952 von Kurt Richter wieder begründeten und zuletzt von Alfred Diel geleiteten Deutschen Schachblätter).

Schließlich ging die Deutsche Schachzeitung/Schach-Report (Chefredakteur: Stefan Bücker) 1997 in der in Berlin erscheinenden Zeitung Schach auf, die von Raj Tischbierek geleitet wird..

  1. Bibliografische Notizen

In AB Bookman’s Weekly vom 1.4.1996 ist ein sechsseitiger Artikel aus der Feder von Joel Silver über Five Centuries of Chess Books erwähnenswert. Eine Kopie der Arbeit kann gerne von uns angefordert werden.

  1. Schach in der Kunst

Die Fondation Maeght in Saint-Paul, Cote d’Azur, Frankreich, veranstaltete vom 5. April – 25. Juni des Jahres 1996 eine Rétrospective der Künstlerin und Bildhauerin Germaine Richier. Germaine Richier (1902-1959) ist sicherlich eine der originellsten Bildhauerinnen unseres Jahrhunderts.

Das Erscheinungsbild Ihrer Schachfiguren verweist auf eine Stimmung, die nicht sehr weit von den Skulpturen Max Ernsts entfernt ist. Germaine Richier war eine reine Bildhauerin, während Ernst jedoch ein begnadeter Künstler war, der die Bildhauerei nur gelegentlich als Ausdrucksmedium nutzte.

Georges Limbour war einer der ersten, der das Schachspiel der Künstlerin beschrieb: „Sie entdeckt, daß das Schachspiel aus traditionellen Figuren von einem Bildhauer modifiziert werden könnte, der, verliebt in erträumte Personen, begierig ist, sie in einem Raum neuer Relationen wiederzufinden. Deshalb stellt sie sich fünf Personen des Spieles vor, die auf einem Schachbrett bewegt werden können, dessen schwarzweiße Felder ersetzt sind durch Mulden und Erhöhungen auf einem reliefartigen Sockel aus Bronze“.

Richier bearbeitet mit ihren Schachfiguren ein altes und immer wieder neu auftauchendes Thema: Die Beziehungen der Menschen zueinander. Bemerkenswert finden wir dabei, daß Richier bei der Darstellung der Figuren und Personen und deren geregelter Fortbewegungsart auf dem Schachbrett keine Bauern kennt, sondern lediglich die Figuren König, Dame, Springer, Läufer und Turm.

Der 240 S. umfassende Katalog (ISBN 2-900923-13-1) der Ausstellung konnte 1996 in einer festen, kartonierten und fadengehefteten Version von der S.A. Librairie, Fondation Maeght, F-06570 Saint-Paul, Frankreich für ca. 260.- FF inklusive Porto angefordert werden.

  1. MOPP – Emanuel Lasker

Wir hatten bereits in Schachzettel 26 auf den Maler Max Oppenheimer hingewiesen. In Menschen finden ihren Maler. Text, Bilder und Graphiken von MOPP, Max Oppenheimer, Verlag Oprecht, Zürich 1938, berichtet Oppenheimer über eine Schachpartie zwischen Lasker (und Beratende) und Teichmann (und Beratende), die diese im Schachklub in Zürich gegeneinander spielten. Wir zitieren: „Da – plötzlich – Lasker verliert die Dame gegen Turm und Springer! Sein Gesicht erstarrt, wird steinern, scharf wölbt sich die Hakennase, die Lider schließen sich verkniffen. Der Gegner soll die Falle nicht merken. Keine Linie verschiebt sich mehr in dieser eisernen Maske, nur eine graue Locke wischt über Stirnfurchen, und sachte verglimmt die Zigarre, dünne Rauchschwaden über das Schlachtfeld breitend. – Nahm Teichmann die Dame (wie es seine Ratgeber wollten), verlor er im Endspiel; nahm er sie nicht, hatte aufs neue sein Gegner die Partie in der Hand. – – – Man gab das Spiel remis, da die Uhrenzeiger den nahenden Morgen verkündeten.“

Ist diese Partie erhalten geblieben? Kann jemand die Notation angeben? Teichmann starb im Juni 1925.

  1. Klaus Junge

Kürzlich rauschten mehrere, im wesentlichen positive Buchbesprechungen über Helmut Riedl, Das Leben und Schaffen von Klaus Junge, Schachfirma Fruth, Unterhaching 1995, durch die bundesrepublikanischen Schachblätter. Wir möchten deshalb keineswegs eine weitere folgen lassen und uns auch nicht an der Debatte über die Gesinnung und Motive des jugendlichen Klaus Junge, dem James Dean der Deutschen Schach-Aficionados (denn sie wissen nicht was sie tun), beteiligen, können aber nicht umhin, auf die dort abgedruckte und bislang nicht beachtete Endspielanalyse von Junge über das Endspiel König und zwei Springer gegen König und Bauer hinzuweisen, die unseres Wissens einen bislang nicht bekannten Beitrag zu diesem Thema darstellt (siehe auch Zettel 17).

  1. Tal vs Botwinnik 1960

Einen schachlichen Leckerbissen stellt das von Hanon Russell, Milford, USA, herausgegebene Buch von Tal über seinen Zweikampf mit Botwinnik im Jahre 1960 dar. Die von Tal in diesem Buch (Tal Botvinnik 1960, Match for the World Chess Championship by Mikhail Tal., Russell Enterprises, Milford 1996) gemachten Kommentare und Anmerkungen zu Verlauf und Psychodynamik des Kampfes sind von hoher Qualität, sodaß das Buch unseres Erachtens durchaus mit dem Kronjuwel der Schach- und Turnierbücher, nämlich Bronsteins Buch über Zürich 1953, zu vergleichen ist.

Russell, der die russische Originalausgabe bereits im Jahr 1970 übersetzte, hat das Buch nunmehr in vierter Auflage (1. Aufl. 1970, 2. Aufl. 1972, 3. Aufl. 1976), aber erstmals in algebraischer Notation herausgegeben. Das 213 S. umfassende Buch ist im Klebebindeverfahren hergestellt und in einem klaren, übersichtlichen Layout gehalten. Das verwendete Englisch ist gut und leicht lesbar und hebt sich wohltuend vom Englisch eines Yasser Seirawan in Inside Chess ab. Das Buch kann von der Schachfirma Manuel Fruth in Unterhaching, die das Alleinvertriebsrecht für Deutschland, Österreich und die Schweiz besitzt, bezogen werden.

  1. Kreuzschach

Das Thema scheint unerschöpflich (siehe Zettel 62 und 100). Von Robert Schopf, Wiesbaden, stammen die folgenden Hinweise. Die Studie von G. Kordes ist in dem Buch von Bondarenko Das Werden einer Schachstudie, Nr. 235, S. 146: 2. Pr. Rigaer Tageblatt, 1895 verzeichnet.

 

 

Studie Kordes
Rigaer Tageblatt, 1895


1.Lc7 De1+ 2.Kh2 Dxf2 3.Ld6 Df4+! Falle. Die Dame kann man nicht nehmen.


4.g3+ Dxg3+ 5.Lxg3# 1-0

Außerdem gibt Jan van Reek in Endspielstudie zwischen Theorie und Artistik, Verlag H.-W. Fink, Koblenz 1993, zur Studie Nr. 173 von Kaminer auf S. 73 ff. den Hinweis: Diese Zugzwangstellung ist aus einer Studie Amelungs aus dem Jahre 1830 ?? (1896!) bestens bekannt. Dabei findet sich die Studie von F. Amelung (1896), erschienen im Deutschen Wochenschach, unter der Nr. 540 a auf S. 208 des Buches von Jan van Reek.

 

 

Studie Amelung
Deutsches Wochenschach, 1896

1…Df4+ 2.g3+ Dxg3+ 3.Lxg3# 1-0

  1. Harald Falk aus Hamburg

Serge Klarsfeld, Paris, verdanken wir die folgenden Angaben, welche uns über das Schicksal des bedeutenden deutschen Schachbuchsammlers jüdischer Abstammung Harald Falk aus Hamburg (siehe auch Zettel 64 und 80 sowie den zusammenhängenden Artikel über Falk) Auskunft geben.

Harald Falk hatte sich zusammen mit seiner deutschen („arischen“) Ehefrau in die von der Wehrmacht zunächst nicht besetzte „Vichy-Zone“ Frankreichs begeben und wurde Anfang März 1944 in der rue Alsacienne (oder Lasacrenne) Nr. 6 in Mende (Lozére), Südfrankreich, von der Gestapo gefaßt und nach Montpellier, dem regionalen Zentrum, gebracht. Am 10. März 1944 wurde er nach Drancy in ein von den Behörden errichtetes Sammellager bei Paris transportiert, wo er in Block 9.4 interniert war. 17 Tage später, am 27. März 1944, verließ ein Transport, es war der Konvoi Nr. 70, den nahe gelegenen Bahnhof Paris-Bobigny. In einem der überfüllten Güterwaggons war auch Harald Falk aus Hamburg. Sein Name ist auf der uns in Kopie vorliegenden Original- „Abschubliste“ des Beauftragten der Sicherheitspolizei in Frankreich, Referat IV 4 b (das Referat Eichmanns), unter der Nummer 217 aufgeführt. Der Zug erreichte Ausschwitz am 30. März 1944. Von den 1025 (609 männlichen und 416 weiblichen) Personen, wurden etwa 380 Männer für den Arbeitsdienst selektiert und unter den Matrikelnummern 176096 bis 176475, die in der Regel auf die Unterarme tätowiert wurden, registriert. 520 Menschen wurden sofort vergast. Von diesem Transport gab es im Jahre 1945 noch 152 Überlebende, davon 73 Frauen (Serge Klarsfeld, Le Calendrier de la Persécution des Juifs en France 1940-1944, Paris 1993). Harald Falk, geb. am 27.7.1905 in Hamburg, war nicht darunter.

  1. Ein Lied der Vernunft in Wien

Schach: Die Welt in 64 Feldern hieß eine vom 2. Mai bis 30. Juni im Jüdischen Museum in Wien (Direktor: Julius Schoeps) von Dr. Ernst Strouhal und Mitarbeitern veranstaltete Ausstellung zur Geschichte des Schachspiels. Sinn des Projektes von Strouhal war es, über die Ausstellung möglichst viele Menschen anzusprechen, die ansonsten kein Museum (und schon gar kein jüdisches Museum) besuchen. Die Ausstellung wurde am 2. Mai mit einem Simultanmatch der Schachweltmeisterin Zsuzsa Polgar gegen 20 Gegner begonnen. Danach wurde im Erdgeschoß ein Großmeisterturnier ausgetragen, das von GM Gad Rechlis Israel mit 7,5 Punkten vor GM Alexander Chernin 6,5 Pkte. gewonnen wurde. In den Ausstellungsräumen im ersten Stock des Gebäudes waren in Glasvitrinen alte Schachspiele aus Elfenbein und Porzellan zu sehen. Dabei führten die aus aller Welt stammenden Schachspiele in 48 verschiedenen Positionen die Partie Rubinstein vs Grünfeld, Karlsbad 1929 vor.

Neben einem täglichen Filmfestival („Schach im Film“) und der Präsentation des österreichischen Computerprogramms „Nimzo“ war vor allem die Schachwerkstatt für Kinder ein wesentlicher Bestandteil der Veranstaltungen. Täglich besuchte – betreut von vier Museumspädagoginnen – eine Schulklasse die Ausstellung. Die Kinder produzierten aus Ton Schachspiele, diese wurden fotografiert und Teil der Ausstellung.

Relevant für Kunst- und Spielhistoriker war schließlich der interdisziplinäre Workshop des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften Wien (IFK) vom 3.-4. Mai. Zum Thema „Kunst, Schach und Wissenschaft“ referierten und diskutierten unter anderem Jurij Averbach (Moskau), Harald Balló (Offenbach/Main), Ricardo Calvo (Madrid), Nathan Divinsky (Vancouver), Michael Ehn (Wien), Barbara und Hans Holländer (Aachen), Isaak Linder (Moskau), Jean Mennerat (Paris), Joachim Petzold (Berlin), Helmut Pfleger (München), Wolfram Runkel (Hamburg), Lothar Schmid (Bamberg), Ernst Strouhal (Wien) und Ken Whyld (Leicester).

Zur Ausstellung erschien im Springer Verlag Wien New York das Buch von Ernst Strouhal: Acht mal Acht. Zur Kunst des Schachspiels. Das großformatige, 480 Seiten mit rund 300 Abb., 32 Farbtafeln und 150 Schachpartien mit 450 Diagrammen umfassende Buch (ISBN 3-211-82775-7) war 1996 für ca. DM 130.- in einer Hardcover-Version zu erwerben. Inzwischen ist es mit einem anderen Einband z.B. beim Beyer-Verlag, Hollfeld, für DM 29.80 zu kaufen.

Die Ausstellung und sämtliche Rahmenveranstaltungen werden mit einer Kunst-Schachtel für Sammler von der Hochschule für angewandte Kunst in Wien dokumentiert. Die Schachtel erscheint im Oktober 1996 in einer limitierten Auflage von 64 Stück. Jede Schachtel ist individuell gestaltet und enthält: Computeranimation auf Video von Axel Stockburger, Diskette mit den Vorträgen des IFK-Workshops, Audiocassette der zweistündigen ORF-Sendung zum Thema Schach vom 11.5.1996, handgefertigtes Turnierbuch des Großmeisterturniers, Ausstellungsplakat, Schachfotos und Schach-Chemografien von Lisl Ponger und Marcelo Wiegele-Slama, eine Schachfigur vom Turnier (beschriftet, datiert und mit Partienummer und Namen der Spieler/innen versehen).

Die Kunstschachtel „Ein Lied der Vernunft“ kann bestellt werden bei: Hochschule für angewandte Kunst (Lehrkanzel für Philosophie, Monika Kaczek), Oskar-Kokoschka-Platz 2, 1010 Wien (Fax.: 00431/71133-222). Der Subskriptionspreis des Sammlerstückes beträgt ÖS 2800.-/DM 400.-/$ 280.- zuzügl. Versand (gültig bis 30. 9. 1996), dabei ist die Box auch mit dem Ausstellungskatalog zusammen (in einer Paperback-Version) im „Doppelpack“ für DM 485.-/ÖS 3400.-/$340.- zu haben.

  1. Peter Heinrich Holthaus und Greco

Zu Schachzettel 106 kann Manfred Mittelbach, Hamburg, das von Holthaus zitierte Buch angeben. Es handelt sich bei dem gesuchten Buch um Das Schachspiel. Ein Bild des menschlichen Lebens in dreyssig philosophischen Skizzen, Dessau 1784 wobei Mittelbach als Verfasser des Büchleins einen Sardenheim angibt.

Tim Hagemann, Tübingen, verdanken wir die Mitteilung, daß die in Zettel 106 abgedruckte Partie nicht von Holthaus, sondern von Greco stammt und sich in Hirschels Sammlung (Breslau 1784) auf Seite 31 (elftes Spiel) findet. Der wackere Schulmeister hat also nicht nur Philidor sondern auch den Greco zumindest in Hirschels Übersetzung gekannt.

  1. Fallen, Fehler, Schwindel und Verluste

Zu Zettel 97 führt Tareq Syed, Frankfurt/M., die folgende bislang wenig „gewürdigte“ Partie von Robert Fischer an, die dieser aus einer völlig hoffnungslosen Stellung heraus noch gewinnen konnte, dabei sicherlich von der Zeitnot des Gegners profitierend.

 

 

Redolfi, A – Fischer, R [B52]
Mar del Plata, 29.03.1959

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.Lb5+ Ld7 4.Lxd7+ Dxd7 5.Sc3 Sc6 6.d4 cxd4 7.Sxd4 g6 8.0-0 Lg7 9.Le3 Sf6 10.f3 0-0 11.Dd2 Tac8 12.Tad1 Tfd8 13.Tf2 Sb8 14.b3 d5 15.Sxd5 Sxd5 16.exd5 Dxd5 17.c4 Dc5 18.Tff1 a6 19.Df2 Da5 20.h3 Dc3 21.Tc1 Da5 22.Tcd1 Td6 23.f4 Sc6 24.Sxc6 Tdxc6 25.Td7 T6c7 26.Tfd1 Lf6 27.Td8+ Kg7 28.Lb6 Db4 29.Lxc7 Txc730.T8d7 Tc6 31.Kh2 b5 32.Tb7 Te6 33.Td2 Dc3 34.cxb5 Da1 35.g3 Lc3 36.Td3 Te1 37.bxa6 Tb1 38.Tbd7 Lb4 39.a7 Lc5 40.Dxc5 Th1+ 0-1

Schwein gehabt! Schach ist eben doch ein Glückspiel.

  1. Seineu pfant sol im nieman nemen

Michael Ehn, Wien, sichtet derzeit das Wiener Stadtrecht nach Aspekten, die mit dem Schachspiel zu tun haben. Dabei fand er im ältesten Stadrechtsprivileg deutscher Sprache, die folgende, vor 700 Jahren am 12.2.1296 von Herzog Albrecht I. gegebene Passage. Sie handelt davon, daß man einem Studenten bei einem Spiel (worunter Würfel, Tric Trac, Schach und andere fallen) nur soviel abnehmen darf, als er bei sich trägt, nicht aber sein Gewand oder seine Bücher, die als „Pfänder“ bezeichnet werden. Der Gesetzgeber hoffte offensichtlich, daß Studenten dadurch zu unattraktiven Spielpartnern würden und sich daher umso fleißiger mit ihrem Studium beschäftigten.

Im Original: „Swelich schuler spilt in der tabern, der sol niht mere mugen verlisen, denne er beraiter pfenninge bi im habe, sein gewant, seineu buch oder ander seineu pfant sol im nieman nemen, swivil er verliuset; damit wellen wir erweren, daz nieman mit in spil und irre lernunge dester vleizziger werden“.

  1. Erich Wolfsfeld

Nach Angaben von Gerd Schowalter, Bad Kreuznach, hat der Maler Erich Wolfsfeld um 1920 eine Radierung erstellt, bei der es sich um eine Abbildung der Spieler Harry N. Pillsbury und Showalter handelt. Kann jemand weitere Angaben über den Maler und die hier abgebildeten Spieler machen? Uns scheint es eher unwahrscheinlich, daß es sich bei der Abbildung um ein Porträt von Pillsbury handelt. Pillsbury starb 33jährig am 17. Juni 1906 und wir kennen kein Photo, das ihn in älteren Jahren zeigt.

  1. Schach in der Literatur

Herbert Huber, Wasserburg, sendet uns Auszüge aus dem von ihm redigierten Wasserburger Schachexpreß mit einer bemerkenswerten Aufstellung von Büchern zum Thema Schach in der Literatur. Hier ein von Huber geliefertes Beispiel. Lino Aldani, Doppelschach. Aus dem Italienischen von Hilde Linnert (In: Lino Aldani: Verfinsterung. Heyne Verlag, München 1983) ist eine Science Fiction Story aus einer überbevölkerten Welt. Begleitend zur Haupthandlung spielt der Erzähler eine Schachpartie gegen einen unbesiegbaren Computer. Zugrunde liegt dabei die Partie Lasker-Delmar, New York 1892, allerdings wird sie, sowohl was die Zugfolge, als auch was den Schluß betrifft, falsch wiedergegeben. Immerhin hat der Autor sie sehr bewußt ausgewählt. Lasker fängt in der Partie die schwarze Dame, der wieder einmal der Bauernraub auf b2 nicht gut tut. Auch in der SF-Story geht es nämlich darum, was mit Elena geschieht.

Im Oktober 1892 hatte sich Lasker auf Einladung des New Yorker Schachklubs in die USA begeben. Im Manhattan Chess Club hatte er einen Monat lang gegen die stärksten Spieler kleine Wettkämpfe von je drei Partien zu spielen. Für diese Veranstaltungen wurde wegen des starken Publikumsandranges ein Eintrittsgeld erhoben. Insgesamt verlor Lasker von 15 Spielen nur eines (gegen Hodges) und nur eines wurde Remis (gegen Delmar) (Ludwig Rellstab, Dr. Emanuel Lasker [=Weltgeschichte des Schachs Band 11], Wildhagen, Hamburg 1958). Hier folgt eine der beiden (tatsächlich gespielten) Gewinnpartien gegen Delmar.

 

Lasker, E – Delmar, E [D02]
Simultan New York, 1892

1.d4 e6 2.Sf3 d5 3.Lg5 f6 4.Lf4 Ld6 5.Lg3 Se7 6.Sbd2 Lxg3 7.hxg3 Dd6? [7…c5 8.dxc5 (8.e3 Sbc6 ; 8.c3 b6 9.e3 Dd6 ) 8…Da5 ]


8.e4 dxe4 9.Sxe4 Db4+ [besser ist 9…Dd8 ]


10.c3 Dxb2 11.Sfd2 0-0 12.Tb1 Dxa2 13.Sc4 Da6 14.Scd6 Dxd6 [14…Dc6 15.Lb5 Dd5 16.c4 ; 14…Da5 15.Tb5 Da3 16.Tbh5 cxd6 17.Txh7 Kf7 18.Dh5+ Sg6 19.Txg7+ Ke8 20.Dxg6+ Kd8 21.Dxf6+ ]


15.Sxd6 1-0

  1. Tigran Petrosian

Claus van de Vlierd, Oldenburg, ist ein großer Bewunderer des Defensiv-Stils von Tigran Petrosian. Er teilt mit, daß Petrosian in Lew Abramow’s Broschüre über den WM-Kampf 1966 gegen Spassky (Weltmeisterschaft 1966 Petrosjan-Spassky, Wildhagen, Hamburg 1966) auf der letzten Seite schreibt, er habe 1946 in einem UdSSR-Meisterschafts-Halbfinale in Tiflis einen enttäuschenden vorletzten Platz geteilt. In Andrew Soltis’ Petrosian the Powerful (Dallas 1990) steht auf S. 14 genauer, daß Petrosian seine allerersten Erfahrungen mit einem schlechten 16. Platz in einem Feld von 18 Teilnehmern in einem der Halbfinale von 1946 gemacht habe. Auch Victor Vasiliev schreibt in der russischen Ausgabe von Schisn schachmatista T. Petrosian (Erevan 1969) über dieses Turnier und gibt als Teilnehmer Petrosian, Aronin, Makogonov, Mikenas, Lissitzin, Vasiliev (der Autor?), Sagorjanskij, Ufimzev, Veressov und Sololskij an. Leider fehlen aber auch hier die exakten Turnierergebnisse, meint van de Vlierd. Schließlich fehlen auch in der Partiesammlung Petrosians (Shektman, The Games of Tigran Petrosian 1942 – 1945, Pergamon Press 1991) jegliche Angaben über dieses Turnier und auch Shektman in Strategia nadeschnocti (über Petrosian, Moskau 1985) listet auf der Seite 392 zwar eine Tabelle „aller“ (?) Turnierergebnisse von Petrosian auf, aber das ominöse UdSSR-Halbfinale 1946 fehlt wiederum. Kann jemand die vollständige Turniertabelle des UdSSR-Halbfinales in Erevan 1946 angeben und vielleicht sogar die gespielten Partien liefern?

  1. Schachsammler dieser Welt

Der französische Humanist und Begründer des Essays als literarischer Gattung Michel Eyquem de Montaigne (1533-1592) schrieb einmal: „Zu Hause begebe ich mich häufig in meine Bibliothek … . Dort verbringe ich die meisten Tage meines Lebens und die meisten Stunden des Tages. Das ist mein Bereich. Ich versuche ihn ganz zu beherrschen, und diesen einzigen Winkel der Gemeinschaft mit meiner Frau und meiner Tochter sowie den Besuchern, zu entziehen.“ (nach Buck, August: Humanismus. Seine europäische Entwicklung in Dokumenten und Darstellungen, Freiburg/München 1987). Wer wird dies in dieser arbeitsreichen Zeit noch sagen können? Dennoch mag sich der eine oder andere Schachbuchsammler in Montaignes Darstellung wiederfinden.

Die größten Schachbüchersammlungen finden sich anerkanntermaßen in der Königlichen Bibliothek zu Den Haag, Holland, und der Öffentlichen Bibliothek von Cleveland, USA. Von beiden Sammlungen existieren Kataloge, die den Bücherbestand erschließen helfen. Die größte und bedeutendste Anhäufung von Schachbüchern (etwa 13000 Einheiten) in Deutschland scheint in den Händen von L. Schmid, Bamberg, zu sein (nach Caputto, Zoilo: El arte del Estudio de ajedrez, Band 3, Buenos Aires, August 1996). Weitere, größere Schachbücherbestände (etwa 6000 Einheiten) sind erst kürzlich nach dem Tode von Gerd Meyer in die Landesbibliothek von Schleswig-Holstein nach Kiel übergegangen. In Norddeutschland befindet sich bei dem Juristen Egbert Meissenburg auch eine weitere, wenn auch mit einer geschätzten Anzahl von etwa 4000 Einheiten weitaus kleinere Schachbuchsammlung in privaten Händen (nach Linder, Isaak und Wladimir: Schach. Das Lexikon. Sportverlag, Berlin 1996). Insgesamt jedoch ist die Informationslage über die Anzahl und das Ausmaß existierender Sammlungen in Deutschland und der Welt sowie über die Motivation zu deren Pflege sehr dürftig. Wir planen deshalb eingedenk der oben gegebenen Worte Montaignes, im Rahmen einer eigenständigen Publikation unter dem Titel „Die Fliegenden Schachzettel“ Schachsammler dieser Welt zu Worte kommen zu lassen, damit diese über ihre Sammlungen und ihre Motive zum Sammeln berichten können. Dabei soll die Größe einer Sammlung keineswegs der Maßstab für die Aufnahme in die Schrift sein. Vielmehr sollen mit dieser Bestandsaufnahme auch erste Kontaktaufnahmen zwischen Sammlern erfolgen können. Gedacht ist an eine Publikation, wie sie seinerzeit Dr. Meindert Niemeijer mit seinen Schaakbibliotheken im Jahre 1948 realisierte. Darüber hinaus ist eine Veröffentlichung auf diesen Seiten geplant. Bislang liegen uns nach entsprechenden Bemühungen Beiträge bzw. Zusagen zu solchen aus den USA, England, Frankreich, Belgien und Deutschland vor. Jeder Interessierte möge sich bitte mit entsprechenden Vorschlägen und Beiträgen an hallo@ballo.de wenden.

  1. Alexander Aljechin

Wolfgang Franz, Oberdiebach, verdanken wir die folgenden Ausführungen: Der 100. Geburtstag (im August 1988) des wohl kreativsten aller Schachweltmeister brachte eine Flut neuer Bücher. Hervorzuheben sind neben der Biographie von Linder (Linder, Isaac und Wladimir: Das Schachgenie Aljechin, Sportverlag, Berlin 1992) vor allem die Partiensammlungen von Donaldson et al. (Donaldson et al.: Alekhine in the Americas, ICE. Seattle, 1992) und Kalendowsky und Fiala (Kalendowsky/Fiala: Complete Games of Alekhine. Vol. 1: 1892-1921, Olomouc 1992). Letztere haben in bisher unbekannten russischen Quellen viel Neues aufgestöbert, während sich das Team um den amerikanischen Großmeister vor allem auf Simultanveranstaltungen konzentrierte und aus zahllosen Quellen fast 800 Partien ausgrub. Wenig später folgte eine umfangreiche Sammlung von Varnusz (Varnusz: Aljechin, der Größte. 1111 Partien eines Lebenswerkes. Becker, Velten 1995), der allerdings aus schwer verständlichen Gründen die meisten Verlustpartien Aljechins ignorierte. Damit steht der Fan-Gemeinde neben den unsterblichen Werken aus Aljechins eigener Feder, dem 1984 neu aufgelegten 2-Bänden von Kotow (Kotow: Das Schacherbe Aljechins, Bd. 1 u. 2, Olms, Zürich 1984), von Müller (Müller und Pawelczak: Schachgenie Aljechin. 2. Aufl., Das Schach-Archiv., Hamburg 1962) und der 1989 ins Englische übertragenen Arbeit von Moran (Moran, Pablo: A. Alekhine. Agony of a Chess Genius. Jefferson, McFarland 1989) erstklassiges Studienmaterial zur Verfügung. Für Dezember 1996 ist überdies ein 1200 Seiten starker Band mit über 2500 Partien angekündigt (Skinner und Verhoeven: Complete Games of Alekhine. Jefferson, McFarland voraussichtlich Dezember 1996).

Für Sammler und Schachhistoriker bleibt das Thema wohl noch lange interessant, vermutet man doch neue Funde aus Aljechins Nachlass in Paris. Bei der enormen Reiseleistung des Weltmeisters können jedoch auch andernorts immer wieder kleinere Entdeckungen gemacht werden, wie die in den Zetteln 76, 87 und 96 veröffentlichten Partien gegen den Ministerialrat Kraft zeigen.

In der Hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden fanden 1929 zehn Partien des Weltmeisterschafts-Kampfes gegen Efim Bogoljubow statt. Nach Beendigung eines solchen Duells liefern heutige Großmeister bestenfalls noch eine Analyse nebst Pressekonferenz. Damals hingegen bot man den heimischen Interessenten noch vier Tage Weltklasse-Schach zum Anfassen. Das Wiesbadener Tagblatt vom 21. November meldet für Freitag, den 15.11.1929 eine Beratungspartie von Aljechin und Orbach gegen Bogoljubow und Dr. Seitz (1 : 0). Am Samstag fand eine Simultan-Veranstaltung der beiden Großmeister gegen dieselben 26 Gegner statt, d.h. jeder der Spieler hatte zwei Bretter zu versorgen. Aljechin behielt eine weiße Weste, während Bogoljubow viermal unterlag (Strauß, Krause, Menz, Hiegemann) und zweimal Remis gab (Jüthe, Becker). Am Sonntag von 17 bis 24 Uhr spielte Aljechin freie Partien, wobei er nur gegen Strauß verlor und gegen Menz remisierte (Bogoljubow: +18 =8 -9). Seine Gewinnpartie gegen Dr. Müller ist leider die einzige Partie, die aus diesen Tagen erhalten geblieben ist (s.a. Donaldson Bd. 2, 327 – dort irrtümlich als Simultan angegeben). Am Montag folgte noch eine Blindsimultanveranstaltung an acht Brettern (+6 =0 -2 Jung, Strauß u. Hiegemann).

Aljechin, A – Dr. Müller [C15]
Simultan Wiesbaden, 1929

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.Ld3 dxe4 5.Lxe4 Sf6 6.Lf3 Sd5 7.Sge2 Sc6 8.0-0 Sce7 9.Se4 Sg6 10.c3 Le7 11.g3 c6 12.h4 h5 13.c4 Sf6 14.S2c3 e5 15.Le3 Sg4 16.d5 f5 17.d6 Lxh4 18.d7+ Dxd7 19.Sd6+ Ke7 20.Lc5 Ke6 21.Dc2 e4 22.Lxg4 hxg4 23.Scxe4 Lf6 24.Sg5+ Lxg5 25.Dxf5+ Ke7 26.Dxg5+ Kf8 27.Dxg6 1-0

Dreizehn Jahre später sah Wiesbaden den Weltmeister unter weniger erfreulichen Umständen wieder. Nach einem Besuch im Standortlazarett war er am 16. Mai 1942 Hauptakteur einer KdF (Kraft durch Freude)-Veranstaltung im Wiesbadener Paulinen-Schlößchen. Sportlich war die Angelegenheit ein Erfolg: bei 32 Siegen und 2 Remisen mußte er lediglich – wie schon 1929 – Schachfreund Hiegemann die Hand reichen. (Wiesbadener Tagblatt, 18.5.1942).

Wolfgang Franz teilt weiter mit, daß er inzwischen mehr als 500 Bücher und Zeitschriften ausgewertet und daraus eine Datei im ChessBase-Format mit mehr als 2000 Partien erstellt habe. Dabei gilt sein besonderer Dank auch dem Wiesbadener Sammler Willi Most. Ein Großteil der Partien ist kommentiert und mit tausenden von Fundstellen-Angaben versehen. Natürlich bleibt Vollständigkeit ein unerreichbares Ziel, meint Franz, doch in der Hoffnung, auf diesem Wege Helfer zu finden, stellt er Interessierten gerne seine Datenbank zur Verfügung wobei er für noch unveröffentlichtes Material sehr dankbar ist. Seine Adresse: Wolfgang Franz, Kirchstr. 1, 55413 Oberdiebach. Tel.: 06743-2578; e-mail: ufr@tap.de.

  1. Erich Wolfsfeld

Dietmar Friedrich weist im Zusammenhang mit SZ 124 auf das in Stolze, Raimund et al.: Umkämpfte Krone, Sportverlag 2. Aufl., Berlin 1988 auf Seite 59 abgebildete Foto hin, bei dem es sich um eine Darstellung von David Janowski und Emanuel Lasker anläßlich ihres zweiten Wettkampfes im Jahre 1910 handelt. Es weist eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Radierung von Wolfskehl hinsichtlich Bild-Konzeption und -Anlage als auch hinsichtlich der abgebildeten Personen und Gegenstände auf. Vielleicht, so Friedrich, diente dieses Foto dem Künstler als Vorlage?!

  1. Stefan Zweigs Schachnovelle in Paris

Curd Jürgens à la Française? Nein! Kein Vergleich. Während eines kurzen Aufenthaltes im Juni 1996 in Paris besuchten wir im kleinen Théatre du Tourtour in der rue Quincampoix, in der Nähe der Metrostation Chatelet, ein von Yves Kerboul in Szene gesetztes Theaterstück nach der Novelle von Stefan Zweig.

Der Schauspieler André Salzet war einfach verblüffend und fesselnd. Wir haben die Schachnovelle gelesen, ja, aber durch die Darstellung Salzets erfühlten wir diese tragische Geschichte. Der Schauspieler erschien ganz alleine auf der kargen, nur mit einem Stuhl ausgestatteten Bühne und stellte alleine durch seine schauspielerische Leistung die Ansichten und Gedanken des Autoren auf sehr eindrückliche Weise dar. Er bringt uns zum Lachen, wenn er den neureichen und bornierten Schotten spielt, der um jeden Preis weiter gegen den Weltmeister Centovic verlieren will. Er bringt uns zum Weinen, wenn er über die totale Isolation während seiner Gefangenschaft in der Gestapohaft erzählt. Aber vor allen Dingen bringt er uns zum Zittern, als er zu der Passage gelangt, in der er eine Partie Schach gegen sich selbst spielt. André Salzet spielt, schwitzt (sein Hemd ist im sommerlichen Paris schweißgetränkt), lebt und belebt die Angst des Irrsinns, der wir sprachlos und mit offenem Mund ergriffen folgen, ohne zu wagen uns zu bewegen, ohne zu wagen zu atmen dabei fürchtend, daß er wirklich verrückt werde.

Es ist wirklich eine sehenswerte Darstellung, die man nicht verpassen sollte, selbst wenn man nicht Französisch spricht, denn André Salzet lebt diese Geschichte als ob er sie selbst erlebt hat.

  1. Der Mann, der das Schweigen brach

Eigentlich wollten wir nur lesen und nichts mehr vom Schach hören oder sehen, als wir nach dem anstrengenden Schachturnier in Wien 1996 für unseren Urlaub nach Afiesl in Oberösterreich in die Nähe der tschechischen Grenze fuhren. Dennoch holten uns selbst in diesem verlassenen Stück Natur das Schach und die neuere deutsche Geschichte ein, so als ob es vor beiden für uns kein Entrinnen gebe.

Der zweiten Auflage des bei Ullstein in Frankfurt/M. 1987 erschienenen Buches Der Mann, der das Schweigen brach (Amerikan. Originalausgabe: Breaking the Silence, Simon and Schuster, New York 1986) von Walter Laqueur und Richard Breitman entnehmen wir die folgenden Informationen (S. 104 ff., S. 111, S. 115-116 sowie Anm. S. 280).

Der in Düsseldorf am 4. Januar 1891 geborene Eduard Schulte hatte in den vierziger Jahren als Direktor der schlesischen Giesche-Werke, die vornehmlich im später kriegswichtigen Zink- und Stahlbau tätig war, eine herausgehobene Position inne. Schulte gehörte mit Krupp, Abs und anderen zu den etwa 25 persönlich von Hermann Göring ausgewählten Wirtschaftsgrößen, die am Spätnachmittag des 20. Februar 1933 in Berlin zu einem Treffen mit Adolf Hitler eingeladen worden waren, um vor den anstehenden März-Wahlen für die NSDAP um Unterstützung in der Wirtschaft zu werben. Infolge seiner Position gelangte Schulte bereits im Sommer 1942 in den Besitz von Informationen, die bewiesen, daß die nationalsozialistische Führungsspitze die Vernichtung der europäischen Juden plante und dabei Blausäure-Gas einsetzen wollte. Schulte, der zur Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten häufig und regelmäßig nach Zürich in die Schweiz fuhr, hatte unverdächtige und ausreichende Gelegenheit, die Information über die Bedrohung von Millionen von Menschen den Alliierten zu übermitteln. Er war sich darüber klargeworden, daß seine Information über die drohende Tragödie an die führenden jüdischen Institutionen nach Amerika weitergeleitet werden mußte. Doch wer kam in Frage, diese verzweifelt wichtige Information weiterzuleiten? Er traf deshalb Ende Juli 1942 in Zürich mit Isidor Koppelmann zusammen, einem Mitarbeiter der Internationalen Kapital-Anlage Gesellschaft, und erzählte ihm von dem Vernichtungsplan der Nationalsozialisten. Koppelmann kannte Schulte als seriösen und bedachten Geschäftsmann und glaubte die beunruhigenden Nachrichten, meinte aber, daß er die führenden Schweizer Juden und die diplomatischen Emissäre nicht sehr gut kenne – er bewege sich gewöhnlich nicht in diesen Kreisen. Schulte bat Koppelmann, noch einmal genau nachzudenken. Koppelmann fiel Sagalowitz ein. Wir zitieren: „Koppelmann beschloß, auf der Stelle Sagalowitz anzurufen. Eine weibliche Stimme meldete sich; es war die Gefährtin von Sagalowitz. Nein, er sei nicht in der Stadt. Er sei in Lausanne und nähme dort an der jährlichen Schweizer Schachmeisterschaft teil. Er werde in fünf oder sechs Tagen zurück sein. Koppelmann rief das Beau Rivage in Lausanne an. Sagalowitz war nicht dort. Er versuchte es im Hotel du Chateau. Ja, bestätigte der Mann von der Vermittlung, der Herr Doktor gehöre zu den Gästen des Hauses. Aber die Meisterschaft sei noch im Gange, und er habe strenge Anweisung, keinen der Spieler ausrufen zu lassen – sie dürften auf keinen Fall gestört werden. Koppelmann hinterließ eine dringende Nachricht.

Binnen einer Stunde rief Sagalowitz zurück. Koppelmann erklärte ihm, daß sich eine Angelegenheit von ernstester Bedeutung ergeben habe. Nur Sagalowitz sei in der Lage, ihr gerecht zu werden – ob es möglich wäre, daß er für einen Tag nach Zürich komme? Sagalowitz hielt das für ausgeschlossen. Es handele sich um das erste größere Schachturnier seit Ausbruch des Krieges. Schach war seine große Leidenschaft; er war stellvertretender Vorsitzender seines Schachclubs in Zürich, und eine Zeitlang hatte er mit dem großen Emanuel Lasker korrespondiert. Verließe er jetzt das Turnier, und sei es auch nur für einen Tag, würde er in die allergrößten Schwierigkeiten kommen; seine Chancen für ein gutes Abschneiden wären dahin. Sicherlich würde doch eine Verzögerung von einigen Tagen nicht allzuviel ausmachen. Koppelmann sagte, er hätte die Bitte garnicht erst geäußert, wenn es in der Sache nicht um Leben und Tod ginge.“ … „Der einigermaßen ratlose Sagalowitz klagte, daß ausgerechnet ihm jedes nur erdenkliche Unglück passieren müsse. Er hatte sich lange auf das Turnier gefreut.“ … „Seine Chance, an der Spitze seiner Gruppe abzuschließen, war nicht gut. Dennoch hielt er es für eine Zumutung, von ihm zu verlangen, mitten während des Turniers, wo es so viel Interessantes zu sehen, so viel zu lernen gab, nach Zürich zu fahren.“ … „Aber Sagalowitz hatte sich noch nie einer Bitte um Hilfe verschlossen. Und deshalb erklärte er sich nach kurzer Überlegung bereit, am nächsten Tag einen Zug nach Zürich zu nehmen. Bevor er abreiste, sprach er mit dem obersten Schiedsrichter des Turniers, der Sagalowitz zusagte, daß er seine Partie für einen anderen Abend ansetzen werde.“

Die Information über die geplante Vernichtung der den Nazis mißliebigen Menschen (nicht nur Juden), wurde schließlich an die britischen und amerikanischen Behörden weitergeleitet, fand jedoch, wie wir wissen, kein ausreichendes Gehör, um die Katastrophe zu verhindern.

Eduard Schulte, der Mann, der das Schweigen brach, lebte nach dem Krieg unerkannt in Zürich. Er schwieg zeitlebens über seine Tat. Er starb im Januar 1966 an den Folgen eines inoperablen Magen-Carcinomes. Benjamin Sagalowitz, der die Information nach England und Amerika weiterleiten konnte, war damals 41 Jahre alt. Auch er ist, ebenso wie Koppelmann, bereits lange tot. Schultes Unternehmen, die in Schlesien gelegenen Giesche-Werke, haben das Jahr 1945 nicht überstanden, sie fielen an Polen; und die Russen demontierten das was von Giesches Zinkhütte in Magdeburg übriggeblieben war und schafften es in die Sowjetunion, wo es verrottete.

Wie wir weiter erfahren haben, kannte der leider vor etwa vier Wochen verstorbene Alois Nagler Benjamin Sagalowitz. Nagler war auch bei dem Turnier in Lausanne anwesend gewesen. Wir sind leider nicht im Besitz der Schweizer Schachzeitung dieser Jahre, doch müßte das Turnier im Juli/August 1942 seinen Niederschlag in dieser Schachzeitung gefunden haben. Auch die Neue Züricher Zeitung wird über dieses Turnier berichtet haben. Kann jemand aus der Schweiz helfen?

  1. Kreuzschach

Dr. Michael Schlosser und Dr. Rainer Staudte, beide Chemnitz, können zu der in den Schach-Zetteln 62, 100, 109 und 118 diskutierten Studie von Kaminer noch neun (!) weitere Studien mit (nahezu) derselben Schlußwendung mitteilen. Darunter sind auch zwei von Cordes (Der Autor schreibt sich mit C, wobei das K im Buch von Ksparjan von der russischen Transkription stammt). Allerdings kommt es in lediglich drei der neun mitgeteilten Studien zu einem Kreuzschach, weshalb wir sie an dieser Stelle bringen.

Studie Kasparjan
Schachmaty w SSSR, 1934

1.Df7! Le3! 2.De7+ g5 3.Kh2 Lg1+ 4.Kxg1 Dc1+ [4…Dd4+ 5.De3 Dxe3+ 6.Kh2 ]
5.De1+!! Dxe1+ 6.Kh2 Df2 7.Ld6 Df4+ 8.g3+ Dxg3+ 9.Lxg3# 1-0

 

 

Studie Kasparjan
Schachmaty w SSSR, 1934


1.Lh2+ Kh4 2.Txe2! fxe2 3.Lc7 e1D+ 4.Kh2 Df2 5.Ld6 Df4+ 6.g3+ Dxg3+ 7.Lxg3# 1-0

 

Studie Wotawa
Deutsche Schachzeitung, 1939

1.Le8! axb5 2.Lh5 Dd2 3.Lf7 Dc2 4.Le6! Dc4+ 5.b3+ 1-0

133. Tigran Petrosian

Walter Mooij, Niederlande, und Michael Ehn, Österreich, teilen beide zu SZ 126 mit, daß die von Claus van de Vlierd gesuchte Tabelle in der Nr. 11/12 von Schachmaty w SSSR 1946 zu finden ist. Dabei handelt es sich um einen Bericht des verstorbenen IM Piotr Romanowsky über die drei Halbfinale der sowjetischen Meisterschaften in Moskau, Leningrad und Tiflis. Petrosian ist in der Tabelle von Tiflis tatsächlich als geteilter 16/17. verzeichnet. Leider, so meint Michael Ehn, gibt es weder ein Turnierbuch noch ein Bulletin des in Rede stehenden Turniers in Tiflis. Walter Mooij teilt weiter mit, daß in Schachmaty vier Partiennotationen aufgeführt sind, zwei Partien aus dem Halbfinale in Moskau (Sieger: Alatorzew), eine Partie aus Leningrad (Sieger: Bronstein und Dubinin) und eine Partie aus dem Halbfinale in Tiflis (Sieger: Ufimzew). Es handelt sich bei letzterer um eine Partie zwischen Makagonow und Batuew.

  1. Großmutter Tze Hsi

Michael Ehn, Österreich, teilt auch die folgende Stelle aus Pu Yi: Ich war Kaiser von China. Die Autobiographie des letzten chinesischen Kaisers (1906-1967), Carl Hanser, München 1973 mit. Pu Yi berichtet darin über seine grausame Großmutter Tze Hsi, eine ehemalige Konkubine des Kaisers Hsiän Feng, spätere „westliche Kaiserinwitwe“, die China mehr als 50 Jahre lang beherrschte. Dort findet sich auf S. 15: „Tatsächlich waren Tze Hsis Wutausbrüche während ihrer zweiten Regentschaft noch unberechenbarer geworden. Jeder kannte die Geschichte des Eunuchen, der im Eifer des Schachspiels ungeschickt genug war auszurufen, ‘der Sklave schlägt dieses Pferd des Erhabenen Stammvaters’ (die Kaiserinwitwe ließ sich gern als Mann anreden). Tze Hsi geriet darüber so in Rage, daß sie ihn augenblicklich hinausschleifen und zu Tode prügeln ließ.“ Auf S. 41 findet sich die entsprechende Illustration („Tze Hsi und ein Eunuche beim Schachspiel“), das dargestellte Spiel, meint Ehn ist aber seltsamerweise eindeutig Go!

  1. Tigran Petrosian Curacao 1962

Claus van de Vlierd verdanken wir die folgenden Ausführungen. Er fragt: Wollte/durfte Efim Geller 1962/63 nicht Schachweltmeister werden?! Das Ansehen Petrosians als Schachweltmeister scheint u.a. immer noch dadurch überschattet zu werden, daß sein Sieg im Kandidatenturnier in Curacao 1962 nicht recht überzeugend ausfiel (1. Petrosjan 17,5, 2.-3. Keres, Geller 17,0 etc.. Es wurde vermutet, daß die Partien zwischen diesen drei Spielern allesamt vorher abgesprochen worden waren. Alle 12 Partien zwischen diesen drei Spielern endeten nämlich mit einem Remis unter 30 Zügen bei einer durchschnittlichen Partienlänge von 19 Zügen. Van de Vlierd fiel bei Durchsicht des Turnierverlaufs insbesondere folgendes auf:

In Runde 24 (von 27) wurde die Partie Geller – Petrosjan in sehr scharfer Stellung nach 18. … 0-0-0 (Geller hatte kurz rochiert) mit Remis beendet (1. e4 c6 2. d4 d5 3. e5 Lf5 4. Ld3 Ld3: 5. Dd3: e6 6. Sf3 Da5+ 7. Sbd2 Da6 8. c4 Se7 9. 0-0 Sd7 10. b3 Sf5 11. Lb2 h5 12. a4 Le7 13. Dc3 g5 14. b4 g4 15. Se1 dc4: 16. Sc4: Sb6 17. Sb6: Db6: 18. Sc2 0-0-0 remis). Dabei lautete der Turnierstand vor dieser Runde:

Petrosian 15,0 (22)
Geller 14,5 (23)
Keres 14,0 (21 plus Hängepartie gegen Fischer mit unklarer Stellung).

Geller hätte folglich mit einem Sieg über Petrosian in dieser Runde gute Chancen auf den Turniersieg erhalten, während das Remis diese Chance praktisch vergab.

Victor Vasiliev „erklärt“ in seiner Petrosjan – Biographie „Schisn schachmatista T. Petrosjana“ (Erewan 1969) Gellers Remis-Akzeptanz damit, daß Geller nach seiner Niederlage in der vorherigen, 23. Runde gegen Fischer keine Chance mehr gehabt habe, sowohl Petrosian als auch Keres einzuholen. Dies ist jedoch in Anbetracht des Tabellenstandes und der Tatsache, daß noch die Partie gegen Keres anstand (mit Geller als Weißem!) offenkundig falsch ist. Warum verzichtete also Geller mit diesem Remis nach 18. .. 0-0-0 praktisch darauf, das Turnier eventuell zu gewinnen und Herausforderer von Botwinnik zu werden?! Gab es eine Art Gentlemen’s (??) Agreement zwischen den drei Beteiligten (Petrosian, Keres und Geller), alle Partien zu remisieren und fühlte sich Geller auch in dieser Partie, die den Höhepunkt seiner Karriere hätte einleiten können, an dieses zweifelhafte Abkommen gebunden ?!

(Bobby Fischer behauptete später Ähnliches in einem Artikel, der Ende 1962 auch im Spiegel abgedruckt wurde). Oder hoffte Geller, so zumindest den 2. Platz zu erreichen, der damals nach Ansicht vieler Beobachter ebenfalls zu einem WM-Match gereicht hätte (in der Berichterstattung des Schach-Echo zu Curacao 1962 wird angedeutet, daß Botwinnik eventuell auf die Titelverteidigung verzichten wolle)? Flohr schreibt in der Weltgeschichte des Schach, Broschüre WM 1963 Botwinnik-Petrosian, daß er vor dem Wettkampf eine Wette auf „Botwinniks Verzicht“ gesetzt und verloren habe?! Im holländischen Bulletin zu Curacao 1962 schreibt Withuis, daß die Partie „Geller-Petrosian, 24. Runde“ an Petrosians Geburtstag (17.6.) gespielt worden sei. Man kann aber wohl kaum ernsthaft unterstellen, daß Geller ihm per Remis sozusagen als Geburtstagsgeschenk einen WM-Kampf schenken wollte, den er selbst noch hätte erreichen können?!

Oder aber liegt die Erklärung einfach technisch darin, daß nach 18. .. 0-0-0 Petrosjan schon besser stand?! (diese wäre Claus van de Vlierd als „Petrosian-Fan“ die liebste Erklärung). Kortschnoi behauptet in seinem Buch Ein Leben für das Schach, daß die ersten drei Teilnehmer des Turniers ein Remis-Abkommen geschlossen hätten, zu dem es aber offenbar keine genaueren Informationen gäbe?! Die Frage von Claus van de Vlierd lautet also letztlich: Weiß jemand mehr über die Hintergründe und über eventuell geheime Abmachungen zu Curacao 1962, von denen gerüchteweise immer berichtet wird? Auf eine diesbezügliche (wohl etwas naive) schriftliche Anfrage bei GM E. Geller im Januar 1996 hat van de Vlierd keine Antwort erhalten.

  1. Erich Wolfsfeld

Thomas Heck, Tübingen, weist auf die außerordentlich gute künstlerische Qualität der Radierung von Erich Wolfsfeld (Schach-Zettel 124 und 129) hin. Bei einer Radierung zeichnet der Künstler mit einer Radiernadel in eine Metallplatte. Säure frißt sich durch die Zeichnung auf die Platte, die dann eingefärbt wird. So können mehrere Originalabzüge derselben Platte erstellt werden. Heck, der die Radierung mit den extremen Maßen 64×82 cm besitzt, hat sich ausführlich mit dem Künstler beschäftigt. Aus der Monografie von Adolph Donath über Erich Wolfsfeld, Berlin 1920, ist zu entnehmen, daß der Künstler sich an Rembrandt und Menzel, Greiner und Klinger schulte. Das Blatt ist in Elizabeth Furness: The Etchings of Erich Wolfsfeld, London 1979 unter der Nummer 51 aufgeführt und ist nicht um 1920, sondern um 1912 zu datieren. Donath nennt dieses „das erste der großen Formate, das seinen Namen weithin trug“ (S. 7) und das „erste seiner Kapitalblätter“ (S. 8).

Über die abgebildeten Personen spekuliert Donath, der Jüngere sehe aus wie ein Amerikaner. Heck selbst sah einmal ein Inserat, in dem ein Anbieter die beiden Abgebildeten als Emanuel Lasker und Gustav Mahler bezeichnete. Leider, so Heck, gelang eine Kontaktaufnahme nicht, sodaß er den Wahrheitsgehalt dieser Information nicht prüfen konnte.

  1. Münchner Neueste Nachrichten

Eine Fundgrube für den Schachhistoriker ist die Rubrik Schachzeitung der Münchner Neuesten Nachrichten, die seinerzeit die auflagenstärkste Tageszeitung des Deutschen Reiches mit einer Morgen- und einer Abendausgabe unter der Woche war. H.-W. Fink, Koblenz, hat deren Jahrgänge 58 (1905) bis 86 (1933) im Rahmen seiner Arbeiten an einem Buch über Rudolf Spielmann durchforstet.

Bis Oktober 1905 wurde die Schachzeitung von Rechtsanwalt Straßl redigiert, dann von E. v. Parish (vgl. SZ 49) übernommen, der in der Folge mehr und mehr in Spielmanns Schatten geriet. Auch nach Spielmanns zeitweiliger Rückkehr in das Zentrum der Donaumonarchie im September 1910, als Oberstleutnant Kürschner die Leitung übernahm, hatte der Wiener maßgeblichen Anteil an der Gestaltung der Sparte. Die Berichterstattung brach bei Ausbruch des Weltkrieges ab – zwischen Ende Juli und Anfang November 1914 ruhte sie gänzlich – und blieb „mangels Masse“ bis Mitte 1918 vornehmlich auf Regionales sowie das Problem- und Studienwesen beschränkt. Wann genau die Redaktion von dem damals in München wohnenden Tarrasch übernommen wurde, ist nicht ganz klar, doch muß es um die Jahresmitte 1915 gewesen sein. Auf jeden Fall erscheint ab Mitte September des gleichen Jahres die Schachzeitung fast stets mit dem Zusatz: „Bearbeitet von Dr. Tarrasch“.

Ihre große Zeit hatte die Schachzeitung indes in dem Jahrzehnt vor dem Weltkrieg, als Spielmann die Rubrik für namhafte Autoren, denen er offenbar etwas zu verdienen geben wollte, öffnete. Als Kommentatoren konnte er zu jener Zeit S. Alapin, O. Bernstein, E. Cohn, M. Eljaschoff, A. Niemzowitsch, D. Przepiórka, G.A. Rothlewi u.a. gewinnen. Breiten Raum nahm die Berichterstattung über den WM-Kampf Lasker-Tarrasch 1908 ein, dessen Partien der Weltmeister glossierte. Der gute Geist der Schachzeitung war aber Spielmann selbst, und er war auch der Verfasser der meisten Kommentare und Artikel – auch solcher, die nicht namentlich gekennzeichnet sind, wie aus bestimmten Formulierungen und Zusammenhängen hervorgeht. Im übrigen blieb Spielmann der Schachzeitung bis in die frühen dreißiger Jahre als mehr oder minder regelmäßig in Erscheinung tretender Mitarbeiter verbunden.

Im folgenden Zettel bringen wir einen Aufsatz zum Berufsschachmeisterproblem – einer Thematik, der Spielmann zeitlebens sein Interesse in einer Reihe von Artikeln sowie einigen Kapiteln seiner Schrift Ein Rundflug durch die Schachwelt (Leipzig 1919) zuwandte und die angesichts des von Kasparow hervorgerufenen Schismas in der Schachwelt auch heute noch ihre Aktualität bewahrt hat. Bekanntlich plante die von Kasparow zerstörte GMA, eine Art Rentenversicherung für Schachspieler zu begründen.

  1. Schachproletariat

„Es ist eine bittere Tatsache, daß der Beruf des Schachmeistes noch immer nicht jene Anerkennung gefunden hat, die ihm von Rechts wegen zukommen sollte, ja daß man heute sogar von einem Schachproletariat sprechen muß. Meister, die ihre ganze Jugendkraft dem Spiel geopfert haben, die das denkbar unruhigste, anstrengendste und aufreibendste Leben geführt haben, sind recht oft in ihrem Alter gezwungen, sich die größten Entbehrungen aufzuerlegen. Daß hier Abhilfe dringend not tut, wurde schon früher erkannt. Im Jahre 1900 wurde in München ein Schachmeisterverband ins Leben gerufen, der zwar heute noch auf dem Papier besteht, von dessen Tätigkeit aber seit der Gründung so gut wie nichts zu bemerken ist, also ein mißglückter Versuch. Sicherlich traf ein erheblicher Teil der Schuld die Vorstandschaft, die zu sehr ihre eigenen Interessen im Auge hatte und zu wenig Arbeitskraft und Selbstlosigkeit der gemeinsamen Sache zuwendete. Wenn ich heute die Anregung gebe, von neuem eine Organisation zu schaffen, so treibt mich dazu die innerste Ueberzeugung, daß unter Führung der geeigneten Persönlichkeit eine Verbesserung des Schachmeisterloses zu ermöglichen wäre. Tausende und Abertausende aus allen Berufskreisen sind heute organisiert und ordnen sich einer einzigen tatkräftigen Führung unter, und warum sollten gerade die Berufsschachmeister, deren Zahl gegenwärtig kaum 40 beträgt, nicht imstande sein, ihre eigenen Interessen dem Gesamtwohl nachzustellen? Wäre es nicht möglich, den Schachmeistern, die sich in ihrem Beruf erschöpfen, den noch mangelnden Korpsgeist zu schaffen, ihre Ziellosigkeit durch ein Streben nach einem festen Ziele zu ersetzen?

Um solche Reorganisationspläne in Anregung zu bringen, muß man sich zunächst die Frage beantworten, ob eine Änderung der bisherigen Lage auch allgemein als notwendig erachtet wird. Leider finden sich noch immer Gegner – allerdings in kleinerer Zahl als früher -, die der althergebrachten Anschauung sind, daß das Schachspiel als Beruf keine Existenzberechtigung habe, daß es sogar schädlich wäre, durch Verbesserung das Gros der Schachmeister zu vermehren. „Wir wollen keine Schachathleten züchten“ hat vor wenigen Jahren eine der angesehensten Fachzeitungen erklärt. Dieser Standpunkt kann wohl jetzt als überwunden angesehen werden. Keinem Rennfahrer, keinem Preisboxer kann es verdacht werden, wenn er seine soziale Lage verbessern will. Es gibt für ihn eine Organisation, die seinen Ansprüchen Schutz gewährt. Der Schachmeister aber, der zwar ein weniger zahlreiches Publikum hat, diesem aber dafür umso wertvollere Anregung und geistigen Gewinn bietet, er sollte seine Existenzberechtigung weniger vertreten dürfen und wollen? Jede Kunstgattung, jedes Gewerbe, alle Wissenschaften, kurz jeder Zweig der menschlichen Erwerbstätigkeit ist organisiert, nur der Berufsschachspieler nicht, und gerade ihm täte ein zielbewußtes agitatorisches Wirken am meisten not. Einer tatkräftigen Organisation müßte es z.B. gelungen sein, bei dem Komitee des kürzlich verunglückten New-York-Havanna-Turniers durchzusetzen, daß die beteiligten Meister für den ihnen verursachten Verlust schadlos gehalten werden. So lange aber die Schachmeister schutz- und führerlos sind und von zwiespältigen Interessen geleitet werden, so lange werden sie der Willkür gewissenloser und leichtsinniger Arrangeure ausgesetzt sein.

Die erste und vornehmste Aufgabe einer Schachmeistervereinigung würde darin bestehen, den alternden, berufsunfähig gewordenen Schachmeistern eine, wenn auch bescheidene Rente zu sichern und dadurch die mit Recht mißachtete „Schachschnorrerei“ aus der Welt zu schaffen. Hierzu müßte ein Fonds ins Leben gerufen werden, und da sollten es in erster Linie die Schachmeister selbst sein, die im eigenen Interesse Beiträge zu ihm leisten müßten, Beiträge, die in einem prozentualen Vrehältnis zu den gewonnenen Preisen und ihren eventuellen sonstigen Schacheinnahmen stehen könnten. Ich denke, daß analog den Pensionsbestimmungen für die Sänger, Schauspieler, Artisten etc. 3-5 % genügen würden, und das ist wahrlich nicht zu viel verlangt. Selbstverständlich würden dann auch höhere Einzahlungen einen Anspruch auf eine höhere Rente begründen. Einer zielbewußten Organisation würde es wohl auch gelingen, jene Gönner für einen derartigen Fonds zu interessieren, die bisher nur Einzelunterstützungen an mittellose Schachmeister verabfolgt haben. Es ist anzunehmen, daß vermögende Schachfreunde Zuwendungen lieber und wohl auch ausgiebiger einem allgemeinen humanitären Schachzweck widmen würden, als vorübergehende, ganz zwecklose Almosen zu gewähren, die von den Gebern in den meisten Fällen nur als eine Belästigung, von den Empfängern als eine Beschämung empfunden werden. Ein Zustand, der das Ansehen und die Standesehre der Schachmeister auf das empfindlichste schädigt. Der Beruf des Schachmeisters hat hinsichtlich gesicherter Lebensführung mit den fortschreitenden Jahren nicht Schritt gehalten. Noch heute wären derart traurige und für die gesamte Schachwelt blamable Fälle möglich, wie das Ende von La Bourdonnais, Zuckertort, Dufresne, Steinitz und anderen, die ihre hervorragenden Geisteskräfte ihrem Beruf geopfert haben, ohne daß ihnen dieser Halt und Schutz in ihren alten Tagen gewähren konnte.

Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die sich einer solchen Vereinigung entgegenstellen würden. Man wird mir vorhalten, daß auch unsere Zeit für einen Umschwung im Schachmeisterberuf noch nicht reif genug ist. Leider ist diese Anschauung nicht ganz unberechtigt. In den Reihen der Schachmeister finden noch zu viele Kleinkriege statt, die natürlich die Kräfte für einen gemeinsamen Kampf zersplittern. Die Schachmeister bekämpfen sich nicht nur in ihren Turnierpartien, sondern setzen die Feindseligkeiten auch sonst im Leben fort. Sie sind zum Teil nicht imstande, den Kampf auf den 64 Feldern von dem Lebenskampfe zu trennen. Psychologisch ist das bei ihrem eigenartigen Berufe leicht erklärlich, und das Amt eines Vorstandes der Schachmeistervereinigung wäre daher mit manchen Unannehmlichkeiten verbunden und würde eine unermüdliche Arbeitskraft, gepaart mit Energie und Uneigennützigkeit, erfordern. Hoffentlich finden sich aber trotzdem Persönlichkeiten, die vor der Uebernahme solch schweren Amtes nicht zurückschrecken. Wenn die angeregte Umgestaltung einmal Platz greifen wird – und schließlich muß es dazu kommen -, dann wird auch die irrige Meinung, die die Gesellschaft noch teilweise von dem „Berufsschächer“ hat, schwinden und es werden bessere Tage für ihn anbrechen.“

Soweit der Aufsatz Spielmanns aus den Münchner Neuesten Nachrichten.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf das Buch von Michael Ehn (Hrsg.): Rudolf Spielmann. Portrait eines Schachmeisters in Texten und Partien, Koblenz: Verlag H.-W. Fink (Trierer Straße 73, 56072 Koblenz), 1996, in welchem der hier wiedergegebene Text nicht enthalten ist.

  1. Tarraschs Grab

Herbert Graf, Augsburg, verdanken wir den Hinweis auf das Photo von Tarraschs Grab. Carsten Köhler, Maintal, stellt uns freundlicherweise die im Bayernteil der Rochade Europa (9/96) erstmals gegebene Abbildung von Tarraschs Grab, Münchner Nordfriedhof, Parz. Nr. 128 zur Verfügung (siehe SZ 95).

Photo: J. Steinbeck, München

  1. Samuel Reshevsky

Den Münchner Neuesten Nachrichten Nr. 73 (1920) entnehmen wir den folgenden Beitrag von Dr. Tarrasch, der uns freundlicherweise von Hans-Wilhelm Fink zur Kenntnis gebracht wurde.

„Das achtjährige Schachwunderkind S. Reszewski erregt gegenwärtig in Berlin großes Aufsehen, wie wir bereits an anderer Stelle mitgeteilt haben. An sich betrachtet, also ohne Berücksichtigung seines Alters, sind seine Leistungen keineswegs hervorragend, wie aus der folgenden Partie hervorgeht, die er ohne Ansicht von Brett und Figuren gegen den bekannten Meister C. v. Bardeleben gespielt hat:

 

Reschewsky, S – von Bardeleben, C [A54]
Blindseance Berlin 1920, Muenchner Neueste Nachrichten

1.d4 R. spielt blind
1…d6 2.c4 Sd7 3.Sc3 e5 4.Sf3 Sgf6 5.e3 b6 6.d5
bis hierher alles konventionell, dieser Zug aber ist unmotoviert und schlecht, da er dem feindlichen Springer das Feld c5 freigibt
6…Le7 7.Ld3 Sc5 8.Lc2 Lg4
besser a5
9.b4 Scd7 10.h3 Lh5 11.g4 Lg6 12.e4 a5
Weiß hätte gerüstet sein müssen, diesen Zug mit a3 zu beantworten, damit der Springer nicht wieder nach c5 gehen kann
13.b5 Sc5 14.De2 h6 15.La3 Sfd7 16.h4 h5 17.g5 Dc8 18.Tb1
was in aller Welt soll der Turm hier?
18…Dd8 19.Tg1 Dc8 20.Th1 Dd8

Nach diesen mysteriösen Zügen wurde die Partie als remis abgebrochen, obwohl sie eigentlich erst recht anfangen müßte, da noch alle Steine auf dem Brett sind. Diese Talentprobe ist also nicht überwältigend; ein ideenloses Hin- und Herziehen.

Eine wirkliche Talentprobe dagegen hat der Kleine in einer Partie gegen einen der besten Berliner Amateure, Herrn Sämisch, gegeben. 

 

Reschewsky, S – Saemisch, F [E50]
Berlin 1920, Neueste Muenchner Nachrichten

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.Sf3 0-0 5.e3 c5 6.Ld3 b6 7.De2 Lb7 8.0-0 d6 9.Td1? schematisch gespielt; Sd1 nebst a3 hätte den Läufer b4 in Gefahr gebracht
9…Lxc3 10.bxc3 Se4 11.Lxe4 Lxe4 12.Se1
besser Sd2
12…De7 13.f3 Lb7 14.e4 Sc6 15.Sc2
das ganze ganze Spiel krankt an der schlechten Springerstellung
15…Sa5 16.d5 exd5 17.cxd5 f5!
Schwarz hat den Gegner total überspielt
18.Te1 Tae8 19.c4? La6 20.Sa3 fxe4 21.fxe4 Sxc4!! 22.Sxc4 Df6
droht Dd4+
23.Le3 Txe4 24.Tac1 Tfe8 25.Dd3 De7
entscheidend war Dh4. Weiß war offenbar in sehr übler Lage; es droht Lxc4 nebst Txe3 und auf Lf2 oder Ld2 gewinnt Lxc4. Da brachte der Kleine mit
26.Dxe4!
ein Damenopfer, das jedem Meister Ehre gemacht hätte. Nach
26…Dxe4 27.Sxd6 Dxe3+
[nach 27…Dg6 28.Sxe8 behält Weiß die Türme für die Dame und hat einen gefährlichen Freibauern]
28.Txe3 Txe3
hat Weiß das Treffen einigermaßen wiederhergestellt, allerdings ist das Endspiel für ihn verloren, die Partie wurde jedoch nach weiteren 10 Zügen
29.Td1 Te5 30.a4 Kf8 31.Sb5 Lxb5 32.axb5 Ke7 33.Ta1 Txd5 34.Txa7+ Td7 35.Ta6 Tb7 36.Kf2 Kd6 37.Ke3 Kd5 38.Kd3 1/2-1/2

 nach vierstündigem Spiel in für Schwarz gewonnener Stellung als remis abgebrochen.

Die ganze Partie hat der Kleine nicht gut gespielt, aber das Damenopfer ist hübsch und überraschend und verrät Talent. – Auch der Versuch des Wunderkindes, sich im Massenspiel gegen 20 oder 22 Gegner zu produzieren, muß als gescheitert betrachtet werden. Nach fünfstündigem Spiel waren nur sechs Partien beendet, die übrigen Partien mußten abgeschätzt werden. Damit war die Vorstellung mißlungen, obwohl der Kleine die sechs beendeten Partien gewonnen hat und in der Mehrzahl der anderen besser stand. Beim Simultanspiel kommt es eben darauf an, rasch zu spielen. Eine Vorstellung von 20 Partien muß in 3 – 4 Stunden beendet sein.

An sich also sind die Leistungen des achtjährigen Wunderkindes nicht hervorragend. Vor vier Jahren übrigens, bei seinem ersten Auftreten in Warschau, zählte es sechs Jahre; Wunderkinder altern langsam. Bleibt also nur die Jugend zu bewundern. Ein kleines Kind spielt Schach; es stümpert nicht, sondern spielt wirklich Schach wie ein Erwachsener und mit Erwachsenen; da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich! Nach meiner Ansicht ist es nicht schwer, ein gut begabtes Kind im Alter von 5-6 Jahren, wenn man es auf alles andere verzichten läßt, im Schach so auszubilden, daß es dieses schwierige Spiel versteht und mittelmäßig spielen kann. Und nun ist der Kleine offenbar in den letzten Jahren äußerst fleißig trainiert worden, was man an seinen Eröffnungen merkt. Bei der ganzen Sache finde ich nichts Wunderbares. Es hat einmal ein Schachwunderkind gegeben, das im Alter von 12 Jahren schon meisterhaft spielte; das war der berühmte Paul Morphy, der später alles niederwarf, was sich ihm entgegenstellte. Von ihm will ich in der nächsten Nummer eine Partie bringen, die er im Alter von 12 Jahren blindlings spielte. Welch eine Fülle von Ideen, welche Genialität der Spielführung schon damals! Davon ist bei dem neuen Wunderkind vorläufig nicht viel zu merken. Aber vielleicht entwickelt es sich noch! Einseitiges Training vermag Wunder zu wirken.“

Tarrasch beleuchtet das „Wunderkind“-Phänomen in pointierter und amüsanter Weise. Der Text könnte auf so manches sogenannte Wunderkind unserer Tage zutreffen. Bekanntlich hat spätestens Laszlo Polgar, Budapest, den Nachweis erbracht, daß sehr gute und gute schachliche Leistungen mit sehr früher und kontinuierlicher Trainingsarbeit erzielt werden können.

  1. Normando José Ivaldi

Erst ganz kürzlich haben wir von Prof. Zoilo Caputto, Argentinien, erfahren, daß Normando José Ivaldi, Argentinien, (siehe Zettel 86) am 25.2.1996 verstorben ist.

  1. Philidor Katalog Dreux

Von dem in Zettel 72 berichteten und wegen der geringen Auflage seinerzeit rasch vergriffenen Katalog der Ausstellung zu Dreux Philidor et son Temps hat die Stadt Dreux eine sehr gut gemachte Kopie (zweiseitig) erstellt. Wie uns Guy Tinlot, Adjoint au Maire, 1996 mitteilte, waren seinerzeit noch etwa 15 Exemplare des Kataloges vorrätig und konnten kostenfrei abgegeben werden. Interessenten wenden sich bitte an Ville de Dreux, Boite Postale 129, F – 28103 Dreux Cedex.

  1. Die Fünf Frankfurter

Sjoerd C. van Ketel, Leiden, fragt in einer rezenten Ausgabe von Philemat, dem Vereinsorgan der Amicale Philatelique Themechecs, nach den Fünf Frankfurtern. In der Nr. 43 des gleichen Periodikums wird mitgeteilt, es handele sich um die Brüder Rothschild. Kann jemand diese Aussage bestätigen?

  1. Tübinger Beiträge

Dr. Hans Ellinger, Tübingen, veröffentlicht in Band drei seiner Reihe Tübinger Beiträge zum Thema Schach den von Ralf Woelk im Rahmen einer Diplomarbeit an der Gesamthochschule in Duisburg im Jahre 1993 verfaßten Text: Schach unterm Hakenkreuz. Politische Einflüsse auf das Schachspiel im Dritten Reich. Das Büchlein hat 129 + 4 Seiten und ist für DM 19.80 im Buchhandel oder direkt beim Verlag (Promos Verlag, Postfach 7265, 72785 Pfullingen) zu beziehen. Jedem, der die Arbeit von Woelk noch nicht besitzt (Matthias Burkhalter, Schindelacher, CH – Rümligen vertreibt eine nicht gebundene, kopierte Version der Originalarbeit), sei der Bezug dringend angeraten. Woelks Arbeit wurde von den beiden begutachtenden Professoren jeweils mit der Note „1″ ausgezeichnet, die beide Professoren in ihrer 40jährigen Tätigkeit bis dahin noch nicht vergeben hatten.

  1. In eigener Sache

Den Lesern, die noch keine Kenntnis der erstmals im August 1994 in der Schachzeitung Deutsche Schachzeitung/Schach-Report (Hollfeld) und ab Januar 1997 in Deutsche Schachzeitung/Schach (Berlin) erschienenen Schach-Zettel haben, möchten wir an dieser Stelle nur ganz kurz die Zielsetzung unserer Rubrik darlegen und dabei gleichzeitig um zahlreiche Mitarbeit bitten.

Es war unseres Wissens der Franzose Gaston Legrain, der als Erster in numerierter Abfolge schachlich interessante Aspekte thematisierte. Unter der Überschrift „Les Curiosités de L’Échiquier“ (Die Ungewöhnlichkeiten des Schachbretts) publizierte er in seinen ab 1925 alle drei Monate erscheinenden „Les Cahiers de L’Échiquier Francais“ (Die Hefte des französischen Schachbrettes) in losem Zusammenhang eben die Neuigkeiten des Schachs, die auch uns heute interessieren. Schach-Zettel möchte für den interessierten Schachspieler und Schachliebhaber interessante Aspekte des Schachs, die sonst allzu leicht in Vergessenheit geraten könnten, aufgreifen und eine Plattform zu deren Diskussion liefern. Dabei mag es in der Zukunft möglich sein, Zettel gleicher Thematik längsschnittartig über die Zeit hinweg zu bündeln und in einer eigenständigen Publikation zusammenzufassen. In der Vergangenheit gelang es uns bereits dank der Mithilfe zahlreicher Schachfreunde erfolgreich, bislang nicht bekanntes, schachhistorisch wichtiges Material an die Öffentlichkeit zu bringen.

Auch in der neuen Umgebung des Internets sind weiterhin Beiträge aller Art, so sie Fragen, Antworten, Anmerkungen, Vorschläge, Kritik oder sonstige das Schach betreffende Themen beinhalten, erwünscht. Wie bisher werden wir versuchen, ein Forum zu liefern. Dabei wird die Einwilligung in die Publikation im Rahmen der „Schach-Zettel“ vorausgesetzt, ansonsten bitten wir, dem ausdrücklich zu widersprechen. Schach-Zettels Traum, in Anlehnung an den großen Arno Schmidt, ist dabei eine möglichst rege und engagierte Teilnahme der Leser.

Wir bitten Sie, alle Zuschriften per email zu richten an: Hallo@Ballo.de

  1. Paul Keres 1942

Die Position von Keres im europäischen Schachleben der 30er und 40er Jahre und deren Beurteilung ist Gegenstand der rezenten Schachgeschichtsforschung. Paul Keres Entwicklung ist von nicht unerheblichen Interesse für die Beurteilung der Entwicklung des Sowjetschachs nach dem Krieg. Spekulieren kann man insbesondere darüber, inwieweit Keres’ schachliche Aktivitäten während des Zweiten Weltkrieges in den Augen der Sowjets kompromittierenden Charakter haben konnten und ihn, den Angehörigen eines baltischen Staates, der in der Folge des von Deutschland verlorenen Zweiten Weltkrieges seine nationale Selbständigkeit verloren hatte, zum Spielball sowjetischer Schachfunktionäre werden ließen und auf seinem Wege zur Weltmeisterwürde behinderten.

Igor Zdanov, Riga, sendet uns die folgende, bislang noch nicht veröffentlichte Beratungspartie von Keres aus dem Jahre 1942. Wie Friedrich Löchner, Heilbronn, über dessen Vermittlung wir den Brief Zdanovs erhielten, mitteilt, hat Igor Zdanov u.a. 1991 das Internationale Senioren-Open (36 Teilnehmer aus acht Nationen) in Heilbronn gewonnen.

Zdanov schreibt in fehlerfreiem Deutsch: „In meinen alten Papieren habe ich eine interessante Partie gefunden. In den Kriegsjahren war ich einige Zeit als ‘Schachreferent’ bei der lettischen Berufsverbandorganisation ‘Erholung durch Lebensfreude’ (ähnlich der Organisation ‘Kraft durch Freude’ in Deutschland). Ich organisierte verschiedene Turniere und andere Veranstaltungen. Das Schachleben war damals ganz rege. Im Jahre 1942 lud ich den Großmeister Paul Keres nach Riga ein. Dabei half mir wesentlich der Leiter der Schachspalte der ‘Deutschen Zeitung im Ostland’, A. Schwarz. In dieser Zeit war das alles nicht so einfach. Transport, Unterkunft, Verpflegung usw.. Das Interesse der Rigaer Schachspieler war sehr groß. Es gab mehrere Simultanveranstaltungen, darunter auch eine gegen zehn der stärksten Spieler Rigas mit Zeitkontrolle. Keres gewann neun und verlor nur eine Partie – gegen mich. Etwas unbeachtet blieb aber eine andere Konsultationspartie. Keres spielte mit zwei deutschen Schachspielern gegen mich und drei Rigaer Meister. Es gelang uns diese Partie zu gewinnen.“

Wir bringen im folgenden die mit Igor Zdanovs Kommentaren versehene Konsultationspartie aus dem Jahre 1942.

 

Paul Keres, Adolf Schwarz und H. Nolt gegen Igor Zdanovs, L. Dreibergs und T. Ber [A18]
Beratungspartie Riga, Juni 1942

1.c4 Sf6 2.Sc3 e6 3.e4 d5 4.e5 Se4 Schwarz bietet ein Bauernopfer an. Natürlich hatte er auch andere Fortsetzungen: 4. … d4; 4. … Sfd7 und sogar 4. … Sg8
5.Sxe4 dxe4 6.Dg4 Sc6 7.Dxe4 Lc5
Die Theorie gab damals nur 7. … Dd4 an. Ich hatte in dieser Zeit eine „Allergie“ gegen den frühen Damentausch. Der Zug 7. … Lc5 ist logisch. Sonderbarerweise ist diese Fortsetzung auch in späteren Ausgaben (wenigstens in den sowjetrussischen Monographien) und in der Enzyklopädie nicht zu finden
8.Sf3 0-0 9.Ld3 g6 10.h4
Die schwarze Stellung scheint kritisch. Die Drohung h4-h5 mit Öffnung der h-Linie ist sehr unangenehm
10…f5 11.exf6 e5!
Es ist nicht mehr festzustellen, wer von unserer „Mannschaft“ der Urheber dieses Planes war
12.Lb1
Der sofortige Damentausch war wahrscheinlich besser. Nach [12.Dd5+ Dxd5 13.cxd5 Sb4 14.Lb1 ist es nicht ganz klar, wie Schwarz seinen Entwicklungsvorteil am besten ausnutzen kann]
12…Txf6 13.0-0 Lf5 14.Dd5+ Dxd5 15.cxd5 Sd4 16.Sxd4
[16.Sxe5 Te8 17.Sd3 Se2+ 18.Kh2 Lxd3 19.Lxd3 Lxf2 ]
16…Lxd4 17.d3!?
Ein sonderbarer Zug, der den weißfeldrigen Läufer lähmt. Weiß plant ein Qualitätsopfer [auch 17.Lxf5 Txf5 18.d3 Txf2 19.Txf2 Tf8 20.Lh6 Txf2 war nicht besser]
17…Lg4 18.Le3 Lxb2 19.Lc2 Lxa1 20.Txa1 Lf5 21.Tb1 b6 22.f3 h5 23.Tc1 Td6 24.Lb3 Tc8 25.d4
[unangenehm schien 25.Lc4 mit der Drohung La6. Jedoch nach 25…c5 26.dxc6+ Kg7 27.Lb5 a6 28.Lxa6 Tdxc6 behält Schwarz sein Materialübergewicht]
25…exd4 26.Lf4 Kf7! 27.Tc4 d3 28.Kf2 b5 29.Tc5 a6 30.Lxd6 cxd6 31.Tc6 a5 32.Txc8
[32.Txd6 a4 33.Ld1 Tc2+ 34.Lxc2 dxc2 35.Tc6 b4 36.Ke3 b3-+ ]
32…Lxc8 33.Ke3 Kf6 34.Kxd3 a4 35.Ld1 Ke5 36.Ke3 Kxd5 37.g4 hxg4 38.fxg4 Ke5 39.Lc2
[39.h5 gxh5 40.gxh5 Le6 ]
39…Lxg4 40.Lxg6 b4 41.Kd2 Le6 42.a3
Die einzige Hoffnung von Weiß war nach 42. … bxa 43. Kc2 mit 44. Kb1 die schwarzfeldrige Ecke einzunehmen. Danach könnte Weiß den Läufer gegen den d-Bauern tauschen und Remis wegen des falschen Läufers sicherstellen. Dazu läßt es Schwarz aber nicht kommen
42…bxa3 43.Kc1 Lf5 44.Le8 Kf4 45.h5 Kg5 46.Lf7 Le4 47.Le8 Lh7 48.Lf7 Lf5 49.Le8 d5 50.Lf7 d4 51.Kd2 Kf6 52.La2 Le6 53.Kd3 Lxa2 54.Kxd4 Lb1 55.Kc3 Kg5 0-1

  1. Damiano, Editio princeps 1512

Das Schachbuch des Apothekers Damiano aus Odemira in Portugal (Questo libre e da imparare giocare a scachi et de la partite, Rom 1512) gehört zu den ältesten Schachbüchern des neuen, modernen Schachs, die auf uns gekommen sind. Insgesamt sind im 16. Jhdt. acht verschiedene Ausgaben (I. Ausgabe = 1512; II. Ausgabe = 1518; III. Ausgabe = 1524; IV. Ausgabe = 1. undatierte; V. Ausgabe = 2. undatierte; VI. Ausgabe = 3. undatierte; VII. Ausgabe = 4. undatierte; VIII. Ausgabe = 1564), bekannt, wobei die erste Ausgabe seit einer gründlichen und sorgfältigen Arbeit von Ross Pinsent, die dieser im British Chess Magazine, Juni 1906 (S. 229-239) veröffentlichte, in das Jahr 1512 gelegt wird. Wie auch Lucenas um 1497 gedrucktes Büchlein, stellt jede Ausgabe des Damiano für den bibliophilen Schachbuchsammler eine sehr gesuchte Rarität dar.

Adriano Chicco, Italien, gab im Rahmen eines Aufsatzes mit dem Titel Le Edizioni Italiane del Libro di Damiano in der Bibliophilen-Zeitschrift L’Esopo, Rivista Trimestrale di Bibliofilia im Juni 1984 (S. 46-58) eine Aufstellung sämtlicher in der Welt bekannten Exemplare der Editio Princeps von 1512. Insgesamt nennt Chicco sieben Orte, an denen er Exemplare lokalisiert. Und zwar in der Bibliothek des British Museum in London, der National Bibliothek in Wien, der Universitäts-Bibliothek von Salamanca, der Kommunal-Bibliothek von Barcelona, der Königlichen Bibliothek in Den Haag und der Öffentlichen Bibliothek von Cleveland. Das siebte Exemplar sah Chicco in Bamberg in der Bibliothek von Lothar Schmid. Er konnte damals nicht wissen und Schmid hat es ihm anscheinend nicht offengelegt, daß jenes Exemplar eine Leihgabe des mehrfachen Gewinners der französischen Schach-Meisterschaft und Schachbuchsammlers André Muffang war. Muffang trug in seinem langen, mehr als neunzig Jahre währenden Leben eine beachtliche Schachbuch-Sammlung zusammen. Wie uns der Sohn von Muffang seinerzeit im Jahre 1990 mitteilte, unterhielt André Muffang sehr gute Verbindungen auch zu Meindert Niemeijer, Wassenaar, der ihm so manch seltenes Schachbuch und hier unter anderem auch sein Doppelexemplar der Editio Princeps des Damiano überlassen hat. Muffangs Sammlung gelangte nach seinem Tode im Juni 1991 im Pariser Auktionshaus Drouot zur Versteigerung und wurde in alle Welt verstreut. Darunter befand sich auch der Damiano aus dem Jahre 1512, der für 85.000,- FF i.e. 26.000,- DM plus 6,151 % Aufgeld, d.h. 27.600,- DM dem Amerikaner de Lucia zugeschlagen wurde. Es war das bislang einzige (mithin achte) Exemplar, das sich noch in privaten Händen befindet.

Umso erstaunter waren wir, als wir in dem Katalog zu einer Auktion des Auktionshauses Christie’s, London, die am 27. November 1996, stattfinden sollte, eine erste Ausgabe des Damiano (das mithin achte Exemplar) entdeckten. Der Schätzpreis war auf 8.000,- bis 12.000,- englische Pfund gelegt worden. Wir konnten der Versuchung nicht widerstehen nach London aufzubrechen, um das seltene Buch in den Händen zu halten und es zu ersteigern. Der Auktionator steigerte in 1000.- Pfund-Sprüngen und unser Budget schmolz binnen Sekunden dahin. Dennoch – wir konnten bei 8000.- englischen Pfund einsteigen und unser erstes Gebot abgeben. Bis dahin hatte der Auktionator schriftliche Gebote vorliegen. Leider mußten wir als Unterbieter jedoch zusehen, wie ein uns nicht bekannter Telefonbieter das Buch für 20.000,- engl. Pfund i.e. 51.000,- DM plus 15 % Aufgeld, das sind etwa 58.650,- DM, ersteigerte. Dies entspricht etwa einer Verdoppelung des seinerzeit in Paris 1991 erzielten Kaufpreises. Nachdenklich verließen wir den Auktionssaal. Es wird uns in diesem Leben kein Damiano mehr begegnen.

Wie gut, daß wir da in einem kleinen und verstaubten Antiquariat in der Altstadt von London sinnigerweise eine seltene Ausgabe von Robert Burtons berühmter Anatomy of Melancholy fanden, in der auch eine Schachstelle vorkommt, die uns Trost spendete: „Chess-play is a good and witty exercise of the mind for some kind of men, and fit for such melancholy, Rhasis holds, as are idle, and have extravagant impertinent thoughts, or troubled with cares, nothing better to distract their mind, and alter their meditations … .“.

Doch eine Frage stellt sich der ehrgeizige Sammler dennoch: Wer war der geheimnisvolle Bieter am Telefon? 

Nun, heute wissen wir, daß der geheimnisvolle Bieter Lothar Schmid aus Bamberg war, dem eben diese Ausgabe des Damiano noch gefehlt hatte. Er hatte die Leihgabe des André Muffang den Erben nach dessen Tod (siehe oben) zurückgeben müssen (nicht ganz freiwillig übrigens, wie mir der Erbe mitteilte). Was wäre gewesen, wenn Schmid sich mit uns abgesprochen hätte? Der Damiano wäre dann für 8000.- engl. Pfund zu haben gewesen. Mithin eine Ersparnis von 12.000.- Pfund!!

“Damiano, Editio princeps 1512-The Chess book of the chemist Damiano from Odemira in Portugal (Questo libro e Daim Parare Giocarea Scachi et de le Partite, Rome 1512) belongs to the oldest chess books of the new, modern chess, which have reached us. In total eight different edition in the 16th century are known (1st edition = 1512; 2nd edition = 1518; 3rd edition = 1524; 4th edition = 1st undated; 5th edition = 2nd undated; 6th edition = 3rd undated; 7th edition = 4th undated; 8th edition = 1564) where the first edition was dated for the year 1512 following the thorough and careful work by Ross Pinsent, which he published in BCM June 1906( p 229-239). Just like the ca 1497 date printed booklet by Lucena, each edition of Damiano is keenly sought by the chess book collector for rarity.

 Adriano Chicco of Italy gave, as part of an essay with the title “Le edixione italiane del Libro di Damiano” in the magazine for bibliophiles “L’Esopo, Rivista Trimestrale di Bibliofilia” in June 1984 ((p.46-58) a list of all known copies of the 1512 ‘Editio Princeps’ in the world. In total Chicco mentions seven places, in which he found copies. To be precise in the Library of the British Museum in London, the National Library in Vienna, the University Library of Salamanca, the Municipal Library of Barcelona, the Royal Library in The Hague and the Cleveland Public Library. The seventh copy Chicco saw in Bamberg in the library of Lothar Schmid.

 At that time he could not know, and Schmid obviously did not tell him, that that copy was a loan of the multiple winner of the chess championship of France and collector of chess books, Andre Muffang. Muffang collected during his long, more than ninety years life, a considerable chess book collection. As Muffang’s son told us at the time (in 1990). Andre Muffang kept up very good connections with Meindert Niemeijer of Wassenaar too, who had left him quite a lot of rare chess books, including his duplicate copy of the “Editio Princeps’ of Damiano. Muffang’s collection came after his death in June 1991 at an auction in the Auction House Drouot in Paris and was scattered around the world. This included the 1512 Damiano, which was knocked down to the American De Lucia for 85,000f,i.e. DM 26,000, plus 6.151% premium, that is DM 27,000. It was for a long time the only (and in total the eighth known copy) copy still in private possession. 

 Therefore we were really astonished, when in the catalogue of an auction of the Auction House of Christie in London, which would take place on 27 November 1996, we discovered a first edition Damiano (which would be the ninth copy). The estimated price was set at 8,000 to 12,000 English pounds. We could not resist the temptation to travel to London in order to hold this rare book in the hand and to bid for it. Unfortunately as underbidders we had to look on (the auctioneer increased the bids in jumps of 1000 pounds and our budget melted away in seconds), how a bidder by telephone, whom we did not know, obtained the book for £20,000, i.e. DM 51,000 plus 15% premium, which is about DM 58,650. This corresponds to a doubling of the Paris purchase price. We left  the auction room thoughtful. We will not again meet a Damiano in this life. We were lucky that we found in a small dusty second hand bookshop in an old part of London a rare edition of Robert Burton’s famous “Anatomy of Melancholy”, in which also a sentence appears, which offered us some consolation:- “Chess-play is also a good and witty exercise of the mind for some kind of men, and fit for such melancholy, Rhasis holds, as are ideal, and have extravagant impertinent thoughts, or troubled with cares, nothing better to distract their mind, and alter their meditations….” But one question remains for the ambitious collector:- “Who was the secret bidder at the telephone?”

It was Lothar Schmid, Bamberg. How great and intelligent it would have been if we had talked about the issue. The book could have been obtained for not more than 8000.- engl. pounds!!!

  1. Reschewsky vs Charlie Chaplin

Andreas Neugebauer, Hamburg, berichtet, daß er aus dem Internet eine Partiesammlung von Samuel Reshevsky (siehe auch Zettel 140) geladen habe. Dabei fiel ihm als Schach- und Charlie Chaplin-Freund sogleich die nachfolgende Partie auf:

 

Chaplin, C – Reschewsky, S [C43]
Unbekannt, 1923

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.d4 exd4 4.e5 Se4 5.De2 Sc5 6.Sxd4 Sc6 7.Le3 Sxd4 8.Lxd4 Se6 9.Lc3 Le7 10.Sd2 0-0 11.Se4 d5 12.0-0-0 Ld7 13.Sg3 c5 14.Ld2 b5 15.Sf5 d4 16.h4 Sc7 17.Sxe7+ Dxe7 18.Lg5 De6 19.Kb1 Sd5 20.g3? Sb4 21.b3 Da6 22.a4 Da5 23.Kb2 bxa4 24.Ta1 Tab8 25.Kc1 a3 26.Ld2 Le6 27.Lxb4 cxb4 28.Da6 Dc5 29.Lc4 Tbc8 0-1

Charlie Chaplin schreibt in seiner Autobiographie (Die Geschichte meines Lebens, Fischer Taschenbuch 1836, S. 217 ff.): „Während >The Kid< geschnitten wurde, besuchte der siebenjährige Samuel Reschewsky, der Kinderschachweltmeister, das Atelier. Er sollte im Athletic Club seine Künste zeigen und eine Simultanpartie gegen zwanzig Erwachsene spielen, darunter Dr. Griffiths, den Schachmeister von Kalifornien. Er hatte ein dünnes, blasses, eindringliches kleines Gesicht und starrte die Menschen, denen er begegnete, aus großen Augen streitsüchtig an. Man hatte mir schon gesagt, daß er launisch sei und kaum jemandem die Hand reiche.

Nachdem sein Manager uns bekannt gemacht und einige Worte gesprochen hatte, starrte der Junge mich schweigend an. Ich fuhr fort zu schneiden und Filmstreifen zu betrachten. Dann wandte ich mich zu ihm. „Magst du Pfirsiche?“ „Ja“, erwiderte er. „Wir haben einen Pfirsichbaum im Garten; du kannst hinaufklettern und dir welche holen und mir gleich einen mitbringen.“ Er strahlte. „Ah, gut! Wo ist der Baum?“ „Carl wird ihn dir zeigen“, sagte ich und deutete dabei auf meinen Publicitymann. Eine Viertelstunde später kam er hochbeglückt mit etlichen Pfirsichen zurück. So begann unsere Freundschaft.

„Können Sie Schach spielen?“, fragte er. Ich mußte zugeben, daß ich es nicht konnte. „Ich zeige es Ihnen, kommen Sie doch heute abend und sehen Sie mir zu. Ich werde gleichzeitig mit zwanzig Männern spielen“, sagte er prahlerisch. Ich versprach es und sagte, ich würde ihn hinterher zum Essen ausführen.“ … . „Man mußte nicht unbedingt Schachspieler sein, um das Drama dieses Abends wahrzunehmen: Zwanzig Männer mittleren Alters über ihrem Schachbrett brüten zu sehen, in Ratlosigkeit gestürzt von einem Siebenjährigen, der noch dazu jünger aussah als er war, und ihn zu beobachten, wie er an dem U-förmig angeordneten Tisch von einem Brett zum anderen ging, war allein schon dramatisch genug. Die dreihundert oder mehr Zuschauer, die schweigend auf den Bankreihen an den Längswänden der Halle saßen und ein Kind beobachteten, das seine Geisteskraft mit der erfahrener Männer maß, wirkten surrealistisch. Einige von ihnen schauten herablassend lächelnd zu. Der Junge war verblüffend, doch beunruhigte er mich, denn als ich das konzentrierte kleine Gesicht betrachtete, einmal stark gerötet und dann wieder kreidebleich, wußte ich, daß der Junge mit seiner Gesundheit bezahlte … .“
Entgegen der Befürchtung Chaplins hat die sehr frühe und intensive Beschäftigung mit dem Schachspiel Reschewskys Gesundheit wohl nicht sehr geschadet, denn Reschewsky verstarb 1992 im biblischen Alter von achtzig Jahren (der exakte Geburtstag von R. ist nicht ganz klar).

Brian Harley berichtet in seinem Büchlein Chess and its Stars, Whitehead and Miller, Leeds 1936 (S. 67-74) über den jungen Reschewsky und bringt dabei auch ein Photo, das Chaplin und Reschewsky am Brett zeigt. Dabei hat Chaplin jedoch Schwarz. Harley erklärt auch, weshalb Reschewsky zur Begrüßung selten die Hand gab. Wir bringen hier nur einen kleinen Auszug, den wir sinngemäß aus dem Englischen übersetzen, wobei die Ähnlichkeit mit der Schilderung Chaplins unverkennbar ist: „Nach den Einführungen setzte sich Samuel … und beobachtete die Gesellschaft mit gelangweilter Miene. Samuel kann nur zwei oder drei Worte Englisch und es war hier, daß der Übersetzer seine Fähigkeiten zeigte. Zuallererst lernt man, daß der Junge ein sehr orthodoxer Jude aus der Hassidim Sekte ist. Es ist ihm verboten, Frauen seiner eigenen Glaubensrichtung die Hand zu geben, aber Samuel will nichts riskieren und dehnt seine Ablehnung auf hübsche Nichtjuden aus. Dies hatte in Paris einiges Ärgernis verursacht …. „.

Es fällt uns auf, daß von den Zeitgenossen der 20er Jahre lediglich Tarrasch (siehe Zettel 140) kritisch gegenüber den schachlichen Leistungen des sogenannten Wunderkindes war. Insbesondere die angloamerikanische, aber auch die französische Presse schwelgte im Überschwang ob der Leistungen des Jungen aus Polen.

Zurück zur angeblichen Partie Chaplin-Reschewsky. Wie ist es möglich, fragt Andreas Neugebauer, daß Chaplin, der 1920, wie er in seiner Autobiografie schreibt, noch kein Schach spielen konnte, nur drei Jahre später eine Schach-Partie abliefern konnte, die gute Kenntnisse der Eröffnungstheorie beweist? Neugebauer zweifelt deshalb die Echtheit der Partie an. Kann jemand nähere Angaben machen?

  1. Der Mann, der das Schweigen brach

In Zettel 131 hatten wir über den Versuch von Eduard Schulte, dem Mann, der das Schweigen brach, berichtet, seine bereits im Jahre 1942 gewonnenen Erkenntnisse über die geplante Vernichtung der europäischen Juden an die Alliierten weiterzuleiten. Prof. Dr. H. Koblet und Dr. H. Schudel, beide Schweiz, übermitteln den Bericht der Schweizer Schachzeitung vom September 1942. Dr. Hans Schudel ist 81 Jahre alt und dürfte zu den wenigen noch lebenden Zeitgenossen gehören, die von dem Turnier aus eigener Erfahrung berichten können. Sieger des Hauptturnier I des 43. Schweizerischen Schachturniers in Lausanne vom 28. Juli bis 2. August 1942 wurde der damals 27jährige Hans Schudel aus Schaffhausen. Das Turnier fand erstmals seit Kriegsbeginn in einem größeren Rahmen statt. Es blieb Schudel in lieber Erinnerung, nicht nur, weil er mit einem ganzen Punkt Vorsprung gewonnen hatte, sondern weil er eine große Zahl von lieben Mitspielern kennengelernt hatte, worunter auch Dr. Benjamin Sagalowitz war. Sie spielten zwar nicht gegeneinander, da das Turnier nach dem sogenannten Schweizer System abgewickelt wurde, doch fand er nach den Partien häufig Gelegenheit, im Gespräch mit „Sagal“ dessen große Beschlagenheit und kernigen Witz zu bewundern. Schudel berichtet weiter, daß er und die übrigen Turnierteilnehmer nicht über die Fühlungnahme von Dr. Sagalowitz mit Eduard Schulte und Koppelmann in Zürich orientiert waren. Zwar hörte man, daß Sagalowitz wegen einer dringenden Dislokation nach Zürich eine Turnierpartie hatte verschieben müssen, doch sickerte über den wahren Grund nichts durch, außer einigen vagen Gerüchten, wie sie in den damaligen Kriegstagen üblich waren. Das relativ unbefriedigende Turnierergebnis von Sagalowitz (Sagalowitz kam im Hauptturnier I nur auf den geteilten 19.-21. Rang von 26) wurde aber allgemein als Indiz gewertet, daß für ihn in Zürich eine gewichtige Angelegenheit in Frage stand.

  1. Bibliografische Notizen

Wir möchten zum Zettel 147 über die Editio princeps des Damiano nachtragen, daß das siebte noch existierende Exemplar des Buches in der Königlichen Bibliothek von Den Haag zu finden ist. Darüber hinaus konnte Manfred Zollinger in seiner Bibliografie (Bibliografie der Spielbücher, Erster Band 1473 – 1700, Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart 1996) noch einen weiteren, bislang nicht beachteten Druck des Damiano, den er etwa auf das Jahr 1526 datiert, in einer Bibliothek in Florenz nachweisen.

  1. Die Herbstauktionen 1996

Vergleichsweise reichhaltig, wenngleich gelegentlich gut versteckt, war wieder das Schachbücherangebot auf den Herbstauktionen. Bei Hartung und Hartung, München, erhielt ein Bieter für 440.- DM (Schätzpreis 400.- DM) einen Joh. Chr. Wiegleb, Joh. Nik. Martius Unterricht in der natürlichen Magie …, Berlin 1779 zugeschlagen, während ein Privatmann für ein Exemplar von Les Francais peints par eux-memes, Paris 1840-42, in dem auch ein Schach-Stich samt tragender Geschichte über die Schachspieler aus der Feder von Mery vorkommt, 750.- DM (500.-) anlegen mußte. Ein Exemplar von Antonius van der Lindes Monumentalwerk Geschichte und Litteratur des Schachspiels, Berlin 1874 (500.-), fand überraschend keinen Käufer und ging für 250.- DM ebenso in den Rückkauf wie Tégners Frithiofsage

Abb. aus Minding, Berlin 1842

Frithiof saß mit Björn, dem Schlauen,
An dem Schachbrett, schön zu schauen,
Wechselnd in der Felder Reihen
Sah man Silber dort und Gold.

Da trat Hilding ein: „Willkommen!
Auf der Hochbank Platz genommen!
Trinke, und erlaub‘ uns Zweien,
Daß wir enden, Vater hold!“

Hilding sprach: „Von Bele’s Söhnen
Komm‘ ich her, Dich zu versöhnen,
Böse Zeit steht auf der Lauer,
und es hofft das Land auf Dich.“

Frithiof sprach: „Du magst Dich wahren,
Björn, dem König drohn Gefahren.
Ihn erretten kann ein bauer,
Und den gibt man sicherlich.“

„Trotze nicht dem Fürstenpaare,
Kräftig wächst die Brut der Aare;
Ob auch schwach für Ring zum Trutze,
Sind sie stark für Frithiof’s Kraft.“

„Björn, der Thurm steht Dir zu Sinnen,
Doch Du wirst ihn nicht gewinnen;
In der schildburg festem Schutze
Wird er schwerlich mir entrafft.“

„Weinend zählt in Balders Hage
Ingeborg die trüben Tage.
Lockt die Weinerin mit blauen
Augen Dich zum Kampfe nicht?

„Björn, umsonst jagst Du die Dame.
Theuer war mir stets ihr Name.
Sie, die liebste mir der FRauen,
Rett‘ ich, ob auch Alles bricht!“

Oettingers sehr seltene Schachbibliografie Bibliotheca shahiludii. Leipzig 1844, ging für angemessene 320.- DM (300.-) an einen Privatsammmler in Frankreich, währenddessen der ebenfalls sehr seltene Elias Stein, Nouvel Essai sur le ieu des échecs … , Den Haag 1789, in Halbleder der Zeit gebunden, für gerade einmal schnäppchenmäßige 150.- DM (300.-) einen glücklichen Käufer fand.

Bei Zisska und Kistner, München, gelangte ein schreibmaschinengeschriebener Brief mit eigenhändiger Unterschrift „Stefan“ von Stefan Zweig (1881-1942) zur Versteigerung. In dem mit „Petropolis/Brasilien 25.12.1941″ datierten Brief erwähnt Zweig auch sein bekanntestes Werk, die Schachnovelle: „Immerhin ist die Selbstbiographie [‘Die Welt von Gestern’] fertig und ich glaube, ein anständiges Buch, das bewußt darauf verzichtet, sich interessant oder seine Erlebnisse superlativistischer zu machen, als sie waren … . Weiters ist geschrieben eine kleine Schachnovelle …. .“ Der Brief ging für kräftige 4000.- DM (2500.-) an einen Schachsammler im Süddeutschen. Die Erstausgabe eines französischen Greco, Le ieu des eschets, Paris 1669, im Frühjahr bei Reiss und Sohn, Königstein, noch bei einem vom Einlieferer gesetzten Limit von 1400.- DM in den Rückkauf gegangen, erzielte adäquate 600.- DM (600.-), währenddessen eine Erstausgabe von Stefan Zweigs Schachnovelle, Buenos Aires 1942, für kräftige 2200.- DM (1000.-) einen Käufer fand. Vergleichsweise billig, nämlich für 130.- DM (200.-), ging Dufresne, Theoretisch-praktisches Handbuch des Schachspiels, Berlin 1863 an einen interessierten Käufer.

Das Auktionshaus Brandes in Braunschweig mußte erkennen, daß die Preise nicht so ohne weiteres in den Himmel wachsen; anscheinend vom schönen Erfolg der vorhergehenden Auktion (siehe Zettel 108) geblendet, bei der das Buch von Hindenburg über den Schachautomaten des Baron von Kempelen stolze 4430.- DM erzielt hatte, wurden die Schätzpreise mit 2000.- DM für eine erste Auflage des Bilguerschen Handbuches von 1843 und 1200.- DM für eine zweite Auflage des bei König in Straßburg 1764 erschienenen Philidor, Die Kunst, im Schachspiel ein Meister zu werden völlig überhöht und unrealistisch festgesetzt. Dabei waren doch beide Bücher erst im Herbst 1995 bei Hauswedell und Nolte für 900.- DM bzw. bei Zisska und Kistner für 480.- DM weggegangen. Beide Bücher fanden denn auch keinen Käufer.

Reiss und Sohn, Königstein, brachten eins von 240 Exemplaren der Vorzugsausgabe B der Zeichnungen Schach, Düsseldorf 1983, von Alfred Hrdlicka mit einem Schätzpreis von 600.- DM zur Versteigerung. Das Werk wurde für 420.- DM zugeschlagen. Ein wunderschöner Omar Khayyam aus dem Jahre 1913 in Ganzleder mit Goldschnitt ging für 350.- DM ebenso in den Rückkauf wie die Recreations mathematiques et physiques …, Paris 1694 von Ozanam, die den Rösselsprung bringen (2500.-). Ein unvollständiger Halle, Magie … , Wien 1787 und 1788-90, fand für 900.- DM (1200.-) einen neuen Besitzer.

Wenner in Osnabrück hatte ein Exemplar des Selenus, Das Schach- oder König-Spiel, Leipzig 1616, im Angebot. Das Buch brachte immerhin noch 850.- DM (900.-), obwohl es nicht vollständig war (vollständige Exemplare werden in der Regel mit Beträgen um 6000.- DM geschätzt). Der den Herzog August darstellende Stich, der oft fehlt, weil als Objekt der Begierde in der Mitte des Buches von Stiche-Sammlern und -Verkäufern häufig herausgetrennt, war jedoch noch vorhanden, sodaß das Buch jetzt sicher „ausgeschlachtet“ werden wird und zur Komplettierung anderer unvollständiger Ausgaben herhalten muß.

Johannes Wend, Leipzig, hatte ebenfalls wieder einige Schachbücher im Angebot, wobei insbesondere die sechs Jahrgänge 1924-29 der Arbeiter-Schachzeitung in Org.-Leinenbänden (Zuschlag 290.- DM; Schätzpreis 300.- DM) und ein vom Autor handsigniertes Exemplar von Vielle, Méthode pour apprendre seul la marche des échecs … , Paris um 1860 (Zuschlag 130.- DM; Schätzpreis 100.- DM) auf eine interessierte Käuferschaft trafen.

Bei Bassenge, Berlin, gelangten ein Exemplar von Chapuis, Les automates dans les oeuvres d’imagination, Neuchatel 1947 für 340.- DM (300.-) und eine Ausgabe von Abenstein, Neuester Spielalmanach für Karten-, Schach-, Brett-, Billard-, Kegel- und Ball-Spieler, Berlin 1820 für ebenfalls 340.- DM (300.-) zur Versteigerung.

Bei Dörling, Hamburg, mußte ein Käufer nur 130.- DM (200.-) für Chapuis, Les automates … , Neuchatel 1949, investieren, wohingegen ein Nachdruck des Philidor, 3. Auflage, Straßburg 1771, aus dem Jahre 1979 (Osnabrück) an den Einlieferer zurückging.

  1. Die Schachfiguren der Insel Lewis

Die berühmten Lewis-Schachfiguren sind 1995 im British Museum in London sowie in der Folgezeit auch im Royal Museum of Scotland, Edinburgh, einem breiteren Publikum vorgestellt worden. Ein Teil der Figuren ist ab Sommer 1995 erstmals seit ihrer Entdeckung regelmäßig auch im neu erstellten Museum von Stornoway auf der Insel Lewis ausgestellt.

Zur Geschichte: Die Schachfiguren waren Ende März des Jahres 1831 auf der Insel Lewis (Einw. 21.000), einer aus den Teilen Lewis und Harris bestehenden Doppelinsel im Nordwesten Schottlands, deren Verwaltungshauptstadt und größter Hafen Stornoway ist, entdeckt worden. Es ist nicht ganz klar, wieviele Figuren von wieviel verschiedenen Spielsätzen insgesamt gefunden wurden, doch sind aus vier Spielsätzen mindestens 78 der wahrscheinlich um 1150 in Skandinavien in Handarbeit hergestellten Figuren bekannt. Ein Kaufmann aus Stornoway namens Roderick Ryrie brachte die Figuren nach Edinburgh, wo sie von dem Händler T. A. Forrest für 30.- £ gekauft wurden. Noch im Sommer desselben Jahres 1831 gingen zehn Spielsteine an Charles Kirkpatrick Sharpe und Ende des Jahres 1831 kaufte das British Museum 67 der Figuren für 84.- £. Sharpe muß es irgendwann zwischen 1831 und 1851 gelungen sein, noch eine weitere Figur, und zwar einen Läufer, direkt von der Insel Lewis zu kaufen, denn nach seinem Tode fanden sich elf Figuren in seinem Besitz. Dieser kleine Teil der Figuren wurde von Lord Londesborough erworben, der sie schließlich 1888 an das Museum von Edinburgh weiterverkaufte.

Photo: National Museums of Scotland

Alle diejenigen, die seinerzeit nicht in London oder Edinburgh anwesend sein konnten, können nun auch eine CD-ROM erwerben, die die Geschichte der Figuren in vorbildlicher und multimedialer Weise darstellt. Die CD erlaubt es unter anderem, die Figuren auf Mausklick zu drehen und diese so von allen Seiten zu betrachten. Ein wahlweise in englisch oder gälisch einsehbarer und auf Mausklick auch zu hörender, gesprochener Text erklärt das Abgebildete. Die hier gebrachte Abbildung zeigt die Figur eines Wächters (Turm), der voller Angst und Entsetzen in seinen Schutzschild beißt. Sie befindet sich im Royal Museum of Scotland in Edinburgh. Die CD ist unter dem Titel The Lewis Chess Pieces für 13.99 £ plus Versandkosten bei Mrs. Helen Kemp, Publications, National Museums of Scotland, Chambers Street, Edinburgh EH1 1JE zu erhalten.

  1. Encarta 1997

Eine weitere, wie wir meinen sehr nützliche CD, hat Microsoft unter dem Titel Encarta 97 herausgegeben. Es handelt sich um eine deutsche Übersetzung der bekannten Multimedia-Enzyklopädie. Für etwa 190.- DM wird das derzeit Beste auf dem Markt geboten. Der schachliche Anteil vermittelt jedoch gerade mal ein äußerst dürftiges Basiswissen und entspricht keineswegs dem Niveau der übrigen (nicht-schachlichen) Titel der Enzyklopädie. Wir finden zum Beispiel den folgenden das Schach betreffenden Text: „Bauern dürfen aber (nach Erreichen der achten Reihe, Anm. H.E.B.) nur in Figuren umgewandelt werden, die bereits geschlagen wurden“. Eine Liste der Schach-Weltmeister beginnt in dem arbiträr gewählten Jahr 1859 (unseres Erachtens wäre 1843, das Jahr in dem St. Amant in Paris gegen Staunton spielte, ein etwas geeigneterer, wenngleich ebenfalls zu diskutierender Startpunkt) und weist Adolph Anderssen als ersten inoffiziellen Weltmeister (1859-1866) aus. Es werden weder Staunton, St. Amant noch Morphy erwähnt. Steinitz ist Österreicher und Aljochin (sic!) spielt unter französischer Flagge (Aljechin nahm 1927 die französische Staatsbürgerschaft an). Laskers erstmals 1896 in Englisch erschienene Buch Common sense in Chess wird kurzerhand in Vernünftiges Schach (statt Gesunder Menschenverstand im Schach) übersetzt. Karpow und Kasparow werden korrekt als seit 1993 von der FIDE bzw. PCA anerkannte Weltmeister geführt.

Bei einer Neuauflage der deutschsprachigen Encarta sollte von den Machern der CD ein wenig mehr schachhistorischer Sachverstand abgerufen werden.

  1. Autografen

Hanon Russell, USA, hat einen kleinen Katalog erstellt und drucken lassen, in dem er einige außerordentlich seltene Autografen von Schachspielern zum Verkauf anbietet. Der 21,5 x 13,6 cm große, 28 Seiten (mit Umschlagseiten) umfassende Katalog enthält 78 Nummern und kostet 3.50 $.

Neben einem achtseitigen auf vier Blättern erhaltenen Brief von Aljechin (1892-1946) an Norbert Lederer vom 21. Februar 1924 (Verkaufspreis 950.- $) bietet Russell auch einen Brief von Henry Bird (1830-1908) an Thomas Frere (450.- $) vom 23. Mai 1889 an. Außerordentliche Raritäten stellen sicherlich auch Briefe und Partieformulare von Bronstein, Capablanca, Arpad Elo, Euwe, Botwinnik, Fischer, Fine, von der Lasa, Frank Marshall, Paul Morphy, Spielmann, Vidmar, Tschigorin und vielen anderen dar. Eine signierte Postkarte mit den Unterschriften fast aller teilnehmenden Spieler (Nimzowitsch, Mattison, Menchik, Johner, Grünfeld, Marshall, Bogoljubow u.a.) am internationalen Turnier von Karlsbad 1929 (1250.- $) gehört ebenso zum erlesenen Angebot wie ein vierseitiger Brief von Emanuel Lasker (1868-1941) an Walter Penn Shipley vom 29. November 1909 (1250.- $).

Die Preise sind sicherlich sehr kräftig. Wir können aber im Hinblick auf die außergewöhnliche Seltenheit der Autografen, die sämtlich Unikate darstellen, keineswegs von überhöhten Preisen sprechen. Interessenten wenden sich an Hanon Russell, PO Box 30, Milford, CT 06460 USA oder sehen den Katalog auf der Web-Seite von Russell (http://www.chesscafe.com) direkt ein.

  1. Simultan Aljechin

Manuel Fruth, Unterhaching, übermittelt uns eine Simultan-Partie des Weltmeisters Alexander Aljechin gegen den seinerzeit auf Studienurlaub in der Heimat sich befindenden Unteroffizier Erich Ernst.

 

Aljechin, A – Ernst, E [B32]
Simultan Karlsruhe, 06.02.1942

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e5 5.Sb5 Lc5 6.Sd6+ Lxd6 7.Dxd6 De7 8.Dxe7+ Sgxe7 9.Sc3 Sd4 10.Ld3 h6 11.Le3 0-0 12.0-0 a6 13.f4 d6 14.f5 f6 15.Lc4+ Kh8 16.Tf2 b5 17.Ld5 Tb8 18.a3 b4 19.axb4 Txb4 20.b3 Sxd5 21.Sxd5 Tb5 22.b4 Sxf5 Schwarz hofft, die Qualität oder einen Bauern zu gewinnen
23.Txf5 Lxf5 24.c4!
Schwarz muß die Qualität wieder zurückgeben
24…Txd5 25.exd5 Tb8
Schwarz hat im Hinblick auf die ungleichfarbigen Läufer und den Mehrbauern gute Remischancen
26.c5 dxc5
Der Weltmeister erhält jetzt verbundene Freibauern und gewinnt [26…Ld3 27.c6 Lb5 hätte vielleicht zum Remis gereicht]
27.bxc5 Td8 28.d6 Ld3 29.Ld2 Tc8 30.d7 1-0

Über die weiteren Umstände des Simultankampfes von Aljechin in Karlsruhe ist nichts bekannt. Eine erste oberflächliche Durchsicht der entsprechenden Jahrgänge der Deutschen Schachblätter und Deutschen Schachzeitung brachte keine neuen Erkenntnisse. Anläßlich einer Simultanveranstaltung am 3.2.1942 im Schachklub Pforzheim erzielte Aljechin von 31 gespielten Partien ein Ergebnis von +18, =9, -4. Wer kann weitere Angaben machen?

  1. Walter Bähr

Dr. Rainer Staudte, Chemnitz, erbittet zur Beantwortung der folgenden Frage die Mithilfe der Leserschaft: In den meisten Lehrbüchern für Endspiele (siehe beispielsweise Awerbach, Lehrbuch der Endspiele, Sportverlag Berlin, 5. Aufl. 1981, Band 1, S. 57 ff.) wird zu Stellungen mit blockierten Randbauern die sogenannte BÄHRsche Regel erklärt. Walter Bähr hat in seinem Buch Opposition und kritische Felder im Bauernendspiel, erschienen im Selbstverlag in Freiburg im Breisgau 1936, als Ergebnis seiner von 1930 bis 1935 geführten Untersuchungen sehr umfassend die Grundlagen der Methode der Gegenfelder im Bauernendspiel beschrieben, so daß davon ausgegangen werden kann, daß er der Namenspate für die erwähnte BÄHRsche Regel gewesen ist. Aufgrund des Verlagsortes des Buches sowie aufgrund der Tatsache, daß Bähr in den dreißiger Jahren einige seiner Studien als Urdrucke in lokalen Zeitungen und Zeitschriften der Freiburger Region veröffentlichte, folgert Staudte, daß Bähr seinerzeit in oder um Freiburg gelebt hat. Weitere Nachforschungen zur Person von Walter Bähr haben bislang wenig ergeben. In Verzeichnissen der Problemkomponisten ist Bährs Name völlig unbekannt. Auch der im Vorwort neben dem bekannten Hans Müller (Wien) als Mitarbeiter genannte Problemkomponist Fritz Müller (Fürth, 1893-1968) konnte keine weiteren Hinweise geben. Weitere Nachforschungen unter den Partiespielern sind nicht einfach, so teilt Staudte mit, da diese wohl in erster Linie lokal organisiert waren. Um so mehr freut es Staudte, daß er in der Festschrift von Werner Lauterbach, Alles über Schach in Baden (Urkunden, Fakten und Erinnerungen zum Jubiläum 1910-1985, Seite 21), den Namen des Gesuchten Walter Bähr in der Tabelle des anläßlich des 14. (1.) Kongreß des nunmehr „Badischen Schachverbandes“ durchgeführten Schachturnieres, das vom 7.-10. September 1933 in Heidelberg stattfand, aufgeführt fand. Bähr, Freiburg, war im Hauptturnier geteilter 2.-5. geworden. Weitere Informationen sind nicht bekannt. Aber wem von uns Schachspielern gelingt es, meint Staudte, mit seinem Namen in die Endspielliteratur einzugehen? Er meint deshalb zu recht, daß man versuchen solle, weitere Informationen zur Person Walter Bährs zusammenzutragen. Wer kann helfen?

  1. Jacques Mieses

Karl-Heinz Podzielny senior, Essen, sendet uns den folgenden Brief des in Leipzig gebürtigen, jüdischen Deutschen, Jacques Mieses (1865-1954). Der am 12. Oktober 1938 in Leipzig verfaßte Brief ist, wie wir meinen, sehr gut geeignet, die Stimmungslage der damaligen Zeit nachempfinden zu lassen. Mieses war zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes bereits 73 Jahre alt.

„Leipzig d. 12. Okt. 38

Lieber Herr Doktor!

Ihr Brief vom 8. Oktober hat mich heute zufällig noch in Leipzig getroffen. Ich fahre heute Abend nach Amsterdam, wo ich wohl annähernd eine Woche bleiben werde (Adresse: „Hotel Suisse“ Kalverstraat) und dann will ich zu einer „Informationsreise“ nach England gehen, wenn man mich hineinlässt. Habe ich Ihnen denn nicht in Brighton mitgeteilt, dass ich alle Beziehungen zu Deutschen Zeitungen verloren habe? Ich könnte daher höchstens gelegentlich einmal indirekt an einer Berichterstattung für Deutsche Zeitungen beteiligt sein. Für das „AVRO“-Turnier möchte Ranneforth gern mit Prins eine Berichterstattung durchführen, und er hat sich wohl bereits an die „L.N.N.“, die „Frankf. Z.“, die „B.Z.“ und den „Lokalanz.“ mit einem Angebot gewendet. Ich bezweifele sehr, dass er Erfolg haben wird, denn es spielt kein Deutscher mit, und von den acht Teilnehmern sind vier – Pfui Teufel! – Juden. Dass ich zum „AVRO“-Turnier nach Holland komme, ist ausgeschlossen. Mein Plan ist, etwa einen Monat in England zu bleiben, dann nach Deutschland zurückzukehren und gegen Weihnachten wieder nach England zu fahren, um zunächst, falls ich eingeladen werde, in Hastings mitzuspielen.

Mit besten Grüssen Ihr J. Mieses“

Drei Aspekte drängen sich dem aufmerksamen Leser zusätzlich auf:

  1. Die damalige Post war fast so schnell wie Heute.
    2. Wer war der „Herr Doktor“ an den Mieses sein Schreiben adressierte?
    3. Mieses konnte seinen im Brief angekündigten Plan, am Weihnachtsturnier in Hastings 1938/39 mitzuspielen, realisieren. Er wurde im Premier Reserves A Turnier geteilter 2.-3. hinter Imre König (1. Platz), der unter jugoslawischer (!) Flagge gestartet war und vor dem den geteilten 4.-5. Platz einehmenden und in Brünn geborenen Österreicher, späterhin deutschen Staatsbürger, Baldur Hönlinger, der, nach einer Meldung von Chess, Januar 1939 (S. 177) unter „France“ (!!) startete. Der 42jährige Fritz Sämisch errang den achten Platz (von zehn Teilnehmern).
  2. Schachfiguren der Insel Lewis

Fritz Hoffmann, Weißenfels, weist darauf hin, daß es sich bei der in Schachzettel 152 abgebildeten, in den Schutzschild beißenden Schachfigur ehestens um einen sogenannten Berserker handelt und nicht um einen ängstlich in den Schild beißenden Krieger. Der Biß in den Schildrand, so meint Hoffmann, erinnere an die sagenhafte Berserkerwut, die auch im Deutschen mit dem sprichwörtlichen Vergleich „wie ein Berserker“ Wurzeln geschlagen hat. Im altnordischen Volksglauben waren Berserker (Berserk = Bärenhäuter) ursprünglich Menschen, die Bärengestalt annehmen können. Sie erscheinen später als die nordischen Vorkämpfer der Königsgewalt und sollen fürchterliche Krieger gewesen sein. Um sich in Kampfstimmung und Blutrausch zu bringen, sollen sie sich vor Schlachtbeginn selbst Wunden beigebracht haben. Dabei bissen sie auch in den Schild, um einen grimmigen und furchterregendenden Anblick zu erzeugen. Zur Werkzeit der Isle of Lewis Figuren um 1150, so gibt Hoffmann weiter an, waren sich die Schnitzer, die in Walroßbein arbeiteten, über die Bekleidung der Berserker, die sogar halbnackt gefochten haben sollen, nicht mehr so recht im klaren. So bildeten sie eben zeitgenössische Rüstungen ab.

  1. International Chess Calendar

Hanon Russell sendet uns seinen neuesten für 1998 gestalteten International Chess Calendar. Wieder hält der Kalender viele Informationen, die für alle Schachspieler interessant sind, bereit. Er enthält etwa 800 Angaben zu Geburts- und Todestagen von Schachpersönlichkeiten der Vergangenheit und Gegenwart und bringt seltene Photos, interessante Schachstellungen und -kombinationen sowie Spielergebnisse. Dabei bleibt der Kalender aber im Hinblick auf die aufgeführten Feier- und Festtage gleichzeitig ein echt amerikanisches Produkt, das die im Titel insinuierte internationale Ambition des Kalenders konterkariert und ehestens hinsichtlich des weltweiten Vertriebes den internationalen Charakter erkennen läßt. In Europa nicht oder aber weniger bekannte Festtage wie Martin Luther Day (19.1.), Presidents’ Day (16.2.), Saint Patrick’s Day (17.3.), wer war Sankt Patrick?, Labor Day (7.9.) sind nämlich ebenso aufgeführt, wie Rosh Hashonah (21.9.), Columbus Day (12.10.), Veterans Day (11.11.) und Thanksgiving Day (26.11.).

Einen kleinen Fehler haben wir jedoch im Kalenderblatt June 1998 entdeckt, und er mag der guten Ordnung halber erwähnt sein: Kortschnoi verlor den Weltmeisterschaftskampf gegen Karpov in Meran im Jahre 1981 klar mit 6:2 Punkten und war keineswegs, wie irrtümlich im Kalender vermerkt, nur einen Punkt von der Erringung der Weltmeisterschaftswürde entfernt. Dies war vielmehr 1978 in Baguio City, wo Kortschnoi nach einem 5:2 Rückstand noch zum 5:5 ausgleichen konnte und lediglich noch einen Punkt zum Sieg benötigt hätte.

Trotz dieser kleinen Mängel scheint uns Hanon Russells Kalender eine willkommene und zudem gut bebilderte Bereicherung des Schachschriften-Marktes zu sein. Der von Hanon Russell vorgeschlagene Verkaufspreis liegt bei 9.95 $.

  1. Eugen B. Cook Schachbuchsammlung

Unser lieber Freund und Kollege, Dr. Jean Mennerat, Frankreich, weist uns auf eine Buch-Ausstellung hin, die zu besuchen für jeden Schachbuchliebhaber ein Genuß zu sein verspricht. Die folgenden Angaben entnehmen wir der Chess Life, Special Summer Issue 1997.

Eugen Beauharnais Cook (1830-1915) aus Hoboken, New Jersey, war einer der größten Problemisten Amerikas in der Viktorianischen Zeit. Seine Probleme wurden in der ganzen Welt veröffentlicht und er korrespondierte mit Schachberühmtheiten in der ganzen Welt. Seine internationalen Kontakte halfen ihm, die zu seinen Lebzeiten möglicherweise drittgrößte Schachbuchsammlung der Welt zusammenzutragen (nach John Griswold White, USA und J.W. Rimington-Wilson, England). Unter den vor 1500 zu datierenden Schachbüchern sind Sebastian Brants Varia Carmina, 1498, Gesta Romanorum, 1499, Jacobus de Cessolis und Luis Ramirez de Lucenas Repeticion de amores y arte de axedrez, 1497, zu erwähnen. Die Sammlung enthält viele Werke aus dem 16. und 17. Jahrhundert wie Carrera, Actius, Greco, Huarte, Ruy Lopez de Sigura, Piacenza und Salvio um nur einige zu nennen. Cooks Schriftverkehr mit Stanley, Fiske, Lasker, White, Steinitz, Staunton und von der Lasa harren noch heute der schachhistorischen Nutzung. Cooks Sammlung ging nach dessen Tod im Jahre 1915 an die Princeton Universität, an der Cook im Jahre 1850 graduiert worden war.

Wir freuen uns, daß der Verantwortliche in der Princeton Special Collections Abteilung, Jim Weinheimer, zusammen mit seinen Mitarbeitern die Aufgabe übernommen hat, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und eine Liste sämtlicher Schachbücher der Sammlung zu erstellen. Die außergewöhnliche Sammlung, die Jahrzehnte im Dunkel der Magazine der Princeton Universität dahinschlummerte, wird noch bis zum 21. September des Jahres in der Firestone Library in Princeton einzusehen sein. Sie ist sicher eine weite Reise wert.

  1. Simultan Aljechin

Stefan Haas, Karlsruhe, teilt mit, daß die in Schachzettel 155 mitgeteilte Partie Aljechins gegen E. Ernst in der Chronik der Karlsruher Schachfreunde 1853, welche von Harald Klingenberg verfaßt ist, enthalten ist. Herr Ernst ist noch heute Mitglied des Vereins.

Stefan Haas fand im Mikrofilm-Archiv der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe die folgenden drei Zeitungsartikel, die das Aljechin-Simultan bestätigen: 1) „Schach dem Weltmeister“ aus der Badischen Presse vom 7.2.1942, 2) „Aljechin spielte in Karlsruhe“ aus dem Führer vom 7.2.1942 und 3) „Pfinzgau-Schach-Echo“ aus dem Durlacher Tagblatt vom 15.2.1942. Das Ergebnis des Simultans war +36 =6 -1 zugunsten Aljechins. An dem von der Organistation Kraft durch Freude organisierten Simultanspiel wurde an 40 Brettern gespielt, jedoch durfte ein weiterer Spieler an einem früh freigewordenen Brett einspringen. Das Blatt der „Führer“, berichtete, daß Aljechin auf die Frage nach der Weltmeisterschaft erwiderte, daß er wohl oder übel später einmal einem Jüngeren den Titel werde abgeben müssen. Aljechin nannte hier den Esten Keres sowie die deutschen Meister Eliskases und den 18jährigen Klaus Junge, der besonders begabt für die Weltmeisterschaft in Betracht käme. Er werde seinen Titel nur gegen einen Europäer verteidigen.

Die einzige Verlustpartie spielte Aljechin gegen einen Leutnant Heck. Die „Badische Presse“ schrieb hierzu: „Der Weltmeister meinte lachend zu seinem Bezwinger: ‘Die Wehrmacht hat gewonnen, ein gutes Omen …’ „. Wir lassen an dieser Stelle die Partie Aljechins gegen Heck folgen und möchten Stefan Haas für seine Hilfe ganz herzlich danken.

 

Aljechin, A – Leutnant Heck [C70]
Simultan Karlsruhe, 06.02.1942

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 b5 5.Lb3 d6 6.a4 Tb8 7.axb5 Txb5 8.La4 Tb6 9.d4 Ld7 10.Le3 exd4 11.Sxd4 Da8? 12.Sxc6 Txc6 13.Lxc6 Lxc6 14.0-0 Le7 15.Sc3 Sf6 16.f3 0-0 17.Dd3 Lb7 18.g4 Sd7 19.Sd5 Ld8 20.c4 Se5 21.De2 Dc8 22.h3 c6 23.Sc3 De6 24.b3 Lf6 25.Tac1 Sg6 26.f4 De7 27.c5 dxc5 28.e5 Lh4 29.Dd2 Td8 30.Dg2 h6 31.Se4Td3 32.Lxc5 Dc7 33.Sd6? Tg3 34.Sf5 Txg2+ 35.Kxg2 Sxf4+ 36.Txf4 Lg5 37.Kf3 Dxe5 38.Te4 Dc7 39.Tce1 Dh2 40.T1e2 Dxh3+ 41.Sg3 Lh4 42.Tg2 f5 43.gxf5 Lxg3 44.Txg3 Dxf5+ 0-1

  1. Napoleon Bonaparte

Es bereitet uns immer wieder körperliches Unwohlsein, wenn selbsternannte Schachhistoriker, verdienstvollen Fackelträgern der Schachgeschichte nacheifernd, Artikel ohne exakte Quellenangaben verfassen. Immer wieder werden beispielsweise Schachstellen erwähnt, in denen berühmte Persönlichkeiten mit dem Schach in Berührung gekommen sind, ohne daß dabei jedoch die entsprechenden Fundstellen korrekt nachvollziehbar dokumentiert werden. Allzuleicht wird dabei das Wort Geschichte ohne Quellen ist keine Wissenschaft vergessen. Die unglückliche Angewohnheit führt unter anderem aber auch dazu, daß andere Autoren, beispielsweise bei der Abfassung von extra-kniffligen Preis-Rätseln, in’s anekdotische Niemandsland abzurutschen drohen und insgesamt einer Pseudowissenschaft Vorschub leisten, welche weiterem fundierten Erkenntnisgewinn im Wege steht. Wir möchten deshalb versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen und einige kleinere Angaben zu zwei Größen der Geschichte, nämlich Napoleon Bonaparte und Johann Christoph Friedrich Schiller, machen.

Oft werden Napoleon Bonapartes schachliche Aktivitäten auf der Insel St. Helena erwähnt. Eine fundierte und authentisch verbürgte Stelle findet sich in Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, Éditions Garnier Frères. Paris 1961, Band 1, S. 83. Napoleon war von den Engländern von der Bellérophon auf die Northumberland verbracht worden und befand sich auf dem Weg nach St. Helena. Im Tagebuch heißt es bei Las Cases, der als treuer Begleiter den Kaiser nach der erzwungenen Abdankung in die Verbannung folgte und als verläßlicher Biograph gilt, mit Datum Dienstag, den 22 bis Samstag, den 26. August 1815, das Schiff befand sich gerade in der Nähe von Madeira (unsere Übersetzung, HEB):

„Nichts unterbrach die Eintönigkeit unserer Momente; jeder Tag ging langsam im Detail vorbei und vergrößerte eine Vergangenheit, die, insgesamt betrachtet, uns kurz erschien, weil sie ohne Farbe war und nichts Besonderes darstellte.

Der Kaiser hatte den Kreis seiner Zerstreuungen durch das Piquet-Spiel vergrößert, das er ziemlich regelmäßig gegen drei Uhr spielte. Diesem Piquet-Spiel folgten einige Partien Schach mit dem Groß-Marschall, Monsieur de Montholon oder einigen anderen, woran sich das Abendessen anschloss. Es gab auf dem Dampfer niemanden, der sehr stark im Schachspiel war und der Kaiser spielte ebenfalls nur schwach; er gewann gegen die Einen und verlor gegen die Anderen, was ihn eines Abends veranlaßte zu sagen: Wie geschieht es, daß ich sehr oft gegen die verliere, die niemals gegen andere gewinnen, gegen die ich jedoch fast immer siege? Stellt dies nicht einen Widerspruch dar? Wie kann man dieses Problem lösen? sagte er mit Augenzwinkern, um zu zeigen, daß er nicht auf die wiederholte Galanterie dessen hereingefallen war, der eigentlich der Stärkste war.

Am Abend spielten wir nicht mehr Zwanzig und Eins; wir hatten es unterbrochen, da wir die Einsätze zu hoch getrieben hatten, was dem Kaiser, einem starken Gegner des Spiels, mißfallen hatte. Nach der Rückkehr von seinem Spaziergang auf der Kommandobrücke, nach dem Abendessen, spielte Napoleon noch zwei oder drei Partien Schach und zog sich dann zu sehr früher Stunde zurück“.

Wir können es uns an dieser Stelle nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, daß Napoleon schon immer und regelmäßig sehr früh zu Bett gegangen war, während seine Frau Joséphine (1763-1814) die Nächte in großem Luxus durchfeierte.

  1. Friedrich Schiller

Eine Schach-Stelle findet sich in dem Aufsatz Das Spiel in strengster Bedeutung, den Schiller als Herausgeber von Die Horen im Jahrgang 1795, Fünftes Stück, S. 57-89 publizierte (Fotomechanischer Nachdruck Wussenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1959, S. 545-577). Verfasser des Aufsatzes ist aber nicht Schiller gewesen, sondern Friedrich August Weisshuhn (1759-1795), Privatdozent an der Universität Jena und Universitätsfreund Fichtes. Das Manuskript gelangte nach dem Tode Weisshuhns Ende April 1795 über Immanuel Niethammer an Schiller.

Weisshuhn schrieb in teilweise schwer verdaulichem Deutsch, das bereits Körner in einem Brief an Schiller zu der Bemerkung veranlaßte: „Das Spiel ist hier fast zu ernsthaft behandelt. An geistvollen Ideen fehlt es nicht; aber die Form hat eine abschreckende Trockenheit.“ Eine Passage lautet:

„Dem Schachspiele, worinn der Zufall unmittelbar gar nichts zu thun hat, und wozu noch ausserdem ein namhafter Umfang der Kraftanwendung erforderlich ist, diesem Spiele, das, nach Herrn Gotters gründlicher Deduktion . . . „aus Übermuth

„Ein Schach, der nichts bedurft’, als Arbeit einst erfunden;“ . . .

würde, um ganz Arbeit zu seyn, nichts als der äussere Zweck fehlen, wenn nicht mittelbar der Zufall dadurch wieder ins Spiel gezogen wäre, daß die Rolle desselben einem Mitspieler zugetheilt ist, der durch seine unbestimmten Pläne den unsrigen eine Diversion macht, um die Thätigkeit des Verstandes doch einigermaßen frey und lebendig zu erhalten.

Also der Zufall bringt Leben ins Spiel, und nur durch seinen Beytritt ist der Zweck des Spiels, nämlich Genuß aus freyer Thätigkeit der Kräfte, erreichbar.

Nur muß der Zufall dem Spiele selbst einverleibt seyn, und nicht wie beym Schach und allen Verstandesspielen, erst durch den Antagonismus eines Mitspielers hineingezogen werden. Denn sonst wird aus dem Spiele schon etwas Erzwungenes; eben weil die spielende Thätigkeit nicht bloß unmittelbar, durch die unstäten Wendungen des Spiels, sondern auch mittelbar, durch den Ehrgeiz einen Gegner zu besiegen, geregt wird. Thätige Kraft bleibt zwar noch im Spiele; aber es ist auch Leidenschaft (Ehrgeiz) darinn, die sie anstrengt, und also mit ihr, sein Spiel treibt. Die öffentlichen Wettspiele haben diesen Fehler, begreiflicher Weise, in einem noch höheren Grade. Daher sind sie für die Combattanten so wenig wahre Spiele, daß sie es nicht einmal für die Zuschauer sind:

„Siehst du nicht, wenn die Wagen geflügelten Kampf in das Feld hin
„Stürzen, und ungestüm den geöfneten Schranken entrollen,
„Wenn die Hoffnung gespannt in der Jünglinge klopfendem Herzen
„Wühlt, und pochende Angst? Sie drohn mit geschwungener Geisel
„Vorwärts, die Zügel gelößt, mit Gewalt stürmt glühend die Axe.
„Jetzo gesenkt und jetzo erhöht, erscheinen sie schwebend
„Durch die Oede der Luft, und emporgetragen zum Himmel;
„Nirgends ist Rast noch Verzug! Ein Gewölk des gelblichen Sandes
„Steigt, und sie feuchtet den Schaum, und dampfender Hauch der Verfolger.
„Solch’ ist die Liebe des Ruhms, so brennend der Durst des Triumphes.

Weisshuhn endet klarsichtig mit einem Wort, daß in unserer Zeit, in der die „Versportung“ des Schachs weit vorangeschritten ist, mehr denn je Geltung hat:

„Welche Arbeit kann anstrengender seyn, als solche Spiele sind!“

  1. Schach ist Sport

Die Frage, ob denn Schach Sport sei, ist eine zunehmend wichtige Frage geworden, bemessen sich doch die Zuwendungen öffentlicher Gelder an der (positiven) Beantwortung dieser Frage. Seit den Bemühungen des DSB Präsidenten Alfred Kinzel und des den Problemen der deutschen Schachfreunde offenherzig gegenüberstehenden FDP-Politikers und damaligen Präsidenten des Deutschen Sportbundes Willy Weyer Ende der siebziger Jahre ist Schach in Deutschland offiziell als Sport anerkannt, weshalb den Vereinen öffentliche Gelder zur Verfügung stehen, die sie zur Weiterentwicklung nutzen können.

Die finanzielle Unterstützung durch die Industrie jedoch orientiert sich immer mehr nach den Kriterien des The Winner takes it all. So erhalten im Tennis, um nur ein Beispiel zu nennen, die Sieger alles und die Verlierer fast nichts und auch nach den Turnieren verdienen nur die Stars das wirklich gute Geld. Das wird zusätzlich noch durch die derzeit überall spürbare Globalisierungstendenz befördert. Im Schach hat Garry Kasparow dieses Prinzip etabliert und dabei durch die Gründung des privaten Geschäftsvereines PCA auch nicht davor zurückgeschreckt, die FIDE damit möglicherweise zu zerstören. Zusätzlich konzentriert sich das sogenannte Sponsoring fast ausschließlich auf die mediengerechten Sportarten wie Tennis, Fußball und Motorsport, weshalb der Sportförderung in Deutschland durch Bund, Länder und Gemeinden im Interesse der Förderung unserer Jugend und unseres Vereinslebens eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Andere Länder sind da in einer weniger glücklichen Position: Die Schachfreunde in Österreich beispielsweise sind nicht Mitglied in ihrer nationalen Sportorganisation und ausnahmsweise mag es hier einmal felix tu Germania heißen.

Die Frage nach dem Wesen des Schachs und seiner Position in unserer Gesellschaft wird seit kurzer Zeit auch verstärkt im Internet diskutiert und die FIDE, die Bedeutung des Themas für ihr eigenes Überleben erkennend, hat derzeit eine großangelegte Propaganda-Aktion durch ihren langjährigen Schatzmeister Willy Iclicky mit dem Ziel auf den Weg gebracht, mittelfristig vielleicht auch in die olympische Sportbewegung aufgenommen werden zu können. Wie so oft bei ähnlichen Fragestellungen, sind bei der Beantwortung der Frage, ob Schach Sport sei, zunächst definitorische Probleme zu lösen. Was ist Sport? Insgesamt scheint uns, daß Schach in eher geringerem Maße die Kriterien einer Sportart erfüllt und das Bonmot gelten mag Sport ist, wenn man danach duschen muß. Wir wollen an dieser Stelle diese mehr semantischen Probleme jedoch nicht weiter ausführen, der Interessierte mag sich an einschlägiger Stelle selbst informieren, möchten jedoch – nicht ohne Augenzwinkern – einen, in heutiger Sicht fast medizinisch anmutenden Beitrag aus der Feder des amerikanischen Politikers, Naturwissenschaftlers und Schriftstellers (1706-1790) Benjamin Franklin anführen, der in den westlichen Wohlstandsgesellschaften mit der allenthalben meßbaren Vermehrung von Fetten (Hypercholesterinämie) und Harnsäure im Blut (Hyperuricämie) von seiner Aktualität nichts eingebüßt hat.

Wir zitieren aus einem Kapitel von Benjamin Franklin’s Leben und Schriften …, Dritter Theil, Universitäts-Buchhandlung, Kiel 1829, S. 124, wo es unter der Überschrift: Gespräch zwischen Franklin und der Gicht in dialogischer Form heißt:

Franklin: Weh! O Weh! Was hab’ ich gethan, um so grausame Schmerzen zu verdienen?
Gicht: Mancherlei; du hast zu unmäßig gegessen und getrunken, und diesen Beinen zu viel Ruhe gegönnt.
F.: Wer beschuldigt mich?
G.: Das bin ich, die Gicht selbst.
F.: Wie? Mein Feind in eigener Person?
G.: Nein, nicht dein Feind.
F.: Ich wiederhole es, mein Feind; denn du möchtest nicht allein meinen Leib zu Tode quälen, sondern auch meinen guten Namen vernichten, du wirfst mir vor, ein Fresser und Säufer zu sein, und doch wird Jeder, der mich kennt, einräumen, daß ich weder das eine, noch das andere bin.
G.: Die Welt mag von dir denken, was sie will; sie ist immer sehr gefällig gegen sich selbst und zuweilen auch gegen ihre Freunde; ich weiß aber sehr wohl, daß eine Portion Essen und Trinken, welche für einen Menschen, der sich angemessene Bewegung macht, eben hinreicht, für einen anderen, der sich gar nicht bewegt, viel zu groß ist.
F.: Ich mache mir – Au! Au! – so viel Bewegung – Au! – wie ich kann, Madame Gicht. Sie wissen, daß ich durch meine Geschäfte zum Sitzen genöthigt bin, und deßhalb, meine ich, könnten Sie mich wohl ein wenig verschonen, da Sie doch einsehen müssen, daß es nicht ganz meine eigene Schuld ist.
G.: Verschonen? Nicht im Geringsten. … Aber laß uns einmal deine Lebensweise untersuchen. Was thust du in den Morgenstunden, die dir Muße gewähren, spazieren zu gehen? Anstatt durch wohltäthige Bewegung dir zum Frühstück Appetit zu verschaffen, vertreibest du dir die Zeit hinter Büchern, Flugschriften und Zeitungen, die gewöhnlich nicht des Lesens werth sind. Und doch nimmst du ein unmäßiges Frühstück ein, trinkst Thee mit Rohm und issest Butterbrod mit Rauchfleisch, lauter Dinge, die mir eben nicht leicht verdaulich scheinen. … So vergeht der Vormittag, ohne alle körperliche Bewegung. …; was treibst du aber nach dem Mittagessen? Verständige Menschen würden mit den Freunden, bei welchen sie zu Mittag aßen, in den schönen Gärten spazieren gehen; du hingegen ziehst es vor, dich an das Schachbrett zu setzen, wo man dich nach zwei oder drei Stunden noch finden kann. Das ist deine beständige Erholung, und gewiß für einen Mann von sitzender Lebensweise die unpassendste von allen, denn sie beschleunigt nicht nur nicht den Umlauf der flüssigen Substanzen, sondern erschwert ihn vielmehr durch die gespannte Aufmerksamkeit, die dabei erforderlich ist, und hemmt die innere Sekretion. Vertieft in die Spekulationen dieses unnützen Spiels, verdirbst du deine Konstitution. Was kann man bei einer solchen Lebensweise anders erwarten, als einen von stehenden Säften angefüllten Körper, der jeden Augenblick eine Beute der gefährlichsten Krankheiten werden könnte, wenn ich ihm nicht gelegentlich zu Hülfe käme, indem ich diese Säfte durch Schütteln reinige und zertheile? Wenn du in einem Winkel oder Gange der Hauptstadt nach dem Essen ein Weilchen Schach spieltest, so möchte sich das entschuldigen lassen; aber du folgst derselben Neigung in der Umgegend, an Orten, wo die herrlichsten Gärten sind, reich an lieblichen Promenaden, reiner Luft, schönen Frauen und eben so angenehmer als belehrender Unterhaltung, und wo du dich aller Dinge erfreuen könntest, wenn du spazieren gehen wolltest. Das verschmähst du aber, um des abscheulichen Schachspiels willen. Pfui, schäme dich, Franklin! Doch über meine Lehren hätte ich beinahe die Anwendung meiner heilsamen Besserungsmittel vergessen – ich muß dich wieder zwicken.
F.: Au! o weh! Au! Belehrung, so viel Ihnen beliebt, Madame Gicht, und auch Vorwürfe; aber die Strafen bitte ich zu verschieben.
G.: Nein, mein Freund, nicht das Geringste werde ich unterlassen, das zu deinem Besten gereicht; deshalb –
F.: Au! Au! – Es ist unbillig, wenn Sie sagen, daß ich mir keine Bewegung mache; ich fahre doch oft genug in meinem Wagen zum Mittagsessen aus und Abends wieder nach Hause.


G.: So möglich, daß es eine Thatsache ist. … Im Sommer gingst du um sechs Uhr dahin. … Ei nun, du machst dir das Vegnügen, dich auf die Anhöhe hinzusetzen, dich an der schönen Aussicht zu weiden und die Anlagen unter dir zu überschauen, ohne hinabzusteigen, und auch nur einen Schritt in denselben zu gehen. Im Gegentheil, du verlangst Thee und das geliebte Schachbrett, und siehe da, sitzend vertreibst du dir die Zeit bis neun Uhr Abends, obgleich du schon zwei Stunden Nachmittags gespielt hattest. Endlich, anstatt nach Hause zu gehen, steigst du wieder in deinen Federwagen. …
F.: Jetzt bin ich überzeugt, daß der arme Richard Recht hat, wenn er sagt: ‘Unsere Schulden und unsere Sünden sind immer größer, als wir denken.’
G.: So ist es. Ihr Philosophen seid Weise in euren Grundsätzen und Thoren in eurer Handlungsweise.

Was die Quacksalber betrifft, die verachte ich; dich können sie vielleicht um’s Leben bringen, mir aber können sie nichts anhaben. Und die ordentlichen Aerzte sind endlich zu der Einsicht gelangt, daß in einem Subjekt, wie du bist, die Gicht keine Krankheit, sondern ein Heilmittel sei; und weshalb sollte man ein Heilmittel vertreiben? Also frisch an’s Werk –
F.: O! Au! Um des Himmels Willen, lassen Sie mich, ich will auch geloben, nie wieder Schach zu spielen, mir täglich Bewegung zu machen und immer mäßig zu sein.
G.: Ja, ich kenne dich! Ein Versprechen kannst du geben; kaum bist du aber ein paar Monat gesund gewesen, so sind die alten Gewohnheiten wieder da, und von den schönen Versprechungen weißt du nicht mehr, als von den Formen der Wolken, die vor einem Jahre vor deinen Augen vorüberzogen. So will ich denn für diesmal die Rechnung schließen und gehen, doch mit dem bestimmten Versprechen, dich zu gelegener Zeit wieder zu besuchen; denn dein eigenes Wohl ist mein Zweck, und du hast jetzt eingesehen, daß ich deine wahre Freundin bin.

  1. Mieses und der Herr Doktor

Siegfried Tschinkel, Eschweiler, und Gerhard Menges, Oestrich-Winkel, teilen zu SZ 157 mit, daß der von Mieses angesprochene „Herr Doktor“ ehestens der zuletzt in Bad Nauheim im Taunus ansässige Dr. Jakob Adolf Seitz (1898-1970) gewesen ist. Nach Angabe von Menges nahm Seitz als einziger Deutscher an dem von Mieses in seinem Schreiben erwähnten Turnier in Brighton 1938 teil. Seitz wandte sich insbesondere in den zwanziger und dreißiger Jahren dem Schachspiel zu und war u.a. im Jahre 1925 als Sekundant von Bogoljubow mit zum Turnier nach Moskau gefahren. Während der Kriegszeit gab Seitz in Argentinien die Schachzeitung Enroque heraus. Wir glauben, daß der schachliche Nachlaß von Seitz nach dessen Tod an den ebenfalls in Bad Nauheim ansässigen Schachbuch-Händler Heinz Löffler gegangen ist. Siegfried Tschinkel stellt eine Karte zur Verfügung, die Mieses am 22. Februar 1927 von Berlin aus an Seitz’s Londoner Adresse schickte:

„Lieber Herr Doktor!

Gestern kabelte ich Ihnen: „Warum keine Partie? habe Capablanca Spielmann erwartet.“ Diese Partie soll (nach Spielmanns Kabelbericht) eine kurze und interessante Remispartie gewesen sein. Offenbar haben Sie bisher noch keine Partie erhalten. Bringen die englischen Zeitungen Partien? Gerade bei Beginn des Turniers hätte ich sehr gern eine Partie gebracht. Ich sehe Ihrer telegrafischen oder brieflichen Mitteilung mit Interesse entgegen. Mit bestem Grusse Ihr

J. Mieses“.

Mit der Partie Capablanca – Spielmann ist sicherlich die Erstrunden – Partie der beiden in New York am 19. Februar 1927 gemeint. Aljechin bringt die mit vorzüglichen Kommentaren versehene Partie in seinem berühmten Buch über New York 1927.

Nach einer Meldung der Deutschen Schachzeitung vom Mai 1970 (S. 167) starb Seitz auf der Bahnfahrt zwischen Basel und Biel an den Folgen eines akuten Herzinfarktes.

 

Capablanca, J – Spielmann, R [D38]
New York (1), 1927

1.d4 d5 2.Sf3 e6 3.c4 Sd7 4.cxd5 exd5 5.Sc3 Sgf6 6.Lg5 Lb4 7.Db3 c5 8.a3 Lxc3+ 9.Dxc3 c4 10.De3+ De7 11.Dxe7+ Kxe7 12.Sd2 h6 13.Lh4 b5 14.e4 g5 15.Lg3 Sxe4 16.Sxe4 dxe4 17.a4 La6 18.axb5 Lxb5 19.b3 Thc8 20.h4 a6 21.bxc4 Lxc4 22.hxg5 hxg5 23.Th6 Sf6 24.Ta5 Lb5 25.Lxb5 axb5 26.Txb5 Ta1+ 27.Kd2 Ta2+ 28.Kd1 Ta1+ 1/2-1/2

 

  1. Beuteschach – Die Russen in Deutschland

Es gehört in der heutigen Zeit zur sogenannten political correctness die Kapitulation Nazi-Deutschlands als Befreiung von der Nazi-Herrschaft zu bezeichnen. Unstrittig ist jedoch auch, selbst wenn dies aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer zum Ausdruck gebracht wird, daß der 8./9. Mai 1945 gleichzeitig auch eine schmerzliche Niederlage bedeutete. Nicht nur, aber insbesondere die Bewohner des mittleren und östlichen Teiles von Deutschland haben unter der Besetzung ihres Landes nach der Niederlage zu leiden gehabt. Unsagbar ist das an der größtenteils unschuldigen deutschen Bevölkerung verübte Leid gewesen. Aber, so sagte uns erst kürzlich eine aus dem ehemaligen Königsberg stammende Frau, die trotz schlimmster Erlebnisse ihre Würde nicht verloren hat, „über unsere Not und unser Leid spricht niemand und schon gar nicht wir Ostpreußen selbst“.

Erst nach dem Fall der Mauer in Berlin und der Öffnung ehemals sowjetischer Archive wurde einem größeren Kreis der deutschen Öffentlichkeit deutlich, in welch unvorstellbaren Ausmaße während und nach der viereinhalbjährigen sowjetischen Besatzungszeit auch der materielle Reichtum Deutschlands demontiert und ausgeplündert worden ist (Für eine umfassende Darstellung der russischen Raub- und Beutezüge siehe Norman Naimark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945-1949. Ullstein Buchverlage, Berlin 1997). Den Kampftruppen auf den Fersen, marschierten ganze „Beute“-Batallione in Mittel- und Ost-Deutschland ein und transportierten alles ab, was nicht niet- und nagelfest war und von gewissem Wert sein konnte. Auch Kulturgegenstände jeglicher Art waren dabei betroffen, wobei es freilich zunächst das Ziel der sowjetischen Funktionäre war, diejenigen wertvollen Kunstsammlungen und -schätze zurückzuholen, die von den Deutschen zuvor geraubt und erbeutet worden waren. Dennoch suchten die Russen nicht nur ihre eigenen Kunstschätze heimzuholen, sondern waren auch darauf aus, deutsche Kunst- und Kulturgegenstände in ihren Besitz zu bringen. Sie waren überwältigt von dem Reichtum, den sie in Deutschland vorfanden und abtransportieren konnten. Der oberste Kulturfunktionär der Sowjetunion, Chraptschenko, schrieb, es sei nun möglich, Moskaus Puschkin-Museum in eines der großen Museen der Welt umzuwandeln, vergleichbar dem British Museum, dem Louvre in Paris oder der Eremitage in St. Petersburg. Ganze Bibliotheken mit sowohl wissenschaftlicher, denn die Sowjets waren an deutschem Technik- und Wissenschaftswissen interessiert, als auch kulturhistorischer Literatur wurden ausgeraubt. Alleine zwischen Dezember 1945 und Juli 1946 sammelten die Spezialisten der Abteilung Volksbildung rund 25 Bibliotheksbestände mit insgesamt 1 300 000 Bänden ein und brachten sie nach Berlin, wo sie zum Abtransport in die Sowjetunion verpackt wurden. Mit dem SMAD-Befehl (Sowjetische Militäradministration Deutschland) Nr. 012 vom 9. März 1946 erhielt die Abteilung zusätzlich auch das Recht, Privatbibliotheken und -sammlungen zu beschlagnahmen. Hierdurch stieg die Zahl der für den Abtransport verfügbaren Bücher noch einmal erheblich an. Insgesamt, so schätzt Naimark, wurden wohl an die sieben Millionen Bücher in die Sowjetunion verbracht. Darunter waren sicher auch Schachbücher.

Neben den Büchern mit nur gelegentlichem Schachbezug, welche sich als Einzelstücke unter den wertvollen Beständen der beispielsweise 200 000 Druckschriften und mehr als 50 000 seltene Drucke umfassenden Berliner Staatsbibliothek oder unter den vielen Handschriften und 131 Frühdrucken des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig befunden haben, ist hier insbesondere auch die „unbestreitbar wertvollste Kollektion von Schachbüchern“ (Joachim Petzold), die die Deutsche Staatsbibliothek in Berlin besaß, zu nennen. Den Grundstock für diese Bibliothek hatte einmal der Ankauf der Sammlung des Gründers der Deutschen Schachzeitung Ludwig Bledow im Jahre 1847 gelegt. Alle der etwa 350 seltenen und seltensten Schachbücher sind seit ihrer Auslagerung während des Zweiten Weltkrieges verschollen, so teilt Joachim Petzold in seinem verdienstvollen, freilich reichlich euphemistisch gehaltenen Beitrag über den Verlust unschätzbarer Kulturgüter mit (Prof. Dr. J. Petzold: Schachbibliotheken in der DDR. In: Schach, September 1974, S. 272). Sie werden inzwischen in feuchten russischen Kellern vermodert sein. Auch die bedeutenden Dresdener Bestände, die im wesentlichen auf die Sammlung des berühmten Problemkomponisten Johannes Kohtz (Kohtz war am 5. Oktober 1918 in Dresden verstorben) zurückgingen, sind verschollen. Hier ist es möglich jedoch eher unwahrscheinlich, weil die wertvollen Bücher ausgelagert worden waren, daß die Bestände im Feuer des Bombenangriffes auf die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt verbrannten. Nach einer Anmerkung von Petzold in dem bereits zitierten Beitrag für Schach im Jahre 1974 scheinen die Schachbücherbestände der Landesbibliothek Thüringens in Gotha noch vorhanden zu sein, obwohl auch in Gotha der Raub von mehr als 5000 wertvollen Büchern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert beklagt wird.

Leider erbrachte der Vergleich einer von uns im März 1997 dem Bundesministerium des Innern vorgelegten Liste alter und ältester Schachbücher mit den derzeit zur Verfügung stehenden Verlustangaben von Bibliotheken keinen Hinweis auf eine konkrete Zuordnung geraubter Schachbücher. Dabei ist jedoch insgesamt zu berücksichtigen, daß beispielsweise die 350 Bände der seinerzeit umfassendsten Sammlung von Schachbüchern (Sammlung Bledow), welche in der Deutschen (ehemals Preussischen) Staatsbibliothek Berlin, aufbewahrt waren, einen nur verschwindend kleinen Anteil am Gesamtverlust der sieben Millionen in die Sowjetunion verschleppten Bücher ausmachen und deshalb sicherlich schwer ausfindig zu machen sein werden, zumal die Datenlage nicht sehr gut ist und die Beschaffung von fundiertem Datenmaterial von russischer Seite auch heute noch behindert wird.

Mit der Erklärung der Beutekunst zum russischen Eigentum durch das russische Parlament, die Duma, im März 1997 haben die maßgeblichen politischen Akteure Russlands nicht nur das Völkerrecht grob mißachtet, sondern auch verbindliche Verträge mit Deutschland, wie den deutsch-russischen Vertrag über gute Nachbarschaft vom 9. November 1990 gebrochen, in dem es klar und deutlich heißt, daß „verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückzugeben“ seien. Auch im deutsch-russischen Kulturabkommen vom 16. Dezember 1992 ist diese Passage noch einmal enthalten. Seit einem Treffen der deutsch-russischen Rückführungskommission am 24. März 1994, an dem die deutsche Seite eine 210 Seiten lange Liste vorlegte, die rund 200 000 Museumsobjekte, zwei Millionen Bücher und drei Kilometer Archivmaterial verzeichnete, ist jedoch nichts passiert. Im Gegenteil, die 1945 von Stalin zwecks Durchführung des Kunst- und Kulturraubes zum Major ernannte, heutige Direktorin des Puschkin-Museums, Irina Antonowa, leugnete jahrelang die Existenz der Beutekunst in ihrem Haus. Jetzt verdient sie Geld an den Ausstellungen. Ist das der Preis, den wir zahlen müssen nicht nur für die deutsche Vergangenheit, sondern vor allem für die desaströse russische Gegenwart (Petra Kipphoff in der Zeit vom 14. Februar 1997)?

Da fallen uns die Worte der früheren Premierministerin Englands, Margaret Thatcher, ein, die diese im Rat der Europäischen Gemeinschaft immer und immer wieder wiederholte: „We want our Money (Chess-Books) back!“.

  1. Adriaen van der Werff

Glücklicherweise wurde jedoch auch ein Teil der geraubten Kulturgüter von den Sowjets bereits zurückgegeben. Wir fanden bei der Lektüre des in erster Auflage sehr selten nur auffindbaren, kleinen Büchleins von Claudius Hüther, Schnell Matt! (Selbstverlag München 1913) ein Gemälde abgebildet, das sich im Jahre 1913 noch in der Dresdener Gemälde-Galerie befunden hatte. Wir forschten ängstlich nach dem Verbleib des Bildes und waren ganz besonders erfreut, daß in der Gemäldegalerie Alte Meister in der Staatlichen Kunstsammlung Dresden das sehr schöne Gemälde von Adriaen van der Werff (1659-1722), Herr und Dame am Schachbrett, dort noch bzw. wieder vorhanden ist. Wie wir erfuhren, waren sämtliche Bilder der Gemäldegalerie vor (!) Kriegsbeginn im Sommer 1939 in Schlösser der Umgebung von Dresden gebracht worden. Unmittelbar vor Kriegsende waren die Bilder dann in umliegende Bergwerke und stillgelegte Eisenbahntunnel verbracht worden, von wo aus sie im Mai 1945 nach Russland transportiert worden waren. Erst im Rahmen einer größeren Rückführung von Kulturgütern wurden die wichtigsten Bilder 1955 an die damalige DDR zurückgegeben.

Das Gemälde van der Werffs war im Jahre 1751 durch Riedel in Leipzig auf der Ostermesse erworben und von der Königin dem König von Sachsen, Friedrich August II. (1733-63), geschenkt worden. Vielleicht hat zu der Wahl des Geschenkes durch die Königin auch die Tatsache beigetragen, daß zu jener Zeit Heinrich Graf von Brühl (1700-63) ein mächtiger Mann am Hofe des Königs von Sachsen war und ein Verwandter des Grafen, nämlich Hans Moritz von Brühl (1736-1809), zu den starken Schachspielern seiner Zeit gehört haben dürfte. Dieser lebte als sächsischer Gesandter in London und spielte des öfteren auch gegen Philidor (Hooper und Whyld, The Oxford Companion to Chess, 2nd Edition, Oxford 1992).

Im Verzeichnis der Werke van der Werffs von Barbara Gaethgens wird das Gemälde unter den van der Werff nur zweifelhaft zuzuschreibenden Werken aufgeführt, eine Bewertung, der sich Frau Dr. Uta Neidhardt von der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden nicht ohne weiteres anschließen würde. Das Gemälde steht in der ikonografischen Tradition der europäischen Kunst, in der das Schachspielen zunächst mit dem Vanitas-Gedanken (Vanitas lat. = Eitelkeit) verbunden war. Andererseits wurde das Wettspiel auch häufiger mit dem Spiel der Liebe gleichgesetzt. Im Bild von van der Werff ist die metaphorische Verbindung zum Liebesspiel offenkundig. Mann und Frau sitzen am Schachbrett, die Personifikation des Sieges steht hinter ihnen. Der Mann setzt gerade eine Figur, während die Frau auf ihre Dame zeigt und damit deutlich zu machen versucht, daß sein Sieg unerheblich ist im Vergleich zum Triumph der Liebe, den die Dame als Stellvertreterin der klugen Frau erringt (Vgl. hierzu auch den Katalog der Ausstellung: Von Frans Hals bis Vermeer. Meisterwerke Holländischer Genremalerei. Gemäldegalerie Staatliche Museen Preuussischer Kulturbesitz Berlin (Dahlem) 8. Juni bis 12. August 1984).

Damit endet die erste Serie der Schach-Zettel. Schach-Zettel 167 war für das Dezember-Heft 1997 der Schachzeitung Schach/Deutsche Schachzeitung, Berlin, (Chefredakteur: Raj Tischbierek) erstellt worden. Beginnend mit der Nummer 168 werden wir in einer neuen Serie versuchen, schachhistorische Aspekte zu thematisieren. Diese neue Serie wird Anfang 2002 in’s Netz gestellt werden können. Für Anregungen, Anmerkungen und Hilfen sind wir immer dankbar. 

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